LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6106 23.06.2014 Datum des Originals: 20.06.2014/Ausgegeben: 26.06.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2321 vom 13. Mai 2014 des Abgeordneten Peter Biesenbach CDU Drucksache 16/5895 Vollzieht sich die Aus- und Wiedereinreise nordrhein-westfälischer Salafisten unter den Augen der Landesregierung? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2321 mit Schreiben vom 20. Juni 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie Innenminister Ralf Jäger am 13.03.2014 im Innenausschuss des Landtags mitteilte, sind in den Jahren 2012 und 2013 über 110 extremistische Salafisten nach Syrien ausgereist. Etwa zwei Drittel dieser Personen habe sich länger als vier Monate im Krisengebiet aufgehalten . Bei einem Dutzend von ihnen, die mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt seien, hätten die Behörden Hinweise auf eine aktive Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg . Obwohl 26 Ausreisen durch die Passbehörden untersagt worden seien, sei sieben Personen dennoch die Ausreise gelungen. Dass gewaltbereiten Islamisten aus Nordrhein-Westfalen offenbar immer wieder unbemerkt nach Syrien ausreisen, ist insofern erstaunlich, als der Polizeiliche Staatsschutz nach Angaben des Ministers alleine in Dinslaken-Lohberg 22 extremistische Salafisten im Visier hat (vgl. Vorlage 16/1697). Vorbemerkung der Landesregierung Die Motive für Ausreisen in Richtung Syrien sind mannigfaltig. Es gibt rein humanitär motivierte Ausreisende, aber auch solche, die neben humanitären Zwecken auch die Unterstützung des jihadistischen Widerstandes mit Geld- oder Sachmitteln verfolgen und deren Han- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6106 2 deln daher als „Kurierdienst“ zu werten ist. Hier kommt es oftmals zu mehrfachen Aus- und Wiedereinreisen („Pendler“). Darüber hinaus gibt es eine große Zahl an jihadistisch motivierten Ausreisen mit der Bereitschaft, sich am bewaffneten Kampf für die Errichtung eines islamischen Kalifats zu beteiligen und sich einer salafistisch-terroristischen Gruppierung anzuschließen . Die im Folgenden genannten Zahlen wurden auf der Grundlage dieses sicherheitsbehördlichen Bewertungsprozesses ermittelt. 1. Welche Reisebewegungen mutmaßlicher Salafisten waren seit dem 01.01.2014 zwischen Nordrhein-Westfalen und Syrien zu verzeichnen? (Bitte Zahl der Ausund Wiedereinreisen getrennt aufschlüsseln.) Seit dem 01.01.2014 sind den Sicherheitsbehörden Nordrhein-Westfalens 29 Ausreisen von Personen aus der salafistischen Szene in Richtung Syrien bekannt geworden. Bei einem Teil der Personen liegen bislang nur Erkenntnisse vor, dass diese mit dem Ziel der Hilfeleistung für die notleidende Bevölkerung im syrischen Kriegsgebiet Hilfsgüter dorthin verbracht haben . Bei einem anderen Teil dieser Personen liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Hilfeleistungen auch für Gruppierungen, die das Assad-Regime bekämpfen, bestimmt waren bzw. dass sich diese Personen auch selbst an Kampfhandlungen beteiligen wollen. Des Weiteren ist den nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden bekannt, dass Personen seit dem 01.01.2014 wieder nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt sind, die sich vorher vermutlich in Syrien im Umfeld jihadistischer Gruppen aufgehalten haben. Das Justizministerium hat dazu mitgeteilt: „Konkrete Angaben dazu können aus staatsanwaltschaftlicher Sicht wegen möglicher Beeinträchtigung etwaiger Ermittlungsverfahren und damit unabsehbarer Folgen für die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen nicht gemacht werden.“ 2. Wie vielen dieser Personen war die Ausreise zuvor durch die Passbehörden un- tersagt worden? Die zur Ausreiseverhinderung notwendige Passentziehung nach § 8 PassG und die Ausweisbeschränkung nach § 6 Abs. 7 PAuswG ist nur dann rechtlich zulässig, wenn über Vermutungen hinausgehende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen und nachgewiesen werden können, dass durch die im Vorfeld bekannt gewordene Ausreise die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik gefährdet werden . Seit dem 01.01.2014 ist neun Personen eine Ausreiseuntersagung erteilt worden. Eine Ausreise dieser Personen ist bislang nicht festgestellt worden. 3. Gegen wie viele mutmaßliche Salafisten, die seit dem 01.01.2014 nach Nordrhein- Westfalen zurückgekehrt sind, wurden strafprozessuale Maßnahmen eingeleitet (bitte unter Angabe der Maßnahme jeweils einzeln auflisten.) Das Justizministerium hat dazu mitgeteilt: „In dazu Anlass gebenden Fällen wird geprüft, ob verwertbare Erkenntnisse für die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Personen vorliegen, die im Verdacht stehen, sich aus jihadistischen Motiven am Krieg in Syrien beteiligt oder ihn unterstützt zu haben. Dies gilt auch für Personen, deren Rückkehr nach dem 01.01.2014 bekannt geworden ist. Konkrete Angaben im Sinne der Fragestellung können aus staatsanwaltschaftlicher Sicht wegen möglicher LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6106 3 Beeinträchtigung etwaiger Ermittlungsverfahren und damit unabsehbarer Folgen für die Sicherheitslage in Nordrhein-Westfalen nicht gemacht werden.“ 4. Wie hat sich das Personenpotenzial der salafistischen Szene in Nordrhein- Westfalen seit dem Jahr 2010 im Vergleich zu anderen Bundesländern entwickelt ? (Bitte nach Jahren getrennt aufschlüsseln.) In den Jahren 2010 und 2011 waren den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen jeweils ca. 500 Personen bekannt, die salafistischen Bestrebungen zugeordnet werden konnten . Die intensive „Dawa“-Tätigkeit salafistischer Gruppierungen führte seitdem zu einem starken Zulauf neuer Anhänger. Dabei wird auch die durch den Bürgerkrieg in Syrien verursachte emotionalisierende Wirkung für propagandistische Zwecke genutzt. Die verstärkte Beobachtung der Szene durch den Verfassungsschutz hat zudem das Dunkelfeld erheblich aufgehellt. Beide Faktoren haben zu einem Anstieg der Zahl der festgestellten Anhänger salafistischer Bestrebungen in Nordrhein-Westfalen beigetragen. Im Jahre 2012 wurden 1000 Anhänger salafistischer Bestrebungen und im darauffolgenden Jahr 1500 festgestellt. Zurzeit muss für das Jahr 2014 von einer Anhängerzahl von 1800 ausgegangen werden. Die Entwicklung des Personenpotenzials der salafistischen Szene betrifft hauptsächlich die alten Bundesländer. Sowohl im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als auch zur muslimischen Wohnbevölkerung ist die Zahl der Salafisten in Nordrhein-Westfalen nicht überproportional hoch. 5. Wie stellen sich die innerdeutschen Wanderungssalden der salafistischen Szene aus/nach Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2010 dar? (Bitte nach Bundesländern getrennt aufschlüsseln.) Wie bereits in der Vorlage des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 10.1.2014 (Vorlage 16/1535) zu TOP 8 der Sitzung des Innenausschusses am 16.01.2014 auf Antrag der CDU-Fraktion dargestellt, führen die Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland keine Statistik über Wohnortwechsel von Extremisten. Insofern liegen hier keine Daten vor, aus denen Wanderungssalden der salafistischen Szene nach Bundesländern aufgeschlüsselt erstellt werden könnten. Bei Wohnortwechseln stimmen sich die zuständigen Sicherheitsbehörden im Einzelfall ab.