LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 27.05.2014 Datum des Originals: 26.05.2014/Ausgegeben: 30.05.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2278 vom 5. Mai 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/5715 Bürger schützen statt blitzen: Bilanz der 24-Stunden-Blitz-Marathons in Mülheim – Zu welchen genauen Ergebnissen haben die sechs PR-Aktionen der Landesregierung in der Stadt Mülheim bislang eigentlich geführt? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2278 mit Schreiben vom 26. Mai 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der sogenannte 24-Stunden-Blitz-Marathon ist eine von der Landesregierung beauftragte polizeiliche Aktion zur Bekämpfung der Hauptunfallursache "überhöhte Geschwindigkeit" auf den Straßen. Die Premiere des Blitz-Marathons fand am 10. Februar 2012 landesweit in Nordrhein-Westfalen statt. Innenminister Ralf Jäger hat die Aktion seinerzeit initiiert und als Teil der im November 2011 gestarteten Kampagne ‚Brems Dich – rette Leben!’ der Polizei gegen die angeblich steigende Zahl von Geschwindigkeitsunfällen begründet. An diesem besagten Freitagmorgen im Februar 2012 sind ab 6:00 Uhr morgens an rund 1.400 Kontrollstellen bei frostigen Minustemperaturen mehrere tausend Polizisten postiert worden, um diese zuvor breit angekündigten Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Obwohl die Kontrollstellen vorab veröffentlicht wurden, sind der Polizei nach Angaben des Innenministeriums etliche Temposünder „in die Falle getappt“: Landesweit wurden 456.000 Verkehrsteilnehmer überprüft, fast 17.200 Autofahrer sind zu schnell gefahren – wenn auch teilweise nur ganz geringfügig. 250 Fahrer waren so schnell unterwegs, dass ein Fahrverbot drohte, acht von ihnen mussten den Führerschein noch direkt an der Kontrollstelle abgeben. 31 Autofahrer sind alkoholisiert gefahren oder standen unter Drogeneinfluss, 307 hatten sich nicht angegurtet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 2 Im Journalisten-Blog unter www.ruhrbarone.de wird die Aktion am 1. Juli 2012 wie folgt kommentiert: „Die Erfolge des ersten Blitz-Marathons waren, was die Verkehrssicherheit betrifft, eher kläglich : 17.200 Autofahrer wurden kontrolliert – 250 verloren ihren Führerschein. In Zahlen offenbart sich die ganze Lächerlichkeit der Aktion: 3,77% waren zu schnell, 0,0673% ohne Gurt, 0,0548% droht ein Fahrverbot, 0,0068% waren berauscht und 0,00175% mussten den Lappen abgeben. Ein voller Erfolg war die Aktion vor allem für Innenminister Ralf Jäger. Es war seine Neuerfindung. Zuvor war Jäger eher einer der Schwachpunkte im Kabinett, mit dem Marathon begann sein Comeback als harter Hund, als Innenminister der zupackt. Und weil der Blitz-Marathon für ihn als Politiker eine so schöne Werbeaktion war, müssen ihn seine Beamten nun wiederholen, gibt es sogar eine eigene Webseite zu der Aktion.“ Innenminister Jäger zeigte sich von der PR-Aktion tatsächlich so zufrieden, dass er diese Show-Veranstaltung mittlerweile gleich mehrfach fortgesetzt hat. Es folgten also 24-StundenBlitz -Marathons am 3. Juli 2012, am 24. Oktober 2012 sowie am 4. Juni, und der fünfte BlitzMarathon wurde am 10. Oktober 2013 durchgeführt. Am 8. April 2014 hat nun der sechste Blitz-Marathon in Nordrhein-Westfalen stattgefunden. Landesweit waren ausweislich einer Berichterstattung der Kölnischen Rundschau vom 9. April 2014 rund 3.500 Polizisten im Einsatz. Unterstützt wurden diese von etwa 300 Beschäftigten der Kommunen. In einer ersten Bilanz soll Innenminister Ralf Jäger geäußert haben, „die Beanstandungsquote habe unter zwei Prozent gelegen“, wie ebenfalls in der Kölnischen Rundschau vom 9. April 2014 nachzulesen ist. Seit einiger Zeit sind die Bürger zudem aufgefordert, `Wutpunkte´ zu Stellen, an denen sie sich über andere Verkehrsteilnehmer ärgern, zu vergeben und zu melden. An diesen Stellen wurde im Rahmen der einzelnen Blitz-Marathons dann schwerpunktmäßig kontrolliert. Aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion ist der Bürgeraufruf, `Wutpunkte´ zu benennen, befremdlich und befördert eine bedenkliche Kultur des Denunziantentums unter Nachbarn. Ziel von Verkehrskontrollen sollte eine höhere Verkehrssicherheit sein. `Wutpunkte´ führen jedoch vielmehr dazu, dass Menschen gegeneinander aufgebracht werden. Entscheidend wäre es stattdessen, Verkehrsteilnehmer lieber für eine größere gegenseitige Rücksichtnahme zu sensibilisieren. Auch in der Stadt Mülheim haben seit 2012 diese sechs Blitz-Marathons als bislang teuerste PR-Kampagne zur Profilierung eines Ministers auf Steuerzahlers Kosten stattgefunden. Insbesondere vor dem Hintergrund des enormen Ressourceneinsatzes sowie der Tatsache, dass dafür Tausende Polizisten und Beschäftigte der Kommunen aus ihrer täglichen Arbeit herausgerissen werden, die dann für die dringend notwendige Kriminalitätsbekämpfung an anderer Stelle in Mülheim wie dem gesamten Land fehlen, ist eine Evaluation und umfängliche Information des Parlamentes über die Nachhaltigkeit und den objektiven Nutzen dringend geboten. Um denkbaren Missverständnissen vorzubeugen: Wer andere Verkehrsteilnehmer durch überhöhte Geschwindigkeit und rücksichtslose Fahrweise gefährdet, gehört dafür bestraft. Gerade unangekündigte Aktionen dürften aber erkennbar besser geeignet sein, um diese kleine Anzahl an „schwarzen Schafen“ unter den Fahrern in der großen Allgemeinheit verantwortungsvoll handelnder Verkehrsteilnehmer zu identifizieren. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 3 Vorbemerkung der Landesregierung Geschwindigkeitsüberwachung ist eine Schwerpunktaufgabe der Kreispolizeibehörden und der Kreisordnungsbehörden, die ganzjährig, täglich und rund um die Uhr durchgeführt werden . Bei den „24-Stunden-Blitz-Marathons“, handelt es sich um landesweit koordinierte Einsätze , die weit im Vorfeld mit den Kreispolizeibehörden abgestimmt werden. Über den konkreten Ressourceneinsatz und die Einsatzzeiten entscheiden die Kreispolizeibehörden auf der Grundlage der spezifischen Unfalllage unter Beachtung der Rahmenvorgaben eigenverantwortlich . Die konzeptionelle Stärke des Blitz-Marathons besteht darin, gleich drei Zielrichtungen des polizeilichen Auftrags zu vereinen:  Aufklärung  Prävention und  Verfolgung von Regelverstößen. Mit der 24-stündigen Geschwindigkeitsmessung wird bewusst ein Anlass geschaffen, um über die Kontrolle hinaus über die gefährlichen Folgen von Unfällen mit überhöhter Geschwindigkeit aufzuklären und auf diese Weise Unfälle zu verhindern. Ziel der „24-Stunden-Blitz-Marathons" und der täglichen Kontrollen ist ausschließlich die Verbesserung der Verkehrssicherheit und nicht möglichst hohe Einnahmen. Der weit überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer hat sich beim „Blitz-Marathon“ verantwortlich verhalten und ist langsamer gefahren. Genau das ist das Ziel der Einsätze. Es kommt gerade nicht auf die Anzahl der festgestellten Verstöße an. Der größte Erfolg aller „24-Stunden-BlitzMarathons " und der täglichen Geschwindigkeitskontrollen wäre es, wenn niemand mit einem Verwarnungsgeld oder einer Anzeige belegt werden müsste, denn dann hätten sich alle an die Regeln gehalten. Die „24-Stunden-Blitz-Marathon“-Einsätze sind keine Zusatzaufgaben. Im Gegenteil wirken sich diese nicht nur am Einsatztag positiv aus, sondern unterstützen durch ihre mediale Resonanz auch die tägliche Kontrollarbeit in den Behörden. Der weit überwiegende Teil der eingesetzten Beamtinnen und Beamten hat auch außerhalb dieser Einsätze den Auftrag, die Verkehrssicherheit zu verbessern. Sie werden daher nicht, wie der Fragesteller unterstellt, „aus Ihrer täglichen Arbeit herausgerissen“ und fehlen nicht „für die dringend notwendige Kriminalitätsbekämpfung“. Zum Selbstverständnis der Polizei in Nordrhein-Westfalen gehört als ein wesentliches Element die bürgernahe Polizeiarbeit. Gerade im Bereich der Verkehrssicherheit sind Hinweise und Anregungen der Verkehrsteilnehmer für die Polizei von großer Bedeutung, um zielgerichtet Maßnahmen treffen zu können. Daher wurden die Bürgerinnen und Bürger beim „24- Stunden-Blitz-Marathon“ im Juli 2012 und erneut beim letzten Einsatz um entsprechende Mithilfe gebeten. Die Resonanz war überwältigend: 15.000 Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zum „24-Stunden-Blitz-Marathon“ im Juli 2012 und mehr als 100.000 Beteiligungen beim „24-Stunden-Blitz-Marathon“ im April 2014 machen deutlich, welche Bedeutung diese der Verkehrssicherheit beimessen. Mit der Bürgerbeteiligung wird der Präventionsansatz verstärkt. Das bedeutet, dass sich Bürgerinnen und Bürger aktiv mit eigenen Vorschlägen zur besseren Verkehrssicherheit im eigenen Wohnumfeld einbringen können, mit ihrer Polizei über Hinweise und Beobachtungen sprechen und eine Rückmeldung darüber erhalten, ob und in welchem Umfang ihre Vorschläge aufgegriffen wurden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 4 Als Landesregierung sehen wir in der Bürgerbeteiligung keineswegs die Förderung von Denunziantentum . Entscheidungsprozesse offen zu gestalten und die Menschen in staatliches Handeln möglichst weit einzubeziehen ist nach unserem Verständnis vielmehr ein Kennzeichen moderner Demokratie. Ich habe den Fraktionen in mehreren Sitzungen des Innenausschusses angeboten, alle offenen Fragen rund um das Einsatzkonzept des „24-Stunden-Blitz-Marathons“ in Gesprächsterminen mit Vertretern meines Hauses unmittelbar zu erörtern. Ich bedaure, dass bisher von diesem Angebot kein Gebrauch gemacht wurde. Zur Darstellung der Gesamtstrategie der Landesregierung zur Verbesserung der Verkehrssicherheit , zu deren Grundlagen und bisherigen Ergebnissen verweise ich auf meinen Bericht an den Innenausschuss des Landtages vom 04.07.2013 - Vorlage 16/991. 1. Wie viele Polizeidienstkräfte sind jeweils einzeln im Rahmen der sechs Blitz- Marathons auf dem Gebiet der Stadt Mülheim mit der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung betraut gewesen (differenzierte Aufschlüsselung erbeten )? Mit Aufgaben im Zusammenhang mit den „24-Stunden-Blitz-Marathon“-Einsätzen waren beim PP Essen für die Stadt Mülheim im Zeitraum 10.02.2012 – 11.02.2012 24 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 03.07.2012 – 04.07.2012 25 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 24.10.2012 – 25.10.2012 31 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 04.06.2013 – 05.06.2013 50 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 10.10.2013 – 11.10.2013 27 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte 08.04.2014 – 09.04.2014 24 Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte befasst. 2. Wie hoch ist die Anzahl der Dienststunden jeweils gewesen, die hierfür im Rah- men jedes einzelnen der sechs Blitz-Marathon-Aktionen auf dem Gebiet der Stadt Mülheim für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung aufgewendet worden sind? (detaillierte Aufschlüsselung erbeten) Für die „24-Stunden-Blitz-Marathon“-Einsätze wurden in der Kreispolizeibehörde Essen für das Gebiet der Stadt Mülheim im Zeitraum 10.02.2012 – 11.02.2012 192 Dienststunden 03.07.2012 – 04.07.2012 200 Dienststunden 24.10.2012 – 25.10.2012 248 Dienststunden 04.06.2013 – 05.06.2013 400 Dienststunden 10.10.2013 – 11.10.2013 216 Dienststunden 08.04.2014 – 09.04.2014 192 Dienststunden geleistet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 5 3. Welche Anzahl von Verkehrsverstößen nach Schwerekategorien hat jeder einzelne der sechs Blitz-Marathons auf dem Gebiet der Stadt Mülheim in absoluten Zahlen und nach prozentualem Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen offenbart? Als Gesamtverkehrsaufkommen wurde die Anzahl der kontrollierten Fahrzeuge zugrunde gelegt. Zeitraum 10.02.2012 – 11.02.2012 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 2.279 Geschwindigkeitsverstöße 310 13,60 % Gurtverstöße 0 0,00 % Alkoholverstöße 1 0,04 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00 % Sonstige Verstöße Gesamt 311 13,65 % Zeitraum 03.07.2012 – 04.07.2012 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 6.037 Geschwindigkeitsverstöße 392 6,49 % Gurtverstöße 4 0,07 % Alkoholverstöße 0 0,00 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00 % Sonstige Verstöße 0 0,00 % Gesamt 396 6,56 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 6 Zeitraum 24.10.2012 – 25.10.2012 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 3.165 Geschwindigkeitsverstöße 103 3,25 % Gurtverstöße 0 0,00 % Alkoholverstöße 1 0,03 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00% Sonstige Verstöße 1 0,03 % Gesamt 105 3,32 % Zeitraum 04.06.2013 – 05.06.2013 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 8.512 Geschwindigkeitsverstöße 505 5,93 % Gurtverstöße 0 0,00 % Alkoholverstöße 0 0,00 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00 % Sonstige Verstöße 1 0,01 % Gesamt 506 5,94 % Zeitraum 10.10.2013 – 11.10.2013 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 3.150 Geschwindigkeitsverstöße 127 4,03 % Gurtverstöße 0 0,00 % Alkoholverstöße 1 0,03 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00 % Sonstige Verstöße 0 0,00 % Gesamt 128 4,06 % LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/5947 7 Zeitraum 08.04.2014 – 09.04.2014 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 3.036 Geschwindigkeitsverstöße 27 0,89 % Gurtverstöße 1 0,03 % Alkoholverstöße 0 0,00 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 0 0,00 % Sonstige Verstöße 1 0,03 % Gesamt 29 0,96 % 4. Welche „finanzielle Bilanz“ hat jeder einzelne der sechs Blitz-Marathons auf dem Gebiet der Stadt Mülheim erbracht, wenn jeweils die Einnahmen aus den Verkehrsverstößen den Kosten der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung gegenübergestellt werden? Konkrete Daten über die Gesamteinnahmen aus festgestellten Verkehrsverstößen und den Kosten für die „24-Stunden-Blitz-Marathon“-Einsätze liegen nicht vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkungen. 5. Wie viele sogenannte Wutpunkte haben Mülheimer Bürger ihrer Polizeibehörde für jeden einzelnen der Blitz-Marathons, bei dem dazu aufgerufen worden ist, jeweils gemeldet? Die Bürgerinnen und Bürger wurden beim „24-Stunden-Blitz-Marathon II“ (03.07.2012 – 04.07.2012) aktiv zur Benennung von „Wutpunkten“ aufgerufen. In Mülheim haben 316 Bürger 137 Vorschläge für potenzielle Kontrollstellen gemacht.