LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6847 23.09.2014 Datum des Originals: 23.09.2014/Ausgegeben: 26.09.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2609 vom 20. August 2014 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/6589 Wann richtet NRW unabhängige, externe und zivile Beschwerde- und Ermittlungsstellen zur Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens ein? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2609 mit Schreiben vom 23. September 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit vielen Jahren fordern u. a. die Vereinten Nationen und der Europarat die Einrichtung unabhängiger Ermittlungsstellen in Deutschland, u. a. weil die Aufklärungsquote bei Polizeiübergriffen in Deutschland sehr niedrig ist. Die Forderung nach unabhängigen Ermittlungsstellen in NRW wurde nach dem Polizeieinsatz in Gelsenkirchen anlässlich des Fußballspiels FC Schalke 04 gegen PAOK Saloniki am 21.08.2013 in der Veltins Arena auf Schalke auch von verschiedenen Fanvertretern erneuert. Der UN-Berichterstatter gegen Rassismus, Mutuma Ruteere, hatte Mitte Juni die Praxis von Racial Profiling1 bei Polizeikontrollen in ganz Deutschland scharf kritisiert. „Unabhängige zivile Beratungsstellen bei der Polizei sind ebenso unabdingbar wie klare interne Dienstanweisungen , die polizeiliches Fehlverhalten sichtbar machen und unterbinden“, sagte Ruteere anlässlich einer Konferenz der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und forderte gleichzeitig eine statistische Erfassung aller Fälle von „Racial Profiling“. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle , Christine Lüders, forderte daraufhin Bund und Länder auf, für ein unabhängiges Beschwerdemanagement bei der Polizei zu sorgen. 1 Die Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6847 2 Am 13.August 2014 wurde nun mit dem Beschwerdebericht 2013 der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalens (Vorlage 16/2083) zum ersten Mal eine Zusammenstellung des Beschwerdeaufkommens bei der Polizei veröffentlicht. Im Beschwerdebericht 2013 heißt es auf S. 2: „Bei hinreichenden Anhaltspunkten für ein dienstliches Fehlverhalten sind die Behörden verpflichtet, umgehend, umfassend und unabhängig zu ermitteln“, weiter auf S.4 steht hingegen : „Grundsätzlich ist die Polizeibehörde für die Bearbeitung zuständig, deren Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter betroffen sind.“ Unter Punkt 5.1 des Beschwerdeberichts wird in einer Tabelle das Beschwerdeaufkommen 2013 abgezeichnet: Von 3.960 Beschwerden führten lediglich zwei zu Disziplinar- und/oder Strafverfahren. Laut Experten wie dem Politikwissenschaftler N. P. führen bundesweit nur drei Prozent von Beschwerden gegen Polizeiübergriffe zu einer Anklage. Dies liege u. a. daran, dass Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen ermittelten und es an unabhängigen Ermittlungsstellen fehle. Deutschland bildet hier die Ausnahme, denn in Europa sind fast überall unabhängige Ermittlungsstellen eingerichtet. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat nun unlängst eine unabhängige Anlaufstelle für Bürger und Polizisten zur Befriedung von Konflikten geschaffen – den „Beauftragten für die Landespolizei“. Vorbemerkung der Landesregierung Der Koalitionsvertrag 2012-2017 von NRWSPD und Bündnis 90/Die Grünen NRW sieht vor, das Beschwerdemanagement im Bereich der Polizei fortzuentwickeln. Als Ergebnis dieses Prozesses wurde dem Landtag Nordrhein-Westfalen mit Datum vom 12. August 2014 erstmals ein Beschwerdebericht vorgelegt (LT-Vorlage 16/2083). Es ist beabsichtigt, das Beschwerdemanagement kontinuierlich fortzuentwickeln. Ziel ist es, die Anliegen der Beschwerdeführerinnen bzw. Beschwerdeführer schnell, sachgerecht und auf der Grundlage einheitlicher Standards zu bearbeiten, berechtigten Anliegen Rechnung zu tragen und die im Rahmen der Bearbeitung gewonnenen Erkenntnisse zur Qualitätssicherung und -steigerung polizeilicher Aufgabenwahrnehmung zu nutzen. 1. Gibt es Pläne der Landesregierung zur Errichtung einer unabhängigen Polizeibe- schwerdestelle - wie z. B. in Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz - in NRW? (Bitte mit Begründung und ggf. mit ungefährer Angabe des Planungsstands.) Nein. Alle Beschwerden über Entscheidungen in der Sache und über das Verhalten von Polizeibeamtinnen und -beamten werden in geregelten Verfahren geprüft und beschieden. Die Bearbeitung von Beamtendelikten ist in den Polizeibehörden grundsätzlich einem Kriminalkommissariat zugewiesen. Die Sachleitung des Ermittlungsverfahrens obliegt der Staatsanwaltschaft . Soweit Hinweise auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten einzelner Beamtinnen und Beamter bestehen, wird diesen demzufolge im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in mit erfahrenen Dezernentinnen bzw. Dezernenten besetzten Sonderdezernaten nach Recht und Gesetz nachgegangen. Hierdurch ist die gebotene Objektivität und Neutralität gewährleistet. Den Staatsanwaltschaften des Landes stehen dabei die in der Strafprozessordnung geregelten Ermittlungsinstrumente zur Verfügung. Rechtswidriges Verhalten von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten wird nicht toleriert und konsequent verfolgt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6847 3 Darüber hinaus haben die Bürgerinnen und Bürger jederzeit die Möglichkeit, den Petitionsausschuss des Landtags anzurufen. Die Landesregierung sieht daher keine Notwendigkeit, in Konkurrenz zu diesen in- und externen Beschwerdemöglichkeiten eine weitere Beschwerdeinstanz zu schaffen. 2. Wie viele der im Beschwerdebericht 2013 erfassten Beschwerden erfolgten im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen rund um Fußballspiele? (Wenn möglich, bitte mit Auflistung und kurzer Angabe des Sachverhaltes für jede einzelne Beschwerde.) Gemäß den seit 2010 bestehenden Rahmenvorgaben für die Bearbeitung von Beschwerden werden die in den Polizeibehörden bearbeiteten Beschwerden bislang lediglich quantitativ erfasst. Derzeit erfolgt daher keine landeseinheitlich vorgegebene Erfassung nach Beschwerdeanlässen oder betroffenen polizeilichen Aufgabenbereichen. Es ist beabsichtigt, neben dem Beschwerdemanagement auch den Beschwerdebericht fortzuentwickeln. 3. Wie viele der im Beschwerdebericht 2013 erfassten Beschwerden erfolgten, weil sich Betroffene durch Polizisten diskriminiert fühlten? (Wenn möglich, bitte mit Auflistung und kurzer Angabe des Sachverhaltes für jede einzelne Beschwerde. Siehe Antwort zu Frage 2. 4. Wie viele der im Beschwerdebericht 2013 erfassten Beschwerden erfolgten, weil Betroffene angaben, sich durch „Racial Profiling“ diskriminiert zu fühlen? (Wenn möglich, bitte mit Auflistung und kurzer Angabe des Sachverhaltes für jede einzelne Beschwerde.) Siehe Antwort zu Frage 2. 5. Welche Maßnahmen trifft die Polizei in NRW, damit bei Kontrollmaßnahmen kein „Racial Profiling“ zur Anwendung kommt? Die Polizei des Landes NRW wendet bei ihrer Aufgabenwahrnehmung, und zwar sowohl bei der Gefahrenabwehr als auch bei der Strafverfolgung, kein „Racial Profling“ an. Polizeiliches Handeln basiert im Eingriffsfall ausschließlich auf der bestehenden Rechtsordnung unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit. Die gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer multikulturellen Bevölkerung findet in der Polizei NRW intensive Beachtung und bedeutet für sie eine Ausrichtung an diesen aktuellen Gegebenheiten . Neben der verstärkten Werbung um Nachwuchskräfte mit Migrationsgeschichte wird das Thema „Interkulturelle Kompetenz“ nachhaltig in der polizeilichen Aus- und Fortbildung berücksichtigt. Siehe dazu auch die Antwort zu Frage 4 aus der Antwort auf die Kleine Anfrage 1305 des Abgeordneten Daniel Schwerd von der Fraktion der PIRATEN vom 5. Juli 2013 (LT-Drs. 16/3476).