LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6558 18.08.2014 Datum des Originals: 15.08.2014/Ausgegeben: 21.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2511 vom 21. Juli 2014 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/6355 Wie bewertet die Landesregierung die Einführung eines ordentlichen Schulfaches „Wirtschaft“ im grün-rot regierten Baden-Württemberg? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2511 mit Schreiben vom 15. August 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbrauchschutz und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelsand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Baden-Württemberg wird laut Pressemeldungen ein ordentliches Schulfach „Wirtschaft“ eingeführt. So meldete z.B. „faz.net“, dass die Schulen früh und umfassend wirtschaftliche Zusammenhänge lehren sollen und dass die flächendeckende und umfassende Ausbildung Baden-Württemberg zum Vorreiter mache. Geplant ist laut Presse, dass ab dem Schuljahr 2016/2017 an allen allgemeinbildenden Schulen das neue Schulfach „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“ eingeführt werden solle. Angekündigt wurde dieses Ziel demnach vom Wirtschafts- und Finanzminister von der SPD, dem Koalitionspartner in der grün-roten Landesregierung . In der FAZ-Meldung heißt es: „Für die praxisorientierten Werkrealschulen, die Realschulen und die Gemeinschaftsschulen soll das neue Fach in den Klassen 7 bis 10 mit fünf Stunden in der Woche unterrichtet werden. An den Gymnasien wird es in den Klassen 8 bis 10 mit jeweils drei Stunden pro Woche unterrichtet.“ Laut Internetauftritt der Badischen Zeitung wurde Wirtschaftsunterricht an allgemeinbildenden Schulen bisher im Fächerverbund GWG (Gemeinschaftskunde, Wirtschaft, Geografie) erteilt. Weiter heißt es dort: „In den Haupt- und Werkrealschulen, Gemeinschafts- sowie Realschulen wird das neue Wahlpflichtfach "Alltagskultur, Ernährung und Soziales" eingeführt. Diese Fächerkombination vereinheitlicht zwei bislang jeweils schulspezifische Angebote: In den Realschulen ersetzt es "Mensch und Umwelt", in den Werkrealschulen das Fach "Gesundheit und Soziales". In die neue LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6558 2 Kombination gehen außerdem Inhalte des ebenfalls auslaufenden Fachs "Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit" ein. Die thematische Klammer (die Schulverwaltung nennt sie Leitperspektive) für das neue Verbundfach ist die Verbraucherbildung.“ Interessanterweise wird demnach also das Prestigeprojekt der Grünen in Nordrhein-Westfalen in Baden-Württemberg als Wahlpflichtunterricht und als eigenständiger „Ökonomieunterricht“ angeboten. Dass ausgerechnet das grün-rot regierte Baden-Württemberg nun offensichtlich ein solches ordentliches Fach einführt, ist überraschend. Offensichtlich scheint man dort von einer integrierten Lösung, die unter dem Dach der „Verbraucherbildung“ den Gemischtwarenladen von Gesundheit über Ernährung, von Konsumfragen bis hin zur Medienkompetenz und Datenund Verbraucherschutz dann auch noch – irgendwie – ökonomische Kenntnisse umfassen soll, nicht überzeugt. Genau in dieser Form will es allerdings Rot-Grün in NordrheinWestfalen nun für einige Schulformen umsetzen. Die FDP-Landtagsfraktion hatte anknüpfend an den seit dem Schuljahr 2010/ 2011 an Realschulen durchgeführten Modellversuch “Wirtschaft an Realschulen“ und aufgrund der eindrucksvollen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen für ein solches Fach die Einführung eines Pflichtfaches „Wirtschaft“ an Realschulen sowie für den Realschulbildungsgang an Sekundarschulen aufwachsend ab der 7. Klasse mit Beginn des Schuljahres 2014/2015 gefordert. Hierin sollten ökonomische Kenntnisse vermittelt werden; wobei sich eine umfassende ökonomische Bildung jedoch nicht allein auf ein z.B. theoretisches Verständnis der Wirtschaftsordnung erstrecken soll, sondern selbstverständlich auch Fragen des Verbraucherschutzes bzw. der -bildung wie etwa die Vermittlung von Kenntnissen zum Abschließen von Verträgen oder das Führen von Konten umfasst. Die Landesregierung sollte nach drei Jahren prüfen, inwieweit eine Übertragung eines solchen eigenständigen Schulfaches auch auf andere Schulformen sinnvoll ist, wenn dies dort gewünscht sei. SPD und Grüne sind den Wünschen von Schülern, Eltern, Pädagogen und Schulleitungen an den Realschulen nicht gefolgt und haben die Etablierung eines eigenständigen Faches „Wirtschaft“ letztlich verhindert. Als „Trostpreis“ wurde den Realschulen ein Wahlpflichtfach „Politik/Ökonomische Grundbildung“ ermöglicht. Rot-Grün hat sich in Nordrhein-Westfalen gegen ein eigenständiges Fach „Wirtschaft“ mit der Begründung gewehrt, eine Vermittlung ökonomischer Kompetenzen müsse in integrierter Form erfolgen. Auch sei eine solche Einführung aufgrund des Herauslösens von entsprechenden Teilbereichen aus anderen Fächern oder Lernbereichen nicht möglich – auch wenn bereits alleine im Rahmen der Unterrichtsvorgaben „Ökonomische Bildung für die Sekundarstufe I“ anteilig Stundenvorgaben bestehen. Offenkundig werden solche Argumente von der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg nicht geteilt. Rot-Grün in NordrheinWestfalen verwies dagegen darüber hinaus gerne auf Schleswig-Holstein, auch wurden die Beschlüsse der KMK – in der auch Baden-Württemberg Mitglied ist – zur Verbraucherbildung herangezogen. Offensichtlich werden die von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen vorgebrachten Argumente gegen ein ordentliches Fach „Wirtschaft“ von der grün-roten Landesregierung in BadenWürttemberg inhaltlich nicht geteilt. Daher ist es interessant zu erfahren, wie die Landesregierung das dortige Vorgehen schulfachlich bewertet. 1. Wie bewertet es die Landesregierung aus pädagogischer Sicht, dass in Baden- Württemberg anders als von der rot-grünen Landesregierung als unerlässlich erklärt , die Vermittlung ökonomischer Kenntnisse offensichtlich nicht integriert /übergreifend erfolgen soll, sondern als eigenständiges Lehrfach? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6558 3 2. Warum ist in Baden-Württemberg offensichtlich ein Herauslösen einzelner Teilbereiche aus anderen Fächern für ein Fach „Wirtschaft“ möglich, wenn dies in Nordrhein-Westfalen angeblich nicht möglich sein soll? 3. Wie bewertet es die Landesregierung, dass offensichtlich in Baden-Württemberg eine umgekehrte „Wertung“ bezüglich eines ordentlichen Pflichtfaches und eines Wahlpflichtunterrichtes vorgenommen wird? Ökonomische Bildung und Verbraucherbildung sind ein wichtiger Bestandteil der schulischen Bildung. Das Ziel, junge Menschen auf die verschiedenen Rollen vorzubereiten, die sie in der Gesellschaft und im Wirtschaftsleben einnehmen, kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden. So lassen sich auch bei der Frage, ob die Vermittlung ökonomischer Kompetenzen in einem eigenständigen Kernfach Wirtschaft oder in integrierter Form erfolgen soll, gute Argumente für die eine wie für die andere Seite vorbringen. Diese Argumente sind beispielsweise in den Beratungen des Beirats zum Modellversuch „Wirtschaft an Realschulen“, aber auch in der Expertenanhörung zum Antrag der Fraktion der FDP „Profilbildung des Realschulgangs stärken – Fach ‚Wirtschaft‘ als verbindliches Schulfach einführen“ (Drs. 16/3448) und zum Antrag der Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen „Verbraucherbildung in der Schule nachhaltig und vielfältig gestalten“ (Drs. 16/3223) vorgebracht worden. Anders als in Frage 1 und 2 suggeriert wird, hat die Landesregierung ihre Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung der im Beirat und in der Anhörung erörterten unterschiedlichen Positionen getroffen. Dass es verschiedene Wege gibt, dasselbe Ziel einer fundierten ökonomischen Grundbildung und Verbraucherbildung zu erreichen, war im Übrigen auch das Ergebnis einer bundesweiten Fachtagung zum Thema Verbraucherbildung an Schulen, die vom Verbraucherzentrale Bundesverband am 11. Juni 2014 in Berlin durchgeführt worden ist und an der sich die KMK und die Verbraucherschutzministerkonferenz aktiv beteiligt haben. Bei dieser Veranstaltung stellten mehrere Länder ihre jeweilige Vorgehensweise bei der Stärkung der Verbraucherbildung vor, außerdem wurden Fragen der ökonomischen Grundbildung thematisiert . 4. Widerspricht aus Sicht der Landesregierung das Vorgehen der rot-grünen Lan- desregierung in Baden-Württemberg KMK-Beschlüssen bzw. -Empfehlungen zur Verbraucherbildung? Die Einrichtung des Faches „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ in BadenWürttemberg geschieht im Rahmen einer umfassenden Neustrukturierung der Bildungspläne ab dem Schuljahr 2016/17. Dabei wird Verbraucherbildung als eine von drei themenspezifischen Leitperspektiven formuliert, die nicht einzelnen Fächern zugeordnet, sondern übergreifend in verschiedenen Fächern behandelt werden sollen. Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.09.2013 zur Verbraucherbildung an Schulen führt aus, dass „Verbraucherbildung (…) in den Unterricht eines oder mehrerer Unterrichtsfächer integriert (ist).“ Er gibt also keine Einheitslösung für alle Schulen vor, vielmehr eröffnet er unterschiedliche Wege, um die Ziele und Grundsätze der Verbraucherbildung an Schulen durch eigene Vorgaben in den Ländern umzusetzen. Dabei ist entscheidend, dass die verschiedenen Kompetenzfelder abgedeckt werden; mit welchen Instrumenten die Länder dieses Ziel erreichen, bleibt ihnen überlassen. Insofern steht das Vorgehen der badenwürttembergischen Landesregierung nicht in Widerspruch zu KMK-Beschlüssen zur Verbraucherbildung .