LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5858 13.05.2014 Datum des Originals: 13.05.2014/Ausgegeben: 16.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2123 vom 20. März 2014 des Abgeordneten Torsten Sommer PIRATEN Drucksache 16/5353 Sachgrundlose befristete Arbeitsverträge in der Landesregierung, der Landesverwaltung und den Unternehmen im Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2123 mit Schreiben vom 13. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin und allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 wurde erstmals, als eine Reaktion auf die anhaltend steigende Massenarbeitslosigkeit der 1970er und 1980er Jahre, eine zeitlich beschränkte erleichterte Befristung ohne besonderen Sachgrund eingeführt, die dann 1996 ausgeweitet wurde, indem wieder ganze Befristungsketten statthaft wurden. Die Anzahl der befristeten Beschäftigungen nimmt in den letzten Jahren jedoch immer mehr zu. Diese Feststellung lässt sich an Hand von diversen Statistiken immer wieder vornehmen. Beispielhaft seien hier nur die Zahlen von Eurostat genannt: (http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=lfsa_eppga&lang=de). Zudem steigt die Anzahl der Arbeitsverträge, die ohne Sachgrund befristet sind, in den vergangenen Jahren deutlich. Im Jahr 2001 gab es rund 550.000 solcher Verträge, im Jahr 2013 waren es bereits Jahr 1,3 Millionen. Das geht aus Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt - und Berufsforschung (IAB) hervor. Der Anteil der sachgrundlosen Befristungen an allen befristeten Arbeitsverträgen stieg von 32 im Jahre 2001 auf 48 Prozent im Jahr 2013. Die Gerichte haben letztinstanzlich dem Vorhaben der Ausweitung der sachgrundlosen Beschäftigung ihren „Segen erteilt“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5858 2 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit dem Urteil vom 06.04.2011 (7 AZR 716/09) die geltende Rechtslage so ausgelegt, dass sachgrundlose Befristungen trotz Vorbeschäftigung möglich sein sollen. Nach Auffassung des BAG ist der § 14 Abs. 2 TzBfG verfassungskonform auszulegen. Eine "Zuvor-Beschäftigung" im Sinne dieser Vorschrift liegt nach Auffassung des BAG nicht vor, wenn ein früheres Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Neben dem BAG hat auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem Urteil (C-586/10, Bianca Kücük gegen Nordrhein-Westfalen) eine Konkretisierung vorgenommen. Danach kann die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge auch dann durch einen Vertretungsbedarf gerechtfertigt sein, wenn sich dieser Bedarf als wiederkehrend oder sogar ständig erweist. Der Einsatz dieser aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge kann jedoch gegebenenfalls unter Berücksichtigung ihrer Zahl und Gesamtdauer einer Missbrauchskontrolle unterzogen werden. Diese Auslegung der gesetzlichen Grundlagen öffnet Tür und Tor für sachgrundlose Kettenbefristungen . Selbst die Ministerpräsidentin äußerte sich in der Vergangenheit kritisch zum Abschluss sachgrundlos befristeter Arbeitsverhältnisse. Vorbemerkungen der Landesregierung Sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse sind solche nach § 14 Abs. 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) und – für Existenzgründer – nach § 14 Abs. 2a TzBfG. Die vom Fragesteller angesprochenen Kettenbefristungen sind bei sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen nicht möglich, da höchstens eine dreimalige Verlängerung innerhalb von zwei Jahren zulässig ist. In diesem Rahmen ist eine missbräuchliche Anwendung von § 14 Abs. 2 TzBfG nicht gegeben. Die Kettenarbeitsverträge stehen vielmehr im Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 TzBfG. Die Landesregierung steht befristeten Arbeitsverhältnissen grundsätzlich kritisch gegenüber. Befristete Arbeitsverhältnisse werden daher im Verantwortungsbereich der Landesregierung nicht abgeschlossen, wenn die Möglichkeit für den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses besteht. Die erbetenen Daten wurden durch eine umfassende Ressortabfrage zum Stichtag 01.01.2014 bei den zuständigen Stellen erhoben. Die Landesbetriebe und der BLB NRW wurden als Teil der Landesverwaltung hiervon umfasst. Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales konnten für den Polizeibereich die erbetenen Daten nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der zur Verfügung stehenden Zeit ermittelt werden. Die Abfrage der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge bei den Unternehmen des Landes NRW beschränkt sich dabei auf die Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen im Sinne des § 65 Abs. 1 Landeshaushaltsordnung (LHO), an denen das Land NRW unmittelbar und mehrheitlich (zu mindestens 50 v. H.) beteiligt ist. 1. Wie viele sachgrundlos befristete Arbeitsverträge gibt es in der Landesregie- rung1 des Landes Nordrhein-Westfalen? Die Anzahl der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge in der Landesregierung NRW auf den 01.01.2014 beläuft sich auf insgesamt 80 Fälle. Die entsprechende Aufteilung auf die Ressorts ergibt sich aus der Anlage 1. 1 Die Frage wird so interpretiert, dass der Fragesteller die Anzahl der sachgrundlosen Befristungen in der Staatskanzlei und in den Landesministerien genannt haben möchte. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5858 3 2. Wie viele sachgrundlos befristete Arbeitsverträge gibt es in der Landesverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen? Die Anzahl der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge in der Landesverwaltung NRW auf den 01.01.2014 beläuft sich auf insgesamt 917 Fälle. Die entsprechende Aufteilung auf die Ressorts ergibt sich aus der Anlage 2. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei den angegebenen Fallzahlen um Gesamtzahlen für die Landesverwaltung handelt. Diese beinhalten daher auch die gesondert erfragten Fallzahlen für die Landesregierung (Frage 1) sowie die Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften (Frage 4). Die für den Justizbereich aufgeführten sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse betreffen – neben den in der Antwort zu Frage 4 angegebenen Fällen in den Gerichtsbarkeiten und den Staatsanwaltschaften - den Justizvollzug und resultieren vorwiegend aus der Ausbildungsstruktur im Bereich des allgemeinen Vollzugs- und Werkdienstes. Der Vorbereitungsdienst beginnt jährlich am 01.07. eines Jahres. Soweit die Bewerber vor dem genannten Termin eingestellt werden, wird ihnen im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Gelegenheit eingeräumt, die Arbeitsabläufe im Justizvollzug kennenzulernen . Mit Beginn des sich anschließenden Vorbereitungsdienstes werden die Beschäftigten in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf übernommen. Nach bestandener Prüfung erfolgt die Übernahme als Beamter auf Probe. 3. Wie viele sachgrundlos befristete Arbeitsverträge gibt es in den Unternehmen des Landes Nordrhein-Westfalen, die sich mehrheitlich in Landesbesitz befinden ? Auf den 01.01.2014 bestanden in den Unternehmen des Landes Nordrhein Westfalen insgesamt 109 sachgrundlos befristete Arbeitsverträge. Die Aufteilung auf die verschiedenen Unternehmen kann der Anlage 3 entnommen werden. 4. Wie viele sachgrundlos befristete Arbeitsverträge gibt es in den Gerichtsbarkei- ten und den Staatsanwaltschaften im Land Nordrhein-Westfalen? In den Gerichtsbarkeiten und den Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein Westfalen belaufen sich die sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge auf insgesamt 225 Fälle, deren Aufteilung der Anlage 4 zu entnehmen ist. Die für den Bereich der Gerichtsbarkeiten und den Staatsanwaltschaften aufgeführten sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse betreffen weit überwiegend die dort eingesetzten Justizfachangestellten. Nach Abschluss ihrer Ausbildung werden diese in der Regel zunächst in befristeten Arbeitsverhältnissen geführt. Sobald eine freie und unbefristet besetzbare Stelle zur Verfügung steht und sie sich für eine Tätigkeit in der Justiz als dauerhaft geeignet erwiesen haben, erhalten sie unbefristete Arbeitsverträge. 5. Wie verhält sich die Landesregierung generell zu sachgrundlos befristeten Ar- beitsverhältnissen? Die Landesregierung strebt die Abschaffung sachgrundloser Befristungen außer bei Existenzgründungen an. Sie vereinbart in ihrem Verantwortungsbereich in der Regel kein befristetes Arbeitsverhältnis, wenn die Möglichkeit für ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5858 4 Sie wird den laufenden Prozess der Eindämmung befristeter Einstellungen und der Umwandlung bestehender befristeter Arbeitsverhältnisse in unbefristete fortsetzen. Das Flexibilisierungsinteresse öffentlicher und privater Arbeitgeber darf nicht zu einer einseitigen Verlagerung des Unternehmens- bzw. Beschäftigungsrisikos auf den Arbeitnehmer führen. Solche atypischen Beschäftigungsverhältnisse, die auch die allgemeine Lebens- und Familienplanung wesentlich erschweren, dürfen in der Landesverwaltung nur in den rechtlichen Grenzen eingesetzt werden und unbefristete Regelarbeitsverhältnisse nicht dauerhaft ersetzen. § 14 Abs. 2 TzBfG als neben Abs. 1 eigenständiger Befristungstatbestand kann für den Landesdienst beispielhaft jedoch dann zum Tragen kommen, wenn geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern eine dauerhafte Beschäftigung angeboten werden soll, eine freie und unbefristet besetzbare Stelle aktuell aber nicht zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis schnellstmöglich angestrebt. Die sachgrundlose Befristung ist insofern für die Beschäftigten vorteilhaft, weil sie ansonsten bis zum frei werden einer entsprechenden Stelle gar nicht beschäftigt werden könnten. Anlage zu Frage 1 Einzelplan Kapitel Anzahl / Zeitarbeitsverträge (§ 14 Abs. 2 TzBfG) MP 02 010 7 MIK 03 010 3 JM 04 010 0 MSW 05 010 2 MIWF 06 010 9 MFKJKS 07 010 10 MBWSV 09 010 7 MKULNV 10 010 21 MAIS 11 010 1 FM 12 010 2 MWEIMH 14 010 16 MGEPA 15 010 2 INSGESAMT 80 Quelle: Ressortabfragen 03/2014 auf den 01.01.2014 Sachgrundlos, befristet Arbeitszeitverträge in der Landes regierung NRW - gem. § 14 Abs. 2 TzBfG - Stichtag : 01.01.2014 Anlage zu Frage 2 Einzelplan Anzahl / Zeitarbeitsverträge (§ 14 Abs. 2 TzBfG) 01 - LT 2) 3 02 - MP 9 03 - MIK 3) 63 04 - JM 4) 450 05 - MSW 69 06 - MIWF 16 07 - MFKJKS 13 09 - MBWSV 9 10 - MKULNV 162 11 - MAIS 1 12 - FM 92 13 - LRH 1 14 - MWEIMH 27 15 - MGEPA 2 INSGESAMT 917 Quelle: Ressortabfragen 03/2014 auf den 01.01.2014 Anmerkungen: 1) incl. der Fallzahlen aus den Ministerialkapiteln (Landesregierung) 2) Landtag: nur Meldung des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW (LDI) 3) MIK ohne den Polizeibereich, da die erbetenen Daten nicht mit vertretbarem Verwaltungs- aufwand in der zur Verfügung stehenden Zeit ermittelt werden konnten und aus dem Daten- bestand nicht erhoben werden können. 4) Die Fallzahl für das JM umfasst die in der Anlage 4 aufgelisteten 225 Fällen aus den Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften des Landes NRW. Sachgrundlos, befristet Arbeitszeitverträge in der Landes verwaltung 1) NRW - gem. § 14 Abs. 2 TzBfG - Stichtag : 01.01.2014 Anlage zu Frage 3 Einzelplan Unternehmen Anzahl / Zeitarbeitsverträge (§ 14 Abs. 2 TzBfG) 06 - MIWF Bonn International Center for Conversion (BICC) 2 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie 7 07 - MFKJKS Neue Schauspiel GmbH 7 09 - MBWSV Aufbaugemeinschaft Espelkamp GmbH 5 Duisburger Hafen AG 17 Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung GmbH 12 NRW.URBAN 1 10 - MKULNV Bildungszentrum für Ver- und Entsorgungswirtschaft (BEW) 1 11 - MAIS Gesell. für innovative Beschäftigungsförderung mbH (G.I.B.) Bottrop 3 12 - FM NRW.Bank 32 Portigon AG 5 15 - MGEPA Krankenhausbetriebsgesellschaft Bad Oeynhausen mbH 2 Gollwitzer-Meier-Klinik GmbH 12 Klinik am Rosengarten im Staatsbad Oeynhausen GmbH 3 INSGESAMT 109 1) Unternehmen des Landes NRW im Sinne des § 65 Abs. 1 LHO, mit unmittelbarer und mehrheitlicher Beteiligung von mind. 50% Definition laut Beteiligungsbericht Quelle: Ressortabfragen 03/2014 auf den 01.01.2014 Sachgrundlos, befristet Arbeitszeitverträge in den Unternehmen 1) des Landes NRW - gem. § 14 Abs. 2 TzBfG - Stichtag : 01.01.2014 Anlage zu Frage 4 Einzelplan Kapitel Anzahl / Zeitarbeitsverträge (§ 14 Abs. 2 TzBfG) 04 - JM 04 210 208 04 220 0 04 230 0 04 240 4 04 250 13 INSGESAMT 225 Quelle: Ressortabfragen 03/2014 auf den 01.01.2014 Sachgrundlos, befristet Arbeitszeitverträge - gem. § 14 Abs. 2 TzBfG - Stichtag : 01.01.2014 in den Gerichtsbarkeiten und den Staatsanwaltschaften des Landes NRW