LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5854 13.05.2014 Datum des Originals: 13.05.2014/Ausgegeben: 16.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2219 vom 8. April 2014 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/5603 Autoritäts- und Respektverlust gegenüber Polizistinnen und Polizisten in NRW? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2219 mit Schreiben vom 13. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Novemberausgabe der GdP-Mitgliederzeitung „Deutsche Polizei“ (11/2013, Seite 2f) erschien ein Leserbrief der Bochumer Polizistin Tania Kambouri über die Respektlosigkeit von straffälligen Migranten und integrationsfernen Milieus gegenüber der Polizei. In der Märzausgabe dieses Jahres (Seite 12) äußerte sie sich erneut. Ihre Stellungnahmen haben hohe Aufmerksamkeit erhalten. Kambouri, die selber griechische Wurzeln hat, berichtet „täglich mit straffälligen Migranten , darunter größtenteils Muslimen (Türken, Araber, Libanesen, usw.) konfrontiert“ zu sein, „welche nicht den geringsten Respekt vor der Polizei haben.“ Dabei fange die Respektlosigkeit bereits im Kindesalter an. Anhand von Beispielen schildert sie sehr anschaulich die Schwierigkeiten mit autarken und illegalen Parallelgesellschaften, in denen niemand mehr auf den deutschen Staat angewiesen sei und stellt die Frage, ob sich die „deutsche Polizei beziehungsweise der Staat (negativ ) anpassen“ und „unsere demokratischen Vorstellungen […] einschränken oder aufgeben“ muss. Weiterhin schildert sie: „Die Polizei wird immer hilfloser. Einzelne Beamte können Grenzen setzen, aber ohne Rückhalt der Politik oder der Gerichte werden diese mehr und mehr fallen .“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5854 2 Gleichzeitig resignieren offenbar viele Beamte. Vorgesetzte raten ihren Mitarbeitern laut „Deutsche Polizei“ von Anzeigen wegen Beleidigung, Widerstand oder Körperverletzung gegen Täter ausländischer Herkunft ab. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 im Auftrag der GdP NRW stellen nur noch die Hälfte der betroffenen Beamten eine Anzeige. Die Veröffentlichung hat eine rege Debatte innerhalb der Polizei angestoßen, die nun auch von vielen Medien (FAZ, BILD, WAZ, etc.) aufgegriffen wird. Auf einer Podiumsdiskussion während der jüngsten Landesdelegiertenkonferenz der GdP NRW mit dem Landesinnenminister bekam Kambouri viel Applaus für ihre Forderung nach mehr Rückhalt von der Politik. Mit ihren Ausführungen möchte sie die Diskussion um Konzepte gegen Parallelgesellschaften anstoßen, bevor diese schlimmer werden. In der Märzausgabe der „Deutsche Polizei“ (03/2014, Seite 12) äußert sich der Innenminister zur Thematik: „Ich verstehe die Kollegin gut. Die Diskriminierung, die sie schildert, toleriere ich nicht. Wie ich überhaupt den mangelnden Respekt insbesondere gegenüber unseren Polizistinnen verurteile. Hier müssen wir stärker gegensteuern, damit alle die Gleichberechtigung der Frau in unserer modernen Gesellschaft akzeptieren. Wir dürfen aber nicht pauschalisieren. In Nordrhein-Westfalen werden wir auf jeden Fall weiterhin eine hohe Quote von Beamtinnen einstellen – auch mit Migrationshintergrund.“ Diese Aussage von Minister Jäger ist schwammig, unpräzise und am Problem vorbei. Was meint er konkret mit „stärker gegensteuern“? Eine Antwort, wie er die Polizei stärken und einem Autoritätsverlust entgegenwirken will, bleibt der Minister somit schuldig. Vorbemerkung der Landesregierung Die Respektlosigkeit gegenüber und der Autoritätsverlust von Amtsträgern im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen ist ein gesellschaftliches Problem, welches die Landesregierung nicht allein und die Polizei nur begrenzt lösen kann. Ursachen und Bedingungen zu erkennen und positiv zu ändern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nur in einem langfristigen Prozess nachhaltig erreichbar. Weder polizeiliche Maßnahmen noch das Strafrecht können die Ursachen für kriminelles Verhalten (soziale und individuelle Defizite) beheben . Die von meinem Haus beauftragte Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte “ hat die Auswirkungen dieses Problemfeldes erforscht. Der in dieser Studie beschriebene Gewaltbegriff umfasst neben tätlichen Angriffen eben auch die vom Fragesteller beschriebene Respektlosigkeit im Sinne von nicht‐tätlichen Angriffen wie z. B. Anschreien und verbale Provokationen, Bedrängen oder Umzingeln, Beleidigungen und Verleumdungen bzw. Androhen von körperlicher Gewalt. Nicht-tätliche Angriffe wurden bewusst in den Gewaltbegriff aufgenommen, da sie von den Polizeibeamtinnen und -beamten als hochbelastend erlebt werden können und daher für die Handlungsempfehlungen des Forschungsprojektes auch von großer Relevanz waren. Hierzu verweise ich auf den Bericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 29.11.2013 an den Innenausschuss des Landtages NRW „Übergabe des Abschlussberichtes zur NRW Studie“ „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. Der Schutz aller Polizeibeamtinnen und -beamten vor jeglicher Form von Gewalt und deren Folgen hat für die Landesregierung höchste Priorität. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5854 3 Die Polizei NRW verfolgt seit vielen Jahren einen ganzheitlichen Ansatz bei der Bewältigung von Einsatzlagen. Gezielte Kommunikation und Deeskalation auf der einen Seite sowie konsequentes Einschreiten gegen erkannte Straftäterinnen und Straftäter auf der anderen Seite sind wesentliche Bausteine dieses Konzeptes. In der Polizei NRW ist im Umgang mit Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte bereits ein guter Standard in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Betreuung, Nachbereitung und Ausstattung erreicht. Die NRW Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ belegt einerseits die Güte der bestehenden Konzepte, zeigt andererseits in den Handlungsempfehlungen aber auch Optimierungspotential . Der Erkenntnisgewinn und die darauf beruhenden Maßnahmen setzen den Weg fort, die Polizeibeamtinnen und -beamten beständig und bestmöglich bei der Wahrnehmung ihrer schwierigen Aufgaben zu unterstützen. Stellung von Strafanträgen durch die Behördenleitungen: Die vom Fragesteller angeführte Aussage, dass nur noch die Hälfte der betroffenen Polizeibeamtinnen und -beamten eine Anzeige erstattet, ist der aktuellen NRW Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ nicht zu entnehmen. Die Befragung in der Studie hat jedoch u.a. gezeigt, dass ein Teil der Beamtinnen und Beamten sich bei der Stellung von Strafanträgen durch die Führung nicht ausreichend unterstützt fühlt. Die Stellung eines Strafantrags auch durch die Behördenleitung präjudiziert nicht die Entscheidung der unabhängigen Justiz, entwickelt jedoch über eine bloße Symbolkraft hinausgehende Wirkung. Die Unterstützung der Behördenleitung hat Auswirkungen auf die Motivation der Beamtinnen und Beamten und damit auch auf die Funktionsfähigkeit der Polizei insgesamt . In Fällen, in denen nach rechtlicher Prüfung die Behördenleitungen keinen Strafantrag stellten, hat die Studie aber gezeigt, dass die Beamtinnen und Beamten eine Rückmeldung über diese Entscheidung erwarten. Aus diesem Grund habe ich mich in einem Brief an die Leiterinnen und Leiter der Polizeibehörden dieser Bitte um Transparenz ausdrücklich angeschlossen. Die Integration von Personen mit Migrationshintergrund ist ebenfalls ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Dieses Ziel verfolgt auch die Landesregierung NRW. Die Polizei NRW leistet daher seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag zur Steigerung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst des Landes NRW. Die Bewerberzielgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund wird durch besondere Werbemaßnahmen direkt angesprochen, um ein Interesse für die Tätigkeit im Polizeivollzugsdienst des Landes NRW zu wecken. 1. Ist der Autoritätsverlust unserer Polizei in bestimmten Milieus ein Problem, des- sen sich die Landesregierung bewusst ist? Siehe Vorbemerkung. 2. Warum ist in einigen Milieus die Respektlosigkeit und Missachtung gegenüber der Polizei so ausgeprägt? Siehe Vorbemerkung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5854 4 3. Mit welchen Programmen bzw. welchen konkreten Maßnahmen gedenkt die Landesregierung auf diesen Hilferuf zu reagieren? Ergänzend zu den Vorbemerkungen und mit Hinweis auf die Antwort auf die Kleine Anfragen 1328 des Abgeordneten Theo Kruse der Fraktion der CDU (Drucksache 16/3520) ist folgendes ergänzend zu bemerken: Die Ausbildung der Polizei NRW im Rahmen eines Bachelor-Studiengangs bereitet die Beamtinnen und Beamten in Theorie, Training und Praxis sehr intensiv und umfassend auf die vielfältigen Einsatzsituationen des polizeilichen Alltags vor. Sie werden für den Umgang mit Menschen mit professioneller Handlungskompetenz ausgestattet und zu den verschiedenen Themenbereichen zielgruppenorientiert sensibilisiert und qualifiziert. Dies trifft auch auf den Umgang mit Straftätern zu, die den Polizeibeamtinnen und -beamten respektlos gegenübertreten . So wird sichergestellt, dass den Studierenden alle Kompetenzen vermittelt werden, die notwendig sind, um angemessen und rechtskonform mit den geschilderten Situationen und Problemstellungen umzugehen. Auf der Grundlage dieses theoretischen Wissens wird das Themenfeld Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte einschließlich aggressiver und respektloser Verhaltensweisen sowohl in den Trainings beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW in verschiedenen Fachmodulen für die Kernbereiche der polizeilichen Arbeit, Gefahrenabwehr/Einsatz, Kriminalitätskontrolle und Verkehrssicherheitsarbeit als auch im berufspraktischen Training berücksichtigt und intensiv behandelt. Auf den Inhalten der Ausbildung aufbauend werden alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stetig und situationsspezifisch fortgebildet. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext das Einsatztraining NRW. Im Hinblick auf den Schutz vor psychischen und körperlichen Gesundheitsgefährdungen infolge erfahrener Belastungen bietet das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW für die Polizeibeamtinnen und -beamten verhaltensorientierte Seminare und Fortbildungen an. Dazu zählen Stressbewältigungstrainings wie auch Veranstaltungen zur Prävention von Belastungsstörungen und die Nachbereitung besonders belastender Ereignisse. Ebenso tragen die dort angebotenen Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz der Beamtinnen und Beamten dazu bei, besondere Verhaltensweisen von Bürgerinnen und Bürgern zu verstehen und so präventiv zu wirken. Zudem steht allen Beschäftigten der Polizei NRW die Möglichkeit offen, das Beratungs- und Unterstützungsangebot des Sozialwissenschaftlichen Dienstes des Landesamtes für Ausbildung , Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW in Anspruch zu nehmen. Weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gibt es in den einzelnen Kreispolizeibehörden. Hier stehen ihnen soziale Ansprechpartner und auch die Polizei-seelsorger zur Seite. 4. Wird die Landesregierung die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz von Poli- zisten und anderen Kräften im Einsatz verschärfen? Nein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5854 5 5. Wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung hält die geltenden bundesrechtlichen Regelungen des Strafgesetzbuchs unter Berücksichtigung der durch das am 05.11.2011 in Kraft getretene 44. Strafrechtsänderungsgesetz vom 01.11.2011 (BGBl. I 2130) erfolgten Neufassung der §§ 113, 114 und 305a StGB nach der derzeitigen Erkenntnislage für ausreichend.