LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6587 20.08.2014 Datum des Originals: 20.08.2014/Ausgegeben: 25.08.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2487 vom 14. Juli 2014 des Abgeordneten Henning Höne FDP Drucksache 16/6311 Zu viele Pestizide in europäischen Gewässern – Wie steht es um Flüsse, Bäche und Seen in Nordrhein-Westfalen? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2487 mit Schreiben vom 20. August 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet auf ihrer Internetseite faz.net in dem Artikel „Zu viele Pestizide in Gewässern“ über die unerwartet starke Belastung europäischer Gewässer mit umweltschädlichen Chemikalien. Laut der in diesem Artikel zitierten Studie des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Zusammenarbeit mit der Universität Koblenz Landau sei die Belastung der Gewässer derart hoch, dass die von der EU im Jahr 2000 in der Wasserrahmenrichtlinie gesetzten Ziele in Bezug auf die Verbesserung der Wasserqualität bis 2015 nicht eingehalten werden können (vgl. Richtlinie 2000/60/EG). Als Hauptverursacher dieser Umweltbelastungen identifizieren die Wissenschaftler landwirtschaftliche Betriebe und Kläranlagen. „Die chemische Belastung stellt für rund die Hälfte der europäischen Gewässer ein ökologisches Risiko dar. Bei rund 15 Prozent könnten sogar akut toxische Effekte auf Gewässerorganismen auftreten“, so die Wissenschaftler. Weiterhin berichtet Umweltminister Johannes Remmel in seinem Umweltbericht aus dem Jahr 2013: „Aktuell befinden sich nur knapp 8 % der untersuchten 13.750 Gewässerkilometer in einem ´guten ökologischen Zustand`“ Vorbemerkung der Landesregierung Gemäß der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, Richtlinie 2000/60/EG), umgesetzt durch das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes (WHG) sowie die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6587 2 Oberflächengewässerverordnung (OGewV) ist für Oberflächengewässer grundsätzlich der gute Zustand zu erreichen. Im Rahmen der Umsetzung der v.g. Richtlinie wird ein intensives chemisches und biologisches Monitoring durchgeführt. Die Ergebnisse des Monitoring bilden die Grundlage für die gemäß WRRL alle sechs Jahre zu erstellenden Maßnahmenprogramme. Aktuell wird das zweite Maßnahmenprogramm erarbeitet, welches 2015 veröffentlicht wird. Das Monitoring weist für NRW aus, dass von den 1.727 Wasserkörpern der Oberflächengewässer über 90 % einen schlechten ökologischen und 100 % einen schlechten chemischen Zustand aufweisen; ohne Berücksichtigung des Parameters Quecksilber wären es bezogen auf den chemischen Zustand 30 %. 1. Wie beurteilt die Landesregierung den Zustand der Gewässer in den einzelnen Kreisen und Flüssen Nordrhein-Westfalens in Bezug auf die Belastung durch Chemikalien? Gemäß der Ergebnisse des Gewässermonitorings in NRW, in dessen Rahmen an mehr als 1.800 Messstellen bis zu 470 Substanzen untersucht werden, wurden folgende relevante Substanzen/-gruppen nachgewiesen: Organozinnverbindungen, Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Polybromierte Diphenylether (PBDE), Pflanzenschutzmittel (PSM) und Biozide, jedoch auch Nährstoffe, Metalle und Arzneistoffe, auf die in der zitierten Veröffentlichung des Umweltforschungszentrums Leipzig sowie der Universität KoblenzLandau nicht eingegangen wird. Insgesamt ist an bis zu 70% der Gewässerstrecken (ohne Berücksichtigung des Parameters Quecksilber) aufgrund der Monitoringergebnisse ein Handlungsbedarf aufgrund stofflicher Belastungen gegeben. Dies wird gestützt durch die Ergebnisse des integrierenden biologischen Gewässermonitorings, welches summarisch die Effekte von Stoffen auf die Lebewesen erfasst. Die Belastung der Gewässer beruht vielfach auf Einträgen aus Siedlungsgebieten wie auch aus landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die Ergebnisse des Monitorings des LANUV belegen eindeutig den Handlungsbedarf im Gewässerschutz, der seinen Niederschlag auch im derzeit in Erarbeitung befindlichen Maßnahmenprogramm nach WRRL finden wird. Da die Fülle der Ergebnisse eine Darstellung für einzelne Flüsse im Rahmen der Beantwortung dieser Anfrage nicht zulässt, wird auf folgende Internetadresse verwiesen: (http://www.flussgebiete.nrw.de/index.php/WRRL/Bestandsaufnahme/2013). Des Weiteren bietet das Informationsportal www.elwasweb.nrw.de aktuelle Informationen zur Gewässerüberwachung sowie große Teile der wasserwirtschaftlichen Informationen des Landes. Dieses Portal bietet auch die Möglichkeit, sich diese Informationen kartografisch darstellen zu lassen und gezielt Gewässer auszuwählen. 2. Wie bewertet die Landesregierung die ökologischen Risiken durch die Belastung der Gewässer mit Chemikalien in Nordrhein-Westfalen? Die in der Veröffentlichung des Umweltforschungszentrums Leipzig sowie der Universität Koblenz-Landau genannten Erkenntnisse und Forderungen entsprechen im Wesentlichen den Erkenntnissen und Forderungen der Landesregierung. Aus Sicht des MKULNV sind aufgrund der stofflichen Belastungen akute und chronische Effekte auf die Lebensgemeinschaften in Gewässern mit entsprechenden Auswirkungen auf die Biodiversität möglich (siehe auch Antwort auf Frage 1). NRW verknüpft daher als eines der wenigen Bundesländer in Deutschland die Erkenntnisse des chemischen und biologischen Monitorings miteinander und berücksichtigt diese in der Maßnahmenumsetzung im Vollzug. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6587 3 3. Inwieweit teilt die Landesregierung die vorgetragenen Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Ziele der erwähnten Richtlinie der Europäischen Union? Die in der Studie angesprochenen ökologischen Risiken sind nicht mit dem ökologischen Zustand nach WRRL bzw. OGewV zu verwechseln. Die bestehenden Bedenken der Forscher bzgl. der Einhaltung der Ziele der WRRL bis 2015 bzw. 2021 sind jedoch nachzuvollziehen (siehe auch „Überblick über die wichtigen Wasserbewirtschaftungsfragen in Nordrhein-Westfalen“ http://www.flussgebiete.nrw.de/index.php/Meldungen/Wasserbewirtschaftungsfragen_2013). Daher ist die Landesregierung der Auffassung, dass für eine Zielerreichung bis 2021 erhebliche Anstrengungen zu unternehmen sind. 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung konkret zur Verringerung der Pestizidbelastung in nordrhein-westfälischen Gewässern und zur Einhaltung der in der Richtlinie 2000/60/EG formulierten Ziele? Die in der Studie angesprochenen stofflichen Belastungen beziehen sich nur zum Teil auf Pflanzenschutzmittel und Biozide (summarisch als Pestizide bezeichnet). Soweit Belastungen zu Pestiziden in den Gewässern im Monitoring aktuell nachgewiesen wurden, werden diese im aktuell zu erstellenden Maßnahmenprogramm behandelt. Im Rahmen der Bewirtschaftung obliegt es den Bezirksregierungen, bei festgestellten Überschreitungen der Umweltqualitätsnormen regelmäßig entsprechende Ursachenforschung zu betreiben und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung der Belastungen zu veranlassen – ggf. in Zusammenarbeit mit den unteren Wasserbehörden und der Landwirtschaftskammer. Handlungsoptionen für Pestizide bestehen zum Beispiel in folgenden Bereichen:  Maßnahmen an der Eintrags-Quelle  Behandlung von Abwasserteilströmen  Zentrale Maßnahmen bei Kläranlagen  Intensivierung der Beratungsmaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft  Information der Öffentlichkeit zur Veränderung des Verbraucherverhaltens Welche Optionen jedoch gewählt werden, hängt vom jeweiligen Eintragsmuster der Stoffe, der jeweiligen Situation vor Ort und den jeweils relevanten gesetzlichen Vorgaben ab. Soweit diese Belastungen auf die Landwirtschaft zurückgehen, sei beispielhaft auf das bestehende Maßnahmenprogramm Landwirtschaft 2010 – 2015 verwiesen (http://www.flussgebiete.nrw.de/index.php/Umsetzung_Ma%C3%9Fnahmenprogramm_Land wirtschaft_2010_-_2015), welches sich derzeit in Überarbeitung befindet. 5. Wie schätzt die Landesregierung das Risiko ein, dass die in Richtlinie 2000/60/EG gesetzten Ziele auf Landesebene nicht erreicht werden und Deutschland eine von der EU-Kommission angedrohte Vertragsstrafe zahlen muss? Im Zusammenhang mit der 2. Bestandsaufnahme gemäß WRRL war eine erneute Abschätzung der Zielerreichung für den Zielzeitpunkt 2021 durchzuführen. Diese ergibt, dass mit einer vollständigen Zielerreichung bis 2021 an allen Gewässern in NRW nicht zu rechnen ist. Auch wenn alle heute möglichen Maßnahmen zur Vermeidung oder Reduzierung von Stoffeinträgen in Gewässer umgesetzt werden, wird durch die über Jahrzehnte angehäufte LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6587 4 Vorbelastung und das „Ausbluten von Stoffen“ aus dem Sediment der Flüsse noch weiterhin eine Belastung der Gewässer mit bestimmten Stoffen über einen längeren Zeitraum zu verzeichnen sein. Diese Situation ist in der ganzen Bundesrepublik und in zahlreichen Mitgliedsstaaten anzutreffen. Sie wird – nach jetziger Einschätzung - nicht dazu führen, dass die EU-Kommission eine Vertragsstrafe gegen die Bundesrepublik verhängen wird. Die EU-Kommission wird allerdings prüfen, ob die Mitgliedsstaaten alle Anstrengungen unternehmen, um dem Ziel der WRRL, dem guten Zustand, so nah wie möglich zu kommen. Die Kommission ist aufgrund der detaillierten Daten aus dem elektronischen Berichtswesen zur Entwicklung von festgelegten Einzelzielen wie dem Zustand der Wasserpflanzen und einzelner chemischer Stoffe sehr gut in der Lage, diese Überprüfung durchzuführen. Wie die Kommission sich verhalten wird, wenn die Mitgliedsstaaten in ihren Anstrengungen zur Umsetzung der WRRL spürbar nachlassen, ist derzeit nicht abzuschätzen. Hier ist der Ausgang der laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Einleitungen der Kali & Salz in die Gewässer im Einzugsgebiet der Weser sowie wegen unzureichender Umsetzung der Nitrat-Richtlinie abzuwarten.