LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6823 18.09.2014 Datum des Originals: 18.09.2014/Ausgegeben: 23.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2610 vom 20. August 2014 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/6590 Zusammenhänge zwischen „Predictive Policing“, „gefährlichen Orten“ und „Racial Profiling“ in NRW Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2610 mit Schreiben vom 18. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Neben NRW hat nun auch das Bundesland Bayern angekündigt, eine Prognosesoftware zu testen, um anhand von statistischen und kriminologischen Daten zu errechnen, an welchen Orten und Zeiten es gehäuft zu Verbrechen kommen könnte. Die Methode – durch Data Mining möglichst große Datenbestände in Zusammenhänge zu setzen und daraus Ergebnisse zu generieren – ist unter dem Namen „Predictive Policing“ (Vorausschauende Polizeiarbeit) bekannt und wird bereits in mehreren anderen Staaten praktiziert – u.a. in der Schweiz, wo eine Software der deutschen Firma IfmPt eingesetzt wird. Laut Presseberichten werden die Landeskriminalämter in München und Nürnberg "Predictive Policing" ab Oktober im Kriminalitätsfeld Wohnungseinbrüche im Großraum Nürnberg testen. Auch in NRW gibt es Überlegungen, mithilfe dieser Methode Wohnungseinbrüche zu verhindern , indem Polizeibeamte vor den mutmaßlichen Tätern am Tatort erscheinen. D. S., LKADirektor im MIK NRW, sagte gegenüber dem Behördenspiegel dazu: „Stellen wir an einem Ort das gleichzeitige Aufkommen ausländischer LKW und die Verwendung ebenso ausländischer Telefonkarten fest, und das in regionalen Bereichen, die sich für mobile Einbruchstäter aufgrund ihrer Lage, etwa in Grenznähe oder Nähe der Autobahn, besonders eignen, sollte man aufmerksam werden.“ In NRW soll das LKA NRW gemäß Antwort des MIK auf die Kleine Anfrage „Verfügt die Polizei in NRW künftig über ein Einbruchsorakel?“ (Drs. 16/6453) kritisch prüfen, „ob und unter welchen fachlichen und technischen Vorgaben diese Methoden LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6823 2 im Rahmen des geltenden Rechts auf die Kriminalitätsauswertung und -analyse der Polizei NRW übertragen werden können.“ Dies soll laut Behördenspiegel in den Polizeibezirken Duisburg und Köln vollzogen werden. Des Weiteren soll das LKA NRW, „Informationen zu den von Polizeibehörden in Australien, Großbritannien, den Niederlanden und den USA diesbezüglich eingesetzten Methoden des "Predictive Policing" und die dort dazu publizierten Erfolge nachvollziehen.“ Vor kurzem wurde bekannt, dass in Köln durch die Polizei die Kölner Ringe - Amüsiermeile, Martinsviertel inklusive der Trankgasse, Eigelstein, Kölnberg, Hornstraße, Girlitzweg /Vitalisstraße, einzelne Straßenzüge in Köln-Ehrenfeld, Köln-Müngersdorf, KölnChorweiler , Köln-Kalk, Köln-Höhenberg, Köln Humbold/Gremberg sowie der Wiener Platz als so genannte „gefährliche Orte“ eingestuft wurden. An diesen Orten ist es der Polizei laut § 12 Absatz 1 Satz 2 PolG „Identitätsfeststellung“ erlaubt, vorbeugend die Identität einer Person zu überprüfen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich die Person dort zur Ausübung einer Straftat oder zu deren Vorbereitung aufhält. Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete am 30.06.2014, dass die von Personen an diesen Orten von der Polizei aufgenommenen Daten zum Teil gespeichert werden, um zu vergleichen und festzustellen, „ob sich derjenige womöglich auffallend häufig an Orten aufhält, die als Kriminalitätsschwerpunkt gelten “. Der Landesdatenschutzbeauftragte Ulrich Lepper hat die Polizei um eine Stellungnahme zu den Datenspeicherungen gebeten. § 12 Absatz 1 Satz 2 PolG erlaubt zudem anlasslose Identitätsfeststellungen an Orten, an denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen. In den USA, deren Polizeibehörden seit mehreren Jahren Precrime-Methoden anwenden, mehren sich kritische Stimmen und Studien. Zum einem wird der enorme Datenhunger der Methoden kritisiert, denn je höher die Datenmenge, mit der die Software gefüttert wird, desto mehr und vermeintlich genauere Ergebnisse werden generiert. Dadurch entstehen immer größere Datenschutzprobleme. Zum anderen kann die Methode zur Stigmatisierung von Menschen führen. In den USA kommt es z. B. in den durch die Methode ermittelten Gebieten vermehrt zum sogenannten „Racial Profiling“ – dem gezielten Kontrollieren von Menschen etwa aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit. Gerade Deutschland wird im Hinblick auf die Praxis von „Racial Profling“ scharf kritisiert und wird angehalten, Vorfälle dieser Form der Diskriminierung zu erfassen. Durch die Anwendung von „Predictive Policing“-Methoden könnte es wie in den USA zur vermehrten Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten kommen. 1. Welche Datenquellen (Twitter, Melde- oder Strafregister, Kriminalitätsstatistiken) nutzen die bekannten Precrime-Projekte („Predictive-Policing" Methoden) der Niederlande, Schweiz, USA usw., die das LKA zurzeit prüft? (Bitte Projekte und Datenquellen einzeln aufführen) Das Landeskriminalamt NRW (LKA NRW) hat den Auftrag erhalten, die Möglichkeiten und Grenzen von „Preditive Policing“ im Rahmen eines Projektes am Beispiel der Wohnungseinbruchskriminalität zu prüfen. Das Projekt befindet sich zurzeit in der Planungsphase. Aussagen zu Precrime-Projekten in anderen Staaten können daher noch nicht getroffen werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6823 3 2. Welche der in den o. g. Projekten verwendeten Daten sind unter den engen datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für eine hiesige Precrime-Methode nutzbar? (Bitte mit rechtlicher Einschätzung und Begründung) Siehe Antwort zu Frage 1. 3. Versteht die Landesregierung/das LKA Orte, die mithilfe von Precrime-Methoden als Orte mit erhöhter Kriminalitäts-wahrscheinlichkeit ermittelt wurden, als Orte, die Identitätsfest-stellungen nach § 12 Abs. 1 S. 2 PolG rechtfertigen? (Bitte mit Begründung) Orte im Sinne des § 12 Absatz 1 Nummer 2 PolG NRW werden von der Polizei NRW nicht abstrakt oder vorsorglich festgelegt. Ob an einem bestimmten Ort Maßnahmen nach § 12 Absatz 2 PolG NRW zulässig sind, ist in jedem konkreten Fall nach Prüfung der Voraussetzungen der Norm und der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden (siehe auch Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2451 des Abgeordneten Daniel Schwerd der Fraktion der PIRATEN „Rechtsfreier Raum Straße? Elf gefährliche Gegenden in Köln"). 4. Mit welchen Unternehmen (Herstellern), zivilgesellschaft-lichen Initiativen (z. B. der humanistischen Union, der Initiative schwarze Menschen in Deutschland usw.) und/oder Organisationen steht die Landesregierung und/oder das LKA im Austausch über das geplante Precrime-Projekt? Für Unternehmen besteht die Möglichkeit dem LKA NRW ihre Produkte vorzustellen. Ein Austausch mit zivilgesellschaftlichen Initiativen oder Organisationen findet nicht statt. 5. Plant die Landesregierung/das LKA unabhängige Studien und Analysen, z. B. unter antidiskriminierenden Gesichtspunkten, projektbegleitend durchzuführen? (Bitte mit Begründung) Bisher existieren noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit von „Predictive Policing“. Für das Projekt des LKA NRW ist daher eine projektbegleitende Evaluation vorgesehen.