LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6416 29.07.2014 Datum des Originals: 28.07.2014/Ausgegeben: 01.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2444 vom 1. Juli 2014 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/6254 Kommunalsteuern steigen ungebremst – Standortnachteil für NRW-Kommunen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2444 mit Schreiben vom 28. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das statistische Landesamt veröffentlichte am 2. Juli 2014 die Hebesätze der Realsteuern aller 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Bei den 396 Städten und Gemeinden in Nordrhein -Westfalen lag die Spanne der Hebesätze bei der Grundsteuer A zwischen 150 (Verl) und 600 (Hürtgenwald und Selm). Den geringsten Hebesatz bei der Grundsteuer B meldete mit 260 Harsewinkel, den höchsten Wert verzeichneten hier mit 825 die Städte Haltern am See und Selm. Der Gewerbesteuerhebesatz war in Monheim am Rhein mit 300 am niedrigsten und in Oberhausen am höchsten. Mitte 2013 betrug der Hebesatz in Oberhausen unverändert 520, und ist somit der höchste Hebesatz landesweit. Mit einem Gewerbesteuerhebesatz von 515 belegt Siegburg bei Bonn den zweiten Platz, gefolgt von Hagen, Marl und Kerpen , mit einem Hebesatz von jeweils 500. Die Stadt Monheim am Rhein verlangt den niedrigsten Hebesatz mit 300. Sie konnte in den letzten Jahren die Gewerbesteuer stark senken und gab Unternehmen so einen starken Anreiz, sich in Monheim niederzulassen. 2010 betrug der Monheims’sche Hebesatz noch 435. Vor allem in Kommunen, welche Finanzhilfen aus dem Stärkungspakt erhalten, ist mit weiter steigender Steuerbelastung zu rechnen, denn rund ein Viertel der Konsolidierungsmaßnehmen aller 61 Stärkungspaktkommunen beruhe, nach Angaben der GPA NRW auf Einnahmeerhöhungen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6416 2 Bereits eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst&Young belegte, dass im Land Nordrhein-Westfalen die bundesweit höchsten Grund- und Gewerbesteuer-Hebesätze von den Kommunen erhoben würden. Eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes der hochverschuldeten Kommunen stelle einen Teufelskreis dar, so Hans-Peter Busson, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. „Kurzfristig spülen höhere Gewerbe- und Grundsteuerhebesätze zwar mehr Geld in die kommunalen Kassen. Mittel- und langfristig könnten sich solche Maßnahmen aber als Bumerang erweisen: Der Standort verliert an Attraktivität, Unternehmen könnten abwandern, Neuansiedlungen von Unternehmen werden unwahrscheinlicher.“ Diese Befürchtung erweist sich am aktuellen Beispiel der Haribo-Zentrale in Bonn als begründet . Der Süßwarenhersteller verlegt seine Hauptverwaltung in die rheinland-pfälzische Gemeinde Grafschaft, welche über einen Hebesatz von 330 verfügt. Im Gegensatz dazu beträgt der Hebesatz in Bonn 490. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung der Hebesätze in NRW? Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung steht den Gemeinden bei der Festlegung der Realsteuerhebe-sätze ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Die Landesregierung enthält sich aus diesem Grunde einer Beurteilung der von den Gemeinden in eigener Verantwortung getroffenen haushaltspolitischen Entscheidungen. Vergleichbares gilt im Hinblick auf die Ausgestaltung der Maßnahmen im Rahmen eines Haushaltssicherungskonzepts bzw. Haushaltssanierungsplans: Jede Gemeinde entscheidet in eigener Verantwortung, auf welchem Wege sie die erforderlichen Konsolidierungsziele erreicht. 2. Wie beurteilt die Landesregierung den wirtschaftlichen Standort Nordrhein- Westfalen im Gegensatz zu anderen Bundesländern anhand der Realsteuern? 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Auswirkungen eines erhöhten Gewerbe- steuerhebesatzes auf die wirtschaftliche Attraktivität einer Stadt oder Gemeinde? Die Frage, ob steigende Realsteuerhebesätze die Wettbewerbsposition einer Gemeinde nachhaltig schwächen, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Immerhin kommen verschiedene Untersuchungen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Höhe des Gewerbesteuerhebesatzes für die unternehmerische Standortwahl weitaus weniger relevant ist als andere Standortfaktoren, wie z.B. die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, die Nähe zu Kunden oder die Verfügbarkeit von Gewerbeflächen (siehe hierzu beispielsweise Institut der deutschen Wirtschaft 2003: Standortpolitik, veröffentlicht in: iwd - Informationsdienst Nr. 33, S. 2). Das Ergebnis, dass der Gewerbesteuerhebesatz in der Regel nicht den Hauptgrund für die Standortentscheidung eines Unternehmens darstellt, bestätigt auch Detlev Langer von der IHK Bonn. „Viele Standortfaktoren wie Platz oder die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern spielen dabei eine Rolle“, wird er in der Kölnischen Rundschau vom 4. Juli 2014 zitiert . Noch deutlicher äußert sich Marco Alfter, Sprecher der Firma Haribo, in demselben Zeitungsartikel zu den Gründen der Verlagerung des Unternehmenssitzes nach RheinlandPfalz : „Dass die Gewerbesteuer ausschlaggebend für den Umzug war, ist absoluter Quatsch. […] Wenn es nur um die Kosten ginge, gäbe es in Ostdeutschland deutlich günstigere Standorte.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6416 3 4. Wie beurteilt die Landesregierung eine mögliche kommunale Strategie, langfristig mehr Einnahmen durch die Absenkung der Gewerbesteuerhebesätze zu erreichen ? Der Bürgermeister der Stadt Monheim am Rhein, die ihren Gewerbesteuerhebesatz im Jahr 2012 auf 300 Punkte abgesenkt hat, äußert in einem Interview mit dem Fördermagazin der NRW-Bank die Einschätzung, dass die Strategie, die Steuereinnahmen durch eine Absenkung des Gewerbesteuerhebesatzes zu erhöhen, nicht auf andere Gemeinden übertragbar sei. „Solche Unternehmen, die wir jetzt einwerben konnten, finden Sie nicht an jeder Ecke.“1 Die Landesregierung teilt diese Bewertung. Im Übrigen wird auf die Antwort auf Frage 1 verwiesen. 5. Vor dem Hintergrund steigender Gewerbesteuerhebesätze, wie beurteilt die Lan- desregierung die Gefahr einer Beschleunigung der Steuererhöhungsspirale in den Kommunen durch die erneute Erhöhung des fiktiven Hebesatzes nach den Eckpunkten des GFG 2015? Sogenannte fiktive Realsteuerhebesätze dienen in Nordrhein- Westfalen ausschließlich zur Normierung der Steuerkraft im kommunalen Finanzausgleich und werden bislang ermittelt, indem ein gewogener Landesdurchschnitt aus den tatsächlichen Realsteuerhebesätzen und -steuereinnahmen eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums gebildet und um 5 % verringert wird. Der Zeitraum entspricht dem Jahrgang der Grunddaten für die fiktive Bedarfsermittlung im Finanzausgleich, nach den Eckdaten für das GFG 2015 somit der mehrjährigen Periode von 2009 - 2011. Die Höhe der fiktiven Hebesätze dürfte daher allenfalls Anlass für Überlegungen zur Anhebung der tatsächlichen Hebesätze sein, soweit deren Höhe unterhalb der Höhe der fiktiven Hebesätze liegt. Gesicherte Erkenntnisse darüber, ob und ggf. in welchem Umfang Gemeinden eine Hebesatzfestlegung auf dieser Basis praktizieren, liegen der Landesregierung nicht vor 1 Online: http://www.nrwbank.de/de/themen/wohnenundleben/0399_Kommune_Monheim.html (Stand: 11.07.2014)