LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 09.10.2014 Datum des Originals: 09.10.2014/Ausgegeben: 14.10.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2695 vom 18. September 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/6829 Einsatz von Kindern als Hilfssheriffs beim Essener Blitzmarathon – Wie sehen Personaleinsatz und Erfolge der neuerlichen PR-Aktion des Innenministers in der Stadt Essen aus? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2695 mit Schreiben vom 9. Oktober 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der sogenannte 24-Stunden-Blitz-Marathon ist eine von der Landesregierung beauftragte polizeiliche Aktion zur Bekämpfung der Hauptunfallursache "überhöhte Geschwindigkeit" auf den Straßen. Die Premiere des Blitz-Marathons fand am 10. Februar 2012 landesweit in Nordrhein-Westfalen statt. Innenminister Ralf Jäger hat die Aktion seinerzeit initiiert und als Teil der im November 2011 gestarteten Kampagne ‚Brems Dich – rette Leben!’ der Polizei gegen die angeblich steigende Zahl von Geschwindigkeitsunfällen begründet. An diesem besagten Freitagmorgen im Februar 2012 sind von 6:00 Uhr morgens an rund 1.400 Kontrollstellen bei frostigen Minustemperaturen mehrere tausend Polizisten postiert worden, um diese zuvor breit angekündigten Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Die Bewertungen über die Aktion gehen weit auseinander. Jäger zeigte sich von der PR-Aktion aber tatsächlich so zufrieden, dass er diese Show-Veranstaltung mittlerweile gleich mehrfach fortgesetzt hat. Es folgten also 24-Stunden-Blitz-Marathons am 3. Juli 2012, am 24. Oktober 2012, am 4. Juni sowie am 10. Oktober 2013. Der sechste Blitz-Marathon hat in NordrheinWestfalen am 8. April 2014 stattgefunden, und der siebte nun am 18. September 2014. Anders als Innenminister Jäger bezeichnet die FDP die Erfolge landesweit, aber auch für die Stadt Essen, als eher kläglich und hält unverändert an der Kritik fest, dass der praktizierte Einsatz wertvoller Polizeiressourcen in keinem vertretbaren Verhältnis zu deren Ertrag steht. Diese Bewertung stützt sich auf Zahlen, Daten und Fakten aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium, die am 27. Mai 2014 in LT-DS 16/5952 auf Initiative des Fragestellers hin veröffentlicht worden sind: So sind bislang allein in Essen 710 Polizeivollzugsbeamte mit der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 2 Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der sechs Blitzmarathons betraut gewesen. Es ist der Landesregierung wie dem Essener Polizeipräsidium wert gewesen, dafür 5.680 Dienststunden zu verbrauchen. Dies ist – auch im Vergleich mit allen anderen Kommunen in der Region – ein immens hoher Personaleinsatz. Während der sechs Blitzmarathons sind in Essen schon 101.544 Fahrzeuge kontrolliert worden. Seit einiger Zeit sind die Bürger zudem aufgefordert, `Wutpunkte´ zu Stellen, an denen sie sich über andere Verkehrsteilnehmer ärgern, zu vergeben und zu melden. An diesen Stellen wurde im Rahmen der einzelnen Blitzmarathons dann schwerpunktmäßig kontrolliert. Aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion ist der Bürgeraufruf, `Wutpunkte´ zu benennen, befremdlich und befördert eine bedenkliche Kultur des Denunziantentums unter Nachbarn. Zielsetzung von Verkehrskontrollen sollte aber eine höhere Verkehrssicherheit sein. `Wutpunkte´ führen jedoch vielmehr dazu, dass Menschen gegeneinander aufgebracht werden. Dieses Vorgehen wird beim nun am 18. September 2014 absolvierten siebten nordrheinwestfälischen Blitzmarathon noch in befremdlicher Weise zugespitzt. Am 1. September 2014 hat Innenminister Jäger via Presseinformation mitgeteilt, dass die Polizei an diesem Tag sogenannte Raser aus dem Blickwinkel von Kindern ins Visier nimmt und Kinder durch die Polizei befragt werden, wo diese die Geschwindigkeit der Autofahrer messen soll. Die Kinder werden so zu Hilfssheriffs gemacht und aufgefordert, Wutpunkte zu benennen – unabhängig davon, ob sie die objektiven Gefahrenstellen im frühesten Kindesalter fachlich überhaupt einschätzen können. Im Interesse von Kindern und Jugendlichen wäre es sachgerechter, die Polizeibeamten für Maßnahmen zur Verkehrssicherheit vor Schulen und Kindergärten einzusetzen, um so die Verkehrsteilnehmer lieber für eine größere gegenseitige Rücksichtnahme zu sensibilisieren. Dies sind Örtlichkeiten, von denen jeder weiß, dass sie eine besondere Gefahr für Kinder darstellen. Es ist sicher nicht im Interesse von Kindern, dass sie bei einer Wutpunkteaktion möglicherweise auch die eigenen Eltern oder die ihrer Freunde an den Pranger stellen. Insbesondere vor dem Hintergrund des enormen Ressourceneinsatzes sowie der Tatsache, dass landesweit dafür Tausende Polizisten regelmäßig aus weit wichtigeren Arbeiten wie der Kriminalitätsbekämpfung herausgerissen werden, ist eine transparente Evaluation sowie eine umfängliche Information des Parlamentes über die Nachhaltigkeit und den objektiven Nutzen dieser Vorgehensweise dringend geboten. Um denkbaren Missverständnissen vorzubeugen: Wer andere Verkehrsteilnehmer durch überhöhte Geschwindigkeit und rücksichtslose Fahrweise gefährdet, gehört dafür bestraft. Gerade unangekündigte Aktionen dürften aber erkennbar besser geeignet sein, um diese eher kleine Anzahl an „schwarzen Schafen“ unter den Fahrern in der großen Allgemeinheit verantwortungsvoll handelnder Verkehrsteilnehmer zu identifizieren. Vorbemerkung der Landesregierung Zu den Grundlagen und bisherigen Ergebnissen des Einsatzkonzeptes des „24-StundenBlitz -Marathons“ verweise ich auf meine Antwort vom 27.05.2014 (LT-Drs 16/5952) zu der fast gleichlautenden Kleinen Anfrage 2263 des Fragestellers vom 25.04.2014 (LT-Drs 16/5689). Der 2. bundesweite „24-Stunden-Blitz-Marathon“ fand auf Beschluss der Innenministerkonferenz in der Zeit vom 18.09. bis zum 19.09.2014, jeweils von 6:00 Uhr bis 6:00 Uhr, statt. In Nordrhein-Westfalen waren rund 3.300 Polizeibeamtinnen und -beamte an 2.702 Kontrollstellen eingesetzt. 81 der 88 zuständigen Kommunen beteiligten sich an LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 3 726 Kontrollstellen mit 274 Mitarbeitern. Durch die Deutsche Verkehrswacht e.V. wurde der Einsatz deutschlandweit unterstützt. Die ehrenamtlichen Mitglieder der Landesverkehrswacht haben allein in Nordrhein-Westfalen insgesamt 71 gemeinsame Aktionen mit der Polizei und den beteiligten Schulen durchgeführt. Dazu wurden an Schulen polizeiliche Kontrollstellen begleitet. Schülerinnen und Schüler haben an diesen Stellen verkehrsgerechtes oder verkehrswidriges Verhalten von Verkehrsteilnehmern „gelobt oder getadelt“. Ausweislich der Vorbemerkungen des Fragestellers bewertet dieser das Einsatzkonzept des „24-Stunden-Blitz-Marathons“ offensichtlich ausschließlich an Hand der Anzahl repressiver Maßnahmen. Eine solche Betrachtung verkennt vollständig die präventive Zielrichtung des Einsatzkonzeptes und darüber hinaus der gesamten polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit in Nordrhein-Westfalen. Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat sich bei dem 2. bundesweiten „24-Stunden-Blitz-Marathon“ ausdrücklich für die Befragung der Kinder entschieden. Das Ergebnis war überwältigend. Mehr als 17.900 Kinder haben teilgenommen und mehr als 3.000 haben sich als Messpaten zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich erfolgte diese Beteiligung in enger Abstimmung mit den Schulen sowie dem Einverständnis der Eltern und wurde vielerorts durch die ehrenamtlichen Mitglieder der Verkehrswachten des Landes professionell und mit hohem Engagement begleitet. Zutreffend stellt der Fragesteller fest, dass Kinder den Straßenverkehr und dessen Gefahren anders wahrnehmen. Genau deshalb haben wir diese Zielgruppe in den Mittelpunkt dieses Einsatzes gestellt. Es geht darum, die Gefahren „mit den Augen der Kinder“ wahrzunehmen, um gezielt auf deren Bedürfnisse reagieren zu können. Die Kinder werden nicht wie vom Fragesteller dargestellt zu „Hilfssheriffs“ gemacht, vielmehr werden ihre spezifischen Bedürfnisse und Wahrnehmungen aufgegriffen und ernstgenommen. Verkehrsteilnehmer sollen so in die Lage versetzt werden, ihr Fahrverhalten vor diesem Hintergrund zu reflektieren. Selbstverständlich wurden auch die durch die Kinder vorgeschlagenen Messstellen vor deren Einrichtung fachlich durch Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte geprüft. Die „24-Stunden-Blitz-Marathon“ Einsätze sind keine Zusatzaufgabe. Im Gegenteil wirken sich diese nicht nur am Einsatztag positiv aus, sondern unterstützen u. a. durch ihre mediale Resonanz auch die vorhergehende und nachfolgende tägliche Kontrollarbeit der Behörden. Der weit überwiegende Teil der eingesetzten Beamtinnen und Beamten ist auch außerhalb dieser Einsätze mit Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beauftragt. Sie werden daher auch nicht, wie der Fragesteller unterstellt, „aus weit wichtigeren Aufgaben wie der Kriminalitätsbekämpfung herausgerissen“. 1. Wie viele Polizeidienstkräfte sind im Rahmen des siebten Blitzmarathons am 18. September auf dem Gebiet der Stadt Essen mit der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung betraut gewesen? (differenzierte Aufschlüsselung erbeten) Mit der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Einsatzes waren bei der Kreispolizeibehörde Essen für die Stadt Essen insgesamt 92 Polizeivollzugsbeamte betraut. Differenzierte Aufschlüsselung:  Vorbereitung: 2 Polizeivollzugsbeamte  Durchführung: 88 Polizeivollzugsbeamte  Nachbereitung: 2 Polizeivollzugsbeamte LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 4 2. Wie hoch ist die Anzahl der Dienststunden gewesen, die hierfür im Rahmen des siebten Blitzmarathons auf dem Gebiet der Stadt Essen für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung aufgewendet worden sind? (detaillierte Aufschlüsselung erbeten) Von der Kreispolizeibehörde Essen wurden für das Gebiet der Stadt Essen insgesamt 772 Stunden aufgewendet. Differenzierte Aufschlüsselung:  Vorbereitung: 20 Stunden  Durchführung: 746 Stunden  Nachbereitung: 6 Stunden 3. Welche Anzahl von Verkehrsverstößen nach Schwerekategorien hat der siebte Blitzmarathon auf dem Gebiet der Stadt Essen in absoluten Zahlen und nach prozentualem Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen offenbart? Als Gesamtverkehrsaufkommen wurde die Anzahl der kontrollierten Fahrzeuge zugrunde gelegt. Eine Erfassung nach Schwerekategorien ist in den statistischen Auswertemodulen nicht vorgesehen. Es folgt daher die Darstellung nach Maßnahmen zur Bekämpfung der Hauptunfallursachen. Zeitraum 18.09.2014 – 19.09.2014 Anteil an kontrollierten Fahrzeugen Anzahl kontrollierter Fahrzeuge 5.544 Geschwindigkeitsverstöße 189 3,41 % Gurtverstöße 11 0,20 % Alkoholverstöße 0 0,00 % Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz 1 0,02 % Sonstige Verstöße 21 0,38 % Gesamt 222 4,00 % Die Prozentwerte wurden auf zwei Nachkommastellen gerundet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 5 4. Namentlich welche sogenannten Wutpunkte haben Essener Kinder, bitte unter Nennung der Gesamtzahl beteiligter Kinder, für den siebten Blitzmarathon gemeldet? Folgende Örtlichkeiten wurden von Kindern für den 2. bundesweiten „24-Stunden-BlitzMarathon “ für den Zuständigkeitsbereich der KPB Essen, im Stadtgebiet Essen, gemeldet: Essener Straße (KH Stoppenberg) Radhoffstraße 30 Zone in Richtung B224 Zweigstraße (E-Borbeck Hesslerstraße 276 KiGa Kerckhoffstraße Gervinusschule Werdener Brücke FR Werden-Altstadt Graf-Bernadotte-Straße (Frankenstr/Ruhrstein) Cremersheide Spielstraße Steile Straße / Sonneblick Freisenbruchstraße Zone 30 Bückmannshof Grundschule Berthold-Beitz-Boulevard Berliner Straße II. Schockenhecke Gravelottestraße II. Schockenhecke Bersworthschanze Karl-Meyer-Straße Gesamtschule Nienhausenstaße Hövelstraße Schule Schönebecker Straße Schonnebeckhöfe Zone 30 Schule Josef-Hören-Straße 30 Zone KiGa Braukloh verkehrsberuhigter Bereich Marktstraße Zollvereinstraße Wiehagen Zone 30 Kreuzungsbereich Leimgardtfeld/Donnerstr./Weidkamp Karlstraße 30 Zone Burggrafenstr. Ausfahrt Bahn-Tunnel/Krampestraße Wüstenhöfer Straße 30 Zone Schulbereich Karnaper Straße Neue Heimat Spielstraße Humboldtstraße Ruhrallee (<50) Stauderstraße Rahmstraße Charlottenstraße (Burgaltendorf) Zone 30 Viehhauser Berg ab Nr. 138 Zone 30 Eine Erfassung der Gesamtzahl der beteiligten Kinder erfolgte nicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7007 6 5. Welche Anzahl von Verkehrsverstößen nach Schwerekategorien hat der siebte Blitzmarathon an Wutpunkten, die konkret von Essener Kindern der Polizei gemeldet worden sind, in absoluten Zahlen und nach prozentualem Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen offenbart? Eine Erfassung dieser Daten war im Rahmen des 2. bundesweiten „24-Stunden-BlitzMarathon “ nicht vorgesehen.