LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6352 21.07.2014 Datum des Originals: 18.07.2014/Ausgegeben: 24.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2381 vom 16. Juni 2014 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/6078 Stromtrasse durch OWL – was sagt die Landesregierung zu möglichen Gesundheitsrisiken betroffener Bürgerinnen und Bürger? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2381 mit Schreiben vom 18. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, dem Minister für Inneres und Kommunales sowie der Ministerpräsidentin beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Stromtrasse durch OWL war bereits Gegenstand von Kleinen Anfragen des Fragestellers (vergleiche Drsnr. 16/4966 und 16/5171). Der Landrat des Kreises Höxter hatte jetzt Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Veranstaltung Gelegenheit gegeben, Sorgen zu möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit der angedachten Höchstspannungsleitung zu artikulieren. Der Vorsitzende der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden Strahlen, Herr Rüdiger Matthes vom Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter, wird in der Ausgabe des Westfalen Blatts vom 14.06.2014 wie folgt wiedergegeben: „Bisher gibt es auf der ganzen Welt nur ein paar GleichstromÜberlandleitungen , und deren gesundheitliche Auswirkungen hat noch niemand erforscht.“ Gleichstromkabel seien in Europa bislang lediglich als Seekabel verlegt worden. Offensichtlich gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen solcher Gleichstromleitungen. Diskutiert wird dabei das Aufrüsten von Überlandleitungen auf bis zu 380.000 Volt. Der Strom soll dann mit einer Stärke von 4.000 Ampere fließen. In Leitungsnähe erzeuge der Gleichstrom, so das Westfalen Blatt weiter, andere „elektrische und magnetische Felder als Wechselstrom“. Im gleichen Zeitungsbericht wird der Physiker Dr. Peter Neitzke (Hannover) wie folgt zitiert: „Die internationale Agentur für Krebsforschung stuft die Magnetfelder, die von den bisherigen Hochspannungsleitungen ausgehen, als möglicherweise krebserregend ein.“ Weiter heißt es: Es gehe um Kinder, die in der Nähe solcher Leitungen lebten und Leukämie bekommen hätten, obwohl die Magnetfelder „weit unter dem gesetzlichen Grenzwert lägen“. Darüber hinaus gebe es „deutliche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6352 2 wissenschaftliche Hinweise“, dass es in Magnetfeldern herkömmlicher Hochspannungsleitungen ein Risiko neurodegenerativer Krankheiten gebe (zum Beispiel Parkinson, Alzheimer). Beim Thema „Fracking“ hat die Landesregierung explizit dem Gesundheitsschutz absoluten Vorrang eingeräumt. Dieses haben auch die Fraktionen des Landtages durch den jüngsten Beschluss bekräftigt. Auch wenn die Themenbereiche so nicht vergleichbar sind, stellt sich aber die berechtigte Frage, ob und inwieweit sich die Landesregierung den Sorgen der betroffenen Bevölkerung vor Ort genauso annimmt. 1. Vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung über die Bezirksregierung in Detmold in das Verfahren zur Errichtung der Stromtrasse eingebunden ist: Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über etwaige gesundheitliche Auswirkungen bei Anwohnerinnen und Anwohnern von Hochspannungsleitungen beziehungsweise Gleichstrom-Überlandleitungen? Die Landesregierung orientiert sich bei der gesundheitlichen Bewertung an den Einschätzungen der Strahlenschutzkommission (SSK). Diese hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums sowohl Hochspannungs-Wechselstrom-Übertragungsleitungen (HWÜ) als auch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen bewertet 1, 2. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand werden bei Einhaltung der Grenzwerte der Sechsundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des BundesImmissionsschutzgesetzes (26. BImSchV) direkte gesundheitsschädigende Wirkungen durch elektrische und magnetische Felder vermieden. Dies gilt sowohl für HWÜ als auch für HGÜ. Es gibt aber noch offene Fragen zu Wirkungen unterhalb der Grenzwerte. Die SSK sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehlen deshalb im Sinne der Vorsorge unnötige Expositionen zu vermeiden bzw. zu minimieren. Deshalb hat sich die Landesregierung 2013 im Bundesratsverfahren für die Novellierung der 26. BImSchV für anspruchsvolle Vorsorgeregelungen eingesetzt. Die Forderungen fanden im Bundesrat leider keine Mehrheit. 2. Wird sich die Landesregierung zum Beispiel durch eine Bundesratsinitiative dafür einsetzen, vor dem Hintergrund der Sorgen der betroffenen Bevölkerung einen Rechtsrahmen zu schaffen, der eine Erdverkabelung zum Regelfall macht? Die Landesregierung hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach dafür eingesetzt, die Möglichkeiten der Erdverkabelung auf gesetzlicher Ebene zu erweitern. Zuletzt hat Nordrhein-Westfalen im Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des EEG eine entsprechende Initiative im Bundesrat unterstützt. Leider sind diesen Vorstößen die notwendigen Mehrheiten versagt geblieben. Für den Neubau und die wesentliche Änderung von Wechselstrom- und Gleichstromanlagen enthält die 26. BImSchV Anforderungen zur Vorsorge. Unter anderem sind bei der Errichtung und der wesentlichen Änderung von Wechselstrom- und Gleichstromanlagen die Möglichkeiten auszuschöpfen, die von der Anlage ausgehenden elektrischen, magnetischen 1 Schutz vor elektrischen und magnetischen Feldern der elektrischen Energieversorgung und – anwendung (SSK 2008) http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2008/Felder_Energieversorgung.pdf 2 Biologische Effekte der Emissionen von Hochspannungs- Gleichstromübertragungsleitungen (SSK 2013) http://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse_PDF/2013/HGUE.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6352 3 und elektromagnetischen Felder nach dem Stand der Technik zu minimieren. Zur Konkretisierung dieser Minimierungspflicht erarbeitet das Bundesumweltministerium derzeit eine Verwaltungsvorschrift. Aufgrund der derzeitigen Bewertungsunsicherheiten wird sich die Landesregierung auch im anstehenden Bundesratsverfahren für die Verwaltungsvorschrift nachdrücklich für anspruchsvolle Minimierungsziele und Minderungsmaßnahmen einsetzen. 3. Vor dem Hintergrund, dass zum Gelingen der Energiewende Stromtrassen unerlässlich sind: Welche Maßnahmen leitet die Landesregierung konkret ein, um wissenschaftlich fundiert, möglichst schon frühzeitig auch aus Präventionsgesichtspunkten, etwaige gesundheitliche Auswirkungen von Stromtrassen zu untersuchen beziehungsweise zu begleiten? Die Landesregierung führt selbst keine eigenen Untersuchungsprojekte zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Stromtrassen auf den Menschen durch. Sie verfolgt jedoch kontinuierlich Ergebnisse aus der Wissenschaft sowie die Bewertungen einschlägiger Institutionen (z. B. SSK, International Commission on non-ionizing radiation protection (ICNIRP), Weltgesundheitsorganisation (WHO)). 4. Welche konkreten Einflussmöglichkeiten hat die Landesregierung bei den konkreten Vorhaben des Baus der Stromtrasse? Die Realisierung des Vorhabens erfolgt genehmigungsrechtlich in zwei Schritten. Zunächst wird im Rahmen der sog. Bundesfachplanung auf Vorschlag des Übertragungsnetzbetreibers vorwiegend unter raumordnerischen Gesichtspunkten der optimale Trassenkorridor ermittelt. Anschließend erfolgt die Festlegung der genauen Linienführung im Rahmen des abschließenden Planfeststellungsverfahrens. Für beide Verfahren ist im Falle der Leitung „Sued.Link“ als länderübergreifendes Vorhaben die Bundesnetzagentur zuständig. Die Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen sind als Träger öffentlicher Belange an diesen Verfahren beteiligt und können auf diesem Wege Landesinteressen in die Verfahren einbringen. 5. Welche Ergebnisse aus dem vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen am 25. Januar 2012 durchgeführten Fachgespräches fließen konkret in die Planungen zu einer Stromtrasse durch OWL ein? Die Landesregierung hat die Ergebnisse des Fachgespräches 2013 bei den Bundesratsberatungen zur Novellierung der 26. BImSchV eingebracht. Die Ergebnisse des Fachgesprächs werden auch in den Beratungen zur geplanten Verwaltungsvorschrift berücksichtigt werden.