LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5924 21.05.2014 Datum des Originals: 20.05.2014/Ausgegeben: 26.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2078 vom 27. Februar 2014 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/5181 Wie sind die detaillierten Erkenntnisse zum Leck-Erkennungs-Ortungs-System (LEOS) der Kohlenstoffmonoxid-Pipeline der Firma Bayer? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2078 mit Schreiben vom 20. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Wirtschaft , Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Brunsbütteler BAYER-Werk kam es im Herbst letzten Jahres zu einem schweren Zwischenfall . Dabei trat hochgiftiges Kohlenmonoxid aus, das bestätigte die Polizei zum 25.09.13. Zwei Mitarbeiter wurden bewusstlos aufgefunden, drei weitere wurden durch das Einatmen giftiger Gase verletzt. Ein Betroffener schwebte in Lebensgefahr und musste reanimiert werden. Dieser Unfall ist kein Einzelfall; schon in der Vergangenheit war es bei BAYER mehrfach zu CO-Unfällen gekommen, so im Jahr 2009, als im US-Werk Baytown Kohlenmonoxid und Monochlorbenzol austraten, oder im Jahr 2006, als die Krefelder CO-Anlage brannte und die Produktion fünf Wochen lang ruhen musste. Vor diesem Hintergrund verbietet sich der Transport hochgefährlicher Chemikalien durch dicht besiedelte Wohngebiete grundsätzlich aufgrund der Gefährdung der Bevölkerung. Durch einen Vollbruch der Kohlenmonoxid-Pipeline wären laut einem Gutachten der Stadt Ratingen mehr als 100.000 Anwohner gefährdet. Dennoch wurde die 67 Kilometer lange Leitung zwischen Dormagen und Uerdingen die hochgiftiges reines Kohlenstoffmonoxid zwischen zwei Bayer-Werken durch dicht besiedeltes Gebiet transportieren soll, bereits fertig gestellt. Sie darf nur noch nicht in Betrieb gehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5924 2 Um die Giftigkeit zu erfassen, verwendet Bayer zwei Messsysteme: das Massenbilanzverfahren misst Druck und Druckflussvolumina in der Pipeline. Bei einem Gasverlust von mehr als 60.000 l/h wird Alarm ausgelöst. Das LEOS- Ortungssystem erfasst kleine Leckagen ab einem Wert von 100 l/h. Dabei kann ausgetretenes CO etwa 8 Std. lang in einen Schnüffelschlauch neben der Pipeline diffundieren, anschließend wird der Inhalt zur ca. 10 km entfernten Messstation gepumpt, die dann die CO-Konzentration bestimmt. Vor dem Hintergrund des gravierenden Risikos für die Bevölkerung durch ausströmendes Kohlenmonoxid frage ich die Landesregierung speziell zum Leck-Erkennungs-OrtungsSystem (LEOS): Vorbemerkung der Landesregierung Gemäß § 3 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFLtgV) sind Rohrfernleitungsanlagen entsprechend dem Stand der Technik zu errichten und zu betreiben. Die Anforderungen an den Stand der Leckerkennungs- und Leckortungstechnik sind in Teil 1 Nr. 11.5 der Technischen Regel für Rohrfernleitungen (TRFL) beschrieben. Es müssen technische Verfahren zum Einsatz kommen, die bei allen Betriebszuständen der Pipeline Stoffaustritte sowie schleichende Undichtheiten feststellen können. Die Austrittsmengen, die mindestens feststellbar sein müssen , werden im Einzelfall festgelegt. Sie richten sich nach den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Fördermediums, den örtlichen Gegebenheiten und den Betriebsverhältnissen . Bei der CO-Pipeline soll dies durch eine Auflage (Nebenbestimmung 6.2.97 des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 15.10.2008, siehe Antwort zu Frage 2) sichergestellt werden. Die Vorhabensträgerin BMS hat zur Erfüllung dieser Vorgabe das Leckerkennungs- und Ortungssystem LEOS der Firma AREVA installiert . LEOS dient der Erkennung und Ortung schleichender Undichtheiten, also minimaler Stoffaustritte durch feine Risse oder Löcher in der Rohrleitung. Mit LEOS sollen an den erdverlegten Teilen der Rohrfernleitungsanlage Schleichleckagen mit einer Austrittsmenge von 100 l/h und mehr mit einer Leckerkennungszeit von maximal 48 Stunden erkannt werden, die Bestimmung des Leckageortes ist mit einer Genauigkeit von 0,5 % bezogen auf die Länge des jeweils absperrbaren Rohrleitungssegments vorgegeben. Zur Erkennung größerer Leckagen, z.B. infolge äußerer Einwirkungen, sind zwei weitere voneinander unabhängige, kontinuierlich arbeitende Systeme installiert, die eine Leckerkennung bei allen Betriebszuständen gewährleisten sollen. Meldet eines dieser drei Systeme eine Undichtheit/Leckage, so müssen unverzüglich die Absperrarmaturen der Einspeisestation und die Absperrarmaturen entlang der Strecke (Absperrschieber sind im Abstand von max. 15 km installiert) automatisch geschlossen werden und die Entleerung der Pipeline ist einzuleiten. Durch diese Maßnahmen soll die freisetzbare Stoffmenge begrenzt werden. Der Nachweis der Erfüllung der Nebenbestimmung 6.2.97 des Planergänzungsbeschlusses vom 15.10.2008 ist von der Vorhabensträgerin erst vor Inbetriebnahme der CO-Pipeline zu führen und wird im Rahmen der Abnahme vom Rohrfernleitungssachverständigen geprüft. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5924 3 1. Das im Schnüffelschlauch befindliche Gas soll nach acht Stunden Sammelns im Rhythmus von max. 24 Stunden abgepumpt werden. Kann also ein einziger Messwert pro 32 Stunden generiert werden? Die Überwachung von Schleichleckagen erfolgt mit dem sog. „Schnüffelschlauch“ des Leckerkennungs - und Ortungssytems LEOS. Dieser Sensorschlauch ist unmittelbar oberhalb der Rohrleitung zu verlegen gewesen. Im Falle einer Schleichleckage soll austretendes COGas bereits nach kurzer Zeit in den gasdurchlässigen Schlauch diffundieren. Das LEOSEquipment (Schlauch und Messeinrichtung) ist in allen Streckenstationen installiert, so dass jeder Leitungsabschnitt separat überwacht wird. Zweimal täglich, d.h. im Abstand von 12 Stunden, soll in jedem der sechs Abschnitte der CO-Pipeline das Gasvolumen des Schlauches abgesaugt und der CO-Gehalt gemessen werden. Die CO-Messung soll gemäß Herstellervorgaben im 12-Stunden-Rhythmus erfolgen. Die CO-Messung soll dann kontinuierlich über den gesamten Zeitraum der Absaugung erfolgen (siehe auch Frage 5). Nach derzeitigem Kenntnisstand der Bezirksregierung Düsseldorf beträgt die Ansprechzeit des LEOS-Systems im ungünstigsten Fall 39,5 Stunden (Ausbreitungszeit plus Zeit zum Erreichen der CO-Konzentration am Sensorschlauch plus Diffusionszeit plus maximale Wartezeit bis Beginn des nächsten Messzyklus plus Dauer der Messung). Diese Leckerkennungszeit liegt im zulässigen Rahmen von maximal 24 bis 48 Stunden, wie von Nebenbestimmung 6.2.97 des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 15.10.2008 gefordert. 2. Welche Regelung legt die Anzahl von Messwerten pro Zeiteinheit fest? Maßgeblich ist die Nebenbestimmung 6.2.97 der Planfeststellung: 6.2.97: „Die Rohrfernleitungsanlage darf nur betrieben werden, wenn sie über Einrichtungen zum Feststellen und Orten von Stoffaustritten verfügt, die nachfolgende Anforderungen erfüllen : • Die erste Leckerkennungseinrichtung muss austretende Stoffmengen bei allen Betriebszuständen detektieren können. Bei stationärem Betriebszustand und bei Förderpausen müssen Austrittsmengen von 60 m3/h innerhalb von 15 Minuten ebenso wie 300 m3/h innerhalb von 5 Minuten sicher erkannt werden. Bei der Bestimmung des Leckageortes ist eine Abweichung von maximal 1 % bezogen auf die Gesamtlänge der Rohrfernleitung zulässig. • Eine weitere dem heutigen Stand der Technik entsprechende Leckerkennungseinrichtung muss schleichende Undichtheiten an den erdverlegten Teilen der Rohrfernleitungsanlage mit einer Austrittsmenge von 0,1 m³/h und mehr mit einer Leckerkennungszeit von maximal 24 bis 48 Stunden erkennen können. Hierbei ist eine Bestimmung des Leckageortes mit einer Genauigkeit von 0,5 % bezogen auf das jeweils absperrbare Rohrleitungssegment zu garantieren .“ Die technischen Details richten sich nach den Vorgaben des Herstellers. Der Nachweis ist bei der Abnahme vor Inbetriebnahme der Pipeline zu führen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5924 4 3. LEOS löst erst ab 100ml/h aus. Wie wird sichergestellt, dass auch Werte unter 100 ml/h erfasst werden, um rechtzeitig Alarm auszulösen und eine Gefährdung menschlichen Lebens zu vermeiden? Die Leckerkennungsschwelle von 0,1 m³/h (entsprechend 100 l/h) ist Stand der Technik. Dies bestätigte der RWTÜV-Sachverständige nach § 6 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFLtgV ) in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 05.09.2008 und ergänzte dies auf Seite 6 wie folgt: „LEOS ist das zur Zeit empfindlichste analytische System zur Erkennung und Ortung von schleichenden Undichtheiten an Rohrfernleitungsanlagen .“ Diese Stellungnahme war eine der Beurteilungsgrundlagen des Planergänzungsbeschlusses vom 15.10.2008. Die Aussage trifft nach Kenntnis der Planfeststellungsbehörde auch heute noch zu. Schleichende Undichtheiten unter 100 l/h werden vom System nicht erkannt und können unbemerkt über längere Zeiträume auftreten. Welche Konsequenzen hieraus resultieren, wurde von der Fa. Currenta GmbH & Co. OHG in einer Modellrechnung vom 02.03.2009 ermittelt. Sie kam zum Ergebnis, dass bei einer Schleichleckage mit einer Freisetzungsrate von 100 l/h bei ungünstigster Wetterlage in 1 m Entfernung von der Austrittsfläche die COKonzentration in der Luft bei max. 15 ppm liegt. Die AEGL(Acute exposure guideline levels )- Störfallbeurteilungswerte für eine CO-Expositon werden deutlich unterschritten. Bei einer Expositionsdauer von 8 Stunden beträgt der AEGL-3-Wert 130 ppm (tödliche Wirkung) und der AEGL-2-Wert 27 ppm (fluchtbehindernde Wirkung). Das LEOS-System unterliegt noch der Abnahmeprüfung durch den Sachverständigen nach § 6 RohrFLtgV vor Inbetriebnahme. 4. Die Verlegung des Schnüffelschlauches ohne Schutz- und Sicherheitsvorkehrun- gen oberhalb der CO-Pipeline birgt gravierende Mängel. Da der Prüfschlauch nachweislich nicht gesondert in ein Sandbett verlegt wurde, sondern das örtliche Bodenmaterial zur Anwendung kam, versagt das Alarmsystem stellenweise völlig. Welche Bestimmungen zu Lage und Schutz derartiger Schläuche gelten? Bei Verlegung des LEOS-Schlauches direkt oberhalb der Rohrleitung wurde keine zusätzliche Sicherung für erforderlich gehalten. Das LEOS-System ist laut Herstellerangabe nachweislich für alle in der Pipelinetrasse anzutreffenden Bodenarten geeignet. Dies wurde der Vorhabensträgerin BMS seitens der Herstellerfirma AREVA NP GmbH im August 2008 schriftlich bestätigt. Grundlage waren die vom baubegleitenden Baugrund-Institut dokumentierten bodenkundlichen Daten der beim Bau der Pipeline angetroffenen Bodenarten und Versuche der Fa. AREVA in verschiedenen Bodenarten. Auch dieser Nachweis unterliegt noch der Abnahmeprüfung durch den Sachverständigen nach § 6 RohrFLtgV vor Inbetriebnahme . LEOS ist laut Herstellerangaben oberhalb und innerhalb des Grundwassers einsetzbar, da die Schlauchmembran gasdurchlässig, aber nicht wasserdurchlässig ist. Darüber hinaus ist die Funktion zweimal täglich zu überprüfen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5924 5 5. Die Zeit, bis das CO an der Messstelle ankommt, entspricht der Entfernung des Lecks von der Messstation und erlaubt somit lediglich eine ungefähre Eingrenzung des Gefahrengebietes. Wie erkennt LEOS zwischenzeitlich austretendes Gas? Das LEOS-System soll der Überwachung von Schleichleckagen dienen. Wie in der Antwort auf Frage 2 ausgeführt, soll hierzu im Abstand von 12 Stunden das im Sensorschlauch enthaltene Gasvolumen abgesaugt werden. Im abgesaugten Gasvolumenstrom wird kontinuierlich der CO-Gehalt gemessen. Um festzustellen, wann das Gasvolumen des jeweiligen Abschnitts vollständig erfasst ist, wird bei Beginn der Absaugung eine geringe Menge CO-Gas in den Sensorschlauch gegeben. Das Auftreten des „CO-Peaks“ kennzeichnet dann den Abschluss des Absaugvorgangs. Im Falle einer Schleichlecklage soll anhand des zeitlichen Abstands zwischen dem „Leckpeak “ zum „CO-Testpeak“ die Leckstelle mit einer Lagegenauigkeit zwischen 50 und 75 m geortet werden können.