LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6287 09.07.2014 Datum des Originals: 09.07.2014/Ausgegeben: 14.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2353 vom 2. Juni 2014 der Abgeordneten Henning Höne, Dr. Robert Orth und Dirk Wedel FDP Drucksache 16/6025 Neue Bürokratie durch Wiedereinführung des Widerspruchverfahrens in den Bereichen der Lebensmittelüberwachung, des Veterinärwesens und des Tierschutzes – Wie bürgerfreundlich sind die von der Landesregierung angestrebten Regelungen wirklich? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2353 mit Schreiben vom 9. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Justizminister und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Kennzeichen für eine moderne, auf die wesentlichen Bedürfnisse des Landes und seiner Bewohner ausgerichtete und leistungsfähige Verwaltung ist vor allem auch, dass Entscheidungsprozesse schnell und effizient ohne unnötige Verfahrensschritte beendet werden können und dass die Aufgabenerledigung aller Behörden auf das Wesentliche konzentriert wird. In der ständigen Verwaltungspraxis der vergangenen Jahre hat sich gezeigt, dass das vom Bundesgesetzgeber vorgesehene Widerspruchsverfahren seiner Befriedungs- und Selbstkontrollfunktion oftmals nicht nachgekommen und damit zu einer formalen zeit- und kostenintensiven Durchlaufstation vor dem Klageverfahren geworden ist. Auch die grundsätzliche Zuständigkeit der nächsthöheren Behörde zur Entscheidung über den Widerspruch (Devolutiveffekt) hat sich in vielen Fällen als zu verfahrenslastig herausgestellt. In Nordrhein-Westfalen hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung im Jahr 2007 mit den Bürokratieabbaugesetzen I und II Abhilfe von diesen unbefriedigenden Zuständen geschaffen, das Widerspruchverfahren in den meisten Fällen ausgesetzt und das Verwaltungsverfahren bürgerfreundlich vereinfacht. Vielfach konnte die qualitative Verbesserung in der behördlichen Praxis bei Erlass der Verwaltungsentscheidung erreicht werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6287 2 Die Aussetzung des Widerspruchverfahrens hat sich nach Ansicht von Bürgern, Kommunen, der Justiz, der Rechtsanwaltschaft aber auch der Landesregierung im Wesentlichen bewährt, gleichwohl betreibt Rot-Grün nach Berücksichtigung der Stellungnahmen der Behörden und Einrichtungen des Landes, der kommunalen Spitzenverbände und der Verwaltungsgerichtsbarkeit deren Rückabwicklung. Der Gesetzentwurf der rot-grünen Landesregierung zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften (16/1815) sieht die unbefristete Wiedereinführung des Widerspruchverfahrens unter anderem für die Bereiche der Lebensmittelüberwachung, des Verbraucherschutzes, des Veterinärwesens und des Tierschutzes zum 1. Januar 2015 vor. Konkret sind gem. Art. 2 Nr. 1 b) aa) bbb) Ziffer 13 der Vollzug des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs, Verbraucherinformationsgesetzes, des Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen, des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes sowie des Tierschutzgesetzes betroffen. Gleichzeitig soll der Widerspruch in diesen Fällen mit einem Devolutiveffekt versehen und das LANUV zur zuständigen Widerspruchsbehörde bestimmt werden, obwohl es personell ohne Stellenaufstockung nicht in der Lage ist, diese Aufgaben sachgerecht wahrzunehmen. Nach Schätzung der Landesregierung müssen allein beim LANUV sieben neue Stellen geschaffen werden. Die Wiedereinführung des Widerspruchverfahrens führt für Bürger zu längeren und aufwändigeren Verwaltungsverfahren. Nach Ansicht der Landesregierung sei es in den Bereichen der Lebensmittelüberwachung, des Verbraucherschutzes, des Veterinärwesens und des Tierschutzes jedoch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und daher sinnvoll. Ferner wird behauptet, die Kreisordnungsbehörden würden das Vorverfahren als hilfreiches Instrument für eine gütliche außergerichtliche Verfahrensweise betrachten, das in beiderseitigem Interesse dazu diene, offenbare Unstimmigkeiten und Streitpunkte außerhalb eines zeit- und kostenintensiven Gerichtsverfahrens zu klären. 1. Welche Erfahrungsberichte bzw. Stellungnahmen zu den in Art. 2 Nr. 1b) des Gesetzentwurfs genannten Rechtsmaterien liegen der Landesregierung vor (Bitte jeweils im vollständigen Wortlaut wiedergeben)? Von der Landesregierung wurden bereits in einem frühen Stadium der Vorbereitung eines Referentenentwurfes Äußerungen und Stellungnahmen über die Erfahrungen mit der Suspendierung des Vorverfahrens von den Ressorts, den Behörden und Einrichtungen des Landes sowie aus dem kommunalen Bereich (über die kommunalen Spitzenverbände) und aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeholt. In die Analyse der Auswirkungen der Aussetzung des Vorverfahrens wurden sämtliche Verwaltungsbereiche und die Justiz einbezogen. Die weiteren vorbereitenden Arbeiten gründeten auf einer intensiven Auswertung aller Stellungnahmen und einer Abstimmung zwischen den Fachressorts. Der sodann auf dieser vorbereitenden Grundlage erarbeitete Gesetzentwurf wurde am 9. April 2014 in die Verbändeanhörung gegeben. Zu Artikel 2 Nr. 1 des Gesetzentwurfes (Änderung des JustG) haben im Rahmen der Verbändeanhörung folgende Verbände bzw. Vereinigungen und Behörden Stellung genommen:  Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter NRW  Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk Nordrhein-Westfalen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6287 3  Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen  Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen  Städtetag NRW  Landkreistag NRW  Landschaftsverband Rheinland  Bezirksregierung Arnsberg  Bezirksregierung Düsseldorf  Bezirksregierung Münster Die Landesregierung hat am 17. Juni 2014 über die Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag beschlossen. Die erste Lesung des Gesetzentwurfes ist für die Plenarsitzung vom 2. bis 4. Juli 2014 vorgesehen. Mit der Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag entscheidet nunmehr das Parlament über das weitere Gesetzgebungsverfahren. Dem Parlament ist es daher freigestellt, eine entsprechende Sachverständigenanhörung durchzuführen. Von der wörtlichen Veröffentlichung von Stellungnahmen aus der Verbändeanhörung, die vor Einbringung des Gesetzentwurfs in den Landtag von der Landesregierung durchgeführt wurde, sieht die Landesregierung ab, da es sich um Stellungnahmen in einem regierungsinternen Verfahren handelt, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Die Information der Abgeordneten über die Auffassung der Verbände erfolgt in einem gesonderten Verfahren nach § 58 der Geschäftsordnung des Landtages NRW. 2. Aufgrund welcher Tatsachen ist die Landesregierung zu der Ansicht gelangt, die Kreisordnungsbehörden würden das Vorverfahren in den in Art. 2 Nr. 1b) aa) bbb) Ziffer 13 des Gesetzentwurfs genannten Rechtsmaterien als hilfreiches Instrument für eine gütliche außergerichtliche Verfahrensweise betrachten? Im Gegensatz zur Einschätzung der Fragensteller hat das Bürokratieabbaugesetz der damaligen schwarz-gelben Landesregierung mit der Aussetzung des Widerspruchsverfahrens nur zum Teil zu einem Abbau von Bürokratie und unnötigen Verfahrensschritten geführt; vielmehr wurde den Bürgerinnen und Bürgern in einigen Bereichen ein einfaches und preiswertes Instrument zur Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen und damit eine Rechtsmittelinstanz genommen. Im Rahmen der Verbändeanhörung zum Gesetzentwurf hat der Städtetag eine entsprechende Einschätzung abgegeben. Diese Einschätzung entspricht auch den Erfahrungen, die vor der Aussetzung mit dem Vorverfahren in Bereichen der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gesammelt wurden. Städtetag und Landkreistag hatten vor der Aussetzung im Rahmen der Anhörung des Ausschusses für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform des Landtags NRW am 21. August 2007 bereits eine vergleichbare Einschätzung abgegeben. Da der Landkreistag aktuell mit Stellungnahme vom 28. Mai 2014 für den Kreis seiner Mitglieder dieser Einschätzung ausdrücklich widersprochen hat, wurde die Begründung zum Gesetzentwurf in der aktuellen Entwurfsfortschreibung entsprechend geändert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6287 4 3. Inwiefern sieht die Landesregierung für die Verwaltungspraxis der Kommunen in den in Art. 2 Nr. 1 b) aa) bbb) Ziffer 13 des Gesetzentwurfs genannten Rechtsmaterien konkreten Verbesserungsbedarf, der durch die Wiedereinführung des Vorverfahrens erfüllt wird? Die Wiedereinführung des Vorverfahrens in den Bereichen gesundheitlicher Verbraucherschutz, Verbraucherinformation, Tiergesundheit, Tierische Nebenprodukte und Tierschutz soll dort eine landeseinheitlich strukturierte Selbstkontrolle der Verwaltung ermöglichen und für Bürge-rinnen und Bürger die Möglichkeit schaffen, gegen Verwaltungshandeln außergerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Insgesamt wird der Ausgangsbehörde damit eine unkomplizierte Möglichkeit eröffnet, zunächst nicht erkannte Fehler zu bereinigen. Für die Aufsichtsbehörde bietet das Widerspruchsverfahren eine Erkenntnisquelle über die Aufgabenerfüllung der nachgeordneten Behörden. 4. Auf welcher Grundlage wurde von der Landesregierung ein Bedarf von 7 weiteren Stellen beim LANUV prognostiziert? Das LANUV hatte nach seiner Gründung im Jahre 2007 nur noch Widerspruchsverfahren für Verwaltungsakte in den genannten Rechtsmaterien durchzuführen, die bis zum 1. November 2007 bekanntgegeben waren. Danach wurde das Widerspruchsverfahren ausgesetzt. Insofern wurde der Personalbedarf für die Durchführung der Widerspruchsverfahren geschätzt. Schätzgrundlage waren die Personalressourcen, die vor Gründung des LANUV bei den fünf Bezirksregierungen für diese Aufgabe zur Verfügung standen. Laut Kabinettbeschluss vom 24. Juni 2014 wird mit dem Haushaltsentwurf 2015 insoweit eine zusätzliche Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 zur Verfügung gestellt. Ein etwaiger darüber hinausgehender Personalbedarf wird aus dem vorhandenen Personalbestand gedeckt. 5. Mit welchen durchschnittlichen Verfahrensverlängerungen rechnet die Landesregierung durch die Wiedereinführung des Vorverfahrens mit der Widerspruchsstelle LANUV für die in Art. 2 Nr. 1 b) aa) bbb) Ziffer 13 des Gesetzentwurfs genannten Rechtsmaterien? Voraussichtlich wird sich in den genannten Rechtsmaterien die Durchführung von Widerspruchsverfahren für Verwaltungsakte im Rahmen der Durchschnittswerte für die Dauer von Widerspruchsverfahren vor dessen Aussetzung bewegen. Gerade mit Blick auf die längere Dauer von Streitverfahren vor Verwaltungsgerichten erhofft sich die Landesregierung von der Wiedereinführung des Widerspruchsverfahrens in den genannten Bereichen eine Verbesserung für die Betroffenen und die Ausgangsbehörden. Nach Ansicht der Landesregierung wird dies zu einer bürgerfreundlicheren und kostengünstigeren Klärung von Streitfällen führen.