LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6276 09.07.2014 Datum des Originals: 08.07.2014/Ausgegeben: 14.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2316 vom 15. Mai 2014 der Abgeordneten Christina Schulze Föcking und Marie-Luise Fasse CDU Drucksache 16/5890 Gülletourismus durch Neubau einer Biogasanlage in Hünxe Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2316 mit Schreiben vom 8. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Stimmen von SPD und Grünen fasste der Rat der Gemeinde Hünxe ein positives Votum zum Bau einer Biogasanlage, die unter anderem mit der Gülle von 350.000 Schweinen betrieben werden soll. Die Gülle wird dazu eigens von dem niederländischen Investor aus den Niederlanden eingeführt. Die Bürgerinnen und Bürger in NRW und Deutschland finanzieren diesen Gülletourismus über das EEG mit. Auf die unmittelbaren Anlieger der Anlage, wie auch an den Strecken dorthin, kommt ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu. Zudem ist mehr als zweifelhaft, dass unter Einberechnung des Transportaufwandes sich im Ergebnis ein positiver, klimaschonender und dem Sinn des EEG entsprechender Effekt einstellt. Entsprechend groß ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen diese Anlage. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6276 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesamtsumme der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 Prozent im Vergleich zu den Gesamtemissionen des Jahres 1990 zu verringern. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es u.a. nötig, den Anteil erneuerbarer Energieträger an der Energieversorgung deutlich zu erhöhen. Schon heute wird ein beachtlicher Anteil der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien durch die Bioenergie bereitgestellt. Zukünftig soll insbesondere die energetische Nutzung von biogenen Reststoffen und Abfällen einen Beitrag zur Energiewende leisten. Die Konzentration auf Reststoffe wie Kartoffelschalen, Backabfälle, Melasse und Wirtschaftsdünger trägt dazu bei, dass die Nutzungskonkurrenz auf landwirtschaftlichen Flächen nicht weiter erhöht wird. Zudem erzeugt die Verwendung von Gülle in einer Biogasanlage doppelt positive Klimaeffekte, da zum einen ansonsten ungenutzte Energiepotenziale abgeschöpft und zum anderen das andernfalls frei in die Atmosphäre ausgasende Methan aufgefangen und zu deutlich weniger klimaschädlichem Kohlendioxid umgewandelt wird. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur grundlegenden Reform des ErneuerbarenEnergien -Gesetzes (EEG) sieht weiterhin eine Förderung für Strom aus Anlagen vor, in denen Biogas eingesetzt wird, das durch anaerobe Vergärung von Biomasse im Sinne der Biomasseverordnung mit einem Anteil von getrennt erfassten Bioabfällen im Sinne der Bioabfallverordnung in dem jeweiligen Kalenderjahr von durchschnittlich mindestens 90 Masseprozent gewonnen worden ist. Wie bisher ist eine Vergütung dabei nicht an eine länderspezifische Abfallherkunft gebunden. Das EEG unterscheidet sowohl bei nachwachsenden Rohstoffen wie auch bei Rest- und Abfallstoffen nicht zwischen ausländischer oder inländischer Herkunft. 1. Wie bewertet die Landesregierung aus energiepolitischer Sicht das in Hünxe geplante Vorhaben? In der in Hünxe geplanten Anlage sollen, nach den bislang bekannt gewordenen Plänen der Investoren, nur Rest- und Abfallstoffe eingesetzt werden. Dies entspricht aus Sicht der Landesregierung den intelligenten Lösungsansätzen, Abfälle als Energielieferant zu nutzen. Insbesondere die von dem Investor geplante kombinierte Herstellung von Bioethanol und Biogas ist ein energetisch hoch effizientes Verfahren, womit große Mengen von Kohlendioxid eingespart und die Ausgasung von Methan vermieden werden können. Die vorgesehene Technologie ermöglicht es, die agrarischen Rest- und Abfallstoffe so zu verarbeiten, dass sich ein geschlossener Kreislauf mit zahlreichen Synergien ergibt. Sie wird daher von der Landesregierung als grundsätzlich positiv bewertet. Die benötigte Prozessenergie für die Ethanolgewinnung und für die Beheizung der Biogasanlage stammt aus Kraft-WärmeKopplung und ist aus energiepolitischer Sicht ebenfalls positiv zu bewerten. Ebenso lässt die Einspeisung des erzeugten Biogases in das Erdgasnetz eine hohe Energieeffizienz erwarten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6276 3 2. Inwieweit kann sich die geplante Anlage nach Durchführung einer entsprechenden Energiebilanz überhaupt noch rechnen? Die Biogasanlage in Hünxe befindet sich zur Zeit noch im Status des Planverfahrens, das offizielle Genehmigungsverfahren wurde noch nicht begonnen. Es gibt daher noch keine offiziellen Zahlen zu den Inputstoffen, die bei einer Energiebilanz berücksichtigt werden müssen. Die bisher bekannten Zahlen sind vorläufige Angaben des Investors. Konkrete Angaben wird es erst mit dem Genehmigungsantrag geben. Die Berechnung einer Energiebilanz greift zusätzlich weit über die eingesetzten Stoffe hinaus. Für eine Bilanzierung ist neben dem Aufwand für die Herstellung der Anlage auch der Energieaufwand für die Rohstoffgewinnung, den Transport, die Montage, die Wartung über die Lebenszeit (i.d.R. 20 Jahre), den Rückbau und die Entsorgung der Materialien zu berücksichtigen. Darüber hinaus spielen Details der angewendeten Technik eine Rolle. Liegt das besondere Augenmerk auf der Einberechnung des Transportaufwandes, müssten zudem alle Transportstrecken sowie Transportmittel bekannt sein. Eine abschließende Bilanzierung ist demnach zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Im Durchschnitt liegen die maximal mittels Biotechnologie erreichbaren Erntefaktoren zwischen 5-7. Das heißt, dass 5-7 mal mehr erneuerbare Energie produziert, als an fossiler Energie aufgewendet wird. Da, wie oben dargestellt, der Transport nur zu einem Teil in die Energiebilanz einwirkt und besonders der Transport mit dem Schiff den geringsten spezifischen Energieverbrauch pro Tonne aufweist, ist davon auszugehen, dass die geplante Anlage innerhalb des Durchschnitts liegt. Hierfür spricht auch die in der Antwort zu Frage 1 dargestellte energetische Gesamtkonzeption, insbesondere die Kombination aus einer Bioethanol- sowie einer Biogasanlage, die eine hohe energetische Ausbeute der Einsatzstoffe erwarten lässt. 3. Inwieweit befürchtet die Landesregierung eine von der Anlage ausgehende Signalwirkung für Gülleexporteure, noch mehr Gülle nach Nordrhein-Westfalen auszuführen? Die Wahrscheinlichkeit des Exports niederländischer Gülle nach Nordrhein-Westfalen wird durch verschiedene rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen bestimmt, die sich allesamt durch den möglichen Bau der Anlage in Hünxe nicht verändern. Für die Möglichkeit des Gülletransports nach NRW (ob über Landesgrenzen oder nicht) ist i.d.R. die Verfügbarkeit und Entfernung von Ausbringungsflächen für die anfallenden Nährstoffe entscheidend. Hierbei ist es unerheblich, ob die Gülle zuvor in einer Biogasanlage vergoren wird oder ohne weitere Behandlungsschritte als Wirtschaftsdünger aufgebracht wird. Eine Signalwirkung durch den Bau der Anlage ist demnach nicht erkennbar. 4. Inwieweit wird die zum Betrieb der Anlage erforderliche Gülle erfasst, so dass eine ordnungsgemäße Verwendung inklusive einer ordnungsgemäßen Verbringung der verbleibenden Reststoffe gewährleistet ist? Über den mit den Niederlanden vereinbarten Zugang zu dem niederländischen Digitalen Dossier, das sämtliche Exportdaten für Gülletransporte von den Niederlanden nach NRW erfasst, können die Daten der Importmengen kontrolliert werden. Nach der 2012 in Kraft getretenen „Wirtschaftsdünger-Nachweisverordnung NRW“ müssen sowohl die nach NRW importierte Gülle sowie alle Gärreste, die in Verkehr gebracht werden, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6276 4 und alle aufnehmenden Betriebe jährlich an die für den Vollzug der Düngeverordnung zuständige Behörde gemeldet werden. Somit kann der Verbleib aller anfallenden Gärreste bis zur endgültigen Verwertung nachvollzogen und die ordnungsgemäße Aufbringung im aufnehmenden Betrieb kontrolliert werden. Auch der vom Investor in Aussicht gestellte Export der aufbereiteten Gärreste nach Spanien kann auf diese Weise nachvollzogen und überwacht werden. 5. Von welchen ähnlichen Vorhaben wie dem in Hünxe hat die Landesregierung Kenntnis? Nach einer aktuellen Abfrage der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden sind der Landesregierung ähnliche Vorhaben in einem Genehmigungsverfahren nicht bekannt. Die Landesregierung hat Kenntnis über ein Vorhaben zur Errichtung einer modernen Biogasanlage in Velen, die hauptsächlich auf Güllebasis operieren sollte. Dieses Vorhaben befindet sich nicht im Stadium des Genehmigungsverfahrens und wird dem Vernehmen nach im Hinblick auf die sich abzeichnende Novellierung des EEG ggf. nicht weiter verfolgt werden.