LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6831 19.09.2014 Datum des Originals: 19.09.2014/Ausgegeben: 24.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2374 vom 11. Juni 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/6064 Angekündigte Zustimmung des Landes zum Lebensversicherungsreformgesetz – Welche konkreten Auswirkungen für die Interessen nordrhein-westfälischer Kunden und der selbständigen Versicherungsvermittler erwartet der Finanzminister? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2374 mit Schreiben vom 19. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie , Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Bundeskabinett hat am 4. Juni 2014 den Regierungsentwurf für ein sogenanntes Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte beschlossen . Am 13. Juni 2014, also noch in dieser Woche, beschäftigt sich der Bundesrat erstmals mit dem Lebensversicherungsreformgesetz. Dazu hat der Bundesfinanzminister ein umfassendes Maßnahmenpaket in die politischen Beratungen eingebracht . Anfang Juli 2014 soll dann der Bundestag das Gesetz beschließen, damit der Bundesrat am 11. Juli 2014 darüber endgültig abstimmen kann. Bei einer Einhaltung dieses ehrgeizigen zeitlichen Fahrplans könnte bereits Ende Juli oder Anfang August die Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgen, die geplante Reform also auch in Nordrhein-Westfalen gültiges Recht werden. Hintergrund des Lebensversicherungsreformgesetzes ist das Ziel, die Leistungsfähigkeit der Lebensversicherungen in Deutschland zu sichern und die Verbraucher besser zu schützen. Auf der Internetpräsenz der Bundesregierung äußert sich der Bundesf inanzminister so: „Die niedrigen Zinsen stellen die Versicherungsunternehmen vor große Herausforderungen. Mit der Reform sorgen wir dafür, dass die garantierten Zusagen auch in Zukunft erfüllt werden können. So erhalten wir die Stabilität und Risik o- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6831 2 tragfähigkeit der Lebensversicherungen auch für die nächste Generation.“ Und weiter wird ausgeführt, dass die Versicherungsnehmer so auch in Zukunft die ihnen zugesagten Leistungen aus ihren Lebensversicherungsverträgen erhalten und das Gesetz ferner verhindere, dass Mittel aus den Versicherungsunternehmen abfließen, ohne dass dies ökonomisch gerechtfertigt sei. Zur Erreichung dieser Zielsetzung sollen dann alle an einer Versicherung Beteiligten einen angemessenen Beitrag leisten: die Versicherer, ihre Eigentümer, der Versicherungsvertrieb und die Versicherungsaufsicht , aber auch die Versicherten selbst. Am 10. Juni 2014 berichtet DER TAGESSPIEGEL unter der Überschrift „Entscheidung unter Zeitdruck“ über das Vorhaben: „Um die Lebensversicherungen durch die Niedrigzinsphase zu bringen, plant die Regierung Einschnitte für Versicherungskunden und Aktionäre von Versicherungsunternehmen. Ist ein Versicherer nicht mehr in der Lage, die versprochenen Garantien in voller Höhe zu bedienen, soll er entlastet werden . Kunden, deren Verträge auslaufen, sollen nur noch eine geringere oder gar keine Ausschüttung aus den stillen Reserven mehr erhalten. In diesem Fall werden aber auch die Dividenden der Aktionäre gekürzt oder gestrichen. Zu Gunsten der Verbraucher ist geplant, dass Vertreterprovisionen nur noch zu einem geringeren Teil auf die Kunden abgewälzt werden dürfen und dass den Versicherten ein größerer Teil der Risikogewinne zufließt. Für neue Verträge soll zudem der Garantiezins ab dem 1. Januar 2015 von 1,75 auf 1,25 Prozent gesenkt werden.“ Kunden, die noch von der alten Regelung profitieren möchten, wird geraten, kurzfristig ihre Lebensversicherung zu künd igen . Die grundsätzliche Zielsetzung der Bundesregierung, einen gerechten Interessenausgleich unter den Versicherten herzustellen und die Säule der Lebensversicherungen stabilisieren zu wollen, ist vernünftig. Entsprechende Initiativen hat es bereits zur Zeit der schwarz-gelben Bundesregierung gegeben, die von der damaligen Opposition blockiert worden sind. Als problematisch hingegen ist die in dem Gesetz vorgesehene Regelung einer zwingenden Offenlegung der Provisionen für Versicherungsvermittler zu bewerten, die sich schon bald als bürokratisches Monstrum erweisen könnte: „Denn Formulierungen im Referentenentwurf legen nahe, dass der geplante Kostenausweis, inklusive Provisionen und Vertragskosten, auf Euro und Cent für alle Versicherungsprodukte gelten soll“, wie im Internetportal www.versicherungsbote.de am 3. Juni 2014 kommentiert wird. Dieses Lebensversicherungsreformgesetz befasst sich demnach nicht nur mit Lebensversicherungen, sondern sieht auch Änderungen des § 61 Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vor. So soll – nach derzeitigem Stand – der § 61 VVG um folgenden Passus ergänzt werden: „Der Versicherungsvermittler hat dem Versicherungsnehmer die ihm für den Abschluss des Vertrages mit dem Versicherungsunternehmen vertraglich vereinbarte Provision als Gesamtbetrag in Euro mitzuteilen. Er hat dies nach § 62 zu dokumentieren.“ Eine Eingrenzung auf Lebensversicherungsprodukte wird dabei aber nicht vorgenommen . Versicherungsvermittler befürchten laut www.vericherungsbote.de daher einen „gigantischen Bürokratie-Aufwand (…), der alleine für Versicherungsmakler Kosten von über 1,1 Mrd. Euro pro Jahr bedeutet.“ Im Referentenentwurf heißt es zu den erwarteten Kosten: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6831 3 „Der Aufwand aus der Informationspflicht betrifft zum größten Teil die Information der Versicherungsnehmer über die Abschlussprovision (§ 61 Absatz 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz - VVG) mit 1.150.000,00 Euro.“ Es ist davon auszugehen, dass ein Vermittler für jeden Kunden, der sich für eine Versicherung interessiert, mehrere Angebote mit unterschiedlichen Zahlungsweisen und Selbstbeteiligungsvarianten berechnet, so dass in Folge dessen zukünftig für jede Variante ein detaillierter Kostenausweis durch den Vermittler zu erstellen ist. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans hat am 10. Juni 2014 gegenüber den Medien Zustimmung zur Gesetzesänderung seitens des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der weiteren SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat signalisiert: "Eine Änderung der geltenden Regelung ist dringend notwendig, aber sie ist nicht nur eine Verteilungsfrage zwischen denen, deren Lebensversicherung jetzt ausläuft und denen, die erst später ausbezahlt werden. Auch die Versicherer müssen einen erkennbaren Beitrag leisten. (...) Alles in allem ist das ein Ergebnis, das veränderten Rahmenbedingungen gerecht wird und insgesamt gerecht ist." (DER TAGESSPIEGEL, 10. Juni 2014) Es gilt hier jedoch nach Auffassung der FDP, zunächst sorgfältig sowohl eine sinnvo lle größtmögliche Transparenz bei den Versicherungsverträgen für die Kunden, aber auch die Belastungen für die mittelständisch geprägten Versicherungsvermittler, abzuwägen . In der Regel werden Kunden von Versicherungskaufleuten beraten, die qualifiziert und transparent über ihre Produkte informieren und so dazu beitragen, die parteiübergreifend gewünschte Säule der privatfinanzierten Altersvorsorge zu stärken. Dazu sind aber Rahmenbedingungen notwendig, die den Vermittlern, in der Regel mi ttelständischen Betrieben mit Angestellten, die Voraussetzung geben, auch wirtschaf tlich und kostendeckend arbeiten zu können. Bundesweit sind rund 245.000 Versicherungsvermittler registriert; ein entsprechender Anteil entfällt dabei auf das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen. Vorbemerkung der Landesregierung Die 2008 eingeführte Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven führt in der jetzigen Niedrigzinsphase dazu, dass an Kunden bei Kündigung oder Ablauf des Lebensversicherungs-vertrags Zinsen ausgeschüttet werden, die den Kunden, deren Verträge erst später ausgezahlt werden, nicht mehr zur Verfügung stehen . In Artikel 8 des noch von der schwarz-gelben Bundesregierung eingebrachten „SEPABegleitgesetzes “ (BT-Drucksache 17/10038 vom 07.11.2012) sollte eine Änderung der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven beschlossen werden . Der Änderungsvorschlag fand Anfang 2013 im Vermittlungsausschuss keine Mehrheit, weil von der rot-grünen Bundesrats-Mehrheit die fehlende Beteiligung der Versicherungsunternehmen bemängelt wurde. NRW beantragte daher zur Abhilfe des Problems, der Bundesrat solle die Entschließung fassen, in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Korrektur vorzunehmen . Im Laufe des Verfahrens sollten dann alle Beteiligten auf Seiten der Verbraucher und der Versicherungswirtschaft rechtzeitig gehört werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6831 4 1. In welcher Kabinettsitzung hat die nordrhein-westfälische Landesregierung bereits ihre Entscheidung getroffen, dem „Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte“ im Bundesrat zuzustimmen? Gemäß den Empfehlungen der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre im Hinblick auf den „Deckbeschluss“ der Landesregierung vom 1.Juli 2014 trat die Landesregierung dafür ein, dass der Bundesrat keinen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG (Vermittlungsausschuss ) stellt. 2. Aus jeweils welchen inhaltlichen Erwägungen im Detail, auch unter Berücksich- tigung der nordrhein-westfälischen Landesinteressen, unterstützt der Finanzminister offenbar alle neuen Regelungsgegenstände der Gesetzesinitiative? Kleine Anfragen richten sich an das Kollegialorgan der Landesregierung. Die Landesregierung hat zur Vorbereitung der Sitzung des Bundesrates den in der Antwort auf Frage 1 genannten Beschluss gefasst. Es bestand kein Anlass zu einer weitergehenden abschließenden Willensbildung innerhalb der Landesregierung. 3. Worin sieht die Landesregierung auch unter Verhältnismäßigkeits- gesichtspunkten im geplanten Kostenausweis den konkreten Mehrwert für die Kunden von Versicherungsvermittlern, während diesen Versicherungsvermittlern dadurch ein enormer zusätzlicher bürokratischer Aufwand zugemutet wird? 4. Wie bewertet die Landesregierung im Einzelnen die Auswirkungen auf Zehntau- sende selbständiger mittelständischer Versicherungs-vermittler in NordrheinWestfalen für die ökonomische Stabilität ihrer Berufstätigkeit und den zukünftig immensen bürokratischen Mehraufwand? 5. Wie verhält sich die Landesregierung zu dem praktikablen Vorschlag der Be- troffenen, statt Einführung des Kostenausweises eine stärkere Transparenz für den Kunden zu schaffen, indem im Rahmen eines Renditeeffektes Aufschluss darüber gegeben wird, wie sich die einkalkulierten laufenden Kosten auf die Rendite eines Lebensversicherungsvertrages auswirken? Die Landesregierung sieht in der Verpflichtung zur Offenlegung der Provision als Gesamtbetrag in Euro grundsätzlich eine geeignete Möglichkeit, Kunden das Eigeninteresse des Versicherungsvermittlers am Abschluss des Vertrages offen zu legen und damit die Transparenz über bestehende Vertriebsanreize zu erhöhen. Die Landesregierung bedauert es sehr, dass eine entsprechende Verpflichtung nicht mehr Gegenstand des Lebensversicherungsreformgesetzes ist. Der angebliche „gigantische Bürokratieaufwand, der alleine für Versicherungsmakler Kosten von über 1,1 Mrd. € pro Jahr bedeutet“ – und damit den in der Gesetzesbegründung prognostizierten Aufwand um das 1000-fache überschreitet –, ist weder belegt noch nachvollziehbar. In Anbetracht der IT-technischen Unterstützung bei der Berechnung der auszuweisenden Provisionen sind die prognostizierten Kosten unrealistisch .