LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/615 14.08.2012 Datum des Originals: 14.08.2012/Ausgegeben: 17.08.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 123 vom 12. Juli 2012 des Abgeordneten Peter Biesenbach CDU Drucksache 16/240 Machen klamme Kommunen Geld mit Zahngold von Verstorbenen? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 123 mit Schreiben vom 14. August 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Finanzminister, dem Minister für Klimaschutz , Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa von Ende Juni 2012 verwerten einige Kommunen das, was nach der Einäscherung von Verstorbenen übrig bleibt. Unter anderem würden Erlöse durch die Verwertung von Zahngold und anderen Edelmetallen von Verstorbenen für den Gemeindehaushalt, den Gebührenhaushalt oder für wohltätige Zwecke genutzt . Einige Städte und Gemeinden, unter anderem Köln, Minden und Essen, würden das Zahngold nicht verwerten, sondern füllen es stattdessen mit in die Urne, zum Teil aufgrund von fehlenden technischen Möglichkeiten der Trennung von Asche und Zahngold, teilweise aus Pietätsgründen. Pro Einäscherung sollen Metalle im Wert von 60 bis 70 Euro anfallen. Die Stadt Dortmund nehme nach Pressemitteilungen pro Jahr durchschnittlich 30.000 Euro durch die Verwertung von Zahngold und ähnlichem, mit dem was nach der Einäscherung von einem Menschen übrig bleibt, ein. Vor der Einäscherung hole die Stadt Dortmund die Einwilligung der Angehörigen der Verstorbenen ein, Zahngold oder Schmuck zu verwerten. Laut Friedhofssatzung hätten die Angehörigen jedoch keinen Anspruch darauf, „mit der Leiche fest verbundene Körperimplantate“ zurückzufordern. Die Einnahmen in Dortmund fließen in den Friedhofs- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/615 2 haushalt und nicht in den allgemeinen Stadthaushalt. Auch die Stadt Bielefeld verwertet die Metalle, die nach der Verbrennung der Asche entnommen werden, zur Senkung der Gebühren oder als Spende für soziale Zwecke. Juristisch gesehen ist die Frage nach der Behandlung von Zahngold von Verstorbenen umstritten . Das Oberlandesgericht Hamburg entschied 2011, dass es sich bei Rückständen nach der Einäscherung um herrenlose Sachen handele. Laut eines Urteils des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahr 2008 sei Zahngold nicht als „herrenlose Sache“ anzusehen, sondern als Teil der Asche, die auch den Erben nicht automatisch zustehe. Die Asche eines Verstorbenen unterstehe dem Schutz der Totenruhe. Die Störung der Totenruhe ist gemäß § 168 StGB strafbar. Demnach müssen Verbrennungsrückstände nach der Einäscherung in die jeweiligen Urnen gegeben werden, ansonsten sei ein „verachtenswerter Eingriff in den postmortalen Persönlichkeitsschutz „ gegeben, so das Oberlandesgericht Bamberg. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Entnahme von Zahngold von Verstorbe- nen nach der Einäscherung vor dem Hintergrund des postmortalen Persönlichkeitsschutzes nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahr 2008 rechtlich? Der Leichnam eines Menschen wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend als Sache im Sinne von § 90 BGB angesehen. Allerdings kann ein Leichnam nicht Objekt dinglicher Rechte sein, weil er aus ethischen Gründen dem Rechtsverkehr entzogen ist (Bestattungskultur 4/2012, S. 62). So kann insbesondere kein Eigentum an einem Leichnam erworben werden. Es wird vielmehr Gewahrsam, also ein Obhutsverhältnis, begründet. Zum Leichnam gehören die mit dem Körper fest verbundenen Teile (z.B. Hüftprothesen, Implantate aller Art, Goldkronen oder -inlays). Nicht dazu gehören Teile, die man zerstörungsfrei entfernen kann wie z.B. Gebiss, künstliches Auge oder Beinprothesen. Nach der Kremation eines Leichnams werden Metallteile, Knochenreste, der Keramikstein mit der Identifizierungsnummer sowie die Totenasche in einem Aschefach aufgefangen. Nach Abkühlung der sterblichen Überreste werden die Metallteile aussortiert, die Asche vermahlen und als Totenasche in eine Urnenkapsel gefüllt. Diese wird mit auf dem Deckel eingeprägten Daten versiegelt. Die Totenasche ist ab diesem Zeitpunkt strafrechtlich sowohl durch § 168 Abs. 1 StGB (Störung der Totenruhe) als auch durch § 136 Abs. 1 StGB (Verstrickungsbruch ) geschützt und unterliegt der Beisetzungspflicht gemäß Bestattungsgesetz. Die zurückbleibenden künstlichen Körperteile stehen wie der Leichnam in niemandes Eigentum und sind damit herrenlos (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB 70. Aufl., Vor § 90 Rn 11). Sie unterliegen nach dem Tode einem Aneignungsrecht im Sinne des § 958 BGB. Wer - ggf. vorrangig - Inhaber dieses Aneignungsrechts ist, ist umstritten. Während eine Ansicht auf Grund der Bedeutung der künstlichen Körperteile als Vermögensposition das Aneignungsrecht den Erben als Vermögensnachfolger des / der Verstorbenen kraft Gewohnheitsrechts zuspricht (Schmitz, in: MünchKomm-StGB, § 242 Rdnr. 32; Gursky in Staudinger BGB, Neubearbeitung 2011, § 958 Rdnr 4; Ellenberger in Palandt, BGB 71. Aufl., Vorb. § 90 Rdnr. 11; Weidlich in Palandt a.a.O., § 1922 Rdnr. 37; Stein, in: Soergel, § 1922 Rdnr. 22; Görgens, JR 1980, 140), steht nach anderer Auffassung das Aneignungsrecht mit Blick auf die Persönlichkeit des Verstorbenen und die Pietätsbindung, der auch werthaltige Leichenteile unterliegen , den nächsten Angehörigen der / des Verstorbenen als Totensorgeberechtigten zu (vgl. RGSt 64, 315; OLG München, NJW 1976, 1805; Hoyer, in: SK-StGB, § 242 Rdnr. 14; Staudinger /Jickeli/Stieper, BGB, Neubearb. 2012, § 90 Rdnr. 49; Oechsler, in: MünchKommBGB , § 958 Rdnr. 12; Kregel, in: RGRK, 12. Aufl., § 90 BGB Rdnr. 5; vgl. auch in diesem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/615 3 Sinne § 4 TPG). Allerdings stellen auch diejenigen, die das Aneignungsrecht den Erben zuordnen , dieses unter den Vorbehalt der Billigung der nächsten Angehörigen (vgl. Ellenberger in Palandt a.a.O.; Gursky in Staudinger a.a.O.; Görgens, JR 1980, 140), um sicherzustellen, dass das Pietätsgefühl und die Achtung vor dem Leichnam in Nachwirkung des Persönlichkeitsrechts der / des Verstorbenen gewahrt bleiben. Unter welchen Voraussetzungen eine - in Anwendung des § 958 Abs. 1 BGB grundsätzlich rechtlich in Betracht kommende - Aneignung und Verwertung der künstlichen Körperteile durch den Krematoriumsbetreiber zulässig ist, wird ebenfalls nicht einheitlich beantwortet. Entscheidungen von Zivilgerichten hierzu sind - mit Ausnahme einer Entscheidung des Landgerichts Mainz (MedR 1984, 199), die sich allerdings mit der Herausgabe eines vor der Bestattung explantierten Herzschrittmachers befasst - nicht bekannt. Die - soweit ersichtlich - in diesem Zusammenhang ergangenen strafgerichtlichen Entscheidungen sind uneinheitlich. Während das Oberlandesgericht Bamberg (Urteil vom 29.01.2008, NJW 2008, 1543) das nach der Einäscherung vorgefundene Zahngold als „Asche“ im Sinne des § 168 StGB (Störung der Totenruhe) angesehen hat, ist das Oberlandesgericht Nürnberg (Urteil vom 29.11.2009, NJW 2010, 2071) dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die - ohne Zustimmung der Hinterbliebenen erfolgte - Wegnahme des Zahngoldes nach der Einäscherung als Verwahrungsbruch im Sinne des § 133 StGB angesehen. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamburg (Beschluss vom 19.12.2011, 2 Ws 123/11, Zitat nach Juris) kann die Entwendung von Zahngold aus der Leichenasche als versuchter Diebstahl in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Störung der Totenruhe zu werten sein (§§ 242, 168, 133, 22, 52, 53 StGB). Weiterführend wird auf die Ausführungen von Gottwald in NJW 2012, 2231 („Rechtsprobleme um die Feuerbestattung“) sowie von Kristian F. Stoffers in NJW 2012, 1607 (Anmerkung zur v.g. Entscheidung des OLG Hamburg) hingewiesen. Entscheidungen nordrhein-westfälischer Gerichte zu dieser Frage sind der Landesregierung nicht bekannt. Im Übrigen ist es grundsätzlich Sache der Gerichte und nicht der Landesregierung , Rechtsnormen verbindlich auszulegen. Es ist daher nicht Aufgabe der Landesregierung , rein abstrakte Rechtsfragen zu beantworten, die - wie hier - in keinem Zusammenhang zur Verantwortlichkeit der Landesregierung stehen. 2. In welchen nordrhein-westfälischen Kommunen fließen die Erlöse aus der Ver- wertung von nach der Einäscherung entnommenen Metallen in den Gemeindehaushalt ? 3. In welcher Höhe fließen Erlöse in diesen Kommunen aus der Verwendung von Metallen aus der Einäscherung in die Gemeindehaushalte? Der Landesregierung liegen zu den Fragen 2 und 3 keine Informationen vor. Es gibt für die Kommunen weder haushaltsrechtliche noch statistische Vorgaben, entsprechende Erlöse (Erträge) zu melden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/615 4 4. Sieht die Landesregierung die Gefahr, dass durch den erhöhten Konsolidierungsdruck in den Kommunen, zum Beispiel für „Stärkungspaktkommunen“, die Kommunen angehalten werden, Erlöse aus der Verwertung von Metallen unter anderem Zahngold aus Einäscherungen zugunsten der allgemeinen Gemeindehaushalte zu verwenden? Mit dem Stärkungspaktgesetz stellt das Land in den Jahren 2011 bis 2020 Gemeinden in einer besonders schwierigen Haushaltssituation Konsolidierungshilfen zur Verfügung. Im Ergebnis erreicht die finanzielle Hilfe in Höhe von 5,85 Mrd. € einundsechzig Städte und Gemeinden mit insgesamt ca. 5,2 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in NordrheinWestfalen . Das Land geht damit an die Grenze seiner Möglichkeiten und unternimmt mit einem Landesanteil in Höhe von 3,5 Mrd. € einen enormen Kraftakt. Ziel ist es, den Gemeinden in einer besonders schwierigen Haushaltssituation den nachhaltigen Haushaltsausgleich zu ermöglichen. Das Gebot des Haushaltsausgleichs ergibt sich aber bereits aus § 76 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen. Das Stärkungspaktgesetz verursacht insofern keinen "erhöhten Konsolidierungsdruck", sondern setzt durch die unterstützend wirkende Konsolidierungshilfe einen finanziellen Anreiz, der der Gemeinde hilft, wieder zu einer geordneten Haushaltswirtschaft zu kommen. Dabei hat es die Kommune selbst in der Hand, welche eigenen Maßnahmen einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten und perspektivisch zum Haushaltsausgleich führen können . 5. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf im nordrhein-westfälischen Bestat- tungsrecht, um einen Verkauf von Zahngold von Verstorbenen zugunsten der Gemeindehaushalte zu verhindern? Unter Bezug auf die Antwort zu Frage 1 wird kein Handlungsbedarf gesehen, da die weitere Verwendung der Metalle dem Bestimmungsrecht der Angehörigen unterliegt.