LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5925 21.05.2014 Datum des Originals: 20.05.2014/Ausgegeben: 26.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2079 vom 27. Februar 2014 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/5182 Wie steht es um die Sicherheit der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem LeckErkennungs -Ortungs-System (LEOS) der Kohlenstoffmonoxid-Pipeline der Firma Bayer ? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2079 mit Schreiben vom 20. Mai 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Austretendes hochgiftiges Kohlenmonoxid verursachte erst kürzlich im Brunsbütteler BAYER -Werk einen schweren Unfall mit Schwerverletzten. Da es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, muss auch künftig davon ausgegangen werden, dass sich weitere verheerende Unfälle in Verbindung mit der 67 Kilometer langen bereits fertig gestellten Leitung zwischen Dormagen und Uerdingen, die hochgiftiges reines Kohlenstoffmonoxid zwischen zwei BayerWerken durch dicht besiedeltes Gebiet transportieren soll, ereignen werden. Aufgrund eines Vollbruches dieser noch nicht im Betrieb genommenen KohlenmonoxidPipeline wären laut einem Gutachten der Stadt Ratingen mehr als 100.000 Anwohner gefährdet . Polizei, Feuerwehr und medizinische Dienste haben erklärt, dass sie die Sicherheit der Bevölkerung bei einem Unfall nicht gewährleisten können. Sämtliche betroffene Kommunen lehnen eine Inbetriebnahme daher ab, mehr als 120.000 Menschen haben Protesterklärungen gegen das Projekt unterschrieben. Gegen das laufende Planänderungsverfahren richten sich zudem 24.000 Einwendungen, die im November bei einem Erörterungstermin in der Essener Grugahalle diskutiert wurden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5925 2 Vor dem Hintergrund des gravierenden Risikos für die Bevölkerung durch ausströmendes Kohlenmonoxid frage ich die Landesregierung: Vorbemerkung der Landesregierung Gemäß § 3 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFLtgV) sind Rohrfernleitungsanlagen entsprechend dem Stand der Technik zu errichten und zu betreiben. Die Anforderungen an den Stand der Leckerkennungs- und Leckortungstechnik sind in Teil 1 Nr. 11.5 der Technischen Regel für Rohrfernleitungen (TRFL) beschrieben. Es müssen technische Verfahren zum Einsatz kommen, die bei allen Betriebszuständen der Pipeline Stoffaustritte sowie schleichende Undichtheiten feststellen können. Die Austrittsmengen, die mindestens feststellbar sein müssen , werden im Einzelfall festgelegt. Sie richten sich nach den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Fördermediums, den örtlichen Gegebenheiten und den Betriebsverhältnissen . Bei der CO-Pipeline wurde dies durch die Nebenbestimmung 6.2.97 des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 15.10.2008 sichergestellt. Schleichleckagen mit einer Austrittsmenge von 100 l/h und mehr an den erdverlegten Teilen der Rohrfernleitungsanlage müssen mit einer Leckerkennungszeit von maximal 48 Stunden erkannt werden, die Bestimmung des Leckageortes mit einer Genauigkeit von 0,5 % bezogen auf die Länge des jeweils absperrbaren Rohrleitungssegments erfolgen können. Die Vorhabensträgerin BMS hat zur Erfüllung dieser Vorgabe das Leckerkennungs- und Ortungssystem LEOS der Firma AREVA bereits installiert. Die umfassende Prüfung des Antrages der Vorhabensträgerin BMS durch Sachverständige nach Rohrfernleitungsverordnung (RohrFLtgV) und Fachbehörden in einem Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung sichert die Einhaltung der in § 21 UVPG und § 3 RohrFLtgV normierten Zulassungsvoraussetzungen. Dennoch sind – wie bei allen anderen Transportmitteln – Schadensfälle nicht mit absoluter Sicherheit auszuschließen. 1. Wie wird die Sicherheit der Bevölkerung garantiert vor dem Hintergrund, dass praktische Erfahrungen im Einsatz von LEOS fehlen? Das Erkennungs- und Ortungssystem für schleichende Undichtheiten LEOS der Firma AREVA wird bereits seit über einem Jahrzehnt bei betriebenen Pipelines zum Befördern flüssiger oder gasförmiger Stoffe installiert und eingesetzt. Im Regierungsbezirk Düsseldorf ist das LEOS-System bei 3 Rohrfernleitungen für Mineralölprodukte sowie bei 2 Rohrfernleitungen für druckverflüssigtes Propylen im Einsatz. Die Membran des LEOS-Schlauches ist durchlässig für Gase und Dämpfe (Diffusion). Nach Herstellerangabe eignet sich das System für Kohlenwasserstoffe, Ketone, Alkohole, Ester, Stickstoffverbindungen und anorganische Gase (wie z.B. Kohlenmonoxid). Die Eignung für CO bestätigte der RWTÜV-Sachverständige nach § 6 Rohrfernleitungsverordnung (RohrFLtgV ) in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 05.09.2008. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5925 3 2. Wie wird plötzliches Entweichen von Kohlenmonoxid infolge äußerer Einwirkungen verhindert? Das LEOS-System der Firma AREVA dient der Erkennung und Ortung schleichender Undichtheiten , also minimaler Stoffaustritte durch feine Risse oder Löcher in der Rohrleitung. Zur Erkennung größerer Leckagen, z.B. infolge äußerer Einwirkungen, sind zwei weitere voneinander unabhängige, kontinuierlich arbeitende Systeme installiert, die eine Leckerkennung bei allen Betriebszuständen gewährleisten. Meldet eines dieser drei Systeme eine Undichtheit / Leckage, so müssen unverzüglich die Absperrarmaturen der Einspeisestation und der Streckenstationen automatisch geschlossen und die Entleerung der Pipeline eingeleitet werden. Hierdurch soll die freisetzbare Stoffmenge minimiert werden. 3. Wie werden die Helfer (z.B. Feuerwehren) durch Sicherheitskonzepte, Katastro- phenschutzpläne und Übungen vorbereitet? Die kommunalen Aufgabenträger der Kreise und kreisfreien Städte sind nach dem Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfeleistung im Rahmen ihrer Aufgaben zur Gefahrenabwehr verpflichtet, Gefahrenabwehrpläne für Großschadensereignisse sowie für besonders gefährliche Objekte Sonderschutzpläne zu erstellen und fortzuschreiben. Die Kommunen haben darüber hinaus Feuerwehreinsatzpläne zu erstellen und stetig zu aktualisieren. Diese Pläne sind auf die Vorbereitung der Gefahrenabwehr zur tatsächlichen Schadensbewältigung ausgerichtet . In angemessenen Zeitabständen sind die Pläne zudem in Form von Teil- oder Vollübungen zu beüben. Die erforderlichen konkreten Einsatzregeln sind in der FeuerwehrDienstvorschrift 500 - FwDV 500 "Einheiten im ABC-Einsatz" festgelegt, die zuletzt im Januar 2012 aktualisiert wurde. 4. Bei schweren CO-Vergiftungen ist die rasche Verbringung in eine Überdruckkam- mer die einzige Behandlungsmaßnahme. Welche Kapazitäten gibt es im Umkreis von 250 km zur Pipeline? Bei schweren CO-Vergiftungen ist sowohl in der Notfallsituation als auch auf dem Transport die sofortige Beatmung mit reinem Sauerstoff - möglichst mit hohem Druck – erforderlich. Die Behandlung in einer Überdruckkammer stellt eine, aber nicht die einzige geeignete Maßnahme dar. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die hyperbare Sauerstofftherapie (HBOBehandlung ) in seiner Richtlinie „Methoden Krankenhausbehandlung“ vom 21. März 2006 (BAnz. 2006 S. 4 466), als für die Krankenhausversorgung erforderlich bezeichnet. Eine Therapieentscheidung im Einzelfall oder eine Aussage über andere geeignete Behandlungsmöglichkeiten ist damit nicht verbunden. Die Behandlung von Opfern von Rauchgasvergiftungen ist zunächst durch die Krankenhäuser mit Intensivstationen sichergestellt. In Nordrhein-Westfalen befindet sich an der Universitätsklinik Düsseldorf eine HBO-Kammer, in der Patientinnen und Patienten mit einer Kohlenmonoxidvergiftung stationär und intensivmedizinisch behandelt werden können. In der Universitätsklinik Düsseldorf stehen maximal 12 Plätze zur Verfügung, es werden aber aus Sicherheitsgründen max. 6 Personen zeitgleich behandelt. Auch auf dem Gelände der Uniklinik Aachen ist eine HBO-Kammer vorhanden . In der Universitätsklinik Aachen stehen ebenfalls maximal 12 Plätze zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5925 4 Die konkrete Aufnahmekapazität ist insbesondere abhängig von der jeweils aktuellen Belegungssituation und den medizinischen Anforderungen an die Behandlung. Die Landesregierung hat weder auf die Vorhaltung noch auf den Betrieb der aufgeführten Druckkammern unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es weitere HBO-Kammern in Nordrhein-Westfalen, die von privaten Unternehmern betrieben werden und ambulant behandeln. So gibt es HBO-Kammern unter anderem in Münster, Minden, Dorsten, Düren und St. Augustin. Über die Anzahl der Behandlungsplätze liegen keine Erkenntnisse vor. Der Landesregierung sind weiterhin außerhalb von Nordrhein-Westfalen in einem Umkreis von ca. 250 km folgende Standorte zur hyperbaren Sauerstofftherapie bekannt: Wiesbaden, Frankfurt, Osnabrück, Hannover und Kassel. Über die Anzahl der Behandlungsplätze liegen keine Erkenntnisse vor. 5. Auf der Grundlage ermittelter AEGL-Werte führt bei einem gesunden Menschen das Einatmen von 30 ml CO zur Bewusstlosigkeit und verhindert damit jedwede Fluchtfähigkeit für Anwohner und Rettungskräfte; die tödliche Dosis liegt bei etwa 130 ml eingeatmeten COs. Wie garantiert man, dass Gasaustritte stets unter der Grenze bleiben, die zu Bewusstlosigkeit bei Menschen führt? Die AEGL-Werte (Acute exposure guideline levels) unterscheiden drei Effekt-Schweregrade und sind abhängig vom Expositionszeitraum. Die Auswirkung auf betroffene Personen ist also abhängig von Konzentration und Einwirkzeit des Stoffes. Die in Frage 5 genannten CO-Konzentrationen gelten jeweils für eine Einwirkzeit von acht Stunden auf eine Person. Wie in der Antwort zu Frage 3 der Kleinen Anfrage 2078 ausgeführt , hat eine Modellrechnung der Fa. Currenta GmbH & Co. OHG vom 02.03.2009 ergeben , dass bei einer Schleichleckage mit einer Freisetzungsrate von 100 l/h bei ungünstigster Wetterlage in 1 m Entfernung von der Austrittsfläche die CO-Konzentration in der Luft bei max. 15 ppm liegt. Der Arbeitsplatzgrenzwert für CO beträgt bei einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden 30 ppm (35 mg/m3).