LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6247 04.07.2014 Datum des Originals: 04.07.2014/Ausgegeben: 09.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2352 vom 30. Mai 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/6022 Umsetzung der EU-Zahlungsverzugsrichtlinie zur Begleichung von Rechnungen – Wie verhält es sich bislang mit der Zahlungsmoral des Landes Nordrhein-Westfalen? Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 2352 mit Schreiben vom 4. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aktuellen Medienberichten zufolge, wie beispielsweise in der WAZ vom 14. April 2014, hat das Bundeskabinett gerade die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Zahlung von Handwerkerrechnungen auf den Weg gebracht, die im Herbst dieses Jahres vom Deutschen Bundestag beschlossen werden soll. Diese Richtlinie sieht vor, dass die öffentliche Hand Rechnungen in Zukunft innerhalb von 30 Tagen zu begleichen hat. Längere Fristen müssen zuvor von den Vertragspartnern schriftlich vereinbart werden, dürfen aber mehr als 60 Tage Verzug nicht überschreiten. Auswirkungen hat die Richtlinie auch auf Privatunternehmer: Sie müssen Rechnungen der Richtlinie zufolge binnen 60 Tagen begleichen, es sei denn, im Vertrag sind andere Fristen festgelegt. Unangemessene Zahlungsfristen dürfen dann jedoch nicht mehr in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) festgelegt werden. Aus Sicht von Handwerksbetrieben und Mittelständlern ist die EU-„Zahlungsverzugsrichtlinie“ zu begrüßen, beklagen sie sich doch seit vielen Jahren immer wieder über die schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Hand. Oftmals warten Unternehmen insbesondere mehrere Monate darauf, dass Kommunen ihre Rechnungen begleichen. Dies kann gerade für kleinere Betriebe schnell zu Liquiditätsengpässen führen oder zur Existenzbedrohung werden. Die Außenstände von Kommunen, Ländern und Einrichtungen des Bundes summieren sich laut aktuellem Bericht des Handwerksblatts auf inzwischen fast 80 Milliarden Euro. DIE WELT titelt am 15. Oktober 2013 „Die Zahlungsmoral geht mehr und mehr baden“ und beschreibt, dass dem Mittelstand im vergangenen Jahr etwa 33 Milliarden Euro durch nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6247 2 eingetriebene Rechnungen oder Firmenpleiten verloren gegangen sind. Pro Jahr würden mittelständische Firmen Einnahmen von etwa 15 Milliarden Euro durch nicht eingetriebene Rechnungen verschenken, weitere 18 Milliarden müssen durch Firmenpleiten als Totalausfall verbucht werden. Es wird angenommen, dass insbesondere kleine oder mittelständische Unternehmen aufgrund von Ressourcenknappheit und einem oft fehlenden professionellen Forderungsmanagements auf ihre Ansprüche verzichten müssen. Ein großes Problem für den Mittelstand stellt dabei aber auch weiterhin die mangelnde Zahlungsmoral der Städte und Gemeinden dar. In einer Untersuchung des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) gaben 99 Prozent der Unternehmen an, dass sich diese nicht verbessert habe. Nach Angaben des BDIU-Präsidenten leiden darunter "nicht zuletzt das Handwerk und die lokale Wirtschaft vor Ort". Auch regional äußern sich betroffene Branchen immer wieder besorgt. So wird in der WAZ vom 14. April 2014 der Präsident des Westdeutschen Handwerkskammertages, zitiert: „´Vier Monate auf das Geld warten, das ist vor allem in Großstädten keine Seltenheit.` Kommunen und andere öffentliche Auftraggeber lassen sich bisweilen viel Zeit, bis sie in ihre Geldbörse greifen, kritisiert der Dachdeckermeister aus Arnsberg. Diese Klagen gebe es überall.“ Und der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Essen, fordert neben seiner Kritik an der Zahlungsmoral die öffentliche Hand ebenfalls noch auf, bei der Auftragsvergabe an die ansässigen Handwerker zu denken: „Es wird die Aufgabe der Kreishandwerkerschaft sein, in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass Kontinuität in der Auftragsvergabe dafür sorgt, dass Arbeits- und Ausbildungsplätze in unserer Stadt gesichert werden und Betriebe sich am Markt halten können, um Wettbewerbssituationen weiterhin zu ermöglichen.“ Die aufgezeigte Problematik des Zahlungsverzugs ist also auch in unterschiedlichen Landesteilen NordrheinWestfalens von großer Bedeutung für die betroffenen Unternehmen vor Ort. Insofern muss die Umsetzung der EU-Zahlungsverzugsrichtlinie aufmerksam verfolgt werden und ist außerdem zu evaluieren, ob die Änderungen tatsächlich zu einer nennenswerten Verbesserung der Zahlungsmoral führen werden. Wenn Unternehmen ihre Ansprüche nicht durchsetzen, dürfte dies in der Regel oft daran liegen, dass sie auf weitere Folgeaufträge hoffen und die Geschäftsbeziehung daher nicht belasten wollen. Hieran werden die neuen Verzugsregeln wohl kaum etwas ändern können, steht zu befürchten. Fraglich ist, ob die öffentliche Hand in Nordrhein-Westfalen ihre zukünftige Rechnungsbegleichung den neuen Vorschriften vollumfänglich anpassen wird und welche Änderungen zum Status Quo sich daraus ergeben. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Problematik und der fortwährenden öffentlichen Kritik an der Zahlungsmoral der öffentlichen Hand ist es für das Landesparlament nun von großem Interesse zu erfahren, wie es sich bislang genau mit der Zahlungsmoral des Landes Nordrhein-Westfalen gegenüber Handwerk und Mittelstand verhält. Es wäre sicherlich nicht akzeptabel, wenn Land und nordrhein-westfälische Kommunen eigene Haushaltsprobleme und Liquiditätsanforderungen dadurch lösen würden, externe Dienstleister und Lieferanten bei berechtigten Zahlungsforderungen zu lange auf das ihnen zustehende Geld warten zu lassen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung erhebt grundsätzlich keine Daten über das Zahlungsverhalten auf Seiten der öffentlichen Hand, sei es auf Landesebene oder auf Ebene der kommunalen Gebietskörperschaften. Der hiermit verbundene zusätzliche Verwaltungsaufwand würde zu LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6247 3 erheblichen Mehrkosten bei der Abwicklung von Aufträgen der öffentlichen Hand führen, der in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Erkenntnisgewinn stünde. Dieser Mehraufwand läge nicht im Interesse einer sparsamen und effektiven Verwendung öffentlicher Mittel. Solche Aufzeichnungen sind auch deshalb nicht erforderlich, weil die Landesregierung grundsätzlich davon ausgeht, dass sich alle öffentlichen Stellen in Nordrhein-Westfalen rechts- und vertragstreu verhalten. 1. Welche Erkenntnisse und dienstliche Anweisungen liegen seitens der Landesregierung zur Problematik des Zahlungsverzugs auf Seiten der öffentlichen Hand, differenziert nach Gebietskörperschaften Land und nordrhein-westfälische Kommunen vor? (bitte differenzierte Darstellung des Sachverhalts nach den einzelnen Ressorts) Hinsichtlich der Erkenntnisse zum Zahlungsverzug wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Die Landesregierung hat keine diesbezüglichen dienstlichen Anweisungen erlassen. Die Rechnungsanweisungen erfolgen generell entsprechend den vereinbarten Zahlungszielen, gegebenenfalls unter Ausnutzung gesetzter Skontofristen. Im Rahmen der Feststellungserlasse zum jährlichen Haushaltsvollzug werden die Bewirtschafter auch angewiesen, alle bestehenden haushaltsrechtlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften zu beachten. Hier ist insbesondere auch auf den Runderlass des Finanzministeriums vom 22.05.2003 (I 1 – 0034 – 3.1) mit dem Betreff „Skontoabzug und pünktliche Begleichung fälliger Rechnungen“ hinzuweisen. 2. Wie viele Rechnungen externer Dritter sind seit dem Jahr 2010 bis heute einerseits erst mehr als 30 Tage nach Rechnungseingang durch das Land beglichen worden oder haben andererseits noch rechtliche Streitigkeiten über die Bezahlung ausgelöst? (bitte differenzierte Darstellung nach den einzelnen Ressorts) 3. Welches sind die Hauptgründe dafür dass Land und Kommunen in NordrheinWestfalen die von ihnen zu begleichenden Rechnungen externer Dritter jeweils zu spät bezahlen oder kürzen? (bitte differenzierte Darstellungen nach den einzelnen Ressorts) Zur Beantwortung dieser Fragen müssten hunderte von Behörden und Dienststellen des Landes und der Kommunen befragt und hunderttausende von Vorgängen ausgewertet werden. Das ist in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage vorgesehenen Zeit nicht möglich und wäre zudem mit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden (siehe insoweit auch die Vorbemerkung). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6247 4 4. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung im einzelnen zu dem Vorwurf privater Lieferanten und Dienstleistungserbringer vor, dass verspätete Rechnungsbegleichung seitens des Landes und seiner Kommunen als Instrument der Liquiditätssicherung und Reduktion der öffentlichen Kreditaufnahme gezielt genutzt wird? (bitte differenzierte Darstellung nach Fallkonstellationen in den einzelnen Ressorts und Kommunen) Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass eine verspätete Rechnungsbegleichung als Instrument der Liquiditätssicherung und/oder zur Reduktion der Kreditaufnahme durch die öffentliche Hand eingesetzt wird. 5. Welche politische Haltung nimmt die Landesregierung ein zum Phänomen der erst verspäteten Rechnungsbegleichung bei externen Dritten durch die öffentliche Hand sowie der aktuellen Initiative von EU und Bundesregierung, derlei Praktiken zukünftig zu unterbinden, mit den sich daraus für das Land ergebenden Änderungen? Der europäische Gesetzgeber strebt mit der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.02.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung) (ABl. L 48 vom 23. März 2011, S. 1) einen Wandel hin zu einer „Kultur der unverzüglichen Zahlung“ an. Insbesondere zum Schutz von kleineren und mittleren Unternehmen sollen auch öffentliche Auftraggeber als Schuldner von Entgeltforderungen durch die Folgen des Zahlungsverzugs abgeschreckt werden. Die Richtlinie sieht daher neben Regelungen zum Geschäftsverkehr zwischen privaten Unternehmen in Art. 4 eine Höchstgrenze von grundsätzlich 30 Tagen für vereinbarte Zahlungs-, Überprüfungs- und Abnahmefristen bei Geschäftsvorgängen vor, in denen der Schuldner eine „öffentliche Stelle“ ist. Zur Umsetzung der Richtlinie hat die Bundesregierung am 11. April 2014 den Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vorgelegt. Es handelt sich um ein eilbedürftiges Gesetzesvorhaben, da die Umsetzung in das nationale Recht ungeachtet der vorgeschriebenen Umsetzungsfrist bis zum 16. März 2013 in der vergangenen Legislaturperiode nicht erfolgt ist. Die Landesregierung befürwortet die inhaltliche Ausgestaltung der zur Umsetzung der europarechtlich bindenden Vorgaben beabsichtigten Neuregelungen zum Geschäftsverkehr zwischen privaten Unternehmen und öffentlichen Vertragspartnern. Entsprechend hat sie im Bundesratsverfahren gegen den Gesetzentwurf insoweit auch keine Einwendungen erhoben. Die Landesregierung begrüßt die Richtlinie auch deshalb, weil sie darin eine Bestätigung der eigenen, seit Jahrzehnten geübten Praxis bei der Abwicklung von Aufträgen an private Dritte sieht (vgl. auch Antwort zu 1.).