LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6198 01.07.2014 Datum des Originals: 01.07.2014/Ausgegeben: 04.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2345 vom 27. Mai 2014 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/6014 Umsetzung der Tilgungsverordnung durch den Allgemeinen Sozialen Dienst der Justiz Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2345 mit Schreiben vom 1. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Deutsche Justizgewerkschaft beklagt, dass es im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit vom 7. Dezember 2010 (GV. NRW. 2010 S. 663) – kurz: „Tilgungsverordnung“ – zu einer erheblichen Schlechterstellung des Ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz gegenüber freien Trägern gekommen sei. In der Mitgliederzeitschrift der DJG heißt es dazu u.a. („Akzente“, Ausgabe 1/2014, S. 6): „Für das Justizministerium wurde die Tilgungsverordnung ein Aushängeschild, weil hierdurch Gelder eingespart wurden. Noch bevor Zahlen über tatsächlich eingesparte Hafttage vorlagen, wurden weitere Projekte initiiert und unterstützt anstatt die eigenen Möglichkeiten zu erweitern. Beispielsweise wurde in Duisburg ein freier Träger damit beauftragt, mit Projektgeldern pro Monat 50 Fälle uneinbringlicher Geldstrafen zu bearbeiten, wozu 2 Halbtagskräfte eingestellt wurden. In Düsseldorf hat die Arbeiterwohlfahrt Geld erhalten, um eine begrenzte Zahl an Fällen zu bearbeiten. Dem Ambulanten Sozialen Dienst der Justiz fehlen hingegen die personellen Ressourcen, so dass es den Fachkräften in der Regel nicht möglich ist, die wirklich notwendigen Maßnahmen für einen erfolgreichen Verlauf zu ergreifen. Da ja keine einheitlichen Standards zur Bearbeitung der Fälle vorhanden sind, liegt es jeweils im Ermessen und an der Arbeitsbelastung der jeweiligen Kolleg/innen, was getan werden kann.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6198 2 1. Wieso wurde dem Ambulanten Sozialen Dienst der Justiz durch die Tilgungsverordnung ein zusätzliches Aufgabenfeld übertragen, ohne dessen Kapazitäten zu erweitern? Der heutige Aufgabenzuschnitt des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz (aSD) hat seine Grundlage in der Strukturreform des aSD, die im Jahre 2008 in enger Abstimmung auch mit dem aSD umgesetzt worden ist. Ziel der Strukturreform war die Qualitätssicherung der justiziellen Sozialarbeit. Dabei galt es, auch im Ländervergleich die Leistungsfähigkeit des aSD in Nordrhein-Westfalen zu berücksichtigen. In den Jahren vor der Strukturreform hatte die Fallbelastung pro Bewährungshelferin/Bewährungshelfer noch bei rund 65 Fällen gelegen, während in den anderen Bundesländern teilweise deutlich höhere Belastungswerte von mehr als 90 Fällen (in Rheinland-Pfalz) oder sogar über 100 Fällen (z. B. in Thüringen) zu verzeichnen waren. Die Frage der Belastungsquote hat auch der Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen (LRH) in einer Prüfung des aSD aufgegriffen. In seinem Prüfbericht vom 4. November 2010 hat er mit Bezug auf die vorstehend angeführten Vergleichswerte die unterdurchschnittliche Belastungsquote der Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Nordrhein-Westfalen kritisiert. Die aktuelle Belastungsstatistik des aSD verzeichnet für das Jahr 2013 eine Fallbelastung pro Fachkraft von landesweit durchschnittlich 77,9 Fällen. Bei der Berechnung ist die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit einbezogen. Die Strukturreform des aSD im Jahre 2008 wurde durch organisatorische Modernisierungsmaßnahmen vollzogen, z. B. durch Einführung neuer Leitungsstrukturen und die Festschreibung von verbindlichen Qualitätsstandards. Schon in diesen Qualitätsstandards war die engere Einbindung des aSD in die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit vorgesehen. Die Aufgabenbestimmung in § 8 der Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit vom 7. Dezember 2010 beinhaltet eine konsequente Umsetzung der Strukturreform. Bereits die Fassung von § 8, die zwischen 1984 und 2010 galt, sah unter der Überschrift "Beteiligung von Sozialarbeitern" vor, dass sich die Strafvollstreckungsbehörde "bei der Vermittlung eines Beschäftigungsverhältnisses der Unterstützung eines Gerichtshelfers oder, sofern für den Verurteilten ein Bewährungshelfer bestellt ist, des Bewährungshelfers bedienen" sollte. 2. Welche Konsequenzen ergeben sich nach Ansicht der Landesregierung aus dem Umstand, dass der Ambulante Soziale Dienst der Justiz eine Vielzahl der ihm infolge der neuen Tilgungsverordnung überantworteten Fälle nicht bearbeiten kann, weshalb vor Ort z.T. bereits eine Kontingentierung der Fallzahlen vorgenommen wurde? Aufgrund von Anregungen aus der strafrechtlichen Praxis hat das Justizministerium mit Erlass vom 19. November 2012 Hinweise zur organisatorischen Gestaltung der Abläufe bei der Umsetzung der Verordnung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit vom 7. Dezember 2010 gegeben. Der Erlass sieht u. a. vor, dass zwischen den gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behördenleitungen bei Bedarf Belastungsgrenzen in Form von Kontingenten für den aSD abgestimmt werden können. Dies dient dazu, eine Überlastung des aSD und damit einen Qualitätsverlust in der Bearbeitung zu vermeiden. Der Erlass zielt insbesondere darauf ab, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6198 3 örtliche Gegebenheiten berücksichtigen und Fallbelastungen in örtlicher Verantwortung festlegen zu können. Auch künftig wird es zunächst darum gehen, im Rahmen von "Lösungen vor Ort" die Belastung des aSD zu überprüfen und ggf. darauf flexibel zu reagieren. 3. Aus welchen Gründen werden freien Trägern Gelder zur Personalausstattung für die Vermittlung von Freier Arbeit - also zur Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen - zur Verfügung gestellt, ohne zunächst die Wirkungen der Tilgungsverordnung evaluiert zu haben? Der aSD und freie Fachstellen stehen nicht in einem Konkurrenz-, sondern in einem Kooperationsverhältnis. Die Beauftragung von Fachstellen in freier Trägerschaft zur Ergänzung der justizeigenen Handlungsmöglichkeiten hat in Nordrhein-Westfalen Tradition. Bereits seit 1997 werden Fachstellen im Rahmen des Förderprogramms "Gemeinnützige Arbeit" durch das Justizministerium gefördert. Die Aufnahme von fünf weiteren Fachstellen in das Förderprogramm soll gerade dazu dienen, den aSD bei seiner Aufgabenwahrnehmung zu unterstützen und zu entlasten. Zugleich soll dadurch ein möglichst breites Angebot von Fachleuten für die Betreuung von Verurteilten und ihre Vermittlung in freie Arbeit gewährleistet werden. 4. Wie stellt sich der Zufluss öffentlicher Gelder an den Allgemeinen Sozialen Dienst der Justiz im Vergleich zum Zufluss öffentlicher Gelder an freie Träger seit dem Jahr 2010 dar (Bitte jeweils nach Jahren getrennt einzelnen auflisten)? Bei der Beantwortung der Frage wird davon ausgegangen, dass der ambulante Soziale Dienst der Justiz gemeint ist. Zur Finanzierung des aSD waren bzw. sind im Landeshaushalt (Epl. 04 Kapitel 04 210 Titelgruppe 60) in den Jahren 2010 bis 2014 Haushaltsmittel in folgender Höhe veranschlagt: 2010: 41.870.500 € 2011: 42.163.000 € 2012: 43.480.000 € 2013: 43.140.700 € 2014: 44.605.100 € Für das Projekt zur Förderung Gemeinnütziger Arbeit standen bzw. stehen Haushaltsmittel in folgender Höhe zur Verfügung: 2010: 200.000 € 2011: 200.000 € 2012: 200.000 € 2013: 400.000 € 2014: 400.000 € LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6198 4 5. Wie kontrolliert die Landesregierung die Qualität der Arbeit freier Träger, um sicherzustellen, dass die Projektgelder mit Erfolg eingesetzt werden? Die durch das Justizministerium geförderten Träger sind ausnahmslos in einem der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege organisiert und orientieren sich daher an den für diese geltenden „Qualitätsstandards für Fach- und Vermittlungsstellen zur Ableistung Gemeinnütziger Arbeit“. Nach den durch das Justizministerium haushaltsjährlich erlassenen Bewirtschaftungsgrundsätzen berichten die Träger jährlich zu  der Qualifikation des eingesetzten Personals nach Funktionen,  dem Personaleinsatz je Aufgabengebiet (Zahl und zeitlicher Umfang),  der Zahl der von den Maßnahmen erfassten Personen nach Art der Maßnahme(n),  der Zahl der Maßnahmen nach deren Art und  der Zahl der ersparten Hafttage. Als Anlagen zu den nach § 44 LHO jährlich zu erstellenden Tätigkeitsberichten sind unter anderem vorzulegen  eine knappe Darstellung der Ausgangssituation vor der Förderung,  eine knappe Darlegung der fachlichen Gründe (Zieldefinition) für die Maßnahmen,  eine knappe Darstellung mit konkreten Angaben zur Effizienz (Zielerreichung) der Maßnahmen, auch unter Kosten-Nutzen- oder Kosten-Wirksamkeits-Gesichtspunkten (ggf. Vergleich mit Effizienz entsprechender Maßnahmen Dritter) und  eine Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft zu Effizienz und (weiterem) Erfordernis der Maßnahmen. Die Berichte der Träger werden jährlich ausgewertet und das Ergebnis den Mitgliedern des Rechtsausschusses zur Verfügung gestellt (zu vgl. zuletzt Vorlage16/1239).