LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5829 12.05.2014 Datum des Originals: 09.05.2014/Ausgegeben: 15.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2198 vom 10. April 2014 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/5575 Werden bei der Festlegung von „Schulen gemeinsamen Lernens“ und bei „Schwerpunktschulen “ im Zuge der Umsetzung der Inklusion individuelle Förderbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler umfangreich berücksichtigt? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2198 mit Schreiben vom 9. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Als Folge des rot-grünen 9. Schulrechtsänderungsgesetzes richtet die Schulaufsichtsbehörde „Gemeinsames Lernen“ mit Zustimmung des Schulträgers an einer allgemeinen Schule ein. Darüber hinaus können Schulträger mit Zustimmung der oberen Schulaufsichtsbehörde allgemeine Schulen als Schwerpunktschulen bestimmen. Diese Schulen umfassen neben den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und Emotionale und soziale Entwicklung mindestens einen weiteren Förderschwerpunkt. In vielen Kommunen führt das überstürzte und qualitätslose Vorgehen der rot-grünen Landesregierung zu großer Konfusion. Was Frau Löhrmann als flexibles Vorgehen zu schönen versucht, bedeutet in der praktischen Realität oftmals schlicht Chaos vor Ort. Auffällig ist jedoch insbesondere der Aspekt, wie vielfach, offensichtlich weitgehend willkürlich, die Festlegung solcher entsprechender Schulen sowie der Förderschwerpunkte an diesen Schulen durch die Schulverwaltung erfolgt – und die Räte letztlich oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Hierbei stellt sich insbesondere die Frage, warum z.B. nach Willen der Schulaufsicht an einzelnen Schulen einzelne Förderschwerpunkte zusammengefasst werden , die eine sehr große Herausforderung für die Kollegien darstellen. Auch muss man verwundert zur Kenntnis nehmen, dass die Schulverwaltung offenbar darauf dringt, gerade eine solche Aufnahme/Zuteilung an Schulen beziehungsweise Schulformen vorzunehmen, dessen inhaltlich-pädagogischer Sinn im Interesse der Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen kritisch hinterfragt werden muss. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5829 2 An dieser Stelle seien nur wenige Beispiele einer Vielzahl ähnlicher Fälle aus ganz Nordrhein -Westfalen genannt. In Ennepetal sollen laut Pressemeldungen alle Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen in der dortigen Sekundarschule aufgenommen werden, Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung das Gymnasium besuchen. In Tönisvorst wurde demnach von unterschiedlichen Ebenen der Schulverwaltung darauf gedrängt, alle Kinder, die „zieldifferent“ unterrichtet werden, am dortigen Gymnasium beschulen zu lassen. Dass nicht einmal die Kommunalvertreter von SPD und Grünen das Vorgehen der Schulministerin Löhrmann nachgeordneten Behörden als sinnvoll erachten, verdeutlicht exemplarisch die Aussage der Vertreterin der Grünen in Tönisvorst , die laut Presse zu diesem Vorgehen erklärte: "Die Entwicklungsmöglichkeiten der zieldifferenten Kinder gehen am Gymnasium doch völlig unter." Es stellt sich die Frage, ob das Vorgehen der Schulverwaltung, die dem Ministerium für Schule und Weiterbildung nachgeordnet ist, ein rein von unorganisierter Hektik getragenes Handeln, das Umsetzen politischer Ziele von Rot-Grün oder aber, worum es eigentlich gehen muss, die individuellen Bedürfnisse der Kinder im Auge hat. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Schulverwaltungen vor Ort laut vieler Rückmeldungen darauf drängen, an entsprechenden Schulen die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer „Inklusionsklasse “ zusammenzufassen – ein Umstand, der vermutlich auf die mangelnden Ressourcen zurückzuführen ist. Es drängt sich die Frage auf, warum es für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Emotionale und soziale Entwicklung sinnvoll sein soll, an einer Schule (und schlimmstenfalls sogar in einer Klasse) zusammengefasst zu werden, wie es anhand der Beispiele einer Sekundarschule und eines Gymnasiums beschrieben wurde. Ebenso muss kritisch hinterfragt werden, warum es den individuellen Bedürfnissen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen und Geistiger Entwicklung, die zieldifferent gefördert werden, entsprechend soll, dass sie von der Schulverwaltung gezielt an Gymnasien konzentriert werden. Deren schulgesetzlicher Auftrag lautet die Vermittlung einer „vertieften allgemeinen Bildung“, die Schülerinnen und Schülern entsprechend ihren Leistungen und Neigungen durch Schwerpunktbildung befähigen soll, nach Maßgabe der Abschlüsse in der Sekundarstufe II ihren Bildungsweg an einer Hochschule , aber auch in berufsqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen. Es stellt sich daher die Frage, welche Vorgaben die Landesregierung diesbezüglich an die nachgeordneten Schulbehörden übermittelt hat. Darüber hinaus ist es wichtig zu erfahren, wie viele Schulen in den jeweiligen nordrhein-westfälischen Kreisen/ kreisfreien Städten zu „Schulen des gemeinsamen Lernens“ beziehungsweise Schwerpunktschulen bestimmt worden sind und welche Kinder mit welchen Förderschwerpunkten dort jeweils aufgenommen werden sollen. 1. Hat das Land den nachgeordneten Schulbehörden Anweisungen erteilt, wie be- züglich der Zuordnung von Förderschwerpunkten zu den unterschiedlichen Schulformen vorzugehen ist (wenn ja, welche)? Die Landesregierung hat bereits zu Beginn der konzeptionellen Überlegungen auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem deutlich gemacht, dass Inklusion unteilbar ist und somit alle Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in allen sonderpädagogischen Förderschwerpunkten einbezogen werden. Auch wird in den konzeptionellen Ausführungen der Landesregierung aufgrund des gesamtgesellschaftlichen Auftrags , den die VN-Behindertenrechtskonvention als Menschenrecht vorgibt, deutlich, dass sich grundsätzlich alle Schulformen - nicht jedoch alle Schulstandorte - diesem Auftrag stellen werden. Die Praxis vor Ort zeigt auf, dass dies in wachsendem Maße auch realisiert wird und verschiedene Schulformen einbezogen sind. Vorgaben oder Zuordnungen zu bestimm- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5829 3 ten Schulformen existieren nicht, da dies aufgrund der konkreten Situation vor Ort von der oberen und der unteren Schulaufsicht nach den spezifischen regionalen Erfordernissen gemeinsam mit den Schulträgern entschieden wird. §§ 19 und 20 SchulG sehen vor, dass die Schulaufsicht gemeinsam mit den Schulträgern über die Orte des Gemeinsamen Lernens entscheidet und den Eltern dann mindestens eine allgemeine Schule anbietet. Die Landesregierung trifft keine Entscheidung über die Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung auf Schulformen oder einzelne Schulstandorte. Diese Entscheidung trifft die untere bzw. obere Schulaufsicht mit Zustimmung des Schulträgers (Gemeinsames Lernen) bzw. der Schulträger mit Zustimmung der oberen Schulaufsicht (Schwerpunktschule) unter Berücksichtigung der konkreten räumlichen , sächlichen, personellen und pädagogischen Situation vor Ort. Hierbei berücksichtigt die Schulaufsicht im Rahmen komplexer Koordinierungsprozesse die Interessen der unterschiedlichen Beteiligten (Förderbedarfe der Kinder mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, Wunsch Eltern, Schulträger, sächliche und personelle Voraussetzungen ) und sucht angemessene Lösungen vor Ort. Das Ziel der Landesregierung ist es, Schulen, die Gemeinsames Lernen anbieten, personell dauerhaft mit zusätzlichen Lehrkräften für Sonderpädagogik auszustatten. Das ist nur möglich , wenn an diesen Schulen regelmäßig mehrere Kinder mit festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung aufgenommen werden und nicht nur in Einzelfällen. Wie dann innerhalb der Schule die Klassenbildung erfolgt, bleibt nach dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz den Schulen überlassen – anders als bisher, wo beispielsweise für die Integrativen Lerngruppen Vorgaben galten. Die einzelne Schule entscheidet dann unter Berücksichtigung der Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler pädagogisch begründet, so dass ein gemeinsames Miteinander und ein voneinander Lernen ermöglicht wird. Der Gedanke der Bündelung einerseits, aber auch der schulinternen Umsetzung andererseits wird im neuen Absatz 4 in § 46 Schulgesetz deutlich. Er erlaubt es, die Aufnahmekapazität für die Jahrgangsstufe 5 einer Schule der Sekundarstufe I zu begrenzen, wenn rechnerisch mindestens zwei Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf pro zu bildender Klasse 5 aufgenommen und gemeinsam unterrichtet werden und im Durchschnitt aller Parallelklassen der jeweilige gesetzliche Klassenfrequenzrichtwert nicht unterschritten wird. 2. Warum erachtet es die Landesregierung als zielführend, dass alle Kinder einzelner Förderschwerpunkte an einer Schule – wie in den genannten Beispielen z.B. alle Kinder mit einem Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung an einer Sekundarschule oder alle Kinder mit einem zieldifferenten Förderbedarf an einem Gymnasium – schlimmstenfalls in einer Klasse der jeweiligen Jahrgangsstufe zusammengefasst werden? Die Landesregierung geht davon aus, dass Schulen, an denen Gemeinsames Lernen eingerichtet ist, vom Grundsatz her eine sonderpädagogische Unterstützung in allen drei Förderschwerpunkten der Lern- und Entwicklungsstörungen ermöglichen. Dies kommt auch durch die Bildung eines Stellenbudgets in diesem Bereich - wie es bereits im Schulversuch „Ausbau von Förderschulen zu Kompetenzzentren für die sonderpädagogische Förderung erprobt worden ist - und die Einführung einer einheitlichen Schüler- / Lehrer-Relation zum Ausdruck. Schwerpunktschulen zeichnen sich nach § 20 Abs. 5 SchulG dadurch aus, dass sie darüber hinaus Unterstützung in mindestens einem weiteren Förderschwerpunkt anbieten. Eine Konzentration von Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5829 4 im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung – wie er in Förderschulen erfolgt – ist aus Sicht der Landesregierung grundsätzlich problematisch, sie kann jedoch mit Blick auf das pädagogische Konzept und die erhöhte Personalausstattung im konkreten Fall begründet sein. Um das beurteilen zu können, müssten konkrete Fälle benannt werden. Die in der Fragestellung beinhaltete unbegründete Wertung „schlimmstenfalls in einer Klasse“ ignoriert pädagogisch-konzeptionelle Gründe und legt an das gemeinsame Lernen einen grundsätzlich höheren Maßstab an als an die Förderschule, deren Klassenzuordnungen häufig vorrangig organisatorischen Erfordernissen folgen. 3. Welche Schulen sind in den nordrhein-westfälischen Kreisen bzw. kreisfreien Städten zu „Schulen des gemeinsamen Lernens“ bestimmt worden (bitte für die einzelnen Kreise/ kreisfreien Städte jeweils einzeln nach Schulform und Schulstandort aufschlüsseln)? 4. Welche Schulen sind in den nordrhein-westfälischen Kreisen bzw. kreisfreien Städten zu Schwerpunktschulen bestimmt worden (bitte für die einzelnen Kreise/ kreisfreien Städte jeweils einzeln nach Schulstandort/ Schulform aufschlüsseln)? 5. Welche Förderschwerpunkte sind für die in Frage 3 und 4 genannten Schulen festgelegt worden (bitte jeweils nach Kreisen/ kreisfreien Städten schulscharf ausweisen)? Da das 9. Schulrechtsänderungsgesetz erst zum Schuljahr 2014/2015 in Kraft tritt, liegen der Landesregierung diese Daten derzeit noch nicht vor. Diese werden jedoch künftig im Rahmen der mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz verbundenen Berichtspflicht erhoben. Ferner haben die Bezirksregierungen im Rahmen von Dienstbesprechungen darauf hingewiesen, dass noch eine Vielzahl an AO-SF-Verfahren offen ist, deren Abschluss noch Auswirkungen auf die Zahl der o. g. Standorte haben wird.