LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6232 03.07.2014 Datum des Originals: 03.07.2014/Ausgegeben: 08.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2340 vom 28. Mai 2014 der Abgeordneten Dr. Robert Orth und Dirk Wedel FDP Drucksache 16/5955 Inwieweit plant Justizminister Kutschaty eine Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2340 mit Schreiben vom 3. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Wirkung zum 01.01.2011 wurde die Möglichkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (sog. elektronische Fußfessel) für Fälle der Führungsaufsicht in das Strafgesetzbuch aufgenommen (§ 68b StGB). Danach kann das Gericht die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB). Aufgrund des erheblichen Eingriffs, der mit einer ständigen Kontrollmöglichkeit aller Bewegungen des Betroffenen verbunden sind, ist eine entsprechende Weisung des Gerichts nach § 68b Abs. 1 Satz 3 StGB nur unter strengen formellen und materiellen Voraussetzungen zulässig (siehe Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Auflage, § 68b Rn. 14a). Da die Durchführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung eine Überwachungsstelle erforderlich macht, haben im Zuge dessen einige Bundesländer, darunter auch NordrheinWestfalen , den sog. "Staatsvertrag über die Einrichtung einer Gemeinsamen Überwachungsstelle (GÜL) für elektronische Fußfesseln" unterzeichnet; diese hat ihren Sitz im hessischen Bad Vilbel. Die Überwachungsstelle ist u.a. dafür zuständig, etwaige Meldungen des jeweiligen Überwachungssystems entgegenzunehmen, zu bewerten und ggf. die zuständigen polizeilichen und justiziellen Stellen der Länder zu unterrichten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6232 2 Presseberichten war zu entnehmen, dass in NRW derzeit fünf entlassene Strafgefangene der elektronischen Aufenthaltsüberwachung unterliegen. Seit ihrer Einführung am 01.01.2011 sei die elektronische Fußfessel erst in neun Fällen durch Richter angeordnet worden. Im Hinblick auf den eng gefassten Anwendungsbereich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung soll sich der nordrhein-westfälische Justizminister Kutschaty für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs ausgesprochen haben. Den Angaben seines Pressesprechers zufolge sei die elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Vermeidung von Untersuchungshaft, aufwendigen Meldeauflagen oder bei Strafhaft in minderschweren Fällen möglicherweise besser geeignet (vgl. Aachener Nachrichten vom 23.04.2014). 1. In welchen Fällen hält die Landesregierung eine Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für angezeigt? 2. Inwieweit plant der nordrhein-westfälische Justizminister auf Bundesebene eine Initiative zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (bitte auch die geplanten Anwendungsfälle nennen)? Die Landesregierung prüft, ob und ggf. in welchen weiteren Bereichen das Instrument der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nutzbringend eingesetzt werden kann. Sollte sich gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergeben, wird die Landesregierung auch die insoweit erforderlichen Maßnahmen prüfen. 3. In wie vielen Fällen hat es seit Bestehen der Gemeinsamen Überwachungsstelle Meldungen von dieser an nordrhein-westfälische Behörden (z.B. Polizei, Fachbereiche Führungsaufsicht und Bewährungshilfe des Ambulanten Sozialen Dienstes) gegeben (bitte Art der Meldungen, Ansprechpartner und Reaktion bzw. Handlung der jeweiligen Behörden, einschließlich des Justizministeriums benennen)? Die zuständige Führungsaufsichtsstelle erstellt für jeden Probanden ein individuelles, alle etwaigen Ereignismeldungen abdeckendes Reaktionskonzept und erteilt der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) Handlungsanweisungen zum Umgang mit eingehenden Meldungen. Seit Aufnahme ihres Betriebes am 1. Januar 2012 hat die GÜL in 784 Fällen (2012: 311 Fälle; 2013: 363 Fälle; bis 31. Mai 2014: 110 Fälle) Ereignismeldungen an die zuständigen Führungsaufsichtsstellen des Landes Nordrhein-Westfalen beziehungsweise den Ambulanten Sozialen Dienst übermittelt. In 44 dieser Fälle (2012: 28 Fälle; 2013: 15 Fälle; bis 31. Mai 2014: 1 Fall) wurden zusätzlich nordrhein-westfälische Polizeibehörden informiert. Die Kreispolizeibehörden des Landes NRW sind angewiesen, ohne Rechtsgrundlage außerhalb einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr gemäß § 463a Absatz 4 Satz 2 Nummer 4 StPO übermittelte Meldungen der GÜL nicht zu verarbeiten. Weitergehende Daten liegen der Landesregierung nicht vor. Eine statistische Erfassung der Art der Ereignismeldung, des im Einzelfall kontaktierten Ansprechpartners und der individuell ergriffenen Maßnahmen gibt es nicht. Eine Sondererhebung zu allen bislang übermittelten Meldungen, die von Hand vorzunehmen wäre, ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6232 3 Eine Übermittlung von Ereignismeldungen durch die GÜL an das Justizministerium findet nicht statt. 4. Welche Maßnahmen ergreifen die Überwachungsstelle und die nordrhein- westfälischen Behörden (z.B. Polizei, Fachbereiche Führungsaufsicht und Bewährungshilfe des Ambulanten Sozialen Dienstes) bei etwaigen Störungen im Datensystem der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (bitte nach Art der Störung und Maßnahmen differenzieren)? 5. Inwieweit sind diese Maßnahmen für die Gefahrenabwehr in NRW geeignet? Die GÜL ergreift alle notwendigen und ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um etwaige technische Störungen schnellstmöglich zu beheben bzw. beheben zu lassen. Für den Fall eines Totalausfalls steht der GÜL stets ein aktueller Alarmplan in Papierform zur Verfügung, aus dem sich Namen und Handynummern aller Probanden, deren potenzielle Gefährlichkeit sowie die Kontaktdaten der zuständigen justiziellen Ansprechpartner und Polizeibehörden ergeben. Eine unmittelbare Weiterleitung von Alarm- bzw. Fehlermeldungen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung an die Polizei kommt in Betracht, wenn diese polizeilich originär Maßnahmen zur Abwehr von erheblichen gegenwärtigen Gefahren gem. § 463a Absatz 4 Satz 2 Nummer 4 StPO zu treffen hat, oder aber im Einzelfall - bei Hinzutreten besonderer Umstände - die Aufsichtsstelle gemäß § 463a Absatz 4 Satz 4 StPO die Polizei um die Erhebung und Verarbeitung der Daten ersucht hat. Die zuständigen nordrhein-westfälischen Behörden ergreifen im Falle der Meldung eines technischen Problems durch die GÜL die ihnen im jeweiligen Einzelfall nach Art der Störung und Person des Probanden erforderlich erscheinenden Maßnahmen.