LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6644 27.08.2014 Datum des Originals: 27.08.2014/Ausgegeben: 01.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2556 vom 31. Juli 2014 der Abgeordneten Henning Höne und Marc Lürbke FDP Drucksache 16/6450 Ist eine unmittelbare Kommunikation der Feuerwehrleitstellen auch in Krisensituationen in Nordrhein-Westfalen gewährleistet? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2556 mit Schreiben vom 27. August 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am vergangenen Montagabend kam es aufgrund sintflutartiger Regenfälle im Münsterland teilweise zu chaotischen Situationen. Viele Straßen und Hauskeller waren überflutet. Bei den Feuerwehren gingen innerhalb weniger Stunden laut Medienberichten über 1000 Notrufe ein, sodass die Notrufnummer 112 letztlich überlastet gewesen sein soll und eingegangene Notrufe nicht mehr in Münster entgegengenommen werden konnten. Anrufe seien deshalb nach Düsseldorf weitergeleitet worden. Von dort seien die eingegangenen Meldungen per Telefax an die Feuerwehr nach Bielefeld weitergeleitet worden. Eine Einsatzkraft aus Bielefeld habe die dort eingegangenen Meldungen mit einem Mobiltelefon abfotografiert, um diese Bilder an eine Einsatzkraft in Münster per Kurznachrichtendienst „Whatsapp“ zu übermitteln. Diese pragmatische und unbürokratische Herangehensweise der Feuerwehr ist grundsätzlich zu begrüßen, denn sie dokumentiert den unbedingten Willen zu einer schnellen Hilfe in der Notsituation beitragen zu wollen. Dennoch ist es ein großer und glücklicher Zufall, dass sich die Beteiligten der Feuerwehren persönlich bekannt waren. Über diesen Vorfall berichteten verschiedene Medien, wie zum Beispiel der Radiosender 1Live und die Münstersche Zeitung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6644 2 Vorbemerkung der Landesregierung Bei dem Starkregenereignis vom 28.07.2014 im Regierungsbezirk Münster fielen teilweise mehr als 290 Liter Regen pro m². Dies führte zu einer großen Zahl von Hilfesuchenden, die sowohl über die Notrufnummer 112, über Festnetzanschlüsse und die Krankentransportannahme 19222, als auch über die Nummer 110 Kontakt zu den Leitstellen für Feuerschutz und Rettungsdienst aufnahmen. Konkret wurden insgesamt im Zusammenhang mit dem Starkregenereignis über 8000 Notrufe entgegengenommen. Den Schwerpunkt bildeten dabei die Stadt Münster und die Kreise Steinfurt und Warendorf. Die Behandlung von Notrufen auf die europaweit einheitliche Notrufnummer 112 ist sowohl durch Bundes- als auch durch Landesrecht geregelt. Die Durchleitung und Steuerung der Notrufe in den Telekommunikationsnetzen und die technischen Anforderungen an Notrufanschlüsse sind aufgrund von § 108 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sowie der darauf beruhenden Notrufverordnung (NotrufV) in der Technischen Richtlinie Notrufe (TR Notruf) geregelt. Die Zuständigkeit zur Entgegennahme des Notrufs auf der Nummer 112 beruht auf § 21 Absatz 2 Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetz (FSHG). Zuständig zur Entgegennahme des Notrufs („Notrufabfragestellen“) sind nach dieser Vorschrift grundsätzlich die Kreise und kreisfreien Städte, es sei denn im Einzelfall erfolgt die Notrufabfrage durch die ständig besetzte Feuerwache einer mittleren oder großen kreisangehörigen Stadt, die auch Rettungswache ist (§ 21 Absatz 2 Satz 2 FSHG). Die Umleitung von Anrufen auf der Nummer 112 durch den Anbieter des Notrufanschlusses (in NRW bei allen Notrufabfragestellen die Telekom) ist nach den genannten bundesrechtlichen Regelungen zwar auf Anforderung der Notrufabfragestelle möglich, aber nur für alle an dieser Notrufabfragestelle eingehenden Anrufe. Es bestehen aber zwischen einzelnen Leitstellen Kooperationen, bei denen im Fall von Hochlastsituationen „überlaufende“ Notrufe von einer anderen als der eigentlich zuständigen Leitstelle entgegen genommen werden und auch die notwendigen Einsatzmittel disponiert werden können (z.B. zwischen den Kreisen Warendorf und Gütersloh, zwischen der Stadt Leverkusen und dem Kreis Mettmann oder zwischen dem Rhein-Sieg-Kreis und der Stadt Bonn). 1. Wie viele Notrufe sind während des Starkregens am vergangenen Montagabend im Regierungsbezirk Münster entgegengenommen worden (bitte nach Kommunen getrennt aufführen)? Die Beantwortung erfolgt aufgeschlüsselt nach den Notrufabfragestellen wie sie in der Vorbemerkung erläutert sind ergänzt um Hinweise, in welchen Städten und Gemeinden die meisten Einsätze erfolgten: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6644 3 Stadt / Kreis Zahl der Notrufe Stadt Münster: Insgesamt 3548 Notrufe (vom 28.07 - 31.07.), davon am 28.07. zwischen 10:00h und 0:00h 1174 Notrufe. Diese Notrufe wurden an den 5 regulären und an 6 zusätzlichen Einsatzplätzen auf den Feuerwachen 1 und 2 bearbeitet . Darüber hinaus wurde die Annahme der Festnetznummer 2025-0 mit zusätzlichem Personal verstärkt. Kreis Steinfurt: Insgesamt 2572 Notrufe (vom 28.07., 17:00h - 29.07., 7:00h). davon wurden 1580 Anrufe als Einsätze bearbeitet . Aus den restlichen Anrufen generierten sich keine Einsätze. Schwerpunkt der Einsätze war die Stadt Greven mit weiteren Einsätzen in Altenberge, Nordwalde und Emsdetten. Bei der Kreisleitstelle Steinfurt waren 6 Notrufabfrageplätze und 4 zusätzliche Ausnahmeabfrageplätze im Einsatz. Kreis Warendorf: Insgesamt 1932 Notrufe (vom 28.07. - 29.07.); Schwerpunkt der Einsätze waren die Städte Telgte, Warendorf, Drensteinfurt und Sendenhorst; teilweise wurden in der Kreisleitstelle Warendorf auch Notrufe aus dem Mobilfunknetz von Anrufern aus dem Stadtgebiet Münster entgegengenommen und weitergeleitet. Kreis Coesfeld: Insgesamt 132 Notrufe (am 28.07 vom 18:00h bis 0:00h). Schwerpunkt der Einsätze waren die Städte Coesfeld , Olfen und Dülmen sowie die Gemeinden Havixbeck und Ascheberg . Kreis Borken: Insgesamt 170 Notrufe (im fraglichen Zeitraum); Schwerpunkt der Einsätze waren die Städte Vreden und Stadtlohn . Kreis Recklinghausen: Insgesamt 4 Notrufe (vom 28.07. - 29.07.), die einen wetterbedingten Einsatz erforderlich machten. Stadt Gelsenkirchen: Keine Notrufe im Zusammenhang mit dem Ereignis. Stadt Bottrop: Keine Notrufe im Zusammenhang mit dem Ereignis. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6644 4 2. Wie viele Notrufe mussten aus den einzelnen Kommunen an andere Feuerwehren weitergeleitet werden? Eine „Weiterleitung“ der Notrufe von der örtlich zuständigen Notrufabfragestelle auf eine andere Notrufabfragestelle wäre wie dargestellt nur für alle unter der Nummer 112 eingehenden Anrufe bei einer Leitstelle möglich gewesen. Dies ist in der angesprochenen Situation in keinem Fall erfolgt. 3. Wie analysiert und bewertet die Landesregierung den oben geschilderten Kom- munikationsweg der Feuerwehreinsatzkräfte? Eine Umleitung von Notrufen von Münster nach Düsseldorf hat es nicht gegeben. Die Feuerwehr Düsseldorf berichtet, dass dort dennoch ca. 15 Hilfeersuchen das Unwetter betreffend eingegangen seien. Die Notrufverkehrslenkung richtet sich wie dargestellt nach den bundesrechtlichen Vorschriften des TKG, der NotrufV und der TR Notruf. Die Netzbetreiber unterliegen insoweit der Aufsicht durch die Bundesnetzagentur. Der technische Hintergrund für diese Notruflenkung ließ sich daher bisher von hier nicht nachvollziehen. Nach Auskunft der Feuerwehr Münster sind zudem vereinzelte Meldungen auch bei anderen Feuerwehren eingegangen, jedoch nicht über die Notrufnummer 112, sondern über deren örtliche Festnetznummern . Diese wurden per Fax oder auf persönlichen elektronischen Wegen an die Feuerwehr Münster weitergeleitet. Die Feuerwehr Düsseldorf konnte zwar zunächst die Feuerwehr nicht direkt erreichen und nutzte daher kurzfristig den Umweg über die Feuerwehr Bielefeld. Sie erhielt aber schließlich über die Bezirksregierung Münster eine erreichbare Faxverbindung der Feuerwehr Münster. Diese musste jedoch nicht mehr genutzt werden, da keine weiteren Notrufe aus diesem Bereich eingingen. Die Nutzung der „persönlichen elektronischen Wege“ bedeutete hier zwar in einer insgesamt unübersichtlichen Situation einen zusätzlichen schnellen Informationsweg und belegt die hohe Motivation und den Einsatzwillen der Beteiligten. Jedoch stellt nur die Nutzung der vorhandenen und auch hier grundsätzlich verfügbaren offiziellen Kommunikationswege sicher, dass Hilfeersuchen der Bevölkerung ordnungsgemäß und unter Wahrung der einschlägigen Rechtsbestimmungen bearbeitet werden. 4. In wie vielen Fällen konnte die zuständige Feuerwehr in den letzten fünf Jahren eingehende Notrufe bei ähnlichen besonderen Situationen nicht annehmen, so dass diese Notrufe weitergeleitet werden mussten (bitte jeweils nach Feuerleitstellen aufschlüsseln)? Eine bewusste aktive Umleitung der Notrufe durch die Stadt Münster hat es wie dargestellt hier nicht gegeben. In den letzten fünf Jahren sind die genannten Umleitungen aller Anrufe auf der 112 einer Leitstelle im Land nur zwei Mal veranlasst worden. Nach einem Brand in einer Vermittlungsstelle der Telekom in Siegen im Januar 2013 war auch die Erreichbarkeit der Leitstelle des Kreises Siegen-Wittgenstein nicht mehr gegeben. Die Notrufe wurden daraufhin durch die Telekom in Absprache zwischen den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe zu letzterem umgeleitet. Der umgekehrte Fall trat im Juli 2014 nach einer Störung des Notrufs in Olpe ein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6644 5 In allen anderen Fällen wurden wie in Münster die Notrufe mit anderen Maßnahmen (Einsatz von weiteren Abfrageplätzen, Besetzung von Abfrageplätzen in einer anderen Wache, vorgeplante Kooperation mit einer anderen Leitstelle) abgearbeitet. 5. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den Vorfällen vom vergangenen Montag, um zukünftig auch in Krisensituationen eine reibungslosere Kommunikation zwischen den Bürgern mit der Feuerwehr bzw. der Feuerwehrleitstellen untereinander zu gewährleisten? Die Erfahrung von Bürgern, bei einem Anruf unter der 112 „nicht durchzukommen“ kann sowohl an einer Belegung aller Notrufabfrageplätze einer Leitstelle liegen als auch an einer Überlastung der Telekommunikationsnetze (insbesondere im Mobilfunk). Für den Bürger ist dieser Unterschied nicht immer erkennbar. Eine Erweiterung der Notrufabfragekapazitäten der Leitstellen in Vorbereitung für „Jahrhundertereignisse“ würde von den Trägern der Leitstelle Investitionen erfordern, die außer Verhältnis zur übrigen Aufgabenerfüllung stünden. Die Kapazitäten der Telekommunikationsnetze liegen in der Verantwortung der Netzbetreiber . Gesetzliche Verpflichtungen für Mindestkapazitäten zur Notrufweiterleitung gibt es nicht, der Notruf ist aber in allen Telekommunikationsnetzen vorrangig vor allen anderen Verbindungen herzustellen. Im Zuge der Umstellung der Notruflenkung von Ortsnetzkennzahlen („Vorwahlen“) auf Gemeindegrenzen nach § 3 NotrufV, die derzeit ansteht, erfolgt auch die Einführung einer automatischen Umleitung von Notrufen im Falle von Störungen auf eine vordefinierte Ersatzabfragestelle. Die Netzbetreiber haben hierzu eine Umsetzungsfrist bis zum 01.10.2014. Die vorliegenden Zahlen zeigen zudem, dass eine erhebliche Zahl der Anrufe unter der 112 letztlich nicht zu Einsätzen geführt hat. Solche Anrufe „blockieren“ unter Umständen die Leitungen für wirkliche Notfälle. Sie haben mit der zunehmenden Verbreitung von Mobiltelefonen stark zugenommen. Ein wichtiges Ziel der Landesregierung ist daher, gemeinsam mit den örtlichen Behörden das Wissen der Bevölkerung um das richtige Verhalten in solchen Fällen zu verbessern. Dabei ist anzustreben, das Informationsbedürfnis der Bevölkerung auf allen möglichen Wegen so zu bedienen, dass die Nummer 112 für solche Notfälle freibleibt, die einen schnellen Einsatz der Kräfte erfordern. Durch die derzeit erfolgende Anbindung der Leitstellen an das „Festnetz“ des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben wird eine zusätzliche Kommunikationsmöglichkeit der Leitstellen untereinander geschaffen. Die ebenfalls geplante Ausstattung aller Leitstellen mit dem modularen Warnsystem MoWaS bietet daneben einen zusätzlichen hochverfügbaren, zunächst E-Mail-ähnlichen Kommunikationsweg. Diese Maßnahmen sind bereits vor den Ereignissen vom 28.07.2014 in Münster in Angriff genommen worden.