LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/6926 30.09.2014 Datum des Originals: 29.09.2014/Ausgegeben: 06.10.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2642 vom 3. September 2014 des Abgeordneten Torsten Sommer PIRATEN Drucksache 16/6707 Sind Einzel- und Gruppenmitglieder in Räten und Kreistagen nur Mandatsträger 2. Klasse? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2642 mit Schreiben vom 29. September 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Sowohl die Gemeindeordnung als auch die Kreisordnung Nordrhein-Westfalen beinhalten Regelungen, nach denen Einzelmitglieder und Gruppen nicht die Rechte vollwertiger gewählter Vertreter zustehen. Sowohl Ratsmitglieder als auch Kreistagsmitglieder, die als Einzelmitglieder bzw. Mitglieder einer Gruppe in den Räten und Kreistagen ihr Mandat wahrnehmen, haben dort volles Stimmrecht. Sie wirken damit an der Willensbildung sowie Entscheidungsfindung dieser Organe in vollem Umfange im Sinne z.B. der §§ 40 ff. GO NW mit. Dem widersprechen jedoch die Vorschriften des § 56 Absatz 2 GO NW sowie des § 40 Absatz 2 der KrO NW. Dort heißt es gleichermaßen: Die Fraktionen wirken bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Vertretung mit; sie können ihre Auffassung öffentlich darstellen. Gemäß § 56 Absatz 1 GO NW sind für die Bildung von Ratsfraktionen in kreisfreien Kommunen mindestens 2, in kreisfreien Kommunen mindestens 3 Ratsmitglieder erforderlich. In den Kreistagen können gemäß § 40 Absatz 1 KrO NW mindestens 3 Kreistagsmitglieder eine Fraktion bilden. Die Regelungen des § 56 Absatz 2 GO NW und des §40 Absatz 2 KrO NW werden von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten zum Anlass genommen, Informationen für die Willensbildung und Entscheidungsfindung nur an Fraktionen, nicht aber an Einzelmitglieder und Gruppen zu geben. Letzteren wird damit die Möglichkeit einer eigenen sachgerechten Willensbildung und Entscheidung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6926 2 Eine weitere Beschränkung in der Ausübung eines vollen Mandates, erfahren Einzel- und Gruppenmitglieder durch die in der GO NW sowie KrO NW gleich lautende Vorschrift, dass nur Vorschläge die Aufnahme in die Tagesordnung finden, die von einem Fünftel der Mitglieder oder Fraktionen eingereicht werden. In der fast ausnahmslosen Regel sind dieses Anträge einer Fraktion, weshalb die FünftelRegelung praktisch ins Leere läuft. Gerade bei großen Räten können mehrere Einzelmandatsträger oder Gruppen so gut wie nie einen Tagesordnungspunkt beantragen, da schließlich die Fünftel-Regelung zu einer nicht zu überquerenden Schwelle wird. Diese in beiden Gesetzen niedergelegten gesetzlichen Regelungen, dass quasi nur Fraktionen an der Willensbildung und Entscheidungsfindung mitwirken, und hierzu ihre Auffassung öffentlich darstellen dürfen, widersprechen der ebenfalls gesetzlich garantierten Gleichwertigkeit der Stimmen aller Ratsmitglieder bzw. Kreistagsmitglieder. Wählerstimmen, die zu Einzelmandaten bzw. Gruppenmitgliedern geführt haben, haben in der Konsequenz nicht die gleiche Stimmwirkung wie diejenigen Stimmen, die für zukünftige Mandatsträger abgegeben wurden, die sich zu einer Fraktion zusammenschließen. Hier liegt insoweit eine eklatante Verletzung des im Artikel 38 des Grundgesetzes manifestierten Wahlrechtsgrundsatzes der Stimmengleichheit vor. 1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass alle demokratisch gewählten Mandatsträger von Räten und Kreistagen die gleichen Aufgaben sowie das gleichwertiges Recht auf politische Willens- und Entscheidungsbildung in ihren Gremien haben? 2. Sieht die Landesregierung in den Regelungen der Gemeinde- sowie Kreisordnung zu Rechten, die dort ausschließlich Fraktionen zuerkannt sind, keine Benachteiligung von Einzel- und Gruppenmitgliedern der Räte und Kreistage? § 43 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) bzw. § 28 Abs. 1 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (KrO NRW) gewährleisten allen Rats- bzw. Kreistagsmitgliedern die Ausübung ihres freien Mandats. Bestandteil dieses Rechts ist es auch, dass sich alle Rats- bzw. Kreistagsmitglieder auf Grundlage politischer Übereinstimmung freiwillig zu Fraktionen zusammenschließen können. Ausdrücklich anerkannt ist das Recht auf Fraktionsbildung in § 56 GO NRW bzw. § 40 KrO NRW. Als ständige Gliederung der kommunalen Vertretungsorgane haben Fraktionen die Aufgaben, Meinungen zu bündeln und die Arbeit im Rat bzw. Kreistag und in den Ausschüssen vorzubereiten, um so den Arbeitsablauf im Rat bzw. Kreistag zu vereinfachen und die Funktionsfähigkeit des Gremiums zu erhöhen, sodass die Vielzahl der Aufgaben effektiv bewältigt werden kann. Die Fraktionen sind insofern „notwendige Teile der kommunalen Vertretungsorgane“ (OVG NRW, Urt. v. 29.04.1988 - 15 A 2207/85, in: DVBl. 1989, 164 (165)). Daran anknüpfend ist es Aufgabe des Gesetzgebers, nicht nur die Beteiligungsrechte der einzelnen Mandatsträgerinnen bzw. Mandatsträger, sondern auch der zulässig gebildeten Fraktionen oder Gruppen mit dem Ziel zu regeln, sowohl die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der kommunalen Vertretungen und deren Ausschüsse zu gewährleisten als auch für einen ausreichenden Minderheitenschutz Sorge zu tragen. Dem werden die Regelungen der Gemeindeordnung und der Kreisordnung gerecht, so insbesondere auch hinsichtlich der in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/6926 3 der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage angesprochenen Regelungen zur Aufstellung der Tagesordnung. Hier ist es grundsätzlich Aufgabe der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters, die Tagesordnung des Rates festzusetzen (§ 48 Abs. 1 GO NRW). Ausnahmsweise können auch Fraktionen oder ein Fünftel der Ratsmitglieder Vorschläge anmelden, die sodann von der Bürgermeisterin bzw. dem Bürgermeister in die Tagesordnung aufzunehmen sind. Mit dieser Regelung hat der Landesgesetzgeber die Beteiligungsrechte der Ratsmitglieder bei der Aufstellung der Tagesordnung im Interesse der Arbeitsfähigkeit der kommunalen Vertretung sachgerecht auf Fraktionen beschränkt bzw. an die Erreichung eines bestimmten Quorums gebunden. Demgegenüber braucht die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister Vorschläge einzelner Ratsmitglieder, die nicht von dem gesetzlich vorgeschriebenen Quorum unterstützt werden, bei der Festsetzung der Tagesordnung nicht zu berücksichtigen. Ein solcher Anspruch folgt auch nicht aus Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG (OVG NRW, Beschl. v. 14.07.2004 - 15 A 1248/04, in: NVwZ-RR 2005, 427 (427)). Die Festsetzung des Quorums in § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW dient dazu, bereits im Vorfeld sicherzustellen, dass ein Tagesordnungspunkt auch ein Mindestmaß an Unterstützung findet. Dennoch ist es den Räten unbenommen, in ihren Geschäftsordnungen abweichend zu § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW zu regeln, dass auch fraktionslosen Ratsmitgliedern ein solches Antragsrecht zusteht (OVG NRW, Urt. v. 30.03.2004 - 15 A 2360/02 -, in: NWVBl. 2004, 378 (380 f.)). Entsprechendes gilt nach § 33 Abs. 1 S. 2 KrO NRW auch für die Kreise. 3. Hält die Landesregierung diese Benachteiligung für Einzel- und Gruppenmitgliedern von Räten und Kreistagen für verfassungskonform im Hinblick auf den Wahlrechtsgrundsatz der Stimmengleichheit? Eine Benachteiligung von Einzel- bzw. Gruppenmitgliedern von Räten und Kreistagen liegt - wie auch die Ausführungen zu den Fragen 1 und 2 zeigen - nicht vor. Ungeachtet dessen gilt Folgendes: Gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz müssen die Gemeinden und Kreise eine Volksvertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Dabei besagt der Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dass jede Wählerin bzw. jeder Wähler die gleiche Stimmenzahl hat (gleicher Zählwert) und jede Stimme bei der Sitzberechnung prinzipiell gleichermaßen berücksichtigt wird (gleicher Erfolgswert). Dies wird durch das nordrhein-westfälische Kommunalwahlrecht gewährleistet. Der Grundsatz der Wahlgleichheit umfasst dagegen nicht das Recht, Fraktionsrechte ausüben zu können. In diesem Sinne hat etwa das Oberverwaltungsgericht NRW entschieden, dass das Recht einer Gruppierung, nach den Grundsätzen der Wahlgleichheit entsprechend dem Wahlergebnis im Rat vertreten zu sein, sich nicht mit dem Recht deckt, bereits mit einer Stärke von zwei Personen Fraktionsrechte zu genießen (OVG NRW, Beschl. v. 01.08.2006 - 15 A 2611/06 -, Rn. 5 (zitiert nach juris)). 4. Sieht die Landesregierung hier Handlungsbedarf? Nein.