LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6097 20.06.2014 Datum des Originals: 18.06.2014/Ausgegeben: 25.06.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2271 vom 30. April 2014 des Abgeordneten Rainer Deppe CDU Drucksache 16/5698 In welchem Ausmaß wird das umstrittene Tariftreuegesetz bei der Beförderung behinderter Menschen umgangen? Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 2271 mit Schreiben vom 18. Juni 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das am 01.05.2012 in Kraft getretene Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG NRW) verpflichtet öffentliche Auftraggeber wie z.B. das Land, die Landschaftsverbände, Kommunen, nachgeordnete Dienststellen und ihre Tochtergesellschaften, bei der Auftragsvergabe nicht mehr ausschließlich das Auswahlkriterium „billigster Anbieter“ zugrunde zu legen, sondern auch diverse Öko- und Sozialkriterien zu berücksichtigen. Der wichtigste Regelungsinhalt ist die Verpflichtung zur Einhaltung von Tarifverträgen sowie die Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohnes. Einen Auftrag dürfen nur Unternehmen bekommen, die ihren Mitarbeitern den Mindestlohn von 8,62 EUR je Stunde bzw. das Mindestentgelt, das durch einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgelegt ist, zahlen. Was sich in der Praxis insbesondere wegen der kaum kontrollierbaren vergabefremden Nachweispflichten als überbürokratisiertes und untaugliches Gesetz herausstellt, hat im Kernbereich der Tariftreue massive Auswirkungen gerade auf die Unternehmen, die sich an geltende Tarifverträge halten bzw. die ihren Mitarbeitern den festgelegten Mindestlohn zahlen . Umso entsetzter sind diese Unternehmen und deren Mitarbeiter dann, wenn sie sich an Recht und Gesetz halten und dann feststellen müssen, dass öffentliche Auftraggeber das Tariftreuegesetz umgehen, wodurch ausgerechnet sich gesetzestreu verhaltende Unternehmen das Nachsehen haben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6097 2 Wichtigste Aufgabe der Landschaftsverbände ist die Betreuung und Unterstützung von Menschen mit Behinderung. Dazu unterhalten die Landschaftsverbände 76 Förderschulen. Für Mehr als 10.000 Schülerinnen und Schüler stellen die Landschaftsverbände die Schülerbeförderung zwischen Elternhaus und Schule sicher. Mit den Schülerfahrten werden mehrere hundert Unternehmen beauftragt, die PKW, Kleinbusse sowie Spezialfahrzeuge für eine Beförderung im Rollstuhl einsetzen. Zusätzlich zum Fahrer ist immer dann, wenn mehr als fünf Kinder oder Kinder im Rollstuhl befördert werden, eine Begleitperson einzusetzen. Die Vergütung erfolgt über einen für jede Schulbuslinie separat ausgehandelten Festpreis, mit dem auch die Vergütung für das eingesetzte Personal abgegolten ist. Unternehmen, die sich um einen Fahrauftrag bewerben , haben bei Angebotsabgabe eine Erklärung abzugeben, durch die sie sich zur Einhaltung des TVgG NRW verpflichten. Interessanterweise werden die anbietenden Unternehmen schon bei Aufforderung zur Abgabe eines Angebots von Seiten des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) darauf hingewiesen, dass er nicht dazu verpflichtet ist, eigene Kontrollen zur Einhaltung des Gesetzes durchzuführen. Der gleiche Kreis von Beförderungsunternehmen führt Fahrten zu Werkstätten für behinderte Menschen durch. Als überörtliche Träger der Sozialhilfe entscheiden die Landschaftsverbände über die Bewilligung von Fahrkosten behinderter Menschen für die Teilnahme am Arbeitsleben . Der LVR betreut nach eigener Aussage die rheinischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen bezüglich der Anleitung bei Ausschreibungen und bei der Nutzung der durch den LVR zur Verfügung gestellten Planungssoftware. Die Betreuung geht so weit, dass Aufträge nur erteilt und Vertragsänderungen sowie Preisanpassungen nur vorgenommen werden dürfen, wenn der LVR zuvor seine Zustimmung erklärt hat. Auf diese Weise ist gewährleistet , dass die einzelne Werkstatt keinen Entscheidungsspielraum über die Vergabe hat. Damit entscheidet der LVR wie im Bereich der Förderschulen faktisch über die Vergabe jeder einzelnen Beförderungsleistung. Der LVR vertritt die Auffassung, dass auf Beförderungsleistungen für Menschen mit Behinderung zu Werkstätten das TVgG NRW nicht anzuwenden ist, da es sich ausschließlich an öffentliche Auftraggeber richte. Über den formalen Umweg der Auftragsvergabe durch die Werkstätten werden die Bestimmungen des TVgG NRW unterlaufen, obwohl eine kommunale Körperschaft den entscheidenden Einfluss auf die Auftragsvergabe ausübt. Personenbeförderungsunternehmen berichten, dass eine Entlohnung des Fahr- und des Begleitpersonals nach Tarifvertrag bzw. in Höhe des Mindeststundenentgelts mit der durch den LVR bewilligten Vergütungshöhe nicht erwirtschaftet werden kann. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Tatsache, dass der LVR die Beförderung behinderter Menschen (zu Schulen des LVR und zu Werkstätten für Behinderte) in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften des TVgG - NRW unterschiedlich handhabt? Ob der LVR die Beförderung behinderter Menschen in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften des TVgG - NRW grundsätzlich unterschiedlich handhabt, entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über die allgemeine Beschaffungspraxis des LVR vor. Einzelne Vergabeentscheidungen wurden von der Prüfbehörde TVgG – NRW aufgegriffen. Die Prüfung ist in diesen Fällen noch nicht abgeschlossen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6097 3 2. Im welchem Umfang nimmt der LVR über Richtlinien, Beratung und Genehmigung Einfluss auf die Ausschreibung und die Vergabe von Aufträgen zur Beförderung behinderter Menschen durch die Werkstätten für Behinderte? Dazu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 3. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Dienstleistung „Beförde- rungsfahrten für Werkstätten für Behinderte“ nicht dem TVgG - NRW unterliegt? Nein. 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Tatsache, dass im Bereich der Fahrten für Behinderte mittlerweile in großem Umfang nur noch Löhne gezahlt werden, die unter dem gesetzlich geforderten Mindeststundenentgelt von 8,62 EUR liegen bzw. den Beschäftigten nicht mehr alle erbrachten Arbeitsstunden vergütet werden ? Die Prüfbehörde TVgG – NRW überprüft einzelne Vergabeentscheidungen des Landschaftsverbandes Rheinland zur Beauftragung von Beförderungsdienstleistungen für Behinderte. Etwaige Verstöße gegen die Vorgaben des TVgG – NRW werden i.R.d. Ermächtigung der Prüfbehörde sanktioniert. Erkenntnisse über einen generellen Verstoß gegen die Zahlung des gesetzlich geforderten Mindestlohns liegen nicht vor. 5. Was gedenkt die Landesregierung zu unternehmen, um diesen weder den Be- schäftigten noch den beförderten Menschen zuzumutenden Zustand abzustellen ? Die Prüfbehörde TVgG – NRW wird weiterhin anlass- und stichprobenbezogene Prüfung im Bereich der sog. Freistellungsverkehre durchführen. Sofern Verstöße gegen die Mindestlohnvorgaben des TVgG – NRW festgestellt werden, werden diese entsprechend der rechtlichen Möglichkeiten gemäß § 16 TVgG – NRW sanktioniert.