LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6699 03.09.2014 Datum des Originals: 01.09.2014/Ausgegeben: 08.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2564 vom 1. August 2014 der Abgeordneten Marcel Hafke und Henning Höne FDP Drucksache 16/6465 Wie bewertet die Landesregierung die Praxis der Einholung von erweiterten Führungszeugnissen gemäß § 72a SGB VIII? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 2564 mit Schreiben vom 1. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Zum Schutz und Wohle der Kinder dürfen Personen keine Aufgaben im Rahmen des SGB VIII wahrnehmen, wenn sie rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs verurteilt worden sind. Zur Sicherstellung dieses Schutzauftrags sollen dazu erweiterte Führungszeugnisse der Jugendarbeiter eingeholt werden. Dies betrifft nicht nur hauptamtlich, sondern auch neben- und ehrenamtlich in der Jugendhilfe tätige Personen. So gilt für die freien Träger der Jugendhilfe gemäß § 72a SGB VIII, dass die Jugendämter mit den freien Trägern, wenn sie öffentlich finanzierte Aufgaben wahrnehmen , Vereinbarungen treffen sollen, in denen die Bedingungen und das Prozedere für das Einholen eines erweiterten Führungszeugnisses geregelt werden. Die Verpflichtung zur Einholung hängt dabei von der Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit ab. Zur Unterstützung der örtlichen Jugendämter bei der Umsetzung dieser Vereinbarungen haben die beiden Landesjugendämter ergänzend zu den „Empfehlungen des Deutschen Vereins “ und den „Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderkinderschutzgesetz der AGJ und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter“ Ende 2012 gemeinsame „Empfehlungen […] zu den Vereinbarungen zwischen den Trägern der freien und öffentlichen Ju- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6699 2 gendhilfe in NRW zu den Führungszeugnissen gemäß § 72a SGB VIII bei Neben- und Ehrenamtlichen in der Kinder- und Jugendförderung“ erstellt. Allerdings fällt in der Praxis in den Kommunen Nordrhein-Westfalens die Handhabe und Ausgestaltung der Vereinbarung mit den freien Trägern sehr unterschiedlich aus. Vor allem die Prüfung nach Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit wird dabei nicht ausreichend vollzogen . Nach Berichten aus einzelnen Kommunen wird mancherorts die Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen zur Voraussetzung für die Förderung nach dem Kinder- und Jugendplan gemacht. Eine weitere Kommune beantrage die Führungszeugnisse direkt selbst beim Bundeszentralregister. Dem gegenübergestellt gäbe es wiederum auch Kommunen, die bei bestimmten Trägern auf die Einholung der Führungszeugnisse verzichten oder die Einholung gänzlich im Ermessen des freien Trägers belassen. Erweiterte Führungszeugnisse stellen zudem hochsensible Daten dar, die besonderen Schutz genießen. Dementsprechend gelten sehr hohe Anforderungen für den Umgang mit diesen Daten. Besonders für junge, ebenfalls ehrenamtlich arbeitende Gruppenleiter kann diese besondere Verantwortung auch eine schwere Last sein, wenn sie die Führungszeugnisse anschauen und ggf. Einträge bewerten müssen. Zudem können die Gruppenleiter so auch über Straftaten Kenntnis erlangen, die für die Frage der Kindeswohlgefährdung keine Relevanz haben. Die Beziehung zwischen Gruppenleitern und den ehren- und nebenamtlichen Jugendarbeitern ist häufig auch persönlicher Natur. Die Einholung von Führungszeugnissen durch einen Freund, Bekannten oder Verwandten empfinden viele der Beteiligten als belastend. Auch können viele Gruppenleiter nicht auf Geschäftsstellen oder Büros zurückgreifen . Folglich werden die sensiblen Daten in privaten Haushalten und damit Außenstehenden zugänglich aufbewahrt. 1. Wie handhaben die Träger der örtlichen Jugendhilfe die Erstellung der Vereinba- rungen nach § 72a Absatz 4 SGB VIII (bitte für alle Jugendamtsbezirke auflisten)? Eine nach Jugendamtsbezirken differenzierte Auflistung darüber, wie die Träger der örtlichen Jugendhilfe die Erstellung von Vereinbarungen nach § 72a Absatz 4 SGB VIII handhaben, liegt der Landesregierung nicht vor und kann auch kurzfristig nicht erstellt werden. Darüber hinaus obliegt die Sicherstellung der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns den Jugendämtern vor Ort im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung. Aus der Beratung der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe, die von den beiden Landesjugendämtern durchgeführt wird, ist bekannt, dass die Gestaltung bzw. Erstellung von Vereinbarungen auf örtlicher Ebene regelmäßig unter Berücksichtigung der „Gemeinsamen Empfehlungen der Landesjugendämter Westfalen-Lippe und Rheinland, der kommunalen Spitzenverbände NRW und des landeszentralen Arbeitskreises der Jugendarbeit /Jugendsozialarbeit (G5)“, der „Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ sowie der „Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz der AGJ und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter“ erfolgt. Darüber hinaus hat das Landesjugendamt Rheinland eine Mustervereinbarung zwischen den Jugendämtern und den freien Trägern nach § 72a Absatz 4 SGB VIII nebst Anlagen erarbeitet und ins Internet gestellt, auf die auch vom Landesjugendamt Westfalen-Lippe verwiesen wird. Wird die Leistung eines freien Trägers überregional angeboten, sind in Nordrhein-Westfalen die beiden Landesjugendämter für den Abschluss einer Vereinbarung nach § 72a Abs. 4 SGB VIII zuständig. Aufgrund einer Absprache zwischen den Landesjugendämtern nimmt das Landesjugendamt Rheinland diese Aufgabe in den Jahren 2013 und 2014 für beide Landesjugendamtsbezirke für ganz Nordrhein-Westfalen wahr. Gegenwärtig sind 138 landeswei- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6699 3 te Vereinbarungen mit überregional tätigen Trägern der freien Jugendhilfe abgeschlossen worden. 2. In welchen nordrhein-westfälischen Kommunen genügen die geschlossenen Vereinbarungen nach § 72a Absatz 4 SGB VIII nicht den gesetzlichen Anforderungen ? Da die Zuständigkeit zum Abschluss einer Vereinbarung nach § 72a SGB VIII bei den örtlichen Jugendämtern liegt, die diese Aufgabe im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung durchführen, sind die abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen den öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe der Landesregierung nicht bekannt. 3. Wie sichert die Landesregierung, dass die örtlichen Jugendämter den gesetzli- chen Auftrag korrekt erfüllen? Die beiden Landesjugendämter führen Beratungen der öffentlichen und freien Träger im Einzelfall durch. Außerdem werden Fachtagungen und Veranstaltungen zum Thema „Abschluss von Vereinbarungen nach § 72a SGV VIII“ angeboten. Darüber hinaus wird über Publikationen und auf den Internetseiten der beiden Landesjugendämter regelmäßig über die Thematik informiert. 4. Wie beurteilt die Landesregierung, dass nur die freien Träger, die öffentlich ge- förderte Leistungen tätigen, aber nicht die privat-gewerblichen Träger erweiterte Führungszeugnisse nachweisen? Im Gesetz ist nicht definiert, wer Träger der freien Jugendhilfe ist. Der Begriff ist weit zu verstehen . Freier Träger ist jede Personengruppe, Initiative, Personenvereinigung und juristische Person, die auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe tätig wird. Dies können sowohl privat-gemeinnützige und privat-gewerbliche Träger als auch Einzelpersonen sein. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass ein freier Träger nach § 75 SGB VIII anerkannt ist. Das Jugendamt muss mit dem freien Träger Vereinbarungen für Tätigkeiten im Rahmen von Leistungen abschließen, die in seinem Jugendamtsbezirk angeboten werden, in der Verantwortlichkeit eines freien Trägers liegen und sich auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe beziehen. Darüber hinaus muss die Leistung öffentlich gefördert werden. Dabei erstreckt sich der Geltungsbereich der Vereinbarungen auf alle aus Mitteln der Jugendhilfe finanzierten Leistungen und Aufgaben der freien Träger im Zuständigkeitsbereich des öffentlichen Trägers. Außerdem ist die Einsichtnahme in Führungszeugnisse lediglich ein Bestandteil eines umfassenden Präventions- und Schutzkonzeptes, das durch den freien Träger zu erstellen und vorzuhalten ist. Dieses Gesamtkonzept sollte sich nicht nur auf die Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII, sondern darüber hinaus auf alle beziehen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6699 4 5. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass ehrenamtliche Gruppenleiter angesichts der Komplexität und der Verantwortung, beispielsweise bezüglich des Datenschutzes , von der Einholung erweiterter Führungszeugnisse nicht überfordert werden? Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass es nicht Aufgabe der Landesregierung ist, sicherzustellen , dass ehrenamtliche Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter von der Einholung erweiterter Führungszeugnisse nicht überfordert werden. Darüber hinaus empfehlen die beiden Landesjugendämter, im Interesse einer einheitlichen Praxis zum Umgang mit § 72a SGB VIII möglichst eine Vereinbarung auf Kreisebene zu erzielen , um u.a. einer möglichen Überforderung von ehrenamtlich Tätigen vorzubeugen. Den gleichen Zweck hatte die Erstellung von Mustervorlagen (Vereinbarungen, Selbstverpflichtungserklärungen , FAQs). Bei kleineren, meist selbstorganisierten Trägern der Jugendhilfe wird von Seiten der Landesjugendämter empfohlen, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Unterstützung leisten und z.B. bei der Einholung von erweiterten Führungszeugnissen behilflich sind. Zumindest aus einzelnen Rückmeldungen im Zusammenhang mit Beratungsleistungen der Landesjugendämter ist bekannt, dass dies auch geschieht. Flächendeckende Informationen liegen dazu aber nicht vor.