LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/634 20.08.2012 Datum des Originals: 17.08.2012/Ausgegeben: 23.08.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 295 vom 26. Juli 2012 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/455 Welche Auswirkungen hat die Anwendung einheitlicher fiktiver Hebesätze im Gemeindefinanzierungsgesetz auf die Finanzzuweisungen an die Kommunen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 295 mit Schreiben vom 17. August 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im System des kommunalen Finanzausgleichs für das Land Nordrhein-Westfalen sind die landesseitigen Mittelzuweisungen an die Städte und Gemeinden maßgeblich von ihrer jeweiligen Steuereinnahmekraft abhängig. Bezüglich der sogenannten Realsteuern (Grundsteuern A + B, Gewerbesteuer) wird die Steuereinnahmekraft der einzelnen Städte und Gemeinden nicht anhand des tatsächlichen Aufkommens, sondern auf der Basis einheitlicher fiktiver Hebesätze nach der folgenden Formel ermittelt: tatsächliches Realsteueraufkommen x fiktiver Hebesatz tatsächlicher Hebesatz Sowohl im Gemeindefinanzierungsgesetz 2011 als auch im Entwurf für das Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 (Drs. 15/3402), welches in der vergangenen Legislaturperiode zwar der Diskontinuität zum Opfer fiel, nach jüngsten Verlautbarungen jedoch weitgehend unverändert erneut in den Landtag eingebracht werden soll, wurden folgende fiktive Hebesätze veranschlagt : Grundsteuer A 209 Grundsteuer B 413 Gewerbesteuer 411 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/634 2 Die tatsächlichen Realsteuerhebesätze der NRW-Kommunen weichen zum Teil erheblich von diesen Werten ab. So lag der niedrigste Wert für die Grundsteuer A im Jahr 2011 bei lediglich 150 wohingegen der Maximalwert 402 betrug. Bei der Grundsteuer B belief sich der niedrigste Wert auf 265 und der höchste Wert auf 590. Bei der Gewerbesteuer streuten die tatsächlichen Hebesätze zwischen 310 und 515. Die Verwendung einheitlicher fiktiver Hebesätze hat vor diesem Hintergrund zufolge, dass Kommunen mit Hebesätzen unterhalb der vorgegebenen Einheitswerte künstlich „reich“ gerechnet werden. Im System des kommunalen Finanzausgleichs bekommen sie dadurch geringere Zuweisungen als ihnen unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Steuereinnahmekraft zustehen würden. Kommunen, deren tatsächliche Hebesätze über den vorgegebenen Einheitswerten liegen, werden hingegen künstlich „arm“ gerechnet. Diese Kommunen erhalten im System des kommunalen Finanzausgleichs höhere Zuweisungen als ihnen unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Steuereinnahmekraft zustehen würden. Zwar ist die Verwendung fiktiver Hebesätze rein rechtlich nicht zu beanstanden (siehe z.B. VerfGH NRW 9/92, 22/92). Gleichwohl ergeben sich durch die Tatsache, dass bestimmte Städte z.B. aufgrund ihres infrastrukturellen Angebots, ihrer verkehrsgünstigen Lage und anderer Faktoren regelmäßig höhere Realsteuerhebesätze rechtfertigen und durchsetzen können als andere Kommunen, erhebliche Ungerechtigkeiten innerhalb des kommunalen Finanzausgleichssystems. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere einnahmestarke Großstädte mit hohen tatsächlichen Realsteuerhebesätzen durch die künstliche Verringerung ihrer Steuereinnahmekraft erheblich zu Lasten von Kommunen profitieren, die aufgrund ihrer örtlichen Gegebenheiten wesentlich geringere Handlungsfreiräume bei der Festlegung ihrer Hebesätze haben (z.B. kleine und mittlere Kommunen an den Landesgrenzen, die sich i.d.R. mit deutlich niedrigeren Realsteuerhebesätzen ihrer Nachbargemeinden konfrontiert sehen). Dies gilt es zu quantifizieren. Zu den Eckwerten für das GFG 2012 wurde seitens des Ministeriums für Inneres und Kommunales eine Modellrechnung angefertigt (Modellrechnung vom 21.10.2011), auf deren Basis bis zur Verkündung des endgültigen GFG 2012 Abschlagzahlungen an die Kommunen nach den folgenden Maßgaben geleistet werden: „Nach § 33 GFG 2011 gilt das GFG 2011 bis zur Verkündung eines neuen GFG weiter. Gemäß § 28 Abs. 7 GFG 2011 werden demnach Abschlagszahlungen für Schlüsselzuweisungen , für Investitionspauschalen, für die Schulpauschale/Bildungspauschale und für die Sportpauschale auf der Basis aktueller Proberechnungen des Landesbetriebs Information und Technik NRW, hier der ersten Modellrechnung vom 21.10.2011 zu den im GFG 2011 genannten Terminen geleistet. Die Modellrechnung basiert auf den von der Landesregierung am 15.8.2011 beschlossenen Eckpunkten zum GFG 2012“ (http://www.mik.nrw.de/themen-aufgaben/kommunales/kommunale-finanzen/kommunalerfinanzausgleich /gfg-2012.html; Hervorhebungen durch den VV). Für die sachliche Bewertung der Auswirkungen der Verwendung einheitlicher fiktiver Hebesätze im kommunalen Finanzausgleich wäre es hilfreich, zu wissen, wie sich die o.g. Modellrechnung verändert, wenn bei der Ermittlung der Steuereinnahmekraft der einzelnen Kommunen anstelle der fiktiven Hebesätze die jeweiligen tatsächlichen Realsteuerhebesätze der Kommunen im Referenzzeitraum zugrunde gelegt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/634 3 Vorbemerkung der Landesregierung Die Bewertung der Realsteuereinnahmen in der Steuerkraftmesszahl erfolgt in NordrheinWestfalen , wie in allen übrigen Bundesländern, anhand fiktiver Hebesätze. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen vom 06.07.1993 dient die Anknüpfung an fiktive Hebesätze der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung, weil sie den übergemeindlichen Finanzausgleich von der Willensentscheidung der einzelnen Gemeinden zur Höhe der Hebesätze in ihrem Gebiet unabhängig macht. Bei einer Verwendung der Ist-Einnahmen könnte die einzelne Kommune im Rahmen ihrer Hebesatzentscheidung direkten Einfluss auf die Höhe der Schlüsselzuweisung nehmen. Zudem würde die Berücksichtigung des Ist-Aufkommens zu erheblichen Fehlanreizen führen . Die Kommunen könnten aufgrund des politischen Drucks versucht sein, die Hebesätze möglichst gering zu halten, um ihre Steuerzahler und Wähler zu entlasten und um einen möglichst hohen Anteil der Schlüsselzuweisungen zu erhalten. Diese Finanzlücke könnte jedoch durch die Schlüsselzuweisungen nicht vollständig ausgeglichen werden - insbesondere bei so zunehmender Zahl der Schlüsselzuweisungsempfänger. Die Finanzkraft der betroffenen Kommunen würde sich erheblich verschlechtern. 1. Welche Werte nimmt die o.g. Modellrechnung zum Gemeindefinanzierungsgesetz vom 21.10.2011 an, wenn bei der Ermittlung der Realsteuerkraft anstelle der einheitlichen fiktiven Hebesätze die tatsächlichen Realsteuerhebesätze der einzelnen Kommunen aus dem Referenzzeitraum zugrunde gelegt werden (bitte vollständige Modellrechnung in tabellarischer Form analog zur Modellrechnung vom 21.10.2011)? 2. Wie hoch ist die Differenz zwischen den Werten für die Schlüsselzuweisungen nach der Modellrechnung vom 21.10.2011 und den Werten für die Schlüsselzuweisungen nach der in Frage 1 erbetenen Modellrechnung in den einzelnen Kommunen (bitte separate Spalte in der unter 1. erbetenen Modellrechnung)? 3. Wie hoch ist die Differenz zwischen den Werten für die Gesamtzuweisungen (all- gemeine Zuweisungen) nach der Modellrechnung vom 21.12.2011 und den Werten für die Gesamtzuweisungen (allgemeine Zuweisungen) nach der in Frage 1 erbetenen Modellrechnung in den einzelnen Kommunen (bitte separate Spalte in der unter 1. erbetenen Modellrechnung)? Die gewünschten Informationen liegen der Landesregierung nicht vor, da die bestehende Modellrechnung vom 21.10.2011 auf den von der Landesregierung am 15.8.2011 beschlossenen Eckpunkten zum GFG 2012 basiert. Diese sehen die Ermittlung der Steuerkraftmesszahl anhand von fiktiven Hebesätzen vor. Derzeit befasst sich die Landesregierung mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2013. Daher stehen kurzfristig keine Kapazitäten zur Verfügung, alternative Modellrechnungen, die sich nicht an den Eckpunkten zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2012 orientieren, zu erstellen . Im Übrigen erscheint für eine sachliche Bewertung der Auswirkung fiktiver Hebesätze im kommunalen Finanzausgleich eine neue Modellrechnung nicht notwendig. Dieses Thema ist u a. in der Kommission zur Beratung der Empfehlungen des Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo) intensiv diskutiert worden (vgl. LT-Vorlage 15/21). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/634 4 Die Mitglieder der Kommission waren sich einig, dass das Prinzip der fiktiven Hebesätze grundsätzlich beizubehalten ist. 4. Wie hoch war das nach Steuerarten (Grundsteuer A, Grundsteuer B, Gewerbe- steuer, Gemeindeanteil an der Einkommensteuer, Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer ) differenzierte IST-Steueraufkommen der einzelnen NRW-Kommunen im Einnahmezeitraum 01.07.2011 bis 30.06.2012 (bitte Tabelle mit gemeindescharfer Abgrenzung)? 5. Wie hoch lagen die tatsächlichen Realsteuerhebesätze (Grundsteuer A, Grund- steuer B, Gewerbesteuer) der einzelnen NRW-Kommunen im Referenzzeitraum 01.07.2011 bis 30.06.2012 (bitte separate Spalten zu der unter 4. erbetenen Tabelle )? Das IST-Steueraufkommen, differenziert nach den für das Gemeindefinanzierungsgesetz relevanten Steuerarten, und die tatsächlichen Realsteuerhebesätze für die einzelnen Kommunen im Referenzzeitraum 01.07.2011 bis 30.06.2012 stehen dem Ministerium für Inneres und Kommunales derzeit noch nicht zur Verfügung. Zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2013 soll jedoch rechtzeitig eine Modellrechnung veröffentlicht werden.