LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6417 29.07.2014 Datum des Originals: 28.07.2014/Ausgegeben: 01.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2406 vom 25. Juni 2014 der Abgeordneten Dirk Wedel und Holger Ellerbrock FDP Drucksache 16/6173 Setzt sich Justizminister Kutschaty über die Bedenken der gerichtlichen Praxis bezüglich der Mietpreisbremse einfach hinweg? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2406 mit Schreiben vom 28. Juli 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags haben CDU, CSU und SPD eine Mietpreisbremse wie folgt vereinbart (vgl. Seite 115): „Damit Wohnraum insbesondere in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt, räumen wir den Ländern für die Dauer von fünf Jahren die Möglichkeit ein, in Gebieten mit nachgewiesenen angespannten Wohnungsmärkten bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken.“ Am 20.03.2014 teilte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz mit, einen Referentenentwurf mit den geplanten Neuregelungen zur Mietpreisbremse auf den Weg gebracht zu haben. Jüngsten Presseberichten zufolge hat eine daraufhin durch das nordrhein-westfälische Justizministerium erfolgte Befragung der gerichtlichen Praxis „vielfache Bedenken“ gegen die Mietpreisbremse zu Tage gefördert. So berichtete der Spiegel vom 23.06.2014, die Kritik der Experten reiche von der „Ablehnung eines gesetzgeberischen Handlungsbedarfs bis zur Annahme der Wirkungslosigkeit der geplanten Einführung“ einer Mietpreisobergrenze. Angaben der Frankfurter Allgemeinen vom 24.06.2014 zufolge seien die Präsidenten mehrerer Ober- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6417 2 landesgerichte sowie der Vorsitzende des Deutschen Mietgerichtstages in ihren Stellungnahmen davon ausgegangen, dass sich das Problem höherer Neuvertragsmieten „auf ganz wenige Hotspots“ und wenige „besonders angesagte Quartiere“ beschränke. Auch hielten sie die Berechnungen des Bundesjustizministeriums für überzogen. Die Richter zweifelten zudem an der Verfassungsmäßigkeit des geplanten Eingriffs in das Eigentumsrecht der Immobilieneigner , weil die Vorschriften vermutlich sowieso unwirksam seien. Eine geringere Miete führe nicht zu mehr Wohnraum, sondern allenfalls zu mehr Interessenten, die sich um denselben Wohnraum bewerben. Dann sei erst recht zu befürchten, dass Vermieter Bewerber etwa mit Migrationshintergrund benachteiligten. Die Regelung habe vor allem „Strafcharakter gegenüber Vermietern“. Auch werde das gesamte System der Vergleichsmieten „völlig desavouiert “, wenn durch die Bremse der Anstieg der ortsüblichen Mietpreise zum Erliegen komme. Dies dürfte dazu führen, dass Vermieter umso früher den Mietzins in laufenden Verträgen anhöben. Offenbar gänzlich unbeeindruckt von den Bedenken der gerichtlichen Praxis fordert Justizminister Kutschaty dennoch, die Union solle „ihren Widerstand gegen die Mietpreisbremse endlich aufgeben“ (Der Tagesspiegel vom 24.06.2014). 1. Welche einzelnen Bedenken hat die nordrhein-westfälische gerichtliche Praxis im Rahmen der Befragung zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz formuliert (bitte unter Angabe der jeweiligen befragten bzw. berichtenden Stelle)? Die Berichte der Präsidenten der Mittelbehörden enthalten - wie auch die fachlichen Stellungnahmen des Justizministeriums - in aller Regel eine anonymisierte Wiedergabe der Eingaben aus dem jeweiligen Verantwortungsbereich. Die konkrete Zuordnung von einzelnen Äußerungen zu bestimmten Personen ist daher regelmäßig nicht möglich. Sie ist aber auch nicht erforderlich, da es nicht auf den Urheber, sondern auf den rechtlichen Gehalt einer Aussage ankommt. Die Beiträge der gerichtlichen Praxis werden regelmäßig umfassend und in weiten Teilen auch ohne eigene abschließende Wertung an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz weitergeleitet. Vorliegend haben die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf sowie die Präsidenten der Oberlandesgerichte Hamm und Köln jeweils zum Referentenentwurf berichtet, wobei einem Bericht eine namentlich gekennzeichnete, eigenständige Stellungnahme eines Richters beigefügt war. Anders als in der Begründung der Kleinen Anfrage unter Bezugnahme auf Pressemeldungen ausgeführt, geben die Berichte daher keine gemeinsame Position „mehrerer Präsidenten der Oberlandesgerichte sowie des Vorsitzenden des Deutschen Mietgerichtstages“ wieder. Das Vorbringen des Geschäftsbereichs bezieht sich vor allem auf rechtliche Fragestellungen mit Blick auf die vorzunehmende Gestaltung der Vorschriften und zu berücksichtigender Aspekte ihrer praktischen Umsetzung. Insbesondere werden die Bestimmbarkeit der gesetzlichen Mietpreisobergrenze, die vorgesehenen Ausnahmetatbestände sowie die Ansprüche des Mieters bei der Vereinbarung einer unzulässig hohen Miete thematisiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6417 3 2. Inwieweit sieht die Landesregierung aufgrund der Stellungnahmen aus der gerichtlichen Praxis Änderungsbedarf im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung? Die Landesregierung will sichergestellt sehen, dass das Instrument einer Mietpreisobergrenze praktische Wirksamkeit erlangen kann. Dazu bedarf es insbesondere Regelungen, die  für beide Mietvertragsparteien gut verständlich und anwendbar sind;  ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorsehen, das aus Sicht aller Beteiligten ausgewogen und praktikabel ist;  keine Möglichkeiten eröffnen, die gesetzliche Mietpreisobergrenze effektiv zu umgehen . 3. Aus welchen Gründen teilt die Landesregierung die jeweiligen aus der gerichtli- chen Praxis formulierten Bedenken gegebenenfalls nicht (bitte differenziert nach den einzelnen Bedenken)? 4. Wie bewertet die Landesregierung den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung verfassungsrechtlich? 5. Welchen Stellenwert misst Justizminister Kutschaty den Stellungnahmen aus der gerichtlichen Praxis bei, wenn er dessen ungeachtet gleichzeitig die Union auffordert, „ihren Widerstand gegen die Mietpreisbremse endlich aufzugeben“? Der überwiegende Teil der Bevölkerung befriedigt seinen existenziellen Bedarf nach einer Wohnung als Mieterin oder Mieter. Die Mietpreise in vielen Städten Deutschlands und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter haben sich dabei in den letzten Jahren erheblich auseinanderentwickelt. Insbesondere in einigen Großstädten, Ballungsgebieten und Universitätsstädten sind stark steigende Mieten in kurzer Zeit keine Seltenheit. So liegen die Wiedervermietungsmieten in diesen Gebieten nach Angaben des Mieterbundes derzeit bis zu 36 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Niedrige Neubauzahlen, immer weniger günstigere Wohnungen und eine gestiegene Nachfrage verstärken diese Entwicklung . Bei einem starken Anstieg der Wiedervermietungsmieten werden vor allem einkommensschwächere Haushalte, inzwischen aber auch Durchschnittsverdiener immer größere Schwierigkeiten haben, in den betroffenen Gebieten eine für sie noch bezahlbare Wohnung zu finden. Dies wirkt sich auch auf bereits bestehende Mietverträge aus, da hohe Wiedervermietungsmieten zu einer Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete und damit über das Instrument der Mieterhöhung auch zu einer Erhöhung der Bestandsmieten führen. Letztlich sind Mieterinnen und Mieter durch die rasant steigenden Mieten in den oben genannten Gebieten oftmals gezwungen, den langjährig bewohnten Stadtteil zu verlassen und in günstigere Bezirke, zumeist am Rande der Stadt, zu ziehen. Folge ist eine soziale Segregation der Bevölkerung. Damit Wohnraum auch in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar und eine gemischte Sozialstruktur von Stadtvierteln erhalten bleibt, muss der weitere Anstieg der Mieten eingedämmt werden. Die gegenwärtigen Regelungen zur Mietpreisüberhöhung (§ 5 WiStG) und zum „Mietwucher“ (§ 293 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB bzw. § 138 BGB) sind zu LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6417 4 diesem Zweck unzureichend. Auch durch die nach dem Mietrechtsänderungsgesetz in 2013 geschaffene Möglichkeit, zukünftig Mieterhöhungen in bestimmten Gebieten auf 15 statt bisher auf 20 Prozent zu deckeln, wird die Stellung von Mietern bei der Wohnungssuche selbst nicht verbessert. Die Landesregierung hält daher daran fest, dass eine gesetzliche Begrenzung der Wiedervermietungsmieten dringend erforderlich ist, um dem Problem stark ansteigender Mieten angemessen zu begegnen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgesehene Begrenzung der Wiedervermietungsmiete auf einen Betrag von 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete geäußert worden sind, teilt die Landesregierung nicht. Wie sie bereits mit ihrem eigenen, in den Bundesrat (Drs. 459/13) eingebrachten Entwurf zum Ausdruck gebracht hat, ist sie vielmehr davon überzeugt, dass sich eine solche Mietpreisbremse rechtssicher und verfassungskonform ausgestalten lässt. Die Berichte des Geschäftsbereichs der nordrhein-westfälischen Justiz stehen dem nicht entgegen, sondern leisten hierzu einen fachlichen Beitrag. Die Landesregierung begrüßt daher die Ankündigung des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz , die Mietpreisbremse nach der Sommerpause zügig in den Bundestag und den Bundesrat einbringen zu wollen.