LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6540 14.08.2014 Datum des Originals: 13.08.2014/Ausgegeben: 19.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2507 vom 16. Juli 2014 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/6346 Wie will die Landesregierung ein vermehrtes Aussetzen der Schulpflicht bei Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verhindern? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2507 mit Schreiben vom 13. August 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das stark ausdifferenzierte Förderschulwesen wurde völlig zu Recht geschaffen, um auch für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine schulische Bildung, Förderung und Erziehung sicherzustellen. Eine Exklusion von Bildung sollte auf diesem Wege vermieden werden. Dennoch bestand auch die – allerdings als Worst-Case-Szenario – zu beschreibende Möglichkeit, dass Kinder und Jugendliche von der Schulpflicht entbunden werden. Nach gültigem Schulgesetz NRW sowie ebenfalls nach Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes ruht laut § 40 Absatz 2 die Schulpflicht für einen Schüler oder eine Schülerin, wenn sie „nach Ausschöpfen aller Möglichkeiten sonderpädagogischer Förderung“ nicht gefördert werden können. Die Entscheidung hierüber trifft laut schulgesetzlicher Regelung die Schulaufsichtsbehörde. Hierzu holt sie ein Gutachten der unteren Gesundheitsbehörde ein und hört die Eltern an. Bezeichnenderweise haben SPD und Grüne in diesem Absatz mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz den Terminus „Förderschule“ gestrichen. Viele Eltern von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf wünschen die Erziehung und Unterrichtung ihrer Kinder an allgemeinen Schulen. Gleichzeitig wünschen sich jedoch auch viele Eltern den Schulbesuch an einer spezialisierten Förderschule . Statt aber für Eltern Wahlmöglichkeiten zwischen den unterschiedlichen Förderorten zu sichern, versucht Rot-Grün die Abwicklung möglichst vieler Förderschulen herbeizuführen . Dies kann sich auch negativ auf die generelle Teilnahme von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen am Bildungswesen auswirken. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6540 2 Eine Vielzahl von Förderschulen mit z.B. spezialisierter Ausstattung oder entsprechend spezialisiertem Personal werden gegenwärtig – vermutlich in einer ersten Welle – abgewickelt. Gleichzeitig bemängelt kein nennenswerter Experte nicht die unzureichende Ausstattung und Vorbereitung der allgemeinen Schulen in Nordrhein-Westfalen, die zeitnah in hoher zusätzlicher Zahl Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen werden. Wenn die entsprechende Förderqualität an allgemeinen Schulen nicht gesichert werden kann, gleichzeitig aber spezialisierte Förderschulen in erreichbarer Entfernung nicht mehr vorhanden sind, wird daher von vielen Experten die Befürchtung geäußert, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler deutlich anwachsen könnte, die von der Schulpflicht entbunden werden, weil eine sonderpädagogische Förderung eines Kindes oder Jugendlichen auch nach Ausschöpfen der Fördermöglichkeiten an einer allgemeinen Schule scheitert. Das Ergebnis wäre eine katastrophale Exklusion, nämlich der letztendliche Ausschluss dieser Kinder von jedwedem schulischen Bildungswesen. Hierdurch würden die Sonderpädagogik und das Recht jedes Kindes auf Bildung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Insbesondere Schulministerin Löhrmann spricht im Inklusionsprozess gerne von zu erreichenden Quoten, statt von Kindern. Auch wird in öffentlichen Debatten zu diesem Thema gerne auf verschiedene europäische Länder mit solchen hohen Quoten verwiesen. Nach Einschätzung einiger Experten zeichnen sich manche der oftmals genannten Länder jedoch dadurch aus, dass für viele Kinder einfach die Schulpflicht ausgesetzt wird und sie daher nicht in den „Inklusionsquoten“ auftauchen. De facto sind diese Kinder weitgehend von jeglicher Schulbildung abgeschnitten. Im Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Grünen zum Gesetzentwurf „Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz)“ haben die regierungstragenden Fraktionen zum Ruhen der Schulpflicht – offenbar aufgeschreckt – allerdings eher schwammige Ausführungen getätigt . So wird auf die „Schutzfunktion“ des entsprechenden Paragraphen verwiesen. Gleichzeitig heißt es dort: „Es liegen keine statistischen Erkenntnisse darüber vor, in wie vielen Fällen in der Vergangenheit von dieser im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist.“ Die Landesregierung werde gebeten, diesen „Aspekt in ihrem Bericht über die Auswirkungen des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes aufzunehmen und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen bzw. vorzuschlagen“. Da diese Frage für das Recht auf Bildung von immanenter Bedeutung ist, muss die Landesregierung hierzu klare Auskünfte erteilen. 1. Ist es richtig, dass den unterschiedlichen Ebenen der Schulverwaltung in Nord- rhein-Westfalen keine statistischen Daten dazu vorliegen, wie viele Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf von der Schulpflicht entbunden sind (wenn ja, bitte erläutern, warum dem so ist)? 2. Wenn dies nicht zutrifft: Für wie viele Kinder und Jugendliche mit sonderpäda- gogischem Förderbedarf ruhte in den letzten fünf Jahren jeweils die Schulpflicht (bitte für das jeweilige Jahr in absoluter Zahl sowie jeweils nach Förderschwerpunkten aufgeschlüsselt darstellen)? Landesweite statistische Daten zum Ruhen der Schulpflicht (§ 40 Absatz 2 Schulgesetz) liegen der Landesregierung nicht vor. Die genaue Zahl der Entscheidungen von Schulämtern und Bezirksregierungen wäre in einer Sondererhebung zu ermitteln. Dafür würde die Zeit nicht ausreichen, die für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung steht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6540 3 Aufgrund der eng gefassten Voraussetzungen des Ruhens der Schulpflicht von Kindern und Jugendlichen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, der Entscheidungskompetenz allein der Schulaufsichtsbehörden und der hierbei erforderlichen Beteiligung der unteren Gesundheitsbehörde und der Eltern kann es nur um wenige Fälle gehen. 3. Wenn eine solche statistische Erfassung nicht vorliegt: Wird die Landesregie- rung eine solche Erfassung der Gesamtzahl in Verbindung mit den jeweiligen Förderschwerpunkten ab dem kommenden Schuljahr vornehmen? Der Landtag hat sich in seiner Entschließung zum Ersten Gesetz zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) zum Ruhen der Schulpflicht geäußert (Landtagsdrucksache 16/4218). Er hat die Landesregierung gebeten, diesen Aspekt in ihren Bericht an den Landtag über die Auswirkungen des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes aufzunehmen und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen bzw. vorzuschlagen. Der Bericht wird den Aspekt des Ruhens der Schulpflicht in den Blick nehmen. 4. Welche Maßnahmen will die Landesregierung im Ein-zelnen ergreifen, damit im Zuge der Umsetzung der Inklusion die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, deren Schulpflicht ruht, nicht deutlich ansteigt ? 5. Was würde aus Sicht der Landesregierung eine Zunahme der Zahl derjenigen Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, deren Schulpflicht ruht, für die inhaltliche Bewertung der rot-grünen Umsetzung der Inklusion bedeuten? Die Schulaufsichtsbehörden des Landes kennen die eng gefassten gesetzlichen Voraussetzungen des Ruhens der Schulpflicht und handeln danach. Die Landesregierung kann darüber hinaus keinen Zusammenhang zwischen dem Ruhen der Schulpflicht und der Umsetzung der Inklusion erkennen, daher bedarf es aktuell keiner Maßnahmen der Landesregierung .