LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/610 13.08.2012 Datum des Originals: 13.08.2012/Ausgegeben: 16.08.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 193 vom 13. Juli 2012 des Abgeordneten Ulrich Alda FDP Drucksache 16/322 Wie bewertet die Landesregierung eine Schließung aller Realschulen in Hagen, weil für diese Schulen ansonsten ein Anmeldungsansturm erwartet wird? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 193 mit Schreiben vom 13. August 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Stadt hat die Mehrheit des Stadtrates beschlossen, alle 13 dort gegenwärtig bestehenden Haupt- und Realschulen auslaufen zu lassen und zum Schuljahr 2014/2015 durch fünf drei- bis vierzügige Sekundarschulen zu ersetzen. Die Schulentwicklungsplanung soll danach den Vorschlägen eines Gutachters folgen, der laut vorliegendem Ratsbeschluss ein solches Vorgehen empfohlen hat. Der Beschluss sieht darüber hinaus vor, die Verwaltung zu beauftragen, eine stadtweite Elternbefragung durchzuführen, um das Bedürfnis zur Errichtung von Sekundarschulen festzustellen. Laut der dem Ratsbeschluss beigefügten Anlage, in der die Prognosen zur Entwicklung der Anmeldezahlen der 5. Jahrgangsstufe an den Haupt- und Realschulen in Hagen dargelegt werden, sind jedoch auch in den kommenden Jahren fünf der sechs Realschulen aufgrund rückläufiger Schülerzahlen nicht von der Schließung bedroht. Das prognostizierte Anmeldeverhalten der Eltern verdeutlicht, dass Schulen dieser Schulform vor Ort offensichtlich auch weiterhin gewünscht und Eltern von mehreren hundert Kindern diese laut Prognose auch wählen würden. Schulrechtlich muss das Bedürfnis der Eltern, die weiterhin ein örtliches Real - oder auch Hauptschulangebot wünschen, in diesem Prozess Beachtung finden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/610 2 Zweifellos handelt es sich bei der Schulentwicklungsplanung um eine schulgesetzliche Aufgabe der Schulträger, wobei übergangsweise ein Genehmigungsvorbehalt bei der Gründung von Sekundarschulen durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung besteht. Die Landesregierung hat wiederholt betont, dass von Landesseite keine Schulform abgeschafft werde und die Entscheidungen vor Ort getroffen würden. Allerdings stellt der Schulkonsens als Grundlage der Entscheidungsfindung immer auf die politischen Gremien der Kommunen ab, offensichtlich hat er keine weitergehende Einbindung der schulischen Entscheidungsgremien mit sich gebracht. Darüber hinaus hat es in der Vergangenheit Meldungen von Verbänden gegeben, wonach Elternbefragungen und eine Einbeziehung der Schulkonferenzen der aufzulösenden Schulen in vielen Fällen nicht stattgefunden hätten. Offenbar werden die von den schulischen Entscheidungen direkt betroffenen Bürgerinnen und Bürger oftmals nur marginal eingebunden. Die Ausführungen des Ratsbeschlusses in Hagen lassen hingegen den Schluss zu, dass man dort anscheinend von einer „verbesserten“ Einbindung des Elternwillens im Zuge des Schulkonsenses ausgeht. Dort wird ausgeführt, dass zu berücksichtigen gelte, dass nach dem Schulkonsens NRW bei der Einrichtung von Sekundarschulen dem Elternwillen eine hohe Bedeutung zukomme. Letztlich wird hierbei offensichtlich nicht zuletzt auf den Aspekt der Elternbefragung angespielt. Allerdings hat es in der Vergangenheit bezüglich der Bögen zur Elternbefragung bereits umfangreiche Diskussionen in einigen Kommunen gegeben. So wurde an den jeweiligen Fragebögen unter anderem eine tatsächliche oder vermeintliche einseitige Ausgestaltung oder eine fragwürdige Auswertung der Ergebnisse kritisiert. Viele tatsächlich Betroffene wenden sich in Hagen bereits jetzt gegen die Schließung aller Realschulen. Laut einer Pressemeldung des Internetportals „Der Westen“ haben sich Eltern und Lehrer an den Realschulen vielfach deutlich für den Erhalt der Schulen ausgesprochen. Da die Landesregierung oftmals erklärt, dass sich ihre Politik an den Menschen orientiere, dürfte eine Einschätzung zur Begründung der Schließung aller Realschulen in Hagen von hohem Interesse sein. Laut eines Artikels lautet die politische Begründung für die Schließung der Realschulen vor Ort, dass man einen „Ansturm“ auf die verbleibenden Realschulen verhindern wolle, damit die Sekundarschulen nicht zu „Restschulen“ verkümmerten. 1. Welche Veränderungen im Rahmen des Schulkonsenses sind im rechtlichen Ver- fahren der Errichtung, Änderung und Auflösung von weiterführenden Schulen umgesetzt worden, die im Vergleich zu den vorherigen gesetzlichen Regelungen dem Elternwillen eine höhere Bedeutung gegeben haben? Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Schulstruktur in NordrheinWestfalen (6. Schulrechtsänderungsgesetz) vom 25. Oktober 2011 waren Schulträger gemäß § 78 Absatz 4 Schulgesetz NRW verpflichtet, Schulen zu errichten und fortzuführen, wenn dafür ein Bedürfnis besteht und die Mindestgröße gewährleistet ist. Für eine rechtserhebliche Feststellung des Bedürfnisses ist der Wille der Erziehungsberechtigten zur schulformbezogenen Nachfrage in einem förmlichen Verfahren zu ermitteln (RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 6. 5. 1997). Über die Errichtung, Änderung und Auflösung einer Schule beschließt der Schulträger gemäß § 82 Absatz 2 Schulgesetz NRW nach Maßgabe der Schulentwicklungsplanung. Durch das 6. Schulrechtsänderungsgesetz wurde in § 80 Absatz 1 Schulgesetz NRW eingefügt, dass die Schulentwicklungsplanung nach Maßgabe des Bedürfnisses – und damit des Elternwillens – der Sicherung eines gleichmäßigen und alle Schulformen und Schularten umfassenden Bildungs- und Abschlussangebotes in allen Landesteilen dient. Nach Absatz 3 gilt die Gewährleistungsverpflichtung für die Erreichbarkeit eines entsprechenden Schulangebots anderer Schulformen bei Errichtung oder Auflösung von Schulen nunmehr, soweit dafür ein Bedürfnis besteht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/610 3 2. Welche inhaltlichen Vorgaben für die genannten Elternbefragungen sind von Seiten des Landes verbindlich festgelegt (bitte aufschlüsseln nach einzelnen rechtlichen Vorgaben zur notwendigen Ausgestaltung, Auswertung sowie nach den Inhalten möglicher Mustervorschläge von Seiten des Landes)? Verbindliche Vorgaben zur Ermittlung des Elternwillens enthält der bereits genannte RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 6. 5. 1997 zur Errichtung, Änderung und Auflösung von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Berufskollegs. 3. Unter welchen genauen Voraussetzungen ist rechtlich verbindlich in dem oben angesprochenen Schließungs- beziehungsweise Neugründungsverfahren festgestellt , dass in der Kommune weiterhin das Elternbedürfnis nach dem Erhalt von Schulen der zur Schließung angedachten Schulformen besteht (bitte aufschlüsseln nach einzelnen Verfahrensschritten sowie rechtlich verbindliche Folgen für die kommunale Schullandschaft)? 4. Wie bewertet es die Landesregierung – unter Beachtung eigener Aussagen, wo- nach sich die rot-grüne Politik an den Menschen orientiere –, wenn in großer Zahl Schulen geschlossen werden sollen, weil ein „Elternanmeldeansturm“ auf diese Schulen befürchtet wird? Die Fragen 3 und 4 werden gemeinsam beantwortet. Bei der Errichtung neuer Schulen muss gewährleistet sein, dass andere Schulformen, soweit ein entsprechendes schulisches Angebot bereits besteht und weiterhin ein Bedürfnis dafür vorhanden ist, auch künftig in zumutbarer Weise erreichbar sind. Bei der Auflösung von Schulen muss gewährleistet sein, dass das Angebot in zumutbarer Weise erreichbar bleibt, soweit dafür ein Bedürfnis besteht (§ 80 Absatz 3 Schulgesetz NRW). Sofern es angesichts der Gesamtschülerzahlen und der Ergebnisse der Elternbefragung vorstellbar ist, dass ein Bedürfnis für eine andere Schulform fortbesteht, wird die Genehmigung zur Errichtung einer neuen Schule mit einer Auflage versehen. Diese bestimmt, dass ein Anmeldeverfahren z.B. für eine Haupt- oder Realschule eröffnet wird, sofern nach dem Ergebnis des Anmeldeverfahrens für die zu errichtende Schule von einem entsprechenden Bedürfnis für die andere Schulform auszugehen ist. Darüber sind die Eltern vorab zu informieren. Die Eltern entscheiden letztlich durch ihr Anmeldeverhalten über das örtliche Schulangebot. Die Auflösung einer großen Zahl von Schulen, „weil ein ,Elternanmeldeansturm’… befürchtet wird“, ist aufgrund der dargelegten Rechtslage nicht zu erwarten. Auch der Beschluss des Schulausschusses der Stadt Hagen vom 28.06.2012, alle Realschulen auslaufen zu lassen, steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt entsprechender Bedarfsfeststellung durch die Elternbefragung zum Schuljahr 2014/2015. 5. Wie bewertet die Landesregierung inhaltlich die der Presse zu entnehmende ört- liche Einschätzung, dass neue Sekundarschulen zu „Restschulen verkümmern“ könnten, wenn für sie neben Hauptschulen nicht auch die Realschulen geschlossen würden? Die Landesregierung rät davon ab, eine Sekundarschule ausschließlich auf der Basis existenzgefährdeter Hauptschulstandorte zu bilden. Damit würde der gewünschte Effekt, die Sekundarschule als wohnortnahes, umfassendes Angebot längeren gemeinsamen Lernens einzurichten, verfehlt. Vielmehr bietet es sich in größeren Kommunen an, die Sekundarschu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/610 4 le als Stadtteilschule einzurichten, die für die nähere Schulumgebung ein vollständiges und attraktives Schulangebot darstellt.