LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6414 29.07.2014 Datum des Originals: 28.07.2014/Ausgegeben: 01.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2423 vom 20. Juni 2014 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/6214 Zwingt die kommunale Finanzkrise die nordrhein-westfälischen Kommunen zur Flucht an den Kapitalmarkt? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2423 mit Schreiben vom 28. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach Informationen von tagesschau.de gab die Stadt Offenbach am 20.06.2014 die Emission eines 140 Millionen Euro schweren "Schuldscheindarlehens" bekannt. Es ist die bislang größte derartige Transaktion einer Einzelkommune. Und neu an dem Schuldscheindarlehen sei, dass unter den Zeichnern des Papiers sich keine einzige Bank finde, sondern ausschließlich Versicherer. Damit will die Stadt einen großen Teil ihrer 600 Millionen Euro schweren Kassenkredite ablösen. Die Laufzeit liegt bei 10 Jahren, das Papier ist endfällig. Das Motiv hinter der Platzierung ist Absicherung. Dabei geht es zum einen um das Kommunalkreditangebot und zum anderen um die Zinsentwicklung. Diskussionen um Bankenregulierung , Basel III und um eine mögliche Eigenkapitalunterlegungspflicht für öffentliche Schulden würden sich nach Angaben des Kämmerers der Stadt Offenbach in Form eines rückläufigen Kreditangebots bemerkbar machen. Selbst die eigene Sparkasse der Stadt würde nur noch in einem bestimmten Umfang Kredit geben. Im Kassenkreditbereich gebe es für die Stadt derzeit keine Kredite mit 10-jähriger Laufzeit. Noch finden finanzschwache Kommunen genügend Banken, die Kommunalkredite vergeben. Doch die Anbieter, so wird aus Kommunen berichtet, werden weniger: Vor ein paar Jahren lägen mindestens zehn Angebote vor, wenn Kommunen einen Kredit brauchten. Inzwischen seien es nur noch drei oder vier. Immer mehr deutsche Städte begeben sich darum auf die Suche nach alternativen Finanzierungsquellen. Sie fliehen an den Kapitalmarkt. Als Vorreiter LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6414 2 gilt die Stadt Würzburg, die 2013 gemeinsam mit Nürnberg eine 100 Millionen Euro schwere Anleihe emittierte. Im Februar dieses Jahres folgten die NRW-Städte Dortmund, Essen, Herne , Remscheid, Solingen und Wuppertal. Ihre sogenannte Ruhr-Anleihe, an den Markt gebracht mithilfe globaler Investmentbanken wie HSBC, spülte insgesamt 400 Millionen Euro in die Kassen. In Wirklichkeit aber verberge sich, so „tageschau.de“ hinter der Entwicklung ein Paradigmenwechsel . Die Öffnung deutscher Städte für den Kapitalmarkt sei eine Folge der Finanzkrise . Da ist zum einen die Griechenland-Pleite, die vielen Bankern erstmals bewusst machte , dass auch öffentliche Schuldner ausfallen können. Die kommunale Finanznot vor allem in Nordrhein-Westfalen erscheine seitdem in neuem Licht. "Das sind Signale, die sie als Risikomanager einer Bank nicht ignorieren können", erklärte der Kommunalfinanzierungschef einer deutschen Großbank gegenüber „tagesschau.de“. Hinzu kommt, dass klassische Kommunalfinanzierer wie die WestLB oder die Dexia im Zuge der Krise verschwunden sind. Andere Institute wie die Commerzbank haben sich entschieden , kein Neugeschäft mehr mit Kommunen zu machen - was wiederum mit der Regulierung ("Basel III") zu tun hat: Bislang brauchten Banken für kommunale Kredite keinerlei Eigenkapital zu investieren. Das heißt, sie liehen sich selber Geld (zum Beispiel Spareinlagen) und gaben dieses zu einem leicht höheren Zins an die Kommunen weiter. Die einst lukrative Städtefinanzierung verliert aus Sicht der Banken damit an Attraktivität. Denn ihr knappes Eigenkapital stecken die Institute lieber in höhermargige Geschäfte, etwa ins Investmentbanking oder in die Unternehmensfinanzierung. Das Kommunalgeschäft verbleibt deshalb zusehends bei staatlichen Banken wie der KfW und an den Sparkassen. Kommunale Anleihen und Schuldscheine seien für die Kommunen und die Versicherer eine Alternative. Die Kommunen benötigen aufgrund ihrer kritischen Finanzlage und ihrer enormen Verschuldung Finanzierungsmöglichkeiten. Für die Versicherer bieten Kommunen, trotz der vielerorts hohen Schulden, als relativ ausfallsicher - zahlen aber höhere Zinsen als der Bund. Unwägbarkeiten blieben aber auch bei der Kapitalmarktfinanzierung der Kommunen trotzdem . In der Eurokrise habe sich gezeigt, was passieren könne, wenn Investoren ihr Vertrauen verlieren: Für Anleihen südeuropäischer Staaten wurden plötzlich viel höhere Renditen verlangt als für deutsche Bundesanleihen. Ein ähnlicher "Spread" könnte sich theoretisch auch zwischen finanziell gesunden Städten wie München und hochverschuldeten Kommunen wie Essen auftun. Verstärkt sei dieser Effekt in der Eurokrise durch die Ratingagenturen worden, die Ländern wie Griechenland 2010 relativ unvermittelt die Bonität absprachen. Eine der drei großen US-Agenturen, Fitch nämlich, verfolge nach Informationen von tagesschau .de konkrete Pläne, bald auch deutsche Kommunen zu bewerten. Ähnliches hat die Ratingtochter der Neusser Auskunftei Creditreform vor. Die Folge eines „Kommunalratings wäre, dass die großen Investoren dazu übergehen könnten , nur noch solchen Städten billig Geld zu leihen, die über eine gute Bonitätsnote verfügen. 1. Wie bewertet die Landesregierung den grundsätzlichen Trend der Kommunen, die Finanzierung weniger über Kredit, sondern über Anleihen und Schuldscheindarlehen zu sichern? Die Gemeinden und Gemeindeverbände unterliegen bei der Beschaffung ihrer Finanzmittel keiner aufsichtsrechtlichen Anzeige- bzw. Genehmigungspflicht. Schuldscheindarlehen oder Anleihen sind im Rahmen der kommunalen Finanzmittelbeschaffung grundsätzlich zulässig, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6414 3 sofern ihre konkrete Ausgestaltung nicht gegen kommunal- bzw. bankenrechtliche Vorschriften verstößt. Auch Schuldscheindarlehen oder Anleihen unterliegen dabei dem Gebot einer wirtschaftlichen, effizienten und sparsamen Haushaltswirtschaft nach § 75 Absatz 1 GO NRW und müssen deshalb im Einzelfall auch danach beurteilt werden. Unter der Voraussetzung , dass alle rechtlichen Vorgaben eingehalten werden, können Schuldscheindarlehen oder Anleihen als taugliche Finanzierungsinstrumente bzw. als sinnvolle Ergänzung zum klassischen Kommunalkredit angesehen werden. Aus Sicht der Landesregierung ist über Einzelfälle hinaus ein grundsätzlicher Trend, die Finanzierung weniger über Kredite der Banken, sondern über Anleihen und Schuldscheindarlehen abzusichern, derzeit nicht erkennbar. Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten. 2. Welche Risiken sieht die Landesregierung bei dieser Entwicklung? Siehe Antwort zu Frage 1. Die zusätzlich bestehende Möglichkeit, sich über Schuldscheine und Anleihen zu finanzieren, vermindert grundsätzlich die Risiken, die eine Finanzierung ausschließlich über Banken auslöst. 3. Wie bewertet die Landesregierung das Risiko von Kommunalratings, wenn Kommunen immer mehr auf den Kapitalmarkt drängen? 4. Welches Risiko sieht die Landesregierung für die Kommunalfinanzierung, wenn Ratingagenturen ihre angekündigten Pläne zu Kommunalratings wahr werden lassen? Unter welchen Voraussetzungen Investoren ihre Finanzmittel zur Verfügung stellen, kann nicht verallgemeinert werden, sondern entspringt individueller Gewinn-Risiko Erwägungen. Sofern sich Banken oder Anleger eines Kommunalratings bedienen, ist dies nach Auffassung der Landesregierung jedenfalls nicht durch Ausfallrisiken begründbar. 5. Sieht die Landesregierung angesichts der geschilderten Entwicklung irgendei- nen Handlungsbedarf. Nein.