LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6758 10.09.2014 Datum des Originals: 10.09.2014/Ausgegeben: 15.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2589 vom 12. August 2014 der Abgeordneten Dr. Joachim Stamp und Dr. Robert Orth FDP Drucksache 16/6536 Dschihadisten beim IS in Syrien und Irak aus NRW Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2589 mit Schreiben vom 10. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Anzahl von Islamisten aus Deutschland, die für den IS im Irak und in Syrien in den Krieg ziehen und Kriegsverbrechen begehen, steigt ständig. Derzeit befinden sich circa 400 Dschihadisten aus Deutschland im Kriegsgebiet. Mindestens 120 davon kommen aus Nordrhein -Westfalen. Die Gründung des Kalifatstaates und die militärischen Erfolge der Islamisten im Irak werden voraussichtlich noch mehr religiöse Extremisten aus Deutschland und Europa anziehen. Radikalisierte, verrohte und militärisch erfahrene Rückkehrer stellen für die Bundesrepublik Deutschland ein unabsehbares Sicherheitsrisiko dar. Dies zeigt nicht zuletzt die Anschlagsdrohung auf das US-Atomwaffenlager bei Koblenz. 1. Wie viele Islamisten wurden seit 2011 jährlich an der Ausreise in das Krisengebiet in Syrien und dem Irak gehindert? Seit 2011 wurden gegen 40 Personen aus NRW ausreisebeschränkende bzw. passentziehende Maßnahmen nach dem PaßG bzw. bei Ausländern nach dem AufenthG i. V. m. dem PaßG angeordnet. (2011: 0, 2012: 5, 2013: 17, 2014: 16 Maßnahmen). Zwei Personen stammten aus Baden-Württemberg, hielten sich aber in NRW auf. Gegen sie wurden in den Jahren 2011 und 2012 Maßnahmen durch die zuständigen Behörden in Baden-Württemberg angeordnet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6758 2 2. Welche Maßnahmen wurden bezüglich der Rückkehrer seitens der Landesregierung ergriffen? Die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalens ergreifen gegenüber Rückkehrern im Rahmen des geltenden Rechts alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie von präventiven und repressiven Maßnahmen, beispielhaft darunter: - Frühzeitige Erkenntnisgewinnung und Gefahrenbewertung, - Operative Maßnahmen nach dem bundeseinheitlichen Maßnahmenkatalog für soge- nannte Gefährder oder relevante Personen (z.B. Gefährderansprachen, Verbleibskontrollen ), - Gewährleistung des Informationsaustausches zwischen den betreffenden Sicherheitsbehörden (auf Landesebene und im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum – GTAZ), - Einleitung und Durchführung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren. In Zusammenarbeit mit lokalen Netzwerkpartnern hat das MIK NRW zudem das Präventionsprogramm „Wegweiser“ gestartet. Beteiligte Partner vor Ort sind Vereine, Sozialverbände , Moscheegemeinden, kommunale Ämter, Familienberatungsstellen, Jobcenter und die Polizei. Das Netzwerk wird in den kommenden Monaten weiter ausgebaut. Dieses Angebot richtet sich grundsätzlich auch an Rückkehrer aus Krisengebieten. 3. Welche Möglichkeiten bestehen aus Sicht der Landesregierung, Rückkehrern die deutsche Staatsangehörigkeit, etwa nach § 28 Staatsangehörigkeitsrecht, zu entziehen ? Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland enthält das uneingeschränkte und absolute Verbot der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit. Im Gegensatz zur Entziehung kann ein sonstiger Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG auf Grund eines Gesetzes unter Umständen verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden: a) Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 28 StAG tritt ein, wenn ein Deut- scher „auf Grund freiwilliger Verpflichtung ohne eine Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung (…) in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, eintritt.“ Der Gesetzgeber sieht in dem Eintritt in den Militärdienst des anderen Staates eine Hinwendung zu diesem Staat und zugleich eine Abwendung von Deutschland, die einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit rechtfertigt. Nach der gesetzlichen Begründung wird eine Polizeisondertruppe als ein vergleichbarer bewaffneter Verband angesehen (BT-Drs. 14/533, S. 15). In Betracht kommen auch paramilitärische staatliche Organisationen (s. Ziffer 28.1 der „Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI zum StAG). b) Unter den engen Voraussetzungen des § 35 StAG kann eine rechtswidrige Einbürge- rung zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden ist. Die Angaben müssen auch wesentlich für die Einbürgerung gewesen sein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6758 3 Bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Rücknahme wird auf die entscheidungserheblichen Tatsachen zum Zeitpunkt der Einbürgerung abgestellt; Straftaten oder die Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen nach erfolgter Einbürgerung können nicht berücksichtigt werden. Die Rücknahme ist nur bis zum Ablauf von 5 Jahren nach der Einbürgerung möglich. 4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, Rückkehrern die Wiedereinreise zu verweigern? Bei ausländischen Rückkehrern (Drittstaatsangehörige) kommen folgende Maßnahmen zur Verhinderung der Wiedereinreise in Betracht: - Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach Art. 96 Schengener Durchführungs- übereinkommen (SDÜ) mit der Folge der möglichen Zurückweisung bei Einreise - Ausschreibung im Geschützten Grenzfahndungsbestand nach Erlöschen des Aufent- haltstitels gem. § 51 AufenthG i.V.m. § 30 BPolG mit der Folge der Visapflicht bei Einreise . Bei EU-freizügigkeitsberechtigten Rückkehrern besteht die Möglichkeit der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung unter den Voraussetzungen von Art 96 SDÜ i.V.m. §§ 6, 7 FreizügG /EU. Rückkehrer, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, können nicht an der Wiedereinreise gehindert werden. 5. Welche Möglichkeiten bietet aus Sicht der Landesregierung das Strafrecht, um Rückkehrer direkt nach der Einreise dauerhaft zu inhaftieren? Die Inhaftierung eines Rückkehrers unmittelbar nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Straf- beziehungsweise Strafprozessrecht möglich, wenn ein Richter gegen ihn die Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO) anordnet und im weiteren Verlauf ein Gericht nach Durchführung des Strafverfahrens eine Freiheits- oder Jugendstrafe verhängt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Ist ein Rückkehrer bereits vor der Einreise zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, kommt bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Inhaftierung aufgrund eines Vollstreckungshaftbefehls (§ 457 Absatz 2 und 3 StPO) in Betracht. Hat ein Gericht einen Rückkehrer vor der Einreise zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, ist die Inhaftierung aufgrund eines Sicherungshaftbefehls (§ 453c StPO) möglich, sofern die gesetzlichen Voraussetzung erfüllt sind.