LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6184 30.06.2014 Datum des Originals: 27.06.2014/Ausgegeben: 03.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2328 vom 11. Mai 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/5907 Umweltzone Ruhr bremst Mülheimer Handwerksbetriebe und Markthändler aus – Wie verhindert die Landesregierung, dass Gewerbetreibenden ihre Existenzgrundlage als Kleinunternehmer bald durch unverhältnismäßige Fahrverbote entzogen wird? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2328 mit Schreiben vom 27. Juni 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Wirtschaft , Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Einfahrverbote gerade in großflächige Umweltzonen sind ein schwerwiegender Eingriff in die persönliche Freiheit der Menschen sowie in die Berufs- und Unternehmerfreiheit. Dieser Eingriff muss stets gut begründet sein. Verbote sollten grundsätzlich "ultima ratio" sein. Deshalb erfordern sie aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion einen exakten Nachweis ihrer Wirksamkeit und ihrer Verhältnismäßigkeit. Es ist jedoch höchst strittig, ob die Auswirkungen der Umweltzonen im Ruhrgebiet in ihrer immensen Ausprägung und durchgreifenden Fahrverboten tatsächlich zu einer signifikanten Absenkung der Immissionswerte geführt haben, oder ob für sinkende Werte andere Faktoren ausschlaggebend sind. Sperrmaßnahmen sind sicherlich an Konzentrationspunkten sinnvoll, eine nachhaltige Senkung der heutigen Feinstaubbelastung ist aber durch eine Reduzierung der sogenannten Hintergrundbelastung überregionaler Feinstaubquellen viel effizienter möglich , die Industrieproduktion und Privatheizung umfassen und dabei auf quellenbezogene Reduktionsmaßnahmen setzen. Die Belastungen, die durch die Umweltzone Ruhr für Bürger und Mittelstand bereits entstanden sind und offensichtlich auch weiterhin entstehen, sind durch die bisherigen Erkenntnisse jedenfalls unverändert nicht zu rechtfertigen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6184 2 Die Stadt Mülheim an der Ruhr hat als Ruhrgebietskommune ohnehin mit einer Vielzahl an strukturellen Problemen zu kämpfen. Die Gestaltungsspielräume werden angesichts der massiven Verschuldung immer kleiner. Gerade deshalb kann der Beitrag der klein- und mittelständischen Betriebe für Arbeit und Ausbildung und für die lokale und regionale Wirtschaft nicht hoch genug geschätzt werden. Die mit der Einführung der Umweltzonen vor einigen Jahren befürchtete Belastung von Handwerksbetrieben ist in zahlreichen Fällen leider bestätigt worden. Von der stetigen Verschärfung der Umweltzonen ist das Handwerk besonders betroffen. Handwerker sind oftmals auf sogenannte „leichte Nutzfahrzeuge“ angewiesen, die häufig nur eine gelbe oder rote Plakette bekommen. Mit dem Handwerkerparkausweis, der bis zum 31. Dezember 2011 auch diesen Fahrzeugen eine Einfahrt in die Umweltzonen erlaubt hat, ist eine unbürokratische Lösung für die mittelständischen Betriebe und ihre Beschäftigten seit längerem ausgelaufen. Mittels Ausnahmeregelungen, die aber lediglich für Unternehmen mit zwei oder mehr Nutzfahrzeugen und bei evidenten wirtschaftlichen und sozialen Härtefällen sowie für besondere Fahrzwecke wie Schwerbehindertentransporte oder Krankenhausfahrten gelten, konnten seit Ende 2011 einige Härtefälle abgemildert werden. Eine andernfalls erforderliche umfassende Erneuerung des Fuhrparks hätte die Handwerksbetriebe in existentielle Nöte gebracht. Im gesamten Ruhrgebiet und damit auch in Mülheim an der Ruhr entfaltet die Umweltzone jedoch ab dem 1. Juli 2014 endgültig ihre volle Wirkung. Ab dann dürfen – mit ganz wenigen Ausnahmen – nur noch Kraftfahrzeuge mit einer grünen Plakette durch die Umweltzone Ruhrgebiet fahren. Ausgeschlossen von dieser Regelung sind dann nur noch die Autobahnen , die die Ruhrstadt durchziehen. Bei Nichtbeachtung der Vorschrift, eine gut sichtbare grüne Plakette auf der Windschutzscheibe oder entsprechende Ausnahmegenehmigungen mitzuführen, sind bei einer Kontrolle durch die Ordnungsbehörden 80 Euro Verwarnungsgebühren zu entrichten. Die WAZ berichtet im Artikel „Grüne Filter für die Umweltzone“ am 7. Januar 2014 über die Nachbarstadt Essen: „Betroffen von der neuen Regelung sind in Essen knapp zehn Prozent der 285.000 Fahrzeuginhaber , die bislang nur über eine rote oder gelbe Plakette verfügen. Für Motorräder, Traktoren , Rettungswagen oder Feuerlöschzüge gelten diese Bestimmungen nicht. Für Fahrzeuge mit gelber Plakette, die vor dem 1. Januar 2008 auf den Fahrzeughalter zugelassen wurden und nicht den Besitzer gewechselt haben, kann der TÜV eine Befreiungs-Bescheinigung ausstellen, die im Fahrzeug sichtbar ausliegen muss. Bisher ohne Befristung. Kostenpunkt 50 Euro.“ Allen anderen bleibe nichts anderes übrig, als ihr Auto mit dem sogenannten Partikelminderungssystem nachzurüsten oder es ganz zu verkaufen. Die Budgets des Bundes für Fördermöglichkeiten einer Umrüstung sind aufgrund hoher Nachfrage seit Monaten leer. Diese Regelungen treffen jedoch nicht nur die Nutzer in der Stadt Essen, sondern selbstverständlich auch die in allen anderen Ruhrgebietskommunen. Es ist davon auszugehen, dass die Verschärfungen zum 1. Juli 2014 insbesondere die Handwerksbetriebe und Gewerbetreibende treffen werden, die ohnehin mit Existenzschwierigkeiten zu kämpfen haben. Dies dokumentieren zwei aktuelle Medienberichte aus der Region . So beschreibt ein Beitrag in der WAZ vom 28. Februar 2014 den verlorenen Kampf eines Markthändlers, der nach 15 Jahren auf dem Rüttenscheider Markt in Essen seinen Rückzug aus dem Geschäft erklären muss, da die Umrüstung seines Spezialfahrzeugs mit Kühlvorrichtungen technisch und der Erwerb eines neuen Fahrzeuges für rund 100.000 Euro LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6184 3 wirtschaftlich nicht realisierbar sind. Auch die Schausteller haben auf ihrem aktuellen Jahresempfang klar und deutlich auf die Schwierigkeiten hingewiesen. In der WAZ vom 9. März 2014 wird der Bundesvorsitzende des Schaustellerverbandes dahingehend zitiert, dass die Umweltzonen-Regelung die Schausteller unverhältnismäßig belaste: „Für 400 Meter von der Autobahn zum Kirmesplatz sollen Schausteller ihre Autos verschrotten ? Da müssen Ausnahmetatbestände her.“ Aufgrund der Vorlaufzeiten bei der Auftragsakquisition brauchen betroffene Unternehmer im Hinblick auf die Umweltzone dringend Unterstützung für ihre weitere betriebliche Existenz und wirtschaftliche Dispositionen. Hier ist ein klares Signal der Landesregierung für eine pragmatische Lösung dringend angeraten. Vorbemerkung der Landesregierung Die Luftqualität im Ruhrgebiet verbessert sich dank der großen Anstrengungen zur Reinhaltung der Luft von Jahr zu Jahr. Dennoch ist der Handlungsdruck noch immer hoch angesichts der negativen gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub und Stickstoffdioxid und der bestehenden Überschreitungen von EU-Luftqualitätsgrenzwerten. Die im Rahmen von Luftreinhalteplänen eingeleiteten Minderungsmaßnahmen zielen auf alle Verursacher von Luftschadstoffemissionen , d.h. Industrie, private Heizungen und motorisierter Straßenverkehr. Die Umweltzone ist Bestandteil der mit den Luftreinhalteplänen vom 04.08.2008 und 15.10.2011 (Fortschreibung) in Kraft gesetzten Maßnahmen. Mit der Fortschreibung des Luftreinhalteplans Ruhrgebiet wurde frühzeitig auch die Fortentwicklung des Instruments Umweltzone mit Vertretern der Wirtschaftsverbände diskutiert. Das Landesumweltministerium und der Westdeutsche Handwerkskammertag haben sich am 01.12.2010 auf ein gemeinsames Eckpunktepapier zur Luftreinhaltung verständigt. Vereinbart wurde u.a., dass die Leitlinien des Bundes für Umweltzonen-Ausnahmen als Ausnahmeregelung für NRW akzeptiert werden und zusätzlich eine Fuhrparkregelung gelten soll. Zudem ist die Landesregierung mit Bürgern, Kommunen und der Wirtschaft in einen Dialog getreten und hat am 09. und 16.05.2011 Konsultationsgespräche zum Luftreinhalteplan und zur Umweltzone Ruhrgebiet geführt. Die Umweltzone Ruhrgebiet wirkt sich förderlich auf die Modernisierung der Fahrzeugflotte aus. So wurden beispielsweise im Ruhrgebiet bis Ende des Jahres 2013 40.334 Pkw und 10.617 Nutzfahrzeuge mit Dieselpartikelfiltern nachgerüstet, was zu einer Reduzierung der besonders gesundheitsschädlichen Dieselrußemissionen führte. Aktuell setzt sich der Landesumweltminister für die Wiederaufnahme der Förderung der Dieselpartikelfilternachrüstung durch den Bund ein. Laut Antwortschreiben der Bundesumweltministerin wurde im Bundeshaushalt 2014 eine Förderung nicht vorgesehen, da das Bundesfinanzministerium einer Veranschlagung der erforderlichen zusätzlichen Haushaltsmittel nicht zugestimmt hat. Der NRW-Landesumweltminister hat die Thematik in die Umweltministerkonferenz (UMK) am 09.05.2014 in Konstanz eingebracht. Die UMK hat sich der Forderung angeschlossen, ein Förderprogramm zur Nachrüstung von Dieselfahrzeugen mit Partikelfiltern in den Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2014 und 2015 aufzunehmen oder alternative Unterstützungsmöglichkeiten bei der Nachrüstung von Dieselpartikelfiltern zu eröffnen. Außerdem fordert die UMK, die Förderung insbesondere auch von kleineren Lkw bis 12 t in Betracht zu ziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6184 4 1. Wie viele Sonderparkausweise für Handwerker, Schausteller und Marktbeschicker , bitte unter Angabe ihrer Gültigkeitsdauer, sind seit 2010 bis heute in der Stadt Mülheim an Betriebe ausgegeben worden, die zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigen? Für Handwerker gibt es Handwerkerparkausweise, die bis zum 31.12.2011 zusätzlich zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigten. Handwerkerparkausweise haben eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr. Die Stadt Mülheim hat 192 Handwerkerparkausweise im Jahr 2010 und 182 Handwerkerparkausweise im Jahr 2011 ausgegeben. Für Schausteller und Marktbeschicker gab und gibt es keine Sonderparkausweise, die zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigen. 2. Wie viele Ausnahmegenehmigungen sind seit 2010 bislang Handwerkern, Schaustellern und Marktkaufleuten in der Stadt Mülheim, differenziert nach Ausnahmegründen und ihrer Gültigkeitsdauer, gewährt worden, die zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigen? Eine Erfassung der Anzahl erteilter Ausnahmegenehmigungen erfolgt bei den jeweiligen kommunalen Behörden, ohne dass hierfür Vorgaben des Landes bestehen. Nach Auskunft der Stadt Mülheim beträgt die Anzahl der erteilen Ausnahmegenehmigungen: „A) Ausnahmegenehmigungen gemäß Luftreinhalteplan Ruhrgebiet vom 04.08.2008 Ausnahme Anzahl der seit dem Jahr 2010 erteilten Genehmigungen in Mülheim Nach Ziffer II.3, Quell- und Zielverkehr, für die Dauer von einem halben Jahr 10 Nach Ziffer II.4., Quell- und Zielverkehr, nicht mit einem Partikelminderungssystem nachrüstbare Fahrzeuge, für die Dauer von einem Jahr 79 B) Ausnahmegenehmigungen gemäß Luftreinhalteplan Ruhrgebiet vom 15.10.2011 nach dem NRW-weit gültigen Umweltzonen-Ausnahmekatalog auf Basis der Leitlinien des Bundes Ausnahme Anzahl der für Gewerbetreibende erteilten Genehmigungen in Mülheim bis zum 30.4.2014 Nach Ziffern 1.2.1,1.2.2., 1.3.3, 1.3.4., Ausnahmen in Fällen wirtschaftlicher Härte; Dauer nach Bedarf und auf ein angemessenes Maß beschränkt 83 Nach Ziffer 2., Fuhrparkregelung, für die Dauer von einem Jahr 45 Eine Differenzierung nach Ausnahmegenehmigungen für Handwerker und Marktkaufleute ist nicht möglich. Schausteller benötigten im Geltungszeitraum des Luftreinhalteplans Ruhrgebiet vom 04.08.2008 keine extra Ausnahmegenehmigung, da ihre Fahrzeuge von Amts wegen von den Umweltzonen-Regelungen ausgenommen waren.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6184 5 3. Wie beurteilt die Landesregierung die bisherigen Erfahrungen des Handwerksausweises sowie der Ausnahmegenehmigungen, die kleine Gewerbetreibende unterstützen bzw. unterstützt haben, ihre berufliche Existenz zu sichern? Die Landesregierung hat im Zuge der Einführung von Umweltzonen im Ruhrgebiet ab dem 15.10.2008 Übergangs- und Ausnahmeregelungen gewährt, da die Umweltzone seinerzeit ein neuartiges Instrument war. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Handwerkerparkausweisregelung getroffen. Das Vorgehen hat sich für die Einführungsphase bewährt. Die Fuhrparkregelung ist bis heute für Gewerbetreibende hilfreich, die ihre Fahrzeugflotten nur schrittweise modernisieren können. 4. Welche genauen alternativen oder weiteren Regelungen plant die Landesregie- rung für die Entlastung des Handwerks und anderer Gewerbetreibender zukünftig angesichts der drohenden Notwendigkeit zur Fuhrparkerneuerung? Mit dem in der Vorbemerkung zitierten Eckpunktepapier haben Landesumweltministerium und die Handwerksorganisationen Aktivitäten zur vorzeitigen Einführung von Fahrzeugen mit dem Abgasstandard Euro 6 ins Auge gefasst. Als Ergebnis der gemeinsamen Aktivitäten wird den Handwerkern seit dem 01.10.2013 über das Effizienzkreditprogramm der NRW.Bank ein Tilgungszuschuss in Höhe von 800 EURO beim Kauf eines Euro 6-Fahrzeugs gewährt. Zusätzliche Ausnahmeregelungen für Umweltzonen sind nicht vorgesehen . 5. Wie beurteilt die Landesregierung nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen die Wirksamkeit der bestehenden Umweltzonen im Ruhrgebiet als Beitrag zur signifikanten Feinstaubreduktion? Die Einrichtung von Umweltzonen ist eine wirksame Maßnahme zur Minderung der Feinstaubbelastung. Langfristige Auswertungen der Luftqualitätsdaten des LANUV NRW zeigen, dass insbesondere an verkehrlich geprägten Messstellen die Feinstaub-Belastung innerhalb von Umweltzonen stärker abgenommen hat als an den Messstellen außerhalb von Umweltzonen.