LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5919 20.05.2014 Datum des Originals: 19.05.2014/Ausgegeben: 23.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2228 vom 15. April 2014 der Abgeordneten Yvonne Gebauer und Ingola Schmitz FDP Drucksache 16/5613 Ist die Erteilung eines umfassenden, qualitativ hochwertigen Physikunterrichts an nordrhein-westfälischen Schulen sichergestellt? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2228 mit Schreiben vom 19. Mai 2014 beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In dem Artikel „Immer weniger Physikunterricht an deutschen Schulen“ vom 2. April 2014 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf eine Untersuchung der „Deutschen Physikalischen Gesellschaft“ (DPG) verwiesen, wonach sehr viel Physikunterricht an deutschen Schulen aufgrund von Lehrermangel entfiele. Da Nordrhein-Westfalen seit der rot-grünen Regierungsübernahme keine landesweite Erhebung des Unterrichtsausfalls mehr durchführt, erübrigt sich der Versuch, die Landesregierung gezielt nach dem entfallenden Physikunterricht zu befragen. Allerdings stellt sich auch vor dem Hintergrund des schlechten Abschneidens von Nordrhein-Westfalen im IQB-Ländervergleich für den MINT-Bereich die Frage, wie viele Stunden das Fach Physik in den unterschiedlichen Bundesländern unterrichtet wird – ohne dass der genaue Entfall der jeweiligen Stunden vergleichbar zu beziffern wäre. Diese Frage wurde im Zusammenhang mit den schlechten Ergebnissen Nordrhein-Westfalens ebenfalls verschiedentlich thematisiert. In dem Artikel heißt es weiter: „Die DPG hat in zehn der 16 Bundesländern, die ausdrücklich zustimmten, 200 Schulen, die zum Abitur führen befragt. Das entspricht einer Stichprobe von 7 Prozent in den teilnehmenden Ländern. In fast einem Drittel der befragten Schulen gibt es Jahrgangsstufen (vor allem die Klassen 5 und 6), in denen Physik im Fächerverbund meist mit Chemie und Biologie oder Chemie, Biologie und Geographie zusammen unterrichtet wird. Einige Länder scheinen mit Verbundlösungen im Unterricht auf den Physiklehrermangel reagieren zu wollen. (…) In vielen Fällen unterrichten in solchen Fächerverbünden andere Naturwissenschaftler (Mathematiker oder Chemiker) auch Physik. Dadurch werde die ohnehin geringe Begeisterung für das Fach Physik, das als schwer empfunden und oft abgewählt werde, nicht geweckt, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5919 2 sagte Frau Stachel im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.“ Da immer wieder die Frage des fachfremd erteilten Unterrichts thematisiert wird, wäre es wichtig zu erfahren, ob der Landesregierung Kenntnisse vorliegen, wie viel Physikunterricht in NordrheinWestfalen fachfremd erteilt wird. Darüber hinaus wirken sich demnach aus Sicht der genannten Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Fächerverbünde negativ auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler für die Physik aus. Daher wäre es wichtig zu erfahren, wie die Landesregierung diese offenkundig negative Einschätzung von Fächerverbünden durch die Präsidentin der DPG auf dieses für den wirtschaftlich-technischen Erfolg der Gesellschaft zentralen Faches bewertet . Ebenfalls sind angesichts dieser Kritik Informationen der Landesregierung von hoher Bedeutung, wie sich diesbezüglich die Situation gegenwärtig an nordrhein-westfälischen Schulen darstellt. 1. Wie viele Stunden wird das Fach Physik in den jeweiligen Jahrgangsstufen der unterschiedlichen Schulformen im Vergleich der 16 Bundesländer jeweils unterrichtet (bitte jeweils nach Wochenstundenrahmen aufschlüsseln)? In der KMK-Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I ist festgelegt, dass die Wochenstundenzahlen für die Naturwissenschaften in dem Bildungsgang , der zum Mittleren Schulabschluss führt, insgesamt 16 Stunden umfassen muss. In Nordrhein-Westfalen gibt es die sog. Kontingentstundentafel, die den Schulen einen flexiblen Rahmen setzt. Für die naturwissenschaftlichen Fächer der einzelnen Schulformen gilt: Gymnasium (G8) 6 Wochenstunden in den Klassen 5 und 6 14 Wochenstunden in den Klassen 7-9 In der SI müssen mindestens 6 Wochenstunden in Physik erteilt werden. Realschule: 6 Wochenstunden in den Klassen 5 und 6 16 Wochenstunden in den Klassen 7-10 Die Verteilung auf die drei naturwissenschaftlichen Fächer soll gleichgewichtig sein, d.h. mindestens 7 Wochenstunden Physik. Hauptschule: 6 Wochenstunden in den Klassen 5 und 6 12 Wochenstunden Naturwissenschaften in den Klassen 7-10 Die Verteilung auf die drei naturwissenschaftlichen Fächer soll gleichgewichtig sein, d.h. mindestens 6 Wochenstunden Physik. Es kommt noch Technikunterricht hinzu, der innerhalb des Lernbereichs „Arbeitslehre“ erteilt wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5919 3 Gesamtschule: 6 Wochenstunden in den Klassen 5 und 6 14 Wochenstunden in den Klassen 7-10 Die Verteilung auf die naturwissenschaftlichen Fächer soll gleichgewichtig sein. Der naturwissenschaftliche Unterricht kann bis einschließlich Klasse 8 in integrierter Form erfolgen. Es kommt noch Technikunterricht hinzu, der innerhalb des Lernbereichs „Arbeitslehre“ auch fächerintegriert erteilt werden kann. Sekundarschulen: Für die Sekundarschulen in integrierter und teilintegrierter Form gelten die Regelungen der Gesamtschule, für die Sekundarschulen in kooperativer Form mit drei Bildungsgängen sind die Stundenzahlen der jeweiligen Schulform maßgeblich, für die Sekundarschulen in kooperativer Form mit zwei Bildungsgängen sind 22 Wochenstunden in der Erweiterungsebene und 18 Wochenstunden in der Grundebene vorgesehen. Damit wird in Nordrhein-Westfalen an allen Schulformen der von der KMK vorgesehene Wochenstundenrahmen von 16 Stunden übertroffen. 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zum fachfremd erteilten Unter- richt im Fach Physik in Nordrhein-Westfalen vor? Die Zahl der mit und ohne Lehrbefähigung erteilten Unterrichtsstunden kann, nach Schulformen getrennt, der beigefügten Tabelle entnommen werden (Anlage 1). Zu den relativ hohen Anteilen des an der Haupt- und Volksschule fachfremd erteilten Physikunterrichts trägt wesentlich das an diesen Schulformen praktizierte Klassenlehrerprinzip bei. Insgesamt beträgt der ohne Lehrbefähigung erteilte Physikunterricht weniger als 14 %. 3. Wie bewertet die Landesregierung die offenkundige Kritik der Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, wonach sich naturwissenschaftliche Fächerverbünde negativ auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler für das Fach Physik auswirken? Der Landesregierung liegen unterschiedliche wissenschaftliche Befunde zum Zusammenhang von naturwissenschaftlichen Fächerverbünden und dem Interesse von Schülerinnen und Schülern an naturwissenschaftlichen Fächern vor. U.a. wird in der in der Kleinen Anfrage zitierten Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zur Unterrichtsversorgung im Fach Physik und zum Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf das Fach Physik festgestellt: „Die Erhebung zeigt keinen nennenswerten Einfluss des Unterrichts in Fächerverbünden auf das Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler“ (Ebd.; S. 11). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5919 4 Im gleichen Zusammenhang wird im weiteren Verlauf der Studie bezüglich möglicher Negativauswirkungen von Fächerverbünden im Hinblick auf das Physik-Wahlverhalten von Schülerinnen und Schülern ausgeführt: „Eine belastbare Aussage ergibt sich aus den Daten unserer Erhebung diesbezüglich aber nicht“ (Ebd.; S. 39). Zudem stellt die Studie von Dr. Silke Klos „Kompetenzförderung im naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht - Der Einfluss eines integrierten Unterrichtskonzepts“ vom Zentrum für empirische Bildungsforschung der Universität Duisburg-Essen, bezogen auf die siebte Jahrgangsstufe fest, dass in fächerintegriert unterrichteten Klassen das Interesse an Physik höher ist als in fächerdifferenziert unterrichteten Klassen und im Laufe des siebten Schuljahres weniger stark abnimmt. Auch vor dem Hintergrund pluraler Einstellungen zum fächerintegrierenden Naturwissenschaftsunterricht – auch innerhalb der DPG – enthält sich die Landesregierung der Bewertung der Aussagen von Frau Prof. Stachel, der vormaligen Präsidentin der DPG, in dem in der Kleinen Anfrage zitierten Artikel der FAZ vom 02.04.2014. 4. In welcher Form finden an nordrhein-westfälischen Schulen integrierte Verbünde naturwissenschaftlicher Fächer Anwendung? An den Gesamtschulen ist ein integrierter naturwissenschaftlicher Unterricht in den Klassen 5-8 möglich. Darüber beschließt die Schulkonferenz. An Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen ist der fächergetrennte Unterricht der Regelfall . Im Rahmen eines Schulentwicklungsverfahrens haben 16 Gymnasien und 12 Hauptschulen den Antrag gestellt, befristet auf 4 Jahre in den Klassen 5 und 6 das Fach Naturwissenschaft als integrierten Unterricht erproben zu können. Diesen Anträgen ist stattgegeben worden. Zurzeit ist der erste Durchlauf noch nicht abgeschlossen, eine Evaluation konnte deshalb noch nicht erfolgen. 5. Welche unterschiedlichen Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, um dem Entfall von Physikunterricht entgegen zu wirken? Es ist Ziel der Schulen, mit gut ausgebildeten Lehrkräften für das Fach Physik einen anspruchsvollen und dem jeweiligen Lernniveau der Klasse angepassten, handlungsorientierten Physikunterricht anzubieten. Damit werden die Grundlagen für ein Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen und auch später an naturwissenschaftlichen Berufen gelegt. Zum Schuljahresbeginn 2014/15 stehen als Bewerberin oder Bewerber 66 ausgebildete Lehrkräfte für die Sekundarstufe II und 39 für die Sekundarstufe I für eine Einstellung für das Fach Physik für den nordrhein-westfälischen Schuldienst zur Verfügung. Im Rahmen eines gesonderten Listenverfahrens und frühzeitiger Ausschreibungen konnten bisher sieben Lehrkräfte für allgemein bildende Schulen der Sekundarstufe II und eine Lehrkraft für eine Schule der Sekundarstufe I gewonnen werden. Nach heutigem Stand (7. Mai 2014) gibt es 44 Stellenveröffentlichungen für Schulen der Sekundarstufe II und 32 für Schulen der Sekundarstufe I. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5919 5 Weitere Ausschreibungen und Stellenbesetzungen werden folgen. Für alle Schulen besteht die Möglichkeit, soweit sie der Auffassung sind, keine ausgebildeten Lehrkräfte mit Erster und Zweiter Staatsprüfung für eine Stellenausschreibung für das Fach Physik gewinnen zu können, auch für den Seiteneinstieg für Personen ohne Lehramtsbefähigung zu öffnen. Dies haben die Schulen bisher nur in einem Fall für erforderlich gehalten. Eine Qualifizierung in der Regel mit einem Abschluss einer Staatsprüfung und einer Lehramtsbefähigung schließt sich an. Die Bezirksregierungen richten überdies nach Bedarf Zertifikatskurse in Physik ein, in denen Lehrkräfte zu unbefristeter Unterrichtserlaubnis qualifiziert werden. Solche Kurse laufen z.B. zurzeit in den Bezirksregierungen Düsseldorf, Köln und Arnsberg.