LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6369 22.07.2014 Datum des Originals: 21.07.2014/Ausgegeben: 25.07.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2398 vom 20. Juni 2014 der Abgeordneten Ralf Witzel, Kai Abruszat und Dr. Ingo Wolf FDP Drucksache 16/6136 Finanzielle Probleme durch drohende Gewerbesteuerrückzahlung der Stadt Alsdorf – Welche Lösungsansätze sieht die Landesregierung zur Vermeidung unverschuldeter Problemlagen einer Kommune? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2398 mit Schreiben vom 21. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Stadt Alsdorf ist ein in der Städteregion Aachen gelegenes Mittelzentrum, das in den vergangenen Jahren mit erheblichen Haushaltsproblemen konfrontiert war. Erst in der jüngeren Vergangenheit ist es der Kommune gelungen, mit vereinten Kräften und unter großen Anstrengungen eine Perspektive zu entwickeln, um die Finanzlage zu stabilisieren. Medienberichten zufolge drohen der Stadt Alsdorf nun für die Jahre 2003 bis 2006 Gewerbesteuerrückzahlungen an ein örtliches Unternehmen in Höhe von 17,7 Millionen Euro (inklusive 5,4 Millionen Euro Zinsen). Darüber hinaus wurde kürzlich bekannt, dass in einem weiteren Fall für den Zeitraum 2007 bis 2009 ebenfalls Gewerbesteuerrückzahlungen in Millionenhöhe anfallen könnten. Die Gewerbesteuerbescheide der Kommunen basieren auf Steuermessbeträgen, die ihnen von den zuständigen Finanzämtern mitgeteilt werden. Zwar ist die rückwirkende Korrektur von Gewerbesteuerzahlungen und damit Gewerbesteuerbescheiden nicht unüblich. Im konkreten Fall erreichen sie jedoch eine Dimension, welche die Kommune unverschuldet in eine erhebliche finanzielle Problemlage bringen wird. Offensichtlich existieren rechtliche und verwaltungspraktische Ungereimtheiten, die eine solche Entwicklung zulassen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich etliche Kommunen in Nordrhein-Westfalen in einer äußerst prekären Finanzsituation befinden und bei außerordentlichen Gewerbesteuerrückzahlungen in eine ähnlich schwierige Lage wie die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6369 2 in der Stadt Alsdorf geraten könnten, liegt hier offensichtlich eine landesweite Problemstellung vor. 1. Wie stellt sich die Problemlage für die Stadt Alsdorf aus Sicht der Landesregierung vollständig dar? Aus kommunalaufsichtlicher Sicht stellt sich die Situation wie folgt dar: Der Stadt Alsdorf konnte nach vielen Jahren im sog. Nothaushaltsrecht erstmals im Haushaltsjahr 2012 das vorgelegte Haushaltssicherungskonzept (HSK) sowie im Haushaltsjahr 2013 die Fortschreibung ihres HSK genehmigt werden. Dabei wurde von der Stadt Alsdorf jeweils der Haushaltsausgleich im Jahr 2017 dargestellt. Es ist zu erwarten, dass mit der Gewerbesteuerrückzahlung das Eigenkapital zum 31.12.2014 vollständig aufgebraucht sein wird. Das bestehende HSK ist für das Jahr 2015 fortzuschreiben. Haushaltssicherungskonzepte sind im Fall einer Überschuldung nur genehmigungsfähig, wenn sie sowohl den Haushaltsausgleich als auch den Abbau der Überschuldung darstellen. 2. Welche gesetzlichen Regelungen oder verwaltungsseitigen Handhabungen sind für die aktuelle Problemlage in Alsdorf verantwortlich? Die Finanzämter sind für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zuständig. Den Gemeinden wird der auf sie entfallende Gewerbesteuermessbetrag eines Betriebs vom Finanzamt mitgeteilt. Sie setzen daraufhin die Gewerbesteuer unter Berücksichtigung des von ihnen bestimmten Gewerbesteuerhebesatzes fest. Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige gegen den Gewerbesteuermessbetragsbescheid Einspruch und Klage erhebt. Die festgesetzte Gewerbesteuer ist unabhängig von dem eingelegten Rechtsbehelf zu entrichten. Der von der Gemeinde erlassene Gewerbesteuerbescheid wird nicht automatisch von der Vollziehung ausgesetzt. Das führt dazu, dass im Fall des Obsiegens die gezahlte Gewerbesteuer nebst 6 % Zinsen pro Jahr zu erstatten ist. Eine förmliche Beteiligung der Gemeinde am Einspruchs- und Klageverfahren eines Steuerpflichtigen gegen die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags ist steuerverfahrensrechtlich nicht vorgesehen. Die Gemeinde erfährt regelmäßig erst durch Übersendung des aufgrund der gerichtlichen Entscheidung geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheids von dem Rechtsstreit. 3. Was ist aus Sicht der Landesregierung im vorliegenden Fall zu unternehmen, um zu verhindern, dass die Stadt Alsdorf durch die drohende(n) Gewerbesteuerrückzahlung(en) unverschuldet in eine Haushaltsnotlage gerät? Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs wird die Gewerbesteuererstattung durch die Stadt Alsdorf zeitversetzt bei der Steuerkraftermittlung für das GFG berücksichtigt, in dessen Referenzperiode die Erstattungszahlung der Gemeinde gefallen ist. Dies kann ggf. zu einer höheren Schlüsselzuweisung an die Stadt Alsdorf führen. Die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde hat der Stadt Alsdorf zudem eine mögliche Verlängerung des HSK-Zeitraums (bis zum Jahr 2021) zugesichert, da sie davon ausgeht, dass es sich bei der Gewerbesteuerrückzahlung um eine nicht absehbare und von der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6369 3 Kommune nicht zu beeinflussende erhebliche Veränderungen ihrer finanziellen Situation handelt. Steuerliche Entlastungsmaßnahmen der Landesregierung sind aufgrund der durch den Bundesgesetzgeber erlassenen Verfahrens- und Steuergesetze nicht möglich. 4. Welche gesetzlichen Änderungen und behördenseitigen Maßnahmen sind notwendig, um derlei Problemkonstellationen mit erheblichen Gewerbesteuerrückzahlungen wie in der Stadt Alsdorf zukünftig zu verhindern? Aus steuerlicher Sicht kommen gesetzliche Änderungen und Korrekturen an der bisherigen Verwaltungspraxis nicht in Betracht. Die Einführung eines Mitteilungsverfahrens, mit dem die Finanzämter die Gemeinden über relevante Aufkommensrisiken aufgrund anhängiger Einspruchs- und Klageverfahren aufmerksam machen, ist nicht sinnvoll. Eine Mitteilung über alle anhängigen Rechtsbehelfe ist nicht mit vertretbarem Aufwand für die Verwaltung zu bewerkstelligen. Dies gilt umso mehr, als am Gewerbesteuermessbetrag großer Unternehmen teilweise mehrere tausend Gemeinden im gesamten Bundesgebiet beteiligt sind (sog. „Zerlegungsfälle“). Auch ein eingegrenztes Mitteilungsverfahren für aus Sicht der Gemeinde größere Gewerbesteuerzahler ist nicht möglich. Die Finanzämter können aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Gemeinden nicht einschätzen, welche Bedeutung ein Gewerbesteuerzahler für das Steueraufkommen einer Kommune hat. Im Übrigen lässt sich die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Klageverfahrens selten verlässlich beurteilen. Die Gemeinden blieben daher selbst bei der frühzeitigen Kenntnis über einen Rechtsstreit im Unklaren über die Auswirkungen auf ihren Haushalt. Den Kommunen wird empfohlen, vor allem im Fall größerer Steuernachzahlungen für mehrere Jahre beim Finanzamt nachzufragen, ob die zugrunde liegenden Gewerbesteuermessbetragsbescheide bestandskräftig oder noch streitbefangen sind. Auch die regelmäßige (informelle) Kontaktaufnahme mit größeren Gewerbesteuerzahlern ist zweckmäßig. Dann bestünde eher die Möglichkeit, eventuelle größere Erstattungen einzuplanen. 5. Welche weiteren vergleichbaren Fälle sind der Landesregierung aus den letzten drei Jahren bekannt, bei denen eine fehlerhafte Gewerbesteuerermittlung Rückzahlungen in gravierender Höhe notwendig gemacht haben? Aufgrund des Steuergeheimnisses können keine Angaben zu steuerlichen Einzelfällen gemacht werden. Eine Abfrage bei den fünf Bezirksregierungen hat ergeben, dass die Situation einer Gewerbesteuerrückzahlung auch andere Kommunen treffen kann. Betriebsprüfungen, Vereinbarungen mit den Finanzbehörden oder auch finanzgerichtliche Klageverfahren können Ursache für eine Gewerbesteuerrückzahlung sein. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind in 14 Fällen von den Bezirksregierungen Kommunen namhaft geworden, die in den vergangenen drei Jahren erhebliche Rückzahlungen aufgrund von Korrekturen der Gewerbesteuermessbeträge zu leisten hatten (Altenberge, Bad Salzuflen, Beverungen, Elsdorf, Gelsenkirchen, Halle, Herzebrock-Clarholz, Herzogenrath, Horstmar, Köln, Lage, Oerlinghausen, Petershagen und Steinheim).