LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6801 16.09.2014 Datum des Originals: 15.09.2014/Ausgegeben: 19.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2584 vom 6. August 2014 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/6525 Wie sichert die Landesregierung die Druckkammerversorgung für Notfallpatienten mit CO-Vergiftung in NRW? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 2584 mit Schreiben vom 15. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Gegensatz zu Hessen ist in NRW die lebenswichtige Druckkammerversorgung derzeit nicht gesichert. Das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) vertritt die Auffassung, dass das „Soll“ an Intensivbetten (5.554 Betten) erfüllt sei und die Möglichkeiten zur Sauerstoffbeatmung mit normalem Druck (NBO) zur Verfügung stünden, um Patienten mit Kohlenmonoxid-Vergiftung angemessen behandeln zu können. Darüber hinaus stünden zwei HBO-Druckkammern mit intensiv-medizinischer Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung, eine in Düsseldorf, die andere in Aachen, die Versorgung sei somit gesichert . Es behauptet auch, dass die Versorgung von CO-Vergifteten in „normalen“ Krankenhäusern als ausreichend und die Hyperbare Oxygenierung als umstritten gelte. Dieser Aussage widerspricht jedoch u.a. die S1-Leitlinie zur „Arbeit unter Einwirkung von Kohlendioxid“ (Nr. 002/018, zuletzt aktualisiert 06/2011) bei mittelschweren und schweren Vergiftungen. Sie stuft die HBO-Behandlung als ausdrücklich sinnvoll ein. Nur in der HBO-Druckkammer wird der notwendige Sauerstoff-Partialdruck erreicht, der gravierende Folgeschäden bei schwer CO-vergifteten Patienten vermeiden kann. Die Ausstattung der Krankenhäuser mit NBO-Intensivbetten ist als Behandlungsform für diese Patienten nicht ausreichend. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6801 2 Entgegen der Auffassung des MGEPA, das von einer verkehrten Sachlage ausgeht, ist die Ausstattung der Krankenhäuser mit NBO-Intensivbetten nicht ausreichend. Neben Patienten mit Rauchvergiftungen benötigen auch Patienten mit folgenden Krankheitsbildern die überlebenswichtige Behandlung in der HBO- Druckkammer: Patienten nach Tauchunfällen (Dekompressionskrankheit) Patienten mit Gasbrand / nekrotisierende Weichteilinfektion Patienten mit Luft- / Gasembolie Patienten mit Vergiftungen infolge defekter Durchlauferhitzer Gasembolien entstehen u.a. infolge invasiver Katheter-Verfahren in Neuroradiologie und interventioneller Kardiologie. Mit zunehmender Anwendung dieser Behandlung steigt auch das Risiko arterieller Gasembolien, es ist ein Fallanstieg zu erwarten. Zentren, die diese Methoden anwenden, müssen aus medizinischer Sicht auch eine notfallmedizinische Behandlung von Komplikationen vorplanen, damit bei akuten Fällen eine sofortige Behandlung erfolgt . Mediziner und medizinisches Fachpersonal werden für diese Art der Krankheitsbilder zunehmend sensibilisiert. Die Liste der Krankheitsbilder wird umfangreicher, die Anzahl von Patienten die infolgedessen die hyperbare Oxigenierung dringend brauchen, wird steigen. Ärzte beklagen bereits seit langem Kapazitätsengpässe und die damit verbundene eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der Druckkammern. Die Kammern könnten gut ausgelastet sein, wenn eine Nutzung in nahezu 90 % der Fälle nicht wegen fehlenden Personals abgelehnt werden müsste. Dazu kommt es wegen fehlenden Versorgungsauftrags der Kostenträger an die Krankenhäuser . Die Druckkammern sind häufig nicht einsatzbereit, weil der dringend benötigte Bereitschaftsdienst durch qualifiziertes Personal (Ärzte, Schwestern, Techniker) nicht finanziert ist. Ein in Aachen vor Jahren begonnener Bereitschaftsdienst kann nicht 24 Stunden aufrechterhalten werden. Die Druckkammer in Düsseldorf ist lediglich tagsüber an 4 Tagen in der Woche (Mo-Do) einsatzbereit, und auch dieses nicht zu 100% verlässlich. 1. Warum blockiert MGEPA NRW seit Jahren die Bemühungen rettungsdienstlicher Experten, ähnlich lebensrettende Strukturen wie in Hessen in NRW aufzubauen? 2. Lange Transportwege über Ländergrenzen (z.B. bis nach Wiesbaden) führen zu einer gefährlichen, stundenlangen rettungsdienstlichen Unterversorgung, wenn der Notarzt den Transport bodengebunden begleiten muss, weil ein Lufttransport nicht möglich ist (z.B. nachts, widrige Wetterbedingungen, fehlende Hubschrauberkapazitäten ). Warum favorisiert das Land NRW dennoch länderübergreifende Kooperationen? Grundsätzlich ist die Behandlung von Rauchgasvergiftungsopfern als Erstversorgung durch den Rettungsdienst und im Anschluss daran durch die Krankenhäuser mit Intensivstationen in Nordrhein-Westfalen sichergestellt. Die Behandlung in einer Druckkammer ist für Opfer einer Rauchgasvergiftung eine von mehreren Behandlungsmöglichkeiten und nicht immer ist diese die richtige für jede Patientin/für jeden Patienten, zumal oft noch weitere Verletzungen zu einer CO-Vergiftung hinzukommen, die einen Transport und/oder die Behandlung in einer Druckkammer erschweren können bzw. unmöglich machen. Ähnliches gilt für Tauchunfallopfer . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6801 3 Im Gegensatz zu anderen Bundesländern verfügt Nordrhein-Westfalen über mehrere Druckkammern , in Düsseldorf und Aachen darüber hinaus mit Anbindung an eine intensivmedizinische Versorgung, allerdings verfügt derzeit keine Druckkammer über eine 24stündige Bereitschaft . Die in Frage 2 getätigte Aussage, dass das Land eine Unterversorgung riskiere, ist daher falsch. Vor dem Hintergrund einer flächenmäßig noch besseren Versorgung wäre eine Druckkammer mit 24stündiger Bereitschaft oder sogar eine Kammer im Landesteil Westfalen-Lippe von Vorteil. Allerdings kann die Einrichtung einer Druckkammer vom Land nicht vorgeschrieben werden. Die Initiative muss von den Krankenhäusern ausgehen, die den Versorgungsauftrag zur Behandlung von Schwerbrandverletzten übernehmen wollen. Das MGEPA NRW blockiert daher keineswegs Bemühungen, die Versorgung der Bevölkerung in NordrheinWestfalen mit Druckkammern zu erweitern, vielmehr führt das Ministerium nach wie vor Gespräche mit verschiedenen Krankenhausträgern zur Übernahme einer Druckkammerversorgung rund um die Uhr. Darüber hinaus hat das MGEPA NRW eine Bedarfsabfrage zur Nutzung von Druckkammern über einen Zeitraum von zwölf Monaten bei den Trägern des Rettungsdienstes in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse werden in Kürze vorliegen, so dass dann eine genauere Aussage darüber getroffen werden kann, ob und wenn ja wie das Angebot der Druckkammerversorgung in Nordrhein-Westfalen ausgeweitet werden muss. Daneben hat das MGEPA NRW bei der letzten Amtschefkonferenz der Gesundheitsministerkonferenz im Mai 2014 erfolgreich einen Antrag eingebracht, dass eine umfassende Aufarbeitung aller Bundesländer zum Thema „Versorgungslage Sauerstoffhochdrucktherapie“ bis 2015 erfolgen soll. Länderübergreifende Ansätze zur Vorhaltung unter Berücksichtigung vorhandener Angebote und der im Bedarfsfall schnellen Erreichbarkeit sollen dabei erwogen werden. 3. Nach einem CO-Arbeitsunfall in Herdecke (NRW) am 04.06.2014 mussten drei Patienten in drei Hubschraubern zur Druckkammer nach Wiesbaden geflogen werden, so dass in ganz NRW stundenlang kein Rettungshubschrauber für andere Notfälle zur Verfügung stand. In welchem Umfang würde das Land NRW Luftrettungskapazitäten erweitern, damit das MGEPA-Konzept häufiger stundenlanger Rettungshubschrauber-Einsätze bei entsprechenden Flugbedingungen überhaupt greifen kann? Bei dem in der Frage erwähnten Einsatz am 04.06.2014 in Herdecke wurden drei verunfallte Personen mit den Hubschraubern Christoph 8 (Lünen), Christoph 9 (Duisburg) und Christoph Dortmund zur HBO-Therapie nach Wiesbaden geflogen. Während dieses Einsatzes standen die Rettungs- bzw. Intensivhubschrauber Christoph Westfalen, Christoph Europa 2, Christoph 13 und Christoph 25, Christoph 3, Christoph Rheinland, Christoph Europa 1 sowie SAR41 grundsätzlich zur Notfallrettung zur Verfügung. Diese wurden für die oben geschilderte Einsatzlage nicht angefordert. Die in Frage 3 getätigte Aussage, dass in ganz NRW kein Rettungshubschrauber für weitere Notfälle zur Verfügung stand, ist daher falsch. Eine Erweiterung der Luftrettungskapazitäten in Nordrhein-Westfalen ist aufgrund des funktionierenden Luftrettungssystems nicht notwendig. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6801 4 4. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage beurteilt das MGEPA NRW die Versorgung von CO-Vergifteten in „normalen“ Krankenhäusern als ausreichend und die Hyperbare Oxygenierung als umstritten, obwohl wie in der Vorbemerkung angeführt, diese u.a. in der S1-Leitlinie zur „Arbeit unter Einwirkung von Kohlendioxid “ (Nr. 002/018, zuletzt aktualisiert 06/2011) ausdrücklich als sinnvoll eingestuft ist (u.a. Senkung der Rate an schweren neurologischen Folgeschäden von bis zu 40% auf 1,6%) und deshalb auch die Kostenträger (Krankenkassen) die Behandlung als angemessen ansehen und damit auch vergüten? Die hyperbare Oxigenierung im Zusammenhang mit der Versorgung von CO-Vergifteten wurde und wird vom MGEPA nicht als umstritten beurteilt. MGEPA hat lediglich darauf hingewiesen , dass die Behandlung in einer Überdruckkammer eine, aber nicht die einzige geeignete Maßnahme darstellt (siehe auch Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2079 – Drs. 16/5925). 5. Warum verweigert MGEPA NRW für ein Land mit 18 Mio. Einwohnern einen Ver- sorgungsauftrag „Zentrum für Hyperbare Notfall- und Intensivmedizin“ nach Hessischem Vorbild zur Gewährleistung einer zeitnahen Rund-um-die-UhrVersorgung der Bevölkerung, aber auch z.B. von Feuerwehrleuten (nach EinsatzUnfällen bei Bränden bzw. CO-Austritt) und (auch Polizei-)Tauchern nach Tauchunfällen mit dieser vitalen Therapie-Option? Das MGEPA ist auf Grund der (bundes-)gesetzlichen Vorgaben vor Erteilung eines Versorgungsauftrages verpflichtet, eine Analyse der Kriterien „Bedarf“ und „Leistungsfähigkeit“ vorzunehmen . Die Auswertung einer entsprechenden Bedarfsanalyse wird gerade durchgeführt (siehe auch Antwort auf die Frage 1 und 2). In Bezug auf die Leistungsfähigkeit wurden und werden fortlaufend Gespräche mit grundsätzlich in Frage kommenden Krankenhäusern geführt . Bisher hat sich jedoch – anders als in Hessen – kein Krankenhaus bereit erklärt, einen solchen Versorgungsauftrag anzunehmen, auch weil die als gering wahrgenommene Bedarfslage und die erheblichen Vorhaltekosten nicht in Einklang zu bringen waren. Die mit der Fragestellung verbundene Annahme einer „Verweigerung“ ist daher unzutreffend und irreführend . Auch eine mögliche Aufnahme einer oder mehrerer Druckkammern in den Krankenhausplan würde die Situation im Übrigen nicht grundsätzlich ändern, da die planerische Ausweisung von HBO-Kammern keine Änderung bei der Finanzierung von deren Betriebskosten bewirkt. Die Vereinbarung von Zusatzentgelten durch die Parteien der Pflegesatzverhandlungen gem. § 11 KHEntgG (Kostenträger und Krankenhausträger) für Leistungen, die mit HBOKammern erbracht werden, ist hingegen auch ohne planerische Ausweisung möglich. Aus diesem Grunde sind ebenfalls Gespräche begonnen worden, um Möglichkeiten für länderübergreifende (siehe Antwort auf Frage 1 und 2) Lösungen zu suchen.