LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5720 05.05.2014 Datum des Originals: 02.05.2014/Ausgegeben: 08.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2212 vom 11. April 2014 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/5591 Steuerausfall durch manipulierte Registrierkassen in NRW – welche Informationen kann die Landesregierung für eine Haushaltskontrolle geben? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2212 mit Schreiben vom 2. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ausweislich diverser Presseberichterstattungen von Anfang April diesen Jahres beabsichtigt die Landesregierung, den Kampf gegen Steuerbetrug mit manipulierten Registrierkassen zu forcieren. Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat sich nach einem Bericht des Westfälischen Anzeigers vom 04.04.2014 für die verbindliche Verwendung eines SoftwareProgramms ausgesprochen. Durch diese Software sollen Manipulationen an Registrierkassen , von denen bundesweit circa zwei Millionen existieren, ebenso verhindert werden wie zum Beispiel auch bei Taxametern und Spielautomaten. Nach einer Berichterstattung der WAZ vom 05.04.2014 soll der Finanzminister selbst davon gesprochen haben, dass es „massenhaften Steuerbetrug“ gebe. Die Aachener Nachrichten teilten am 04.04.2014 mit, „dem deutschen Fiskus gingen nach Expertenschätzungen pro Jahr bis zu zehn Milliarden Euro verloren“. Demgegenüber erklärte der Hauptgeschäftsführer des Niederrheinischen Einzelhandelsverbandes ebenfalls in der WAZ vom 05.04.2014, dass ihm „nicht ein einziger Fall bekannt (sei), in dem Kassen zwecks Steuerbetrug manipuliert wurden“. Der Apothekerverband Nordrhein ließ verlauten, dass „die Finanzämter die computergestützten Kassen der Apotheken lückenlos auslesen können. Der Generalverdacht ist durch nichts zu belegen.“ Aus Gesichtspunkten der Haushaltskontrolle stellt dich daher die Frage, welche Entwicklung die zunehmende Umsatzsteuerverkürzung bei Apotheken, Friseurläden, Imbissbuden, Taxiunternehmen und anderen Handwerksbetrieben und Einzelhandelsgeschäften nimmt beziehungsweise genommen hat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5720 2 Vorbemerkung der Landesregierung Elektronische Buchführungssysteme ermöglichen es, ausgewählte Einnahmen eines Unternehmens „auf Knopfdruck“ aus den Aufzeichnungen zu entfernen. Damit verschwinden sie aus der Endabrechnung und werden nicht versteuert. Auf diese Betrugsmasche und die dadurch verursachten enormen Schäden hat die OECD im vergangenen Jahr in einem Bericht hingewiesen. Auch der Bundesrechnungshof und die Außenprüfer der Finanzverwaltung NRW sehen in der Steuerhinterziehung durch Manipulation von Registrierkassen gravierende Einnahmeausfälle und Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten der seriös arbeitenden Unternehmerschaft. Auf der Internetseite des Finanzministeriums ist eine Präsentation eingestellt, die die Manipulationsmöglichkeiten von vielen Kassensystemen aufzeigt. Ich habe auf einer Pressekonferenz am 03.04.2014 auf das Problem hingewiesen. Ich habe dabei ausdrücklich betont, dass es nicht um Verdächtigungen gegen einzelne Berufsstände, den Mittelstand oder eine Branche geht. Auch in Nordrhein-Westfalen zeigen Prüfungsergebnisse , dass es leider keinen Anlass für einen pauschalen Blankofreispruch gibt. Tatsache ist aber, dass schwarze Schafe den Ruf aller ehrbaren Kaufleute gefährden und den Wettbewerb verzerren. Zuschriften und Berichte von vielen Unternehmern und sogar von Kassenherstellern zeigen, dass ein großes Interesse daran besteht, gegen die schwarzen Schafe der jeweiligen Branchen vorzugehen. Ansonsten entsteht für die steuerehrlichen Unternehmer einen klarer Wettbewerbsnachteil. Die Ausführungen des Apothekerverbandes, dass die Finanzämter die computergestützten Kassen lückenlos auslesen können, sind nachweislich falsch. Die Erfahrungen der Steuerfahndung zeigen, dass es sehr wohl Fälle von manipulierten Registrierkassen gibt, die eben nicht ohne weiteres durch Auslesen zu entdecken sind, sondern nur auf anderem, teilweise vom Zufall geprägtem Wege. Apothekerkassen bilden dabei keine Ausnahme. 1. Wie hoch beziffert die Landesregierung nach eigenen Schätzungen den Steuer- ausfall durch manipulierte Registrierkassen in Nordrhein-Westfalen? Dem Staat entgehen durch manipulierte Registrierkassen Jahr für Jahr schätzungsweise fünf bis zehn Milliarden Euro. Davon entfallen auf den Landeshaushalt NRW rein rechnerisch etwa zehn Prozent. 2. Welche konkreten Anhaltspunkte liegen den Schätzungen der Landesregierung zugrunde? Die Schätzung beruht unter anderem auf Studien aus anderen Industrieländern, auf die sich auch die OECD beruft. Vorsichtige Hochrechnungen ergeben allein für das Gastronomieund Hotelgewerbe ein mögliches Hinterziehungsvolumen (im Wesentlichen Umsatz- und Ertragsteuern) von über 6 Mrd. € jährlich. Nach den Erfahrungen der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung sind jedoch auch andere Bargeldbranchen in erhöhtem Maß betrugsanfällig (u.a. Fleischer, Bäcker, Lebensmittel-Einzelhandel, Apotheker, Taxen, Frisöre, Spielhallen ). Auch unter Berücksichtigung der von diesen Branchen erzielten und versteuerten Umsätze ist ein Steuerausfallrisiko in Höhe der in der Presse genannten Größenordnung von bis zu 10 Mrd. € absolut realistisch. Konkrete Erfahrungen der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung untermauern, dass es durch manipulierte Kassensysteme zu hohen Steuerausfällen kommt. Die Quote der eingeleiteten Strafverfahren liegt in den überprüften Fällen je nach Branche zwischen zehn und fünfzehn Prozent. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5720 3 Die durch die Betriebsprüfung und die Steuerfahndung festgestellten Mehrergebnisse liegen in Einzelfällen bei Beträgen in zweistelliger Millionenhöhe, in einer Großzahl von Fällen im Bereich von 20.000 € bis 50.000 €. Bei rund 2 Millionen Registrierkassen in Deutschland in den genannten Branchen untermauert auch die Hochrechnung auf der Basis dieser Zahlen die international ermittelten Werte. 3. Wie viele Fälle manipulierter Registrierkassen in Nordrhein-Westfalen wurden konkret entdeckt (bitte für die Jahre 2011, 2012 und 2013 einzeln auflisten)? Die konkrete Anzahl der Fälle manipulierter Registrierkassen kann nur durch Sichtung aller in den Jahren 2011 bis 2013 geprüften Einzelfälle (rund 45.000 Fälle/Jahr) ermittelt werden. Die Frage kann daher mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht beantwortet werden. 4. Wie hoch ist der Steuerausfall der entdeckten Fälle konkret zu beziffern (bitte für die Jahre 2011, 2012 und 2013 einzeln auflisten)? Siehe Frage 3. 5. Wie stellt sich der Anteil der einzelnen Branchen an dem tatsächlichen Steuer- ausfall konkret dar (bitte für die Jahre 2011, 2012 und 2013 einzeln auflisten)? Wie hoch der tatsächliche Steuerausfall bezogen auf einzelne Branchen mit überwiegendem Bargeldanteil bei ihren Einnahmen ist, lässt sich nicht konkret belegen, da die Steuerausfälle naturgemäß nur geschätzt werden können. Einen mittelbaren Rückschluss lassen die von den Betriebsprüfungen bei diesen Branchen erzielten und in der nachstehenden Übersicht dargestellten Mehrergebnisse zu. Für das Jahr 2011 liegen keine Zahlen vor. Branche Mehrergebnis 2012 Mehrergebnis 2013 Absolut Anteil Absolut Anteil Apotheken 7.287.428 € 2,2 % 10.637.457 € 2,6 % Frisöre 4.259.967 € 1,3 % 2.245.061 € 0,5 % Gastronomie-/Hotelgewerbe 83.262.447 € 25,6 % 67.095.175 € 16,2 % Taxigewerbe 8.585.007 € 2,6 % 11.197.021 € 2,7 % Handwerksbetriebe 46.406.893 € 14,3 % 48.934.985 € 11,8 % Einzelhandel 164.676.772 € 50,5 % 271.646.565 € 65,3 % Spielhallen 11.405.378 € 3,5 % 3.934.760 € 0,9 % Mehrergebnis der Branchen mit überwiegendem Bargeldanteil 325.883.892 € 100,0 % 415.691.024 € 100,0 % Die oben angeführten Zahlen basieren auf den tatsächlich durchgeführten Betriebsprüfungen in den Jahren 2012 und 2013. Problematisch ist aber gerade, dass aufgrund der Manipulationsanfälligkeit der Kassensysteme momentan nur ein Bruchteil der Fälle aufgedeckt werden kann. Das lässt sich nur ändern , wenn man dort ansetzt und Kassensysteme vorschreibt, die manipulationssicherer sind. Genau deswegen habe ich angekündigt, den Betrug an der Kasse im Kreis von Bund LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5720 4 und Ländern auf die Tagesordnung zu setzen und auf eine rasche gemeinsame Lösung zu dringen.