LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6698 03.09.2014 Datum des Originals: 29.08.2014/Ausgegeben: 08.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2567 vom 5. August 2014 der Abgeordneten Marcel Hafke und Dirk Wedel FDP Drucksache 16/6490 Wie sichert die Landesregierung die Qualität familienrechtspsychologischer Gutachten in Nordrhein-Westfalen? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2567 mit Schreiben vom 29. August 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Familienrechtspsychologische Gutachten spielen bei Sorgerechtsstreitigkeiten eine wichtige Rolle, viele Richter stützen ihr Urteil in erheblichem Maße auf diese Gutachten. Fehlerhafte Gutachten können somit gravierende Folgen für Kinder und Eltern haben und in die jeweiligen Lebenswege entscheidend und nachteilig eingreifen. Eine unter anderem vom Justizministerium des Landes in Auftrag gegebene Studie der FernUniversität Hagen wertete 116 familienrechtspsychologische Gutachten im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm aus. Dabei wurden erhebliche handwerkliche Fehler festgestellt, diagnostische und methodische Standards in der Begutachtungspraxis wurden nicht eingehalten. Bei 56 Prozent der Gutachten fehlte die aus der gerichtlichen Fragestellung abgeleitete fachpsychologische Arbeitshypothese und damit eine grundlegende Voraussetzung für ein aussagekräftiges Gutachten. Zudem wurde bei 85,5 Prozent der Gutachten die Auswahl der eingesetzten diagnostischen Verfahren nicht adäquat begründet, bei 35 Prozent erfolgte die Datenerhebung ausschließlich über methodisch problematische Verfahren. Gemäß der Studie sind ein Drittel bis mehr als die Hälfte der Gutachten als fehlerhaft zu beurteilen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6698 2 Als weiteres Ergebnis ist der Studie zu entnehmen, dass die Qualität der Gutachten eng von der Qualifikation des Sachverständigen zum „Fachpsychologen Rechtspsychologie“ abhängt. So seien die Gutachten von Fachpsychologen, die von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. (DGPs) bzw. dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) zertifiziert wurden, qualitativ besser. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen nahm die Studie bereits zum Anlass, das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz einzubeziehen, damit dieses sich mit den Wissenschaftlern der FernUniversität Hagen am 8. Juli 2014 über die Ergebnisse austauschen konnte. Vorbemerkung der Landesregierung Vorangestellt sei zur Klarstellung, dass das Justizministerium des Landes NordrheinWestfalen die in der Kleinen Anfrage in Bezug genommene Studie weder beauftragt noch veranlasst hat. Es ist vielmehr der Bitte der Forscher nachgekommen, die Untersuchung durch Teilnahme der familiengerichtlichen Praxis auf freiwilliger Basis zu unterstützen. 1. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus der Studie der FernUniversität Hagen zur Qualität familienrechtspsychologischer Gutachten? Die Landesregierung hat den Untersuchungsbericht zu der Studie mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Das Justizministerium hat die familiengerichtliche Praxis über den Inhalt der Studie unterrichtet und die Vorsitzenden Richterinnen und Richter der Familiensenate der Oberlandesgerichte um Stellungnahme gebeten. Diese teilen überwiegend die Einschätzung , dass die Qualität familienrechtspsychologischer Gutachten in der Rechtspraxis Probleme bereite. Dabei gab es allerdings auch kritische Anmerkungen zu der Aussagekraft der Studie, vor allem unter Hinweis darauf, dass sie nur Gutachten aus 4 von 130 Amtsgerichtsbezirken untersucht habe. Die Qualität der familienrechtspsychologischen Begutachtung lasse sich im Wesentlichen verbessern, wenn den Gerichten ausreichend qualifizierte, methodenkritische Sachverständige mit forensischer Erfahrung zur Verfügung stünden, die imstande seien, zeitnah die notwendigen Gutachten zu erstatten. Die Landesregierung hält es aufgrund der Studie für angezeigt, sich der Problematik auf einer breiteren Tatsachengrundlage zu nähern, um den Sachverhalt verlässlich beurteilen zu können. Da die rechtliche Regelung dieses Bereichs in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt und es sich um eine bundesweite Problematik handeln dürfte, hat das Justizministerium den Untersuchungsbericht zum Anlass genommen, das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz zu unterrichten und angeregt, eine bundesweite Untersuchung zu veranlassen , zumal es bereits im Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Parteien heißt (S. 100): „Wir werden Studien auflegen, die die Qualitätsstandards für Auswahl und Eignung von Prozessbeteiligten und Familienpflegern in Familienangelegenheiten untersuchen.“ 2. Ergeben sich in den Fällen, in denen fehlerhafte Gutachten erstellt wurden, neue Rechtsansprüche für die betroffenen Familien? Untersuchungsgegenstand der Studie waren ausschließlich die in familiengerichtlichen Verfahren eingeholten familienrechtspsychologischen Gutachten, nicht aber die in den Verfah- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6698 3 ren ergangenen Entscheidungen. Deshalb kann nicht beurteilt werden, ob rechtsfehlerhafte Entscheidungen ergangen sind. Grundsätzlich gilt für sorge- und umgangsrechtliche Verfahren, dass die betroffenen Familienmitglieder jederzeit neue Anträge stellen und eine erneute familiengerichtliche Prüfung begehren können. Soweit ein Entzug des Sorgerechts angeordnet wurde, überprüfen die Familiengerichte ihre getroffene Entscheidung regelmäßig von Amts wegen, §§ 1696 Abs. 2 BGB, 166 Abs. 2 FamFG. 3. Erwägt die Landesregierung eine Ausweitung der Erhebung auch auf andere Oberlandesgerichtsbezirke? Da die Studie nicht von der Landesregierung veranlasst wurde, eine bundesweite ähnliche Problemlage gegeben sein dürfte und der Bund für die Gesetzgebung zuständig ist, ist ein Vorgehen des Bundes angeregt worden. 4. Zu welchem Ergebnis führte das Gespräch am 8. Juli 2014? Die Landesregierung hat von einem Gespräch am 8. Juli 2014 im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, zu dem die Länder nicht zugezogen wurden, aus einer Pressemeldung erfahren. Auf Nachfrage hat das Bundesministerium mitgeteilt, es habe sich - auf der Grundlage der einschlägigen Aussagen des Koalitionsvertrages auf Bundesebene - um ein erstes Sondierungsgespräch mit den Forschern und weiteren Gesprächsteilnehmern gehandelt. 5. Wie will die Landesregierung die Qualität der familienrechtspsychologischen Gutachten zukünftig sicherstellen? Das Justizministerium unternimmt erhebliche Anstrengungen, um die Richterschaft für die Problematik durch Fortbildung zu sensibilisieren. So findet in der Justizakademie NRW in Recklinghausen mehrmals im Jahr (2013: 3 Seminare, 2014: 2 Seminare) eine dreitägige Fortbildungsveranstaltung für Familienrichterinnen und -richter statt, in der die rechtspsychologischen Grundlagen familienpsychologischer Gutachten dargestellt werden. Diese Veranstaltungen werden von der Richterschaft gut angenommen. Seit diesem Jahr wird zusätzlich eine zweitägige Vertiefungsveranstaltung zu dem Themenkomplex angeboten. Daneben sieht das Programm der Justizakademie weitere Tagungen zum Familienrecht vor. Auch für die Deutsche Richterakademie hat Nordrhein-Westfalen sowohl in den Jahren 2013 und 2014 je ein Seminar zum Thema "Systemische Konfliktlösung im Familienrecht" angeboten , in dem das Begutachtungsverfahren thematisiert wird. In dem ebenfalls von NordrheinWestfalen regelmäßig an der Deutschen Richterakademie ausgerichteten Seminar "Familienrecht für Fortgeschrittene" ist in diesem Jahr ein Abschnitt dem "Gutachten" gewidmet. Selbstverständlich kann die nordrhein-westfälische Richterschaft auch die übrigen familienrechtlichen Seminare an der Deutschen Richterakademie besuchen. Die Studie kann genutzt werden, die Konzeption und Inhalte dieser Fortbildungsveranstaltungen fortzuentwickeln. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6698 4 Neben der Fortbildung wird die Förderung des interdisziplinären Austausches der beteiligten Professionen angestrebt. So sind im Zusammenhang mit der Studie die beiden Forscher darum gebeten worden, sich in einem Gespräch mit Vertretern der Familiensenate auszutauschen . Als weiterer interdisziplinärer Dialog ist ein Erfahrungsaustausch mit den Berufsverbänden der Psychologen und Psychiater angedacht.