LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6250 04.07.2014 Datum des Originals: 04.07.2014/Ausgegeben: 09.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2357 vom 30. Mai 2014 der Abgeordneten Ursula Doppmeier CDU Drucksache 16/6031 Wie unterstützt die Landesregierung die Schulen in Nordrhein-Westfalen bei der Umsetzung der Inklusion? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2357 mit Schreiben vom 4. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 1. August 2014 soll das Erste Gesetz zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention in den Schulen in Kraft treten. Die Umsetzung des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht-behinderten Kindern ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Sie muss gelingen. Dafür muss die bestmögliche Qualität der Bildung und der Versorgung der Kinder gewährleistet werden. Bei der Finanzierung des Vorhabens ist somit vor allem die Sicherstellung der Qualität eine entscheidende Komponente. In der Expertenanhörung im Landtag NRW richtete sich die Kritik diesbezüglich vor allem gegen die mangelnde Festlegung und Ausformulierung von Qualitätsstandards. Die Experten monierten vor allem das Fehlen klarer und verlässlicher Vorgaben für eine ausreichende Versorgung mit Lehrerinnen und Lehrern sowie deren angemessene Vorbereitung. Für eine erfolgreiche Inklusion ist es zudem eine Neuorientierung in der sonderpädagogischen Förderung notwendig, die die gegenwärtige integrative Phase als Übergangsphase zu einem inklusiven Bildungssystem betrachtet. Der Anschub soll u.a. durch sogenannte Schwerpunktschulen erleichtert werden. Schwerpunktschulen sind Schulen, die insbesondere den personellen und kostenintensiven sächlichen Anforderungen gerecht werden sollen, die für eine qualitativ hochwertige Wahrnehmung des schulischen Bildungsauftrags in allgemeinen Schulen bei Schülerinnen und Schülern mit komplexen (sonderpädagogischen) Unterstützungsbedarfen notwendig sind. Die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und Emotionale und soziale Entwicklung, die mittel- und langfristig an jeder allgemeinen Schule einge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6250 2 richtet werden sollen, gehören auch zu jeder Schwerpunktschule. Sie bedürfen in der Regel keiner besonderen sächlichen Vorkehrungen. Die Eigenschaft einer Schwerpunktschule erwirbt eine allgemeine Schule erst dadurch, dass sie darüber hinaus mindestens einen weiteren Förderschwerpunkt anbietet. Im 9. Schulrechtsänderungsgesetz heißt es, dass Schwerpunktschulen in einer zumutbaren Entfernung von den betroffenen Kindern erreicht werden sollen. In §19 Absatz 5 des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes ist zudem von einer zielgleichen und zieldifferenten Förderung der Kinder mit Behinderung die Rede. Die Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, die zielgleich gefördert werden, werden in der Primarstufe im Bildungsgang der Grundschule, in der Sekundarstufe I im Bildungsgang der Hauptschule, der Realschule oder des Gymnasiums unterrichtet, sowie in den Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens (Gesamtschule, Sekundarschule). Es besteht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ein Anspruch auf den Besuch einer bestimmten von den Eltern gewünschten Schulform. Dies entspricht der Rechtslage bei Schülerinnen und Schülern allgemeiner Schulen ohne Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Zieldifferente Förderung erfolgt in den Förderschwerpunkten Lernen und Geistige Entwicklung . Grundsätzlich schlägt die Schulaufsichtsbehörde den Eltern mindestens eine bestimmte allgemeine Schule in zumutbarer Entfernung vor, die die erforderliche Unterstützung im Rahmen des Gemeinsamen Lernens anbieten kann. Nun ist aktuell den Medien zu entnehmen , dass in Krefeld ein Schüler mit einer Hörschädigung einer Schwerpunktschule zugewiesen wurde, obwohl er zur zielgleichen Beschulung auf einem nähergelegenen Gymnasium , das seinen Unterstützungsbedarf realisieren konnte, angemeldet und angenommen worden war. 1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bis heute unternommen, um Lehre- rinnen und Lehrer in NRW auf die Inklusion vorzubereiten? (Bitte nach Projekten / Fortbildungsart, Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Region aufschlüsseln ) Im Rahmen der Fortbildungsinitiative NRW 2012 bis 2015 wurde das Fortbildungsprogramm "Auf dem Weg zur inklusiven Schule" ins Leben gerufen. Ziel der Fortbildung ist es, Lehrkräften , die an einer Schule tätig sind, an der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogische Förderbedarfe lernen, die dafür erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln. Die Fortbildung findet vorrangig schulintern statt und wird von den Moderatorinnen und Moderatoren der Kompetenzteams durchgeführt. Sie richtet sich an Steuergruppen und Lehrkräfteteams in der Schule, die längerfristig, in der Regel zwei Jahre, begleitet werden. Die Fortbildungen beinhalten theoretische Bausteine, praktische Trainingseinheiten und Verfahren zur Reflexion und Evaluation. Abfolge und Umfang können an den Fortbildungsbedarf der Schule angepasst werden. Zur Umsetzung der Fortbildung wurden in Zusammenarbeit mit der Universität Köln insgesamt 300 Moderatorinnen und Moderatoren der 53 Kompetenzteams auf ihre Fortbildungsaufgabe vorbereitet. Das Fortbildungsprogramm wird landesweit angeboten. Derzeit ist eine Durchführung an Grundschulen und Hauptschulen möglich (RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 23. 9. 2013 – 412-6.08.01-103242). Eine Ausweitung auf alle anderen Schulformen ist beabsichtigt. Der dazu erforderliche Erlass befindet sich derzeit im Mitbestimmungsverfahren mit den Hauptpersonalräten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6250 3 Zudem können Schulen aller Schulformen bilaterale Verabredungen mit den geschulten Moderatorinnen und Moderatoren treffen, um ein individuelles, von dem Erlass abweichendes, Fortbildungsangebot machen zu können. Im Fortbildungsprogramm Inklusion wird nicht in Projekten gearbeitet, sondern vorwiegend schulintern mit dem ganzen Kollegium oder Teilen des Kollegiums. Im Schuljahr 2013 – 2014 fanden bisher 2.346 Fortbildungen mit 42.874 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Anzahl der Veranstaltungen im Fortbildungs-Programm Inklusion 01.08.2013 – 24.06.2014 Veranstaltungen Inklusion NRW-weit 2346 Bezirksregierung Arnsberg 410 Bezirksregierung Detmold 233 Bezirksregierung Düsseldorf 819 Bezirksregierung Köln 589 Bezirksregierung Münster 295 Anzahl der Teilnehmer/-innen im Fortbildungs-Programm Inklusion 01.08.2013 – 24.06.2014 Teilnehmerinnen / Teilnehmer Inklusion NRW-weit 42.874 Bezirksregierung Arnsberg 7849 Bezirksregierung Detmold 4984 Bezirksregierung Düsseldorf 15.038 Bezirksregierung Köln 9775 Bezirksregierung Münster 5228 2. Wie viele Sonderpädagogen werden den Regelschulen in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2014/2015 zur Verfügung stehen? (Bitte nach Kreisen und kreisfreien Städten sowie Schulform und Förderschwerpunkten aufschlüsseln) Die Zahl der im Schuljahr 2014/15 an den Regelschulen zur Verfügung stehenden Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung wird erst mit den Amtlichen Schuldaten 2014/15 erhoben . Diese stehen voraussichtlich Anfang 2015 zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6250 4 3. Wie viele Schwerpunktschulen werden in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2014/2015 zur Verfügung stehen? (Bitte für die einzelnen Kreise / kreisfreien Städte jeweils einzeln nach Schulstandort / Schulform und zusätzlichen Förderschwerpunkten aufschlüsseln) Schwerpunktschulen werden von den Schulträgern mit Zustimmung der Oberen Schulaufsichtsbehörde bestimmt (§ 20 Absatz 6 SchulG n.F.). Da das 9. Schulrechtsänderungsgesetz erst zum Schuljahr 2014/2015 in Kraft tritt, liegen der Landesregierung Daten hinsichtlich der Schwerpunktschulen derzeit noch nicht vor. Die Anzahl der Schwerpunktschulen wird jedoch künftig im Rahmen der mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz verbundenen Berichtspflicht erhoben. 4. Was entspricht aus Sicht der Landesregierung einer zumutbaren Entfernung zwischen Wohnort des Kindes und der empfohlenen Regel- bzw. Schwerpunktschule ? Die Schulaufsichtsbehörde hat die Aufgabe, bei ihrem Vorschlag einer allgemeinen Schule mit einem Angebot zum Gemeinsamen Lernen (§ 19 Absatz 5 Satz 3 SchulG n.F.) eine möglichst gut erreichbare Schule zu benennen (siehe die Begründung zu § 19 Absatz 5 SchulG im Gesetzentwurf der Landesregierung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention in den Schulen – LT-Drs. 16/2432). Es gibt keinen abstrakt-generellen Maßstab dafür, wann die Entfernung zwischen der Wohnung einer Schülerin oder eines Schülers und der empfohlenen allgemeinen Schule zumutbar ist. Bei ihrer Entscheidung darüber würdigt die Schulaufsichtsbehörde alle Gesichtspunkte des Einzelfalls. Die Zumutbarkeit hängt dabei von unterschiedlichen Faktoren ab: vom Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung eines Kindes oder Jugendlichen, vom Grad der Behinderung, von der Art der Beförderung zur Schule (öffentliche Verkehrsmittel oder Schülerspezialverkehr oder Privatfahrzeuge). Die inklusive Beschulung unterscheidet sich insoweit nicht vom Besuch einer Förderschule. So müssen Schülerinnen und Schüler mit Sinneschädigungen wegen der geringen Zahl der Förderschulen mit diesen Förderschwerpunkten derzeit häufig weite Wege zurücklegen, oder der Schulbesuch ist nur in Verbindung mit der Unterbringung in einem Internat denkbar. Durch den Ausbau der Inklusion wächst die Zahl der Schulen, die als Orte der sonderpädagogischen Förderung in Betracht kommen. Damit werden die Schulwege tendenziell kürzer. 5. Welche rechtliche Grundlage ermächtigt Schulbehörden, Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung, die in einem Bildungsgang zielgleich unterrichtet werden und deren Unterstützungsbedarf an der nächstgelegenen Schule der entsprechenden Schulform ohne nennenswerten finanziellen Mehraufwand realisiert werden kann, den Besuch dieser Schule zu verweigern? Der Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung ist individuell sehr unterschiedlich. Er umfasst eine sonderpädagogische Förderung durch Lehrkräfte und gegebenenfalls sächliche Voraussetzungen. Wenn diese mit vertretbarem Aufwand an einer Schule – also auch im erforderlichen Umfang einer sonderpädagogischen Förderung – realisiert werden können, dann schließt das Schulgesetz die Einzelintegration nicht aus. Das ist in jedem Einzelfall zu prüfen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6250 5 Hierbei kann nicht damit gerechnet werden, dass an allgemeinen Schulen, an denen Gemeinsames Lernen nicht eingerichtet worden ist, geeignete Lehrkräfte mit sonderpädagogischer Ausbildung zur Verfügung stehen. Sichergestellt werden soll auch, dass an der allgemeinen Schule die sächlichen Voraussetzungen der Inklusion erfüllt sind. Das betrifft vor allem die Schulgebäude und ihre Ausstattung, für deren Kosten die Schulträger verantwortlich sind. Ein Schulträger ist nicht in jedem Fall verpflichtet, an einer Schule ohne Gemeinsames Lernen diese Kosten zu tragen. Zum Schutz der Belange der Schulträger holt die Schulaufsichtsbehörde analog § 19 Absatz 5 Satz 3 SchulG n.F. auch dann die Zustimmung des Schulträgers zu ihrem Vorschlag einer allgemeinen Schule ein, wenn es um die Einzelintegration geht und die Schule kein Ort des Gemeinsamen Lernens ist.