LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6101 20.06.2014 Datum des Originals: 20.06.2014/Ausgegeben: 25.06.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2333 vom 9. April 2014 des Abgeordneten Dietmar Brockes FDP Drucksache 16/5926 Warum bleiben Jugendstrafsachen nicht bei den Jugendrichtern vor Ort? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2333 mit Schreiben vom 20. Juni 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Januar 2013 wurde in der Presse u. a. unter der Überschrift „Intensivtäter im Fokus“ das Vorhaben des Justizministers veröffentlicht, die Zuständigkeiten bei den Jugendstaatsanwälten dahingehend zu verändern, dass es künftig den „Staatsanwalt vor Ort“ geben soll, der jeweils die lokalen Zusammenhänge und Strukturen hinsichtlich der jugendlichen Straftäter besser kennt und u. a. besser vernetzt ist mit den anderen „vor Ort“ Beteiligten wie z. B. den örtlichen Polizeibehörden, Jugendämtern, Jugendgerichtshilfe etc. Dieser richtige Ansatz müsste sich dann aber auch insoweit fortsetzen, dass es für den jugendlichen Straftäter auch stets den alleinzuständigen „Jugendrichter vor Ort“ gibt. Dem steht allerdings die derzeitige Praxis aufgrund der „Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen“ vom 5. Juli 2010 teilweise entgegen. In den §§ 4 u. 5 dieser Verordnung i. V. m. der Anlage 2 ist eine Konzentration von Jugendrichter -Haftsachen bestimmt, wonach bestimmte Amtsgerichte „überörtlich“ allein aufgrund des Umstandes der Verhaftung eines jugendlichen Täters anstelle der örtlich an sich zuständigen Jugendgerichte bzw. Jugendschöffengerichte zuständig werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6101 2 Für den Landgerichtsbezirk Krefeld bedeutet dies beispielsweise, dass in JugendrichterHaftsachen statt der an sich zuständigen Amtsgerichte Kempen und Nettetal das Amtsgericht Krefeld zuständig wird. Dies führt in der Praxis dazu, dass allein aufgrund des Umstandes seiner Verhaftung der jugendliche Straftäter „seinem Jugendrichter vor Ort“ entzogen (im Beispielsfall dem Jugendrichter in Kempen oder Nettetal) und dem „ortsunkundigen“ Jugendrichter in Krefeld zugeordnet wird. Ferner gibt es aufgrund der derzeitigen Verordnungslage zahlreiche Fälle, bei denen Jugendstrafverfahren z. B. mit mehreren Angeklagten bereits vom „Jugendrichter vor Ort“ bis zur Hauptverhandlung vorbereitet worden sind, dann aber an das übergeordnete „Jugendrichter-Haftsachen-Gericht“ abgegeben werden müssen, weil nur einer der Angeklagten in Haft genommen worden ist. Dies führt neben dem bereits genannten Nachteil auch zu unnötigem Mehraufwand und erheblichen Verzögerungen. Nach meinen Erkundigungen wird die derzeitige, oben dargestellte Praxis beispielsweise von der Staatsanwaltschaft Krefeld und den Jugendrichtern im Bereich des Landgerichtsbezirks Krefeld aus den vorgenannten Gründen als problematisch und nicht zielführend gesehen. 1. Wird die Auffassung geteilt, dass es grundsätzlich zur besseren Bekämpfung der Jugendkriminalität neben dem „Staatsanwalt vor Ort“ auch uneingeschränkt den „Jugendrichter vor Ort“ geben sollte? Nach den einschlägigen Regelungen ist es bereits grundsätzlich so, dass das für den Wohnsitz des/der Angeklagten zuständige Amtsgericht zur Ahndung der Verfehlungen von Jugendlichen berufen ist. Dies hat sich ebenso bewährt wie die in der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebehaftsachen vorgesehenen Ausnahmen. 2. Wie bewertet die Landesregierung vor dem oben dargestellten Hintergrund die derzeitige Praxis, dass allein durch den Umstand der Verhaftung eines jugendlichen Straftäters die Zuständigkeit des an sich zuständigen, „örtlichen“ Jugendrichters auf einen „überörtlichen“ Jugendrichter verlagert wird? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 3. Sollte die Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldsachen und Abschiebehaftsachen “ vom 5. Juli 2010 dahingehend abgeändert werden, dass in Jugendstrafsachen stets der örtliche Jugendrichter zuständig bleibt und nicht mehr allein aufgrund der Verhaftung des Jugendlichen unzuständig wird? Die Konzentrationen in Jugendrichterhaftsachen bestehen bereits seit dem 1. Juni 1972 (Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte des Landes Nordrhein-Westfalen in Jugendstrafsachen vom 5. April 1972, GV. NRW. S. 84). Aufgrund der besonderen Bedeutung der Jugendrichterhaftsachen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Konzentration geschaffen. Hiervon hat die Landesregierung landesweit in vielen Fällen, darunter auch im Landgerichtsbezirk Krefeld, zuletzt mit „Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen “ vom 5. Juli 2010 (GV. NRW S. 422) Gebrauch gemacht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6101 3 In den vergangenen Jahrzehnten haben sich diese Regelungen bewährt. Seitens der gerichtlichen Praxis und aus der Rechtsanwaltschaft sind bis auf eine Ausnahme bislang keine Bitten um Änderung der langjährigen Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Jugendhaftsachen geäußert worden. Zu einer Änderung der Verordnung besteht kein Anlass. Die Annahme, durch die Verfahrensabgabe an das für Haftsachen zuständige Amtsgericht entstünden neben einem Mehraufwand auch Verfahrensverzögerungen, wird nicht geteilt. Auf der Grundlage der seit mehr als 40 Jahre bestehenden Konzentrationsregelungen haben sich eingespielte Verfahrensabläufe entwickelt . Diese ermöglichen eine routinierte, unter Wahrung der gebotenen Sorgfaltspflicht durchgeführte Bearbeitung der einzelnen Strafsachen. Eine Ortsnähe des Jugendrichters bzw. der Jugendrichterin steht bei einem bereits inhaftierten Jugendlichen nicht so im Vordergrund wie bei einem auf freiem Fuß befindlichen Jugendlichen.