LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6582 20.08.2014 Datum des Originals: 20.08.2014/Ausgegeben: 25.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2508 vom 18. Juli 2014 der Abgeordneten Ingola Schmitz FDP Drucksache 16/6348 Klagen Betriebe zu Unrecht über mangelnde Ausbildungsreife von Jugendlichen: Teilt die Landesregierung die Meinung von Minister Schneider, wonach wandelnde Sprache von Jugendlichen, „die Wirtschaft“ selber und „die Medien“ für unzureichende Bildungskenntnisse verantwortlich sind? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 2508 mit Schreiben vom 20. August 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, der Ministerin für Schule und Weiterbildung und dem Minister für Wirtschaft , Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut WAZ vom 16. Juli 2014 hat der Minister für Arbeit, Integration und Soziales einen Betrieb in Düsseldorf besucht, um über Bildungsdefizite von Jugendlichen zu sprechen, die ein Problem für mittelständische Betriebe darstellen. Hierbei hat der Minister auch an mehreren Bewerbungsgesprächen teilgenommen. Während seitens des Betriebs und auch nach übereinstimmender Beobachtung anderer Betriebe über wachsende Schwierigkeiten berichtet und laut Artikel erklärt wurde, dass man „das Ergebnis der NRW-Bildungspolitik zu spüren“ bekomme, wies der Minister – offensichtlich ziemlich aufgeregt und demnach „unwirsch“ – Kritik an der Bildungspolitik zurück. Zu Recht lobte der Minister hierbei das duale Ausbildungssystem . Gleichzeitig erklärte er aber laut Westdeutscher Allgemeiner Zeitung, die Klagen hätte es bereits in den 70er Jahren gegeben. Die Defizite hätten demnach laut seiner Einschätzung nichts mit dem Schulsystem zu tun, sondern seien Ergebnis der sich wandelnden Sprache unter Jugendlichen oder den Forderungen der Wirtschaft geschuldet, die Kürzungen der Lerninhalte gefordert hätten – auch sei die Presse für Bildungsdefizite mitverantwortlich , weil „die Texte in der Tageschau und in den Tageszeitungen„ kaum „noch einer“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6582 2 verstünde. Als Antwort kündigte der Minister an, Defizite in „Vorschaltklassen“, die Jugendliche vor Beginn der Ausbildung besuchen sollen, schließen zu wollen. Die Ausführungen des Ministers sind aus unterschiedlichen Gründen ausgesprochen bemerkenswert . Dass die wandelnde Sprache der Jugendlichen Schuld an den Bildungsdefiziten sei, ist insofern beachtenswert, da die Landesregierung gerade z.B. bezüglich der Rechtschreibung eine weitergehende Untersuchung zurückgewiesen hat – obwohl zumindest im Vergleich zu früheren Jahrzehnten eine höhere Fehlerhäufigkeit wissenschaftlich festgestellt wurde. Allerdings wurde gleichzeitig ein steigender Wortschatz konstatiert – vielleicht ist letzteres aus Sicht des Ministers eine Fehlentwicklung, die er beklagt? Die rot-grüne Landesregierung entfernt Leistungselemente schrittweise aus dem Bildungssystem. Insofern ist auch die Zurückweisung jeglicher politischer Verantwortung durch den Minister bemerkenswert. Ebenfalls stellt sich die Frage nach dem generellen Verständnis des Ministers von Bildungspolitik . Offenkundig wird die Meinung nicht geteilt, dass es sehr wohl Aufgabe der Schulpolitik ist, jungen Menschen das Rüstzeug mitzugeben, damit sie – bei entsprechendem kognitivem Vermögen und dem unverzichtbaren individuellen Engagement – eine Ausbildung und ein Studium absolvieren zu können. Auch stellt sich die Frage, ob der Minister z.B. die Umstellung auf Kompetenzorientierung von Lehrplänen als Streichung von Inhalten bewertet – eine Umstellung, die auch von Rot-Grün als sinnvoll erachtet wird. Insofern verwundern generell die „Ausfälle“ des Ministers, der den Firmen eine Mitschuld an der mangelnden Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen zuweist. Dass aus Sicht von Minister Schneider auch die Medien eine wichtige Schuld an schulischen Defiziten tragen, bedarf einer weitergehenden Erläuterung der Landesregierung. Da bereits heute ausbildungsvorbereitende Bildungsgänge bestehen (deren Umgestaltung im Übrigen gerade vom Landtag einstimmig beschlossen wurde), wäre es ebenfalls wichtig zu erfahren, was genau der Minister unter – offenbar neuen – „Vorschaltklassen“ versteht. Auch wäre eine Aussage der Landesregierung dazu hilfreich , ob diese „Vorschaltklassen“ für alle Jugendlichen, die eine Ausbildung beginnen wollen , verbindlich werden sollen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleine Anfrage 2508 bezieht sich offensichtlich auf einen Bericht in der Lokalausgabe Gladbeck/Kirchhellen einer großen Regionalzeitung vom 16.Juli 2014, aus dem im Text der Kleinen Anfrage erkennbar zitiert wird. Die dortige Darstellung der Aussagen des Ministers für Arbeit, Integration und Soziales ist an vielen Stellen verzerrt oder missverständlich, was dem Verfasser des Berichts gegenüber bereits detailliert dargestellt worden ist. 1. Teilt die Landesregierung die Einschätzung von Minister Schneider, dass die rot- grüne Bildungspolitik für keinerlei schulische Defizite verantwortlich ist, da die Defizite ausschließlich „Ausdruck einer veränderten Gesellschaft“ seien? Dass bei Ausbildungsbewerberinnen und -bewerbern zum Teil auch schulische Defizite existieren , ist eine alte Klage und seit jeher unbestritten. In der sich rasch ändernden Gesellschaft werden häufig andere Kompetenzen als wichtig erachtet als zuvor und sind daher bei den Jugendlichen teilweise differenzierter (z.B. ITKenntnisse ; Fremdsprachen; Kommunikationsfähigkeit; Teamfähigkeit) oder auch weniger differenziert ausgebildet. Darin liegt auch ein Potenzial. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6582 3 Der Ansatz der Landesregierung und ihrer Partner im Ausbildungskonsens „Kein Abschluss ohne Anschluss“ greift primär die Stärkung von Potenzialen und Kompetenzen der jungen Menschen mit dem Ziel auf, sie intensiver und individueller zu unterstützen, Bildungswege offen zu halten und Potenziale auch in praktischen Kontexten auszubauen bzw. weiter zu entwickeln. 2. Wie begründet die Landesregierung im Einzelnen die Aussage von Minister Schneider, dass „die Wirtschaft“ für mögliche ausbildungshemmende Defizite der Jugendlichen sei, wenn diese die Schulen verlassen? Eine entsprechende Aussage ist nicht gemacht worden. 3. Auf welcher Grundlage belegt die Landesregierung die Aussage von Minister Schneider, dass die sich wandelnde Sprache unter Jugendlichen für schulische Defizite verantwortlich ist? Mit den entsprechenden, stark verkürzt wiedergegebenen Aussagen hat Minister Schneider darauf hingewiesen, dass an Kriterien der Hochsprache orientierte sprachliche Defizite von Bewerberinnen und Bewerbern auf Ausbildungsplätze u. a. darauf zurückzuführen sind, dass die Sprache sich in einem permanenten Veränderungsprozess befindet. Die Vielfalt an Textformen , wie z. B. Brief, E-Mail und Chat, hat es in der Form, wie sie heute existieren, früher nicht gegeben. Das stellt Jugendliche vor die Herausforderung, diese auch differenziert und situationsangemessen einzusetzen. 4. Wie begründet die Landesregierung im Einzelnen die Aussage von Minister Schneider, dass auch „die Tagesschau und die Tageszeitungen“ für die schulischen Defizite der Jugendlichen mitverantwortlich sind? Die Landesregierung sieht kein Verschulden der Medien an den angesprochenen schulischen Defiziten junger Menschen. Minister Schneider wies lediglich darauf hin, dass nach seinen Erfahrungen ein großer Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer Nachrichtensendungen wie die Tagesschau aber auch vergleichbare Printmedien nicht verstehe. 5. Was genau ist im Vergleich zur bisherigen schulischen Ausbildungsvorbereitung unter den laut Artikel von Minister Schneider angekündigten „Vorschaltklassen“ zu verstehen? Mit dem nicht-technischen Begriff „Vorschaltklassen“ verwies Minister Schneider im positiven Sinne auf zahlreiche Initiativen der Wirtschaft, mit denen die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen gestärkt wird, und warb dafür, diese stärker auszuweiten.