LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6487 05.08.2014 Datum des Originals: 05.08.2014/Ausgegeben: 08.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2452 vom 7. Juli 2014 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/6266 Macht die Landesregierung ihr Grundrechtsverständnis von prozesstaktischen und fiskalischen Gründen abhängig? – Wie weit geht die Landesregierung um vor dem Verfassungsgerichtshof nicht zu verlieren? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2452 mit Schreiben vom 5. August 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 33 Absatz 5 GG dem Beamten ein grundrechtsgleiches Individualrecht. Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht in der grundlegenden Entscheidung vom 11.06.1958 (BVerfGE 8, 1) ausgeführt: „Mit der unmittelbaren objektiven Gewährleistung des angemessenen Lebensunterhalts gibt Art. 33 Absatz 5 GG zugleich aber auch dem einzelnen Beamten ein grundrechtsähnliches Individualrecht gegenüber dem Staat. Das muss vor allem aus der Eigenart des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses gefolgert werden: Der Beamte steht dem Staat als seinem Dienstherrn gegenüber, aber dieser Dienstherr ist in seiner Stellung als Gesetzgeber zugleich für die Regelung des Rechtsverhältnisses, die Verteilung der gegenseitigen Rechte und Pflichten allein zuständig und verantwortlich. Der einzelne Beamte hat keine eigenen rechtlichen Möglichkeiten, auf die nähere Ausgestaltung seines Rechtsverhältnisses, insbesondere auf die Höhe seines Gehalts, einzuwirken; ebenso wenig ist er nach hergebrachten Grundsätzen befugt, zur Förderung gemeinsamer Berufsinteressen kollektive wirtschaftliche Kampfmaßnahmen zu ergreifen. Er ist auf die Regelung angewiesen, die sein Dienstherr als Gesetzgeber getroffen hat. Wenn daher das Grundgesetz in Art. 33 Absatz 5 GG unmittelbar die Gewähr dafür bieten will, dass die beamtenrechtliche Gesetzgebung bestimmten eng LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6487 2 begrenzten verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen entspricht, dann liegt die Annahme nahe, dass den hauptsächlich und unmittelbar Betroffenen ein entsprechendes Individualrecht eingeräumt werden soll, damit sie insoweit in Übereinstimmung mit den rechts- und sozialstaatlichen Grundprinzipien ihre verfassungsmäßige Stellung auch rechtlich wahren können (vgl. auch BVerfGE 6, 386 (387/388)). Diese Annahme wird durch einen Blick auf die tatsächliche Entwicklung unterstützt, die seit der Zeit der konstitutionellen Monarchie konsequent dahin gegangen ist, den individuellen Rechtsschutz der Beamten gerade hinsichtlich ihrer vermögensrechtlichen Stellung zu erweitern. Berücksichtigt man die allgemein auf Verstärkung des Rechtsschutzes des einzelnen gerichtete Tendenz des Grundgesetzes , so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Art. 33 Absatz 5 GG dem Beamten ein der verfassungsmäßigen Verbürgung entsprechendes Individualrecht gewährt.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren 21/13 vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung – anders als der Landtag – die Auffassung vertreten, diese ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht überzeugend. Art. 33 Absatz 5 GG enthalte kein grundrechtsgleiches Individualrecht (vgl. Information 16/162, Seite 20). Auch wenn man zugunsten der Landesregierung unterstellen sollte, dass sie wohl in erster Linie aus prozesstaktischen Gründen diese Auffassung vertreten hat, in der Hoffnung einer materiell-rechtlichen Überprüfung des angegriffenen Besoldungsgesetzes durch den Verfassungsgerichtshof zu entgehen, erscheint dieses obrigkeitsstaatliche Grundrechtsverständnis der Landesregierung nicht nur aus Sicht der betroffenen Beamten äußerst befremdlich, sondern in der Stellung der Landesregierung als Verfassungsorgan des Landes NordrheinWestfalen unangebracht. Mag es für x-beliebige Prozessparteien opportun sein, aus prozesstaktischen Gründen auch abwegige Rechtsauffassungen zu vertreten, sollte bei der Landesregierung als Verfassungsorgan des Landes Nordrhein-Westfalen vorausgesetzt werden können, dass sie das durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägte grundlegende Grundrechtsverständnis teilt und nicht - um ein verfassungsgerichtliches Verfahren nicht zu verlieren - aus letztlich fiskalischen Erwägungen zur Disposition stellt. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Rechtsauffassung denn auch in aller Kürze und Deutlichkeit mit folgendem Satz verworfen (VerfGH NRW, Urteil vom 1. Juli 2014 – VerfGH 21/13 -, Seite 30, Rn. 55): „Art. 33 Abs. 5 GG gewährt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein grundrechtsgleiches Individualrecht (BVerfGE 8, 1, 17 = juris Rn. 48; 99, 300, 314 = juris Rn. 35; 119, 247, 266 = juris Rn. 64; 130, 263, 292 = juris Rn.143); dieser Rechtsprechung und deren überzeugender Begründung (BVerfGE 8, 1, 17 = juris Rn. 48) schließt sich der Verfassungsgerichtshof an.“ Nach § 78 Absatz 2 Satz 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen ist der Entwurf von Äußerungen der Landesregierung in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof dem Interministeriellen Ausschuss für Verfassungsfragen zur Stellungnahme zuzuleiten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6487 3 1. Seit wann ist die Landesregierung der Auffassung, dass Art. 33 Absatz 5 GG Beamten kein grundrechtsgleiches Individualrecht gewährt? Die Landesregierung vertritt die Auffassung, dass Art. 33 Abs. 5 GG jedenfalls in seiner Gewährleistungsdimension einer institutionellen Garantie nicht durch Art. 4 Abs. 1 LV NRW rezipiert ist. Soweit Art. 33 Abs. 5 GG grundrechtsähnliche Individualrechte konstituiert, hatte die Landesregierung im laufenden Verfahren insbesondere mit Blick auf den relevanten Prüfungsmaßstab betont, dass der Verfassungsgerichtshof zur Frage einer Rezeption des Art. 33 Abs. 5 GG durch Art. 4 Abs. 1 LV NRW bislang nicht Stellung genommen hatte. Die Landesregierung erkennt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs , dass Art. 33 Abs. 5 GG ein grundrechtsgleiches Individualrecht darstellt, uneingeschränkt an. 2. Welche einzelnen konkreten Auswirkungen hätte es auf die Rechtsstellung der Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen, wenn Art. 33 Absatz 5 GG kein grundrechtsgleiches Individualrecht enthält (bitte einschließlich Fernwirkungen)? Der Verfassungsgerichtshof hatte in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2014 angedeutet , dass in diesem Falle zu prüfen wäre, inwieweit den allgemeinen Verfassungsprinzipien Vorgaben zu entnehmen wären, die Frage aber angesichts des spezielleren Prüfungsmaßstabs letztlich offen gelassen. 3. Wie hat der Interministerielle Ausschuss für Verfassungsfragen zu dem Entwurf der in Information 16/162 enthaltenen Äußerung der Landesregierung Stellung genommen? Der Interministerielle Ausschuss für Verfassungsfragen hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Entwurf einer Stellungnahme der Landesregierung in dem Verfahren VerfGH 21/13 erhoben. 4. Inwieweit ist die Landesregierung der Auffassung, dass ihre Stellung als Verfas- sungsorgan dem Vertreten parteidienlicher Rechtsauffassungen in verfassungsgerichtlichen Verfahren Grenzen setzen sollte? Die Landesregierung ist sich ihrer Stellung als Verfassungsorgan bewusst und wird dieser auch in verfassungsgerichtlichen Verfahren gerecht. 5. Inwieweit hält die Landesregierung an ihrer Auffassung fest, dass Art. 33 Absatz 5 GG Beamten kein grundrechtsgleiches Individualrecht gewährt? Siehe Antwort zu Frage 1.