LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7023 14.10.2014 Datum des Originals: 13.10.2014/Ausgegeben: 17.10.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2688 vom 15. September 2014 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/6795 Elf islamistische Anschlagsversuche in Deutschland Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2688 mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In seiner Rede am 12.09.2014 zum TOP 1 im Plenum des Landtages sprach der Innenminister von - wörtlich – „11“ terroristischen Anschlagsversuchen mit salafistischem Hintergrund in Deutschland. Ein Anschlag sei „leider gelungen“, bei zwei Versuchen habe man „Glück gehabt“, weil sie technisch gescheitert seien und acht Anschläge seien durch die Sicherheitsbehörden verhindert worden. Vorbemerkung der Landesregierung Deutsche Interessen im In- und Ausland sind erklärtes und tatsächliches Ziel jihadistisch bzw. islamistisch motivierter Gewalt. Die bestehende hohe abstrakte Gefährdung kann sich jederzeit in Form von sicherheitsrelevanten Ereignissen bis hin zu Anschlägen konkretisieren . So wurden seit dem Jahr 2000 durch die Sicherheitsbehörden in Deutschland elf Anschläge (oder sonstige bedeutsame Ereignisse) islamistischer Gewalttäter verhindert bzw. Anschlagsversuche ermittelt. In allen Fällen befanden sich die Ziele in Deutschland. Bei einem islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland waren Todesopfer zu beklagen (Anschlag am 02.03.2011 am Flughafen Frankfurt). In acht Fällen gelang es den Sicherheitsbe- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7023 2 hörden, Anschläge zu verhindern, in zwei Fällen scheiterten die Anschläge aus technischen Gründen. Die Ermittlungen hat in allen Fällen das Bundeskriminalamt im Auftrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof geführt. Der Landesregierung liegen eigene Erkenntnisse nur zu den sieben Sachverhalten vor, bei denen sich die Anschlagsziele in Nordrhein-Westfalen befanden bzw. Vorbereitungshandlungen in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben. Zu weiterführenden Erkenntnissen im Sinne der Fragestellungen der Kleinen Anfrage 2688, namentlich der Fragen 3 bis 5, verweist die Landesregierung auf die Ermittlungshoheit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof . Ergänzend dazu und zu den Sachverhalten, die sich außerhalb NordrheinWestfalens ereignet haben, verweist die Landesregierung auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Andrej Hunko und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag vom 21.08.2014 (Bundestagsdrucksache 18/2383). 1. Um welche 11 Vorfälle handelt es sich? (Bitte jeden Vorfall mit Ort, Zeitpunkt und Täterkreis auflisten.) 2. Wie liefen die 11 Anschlagsversuche jeweils ab? 3. Gibt es Hinweise auf Drahtzieher, die hinter den Anschlagsversuchen stehen? 4. Welche Maßnahmen wurden zur Verhinderung jeweils ergriffen? (Bitte auch die involvierten Behörden auflisten.) 5. Welche strafrechtlichen Konsequenzen hat es in allen 11 Fällen für die Täter ge- geben? Die Antwort der Landesregierung auf die Fragen 1.-5. ist zum besseren Verständnis fallbezogen zusammengeführt. a. Verhinderte Anschläge Versuchte Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Düsseldorf und Berlin (2002) Im Jahr 2001 gründete sich eine deutsche Zelle der Gruppierung Al-Tawhid mit dem Ziel, terroristische Anschläge auf jüdische oder israelische Einrichtungen in Deutschland zu verüben . Die Zelle erhielt ihren Auftrag unmittelbar vom damaligen Führer der Al-Tawhid, Al Sarkawi, bei einem Treffen im September 2001 in Teheran. Hierzu bemühte sich die Gruppe um die Ausforschung geeigneter Anschlagsobjekte und die Beschaffung von Waffen und Handgranaten . Als Ziel hatten die Täter zwei (vermeintlich) jüdische Gaststätten in Düsseldorf und ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin ins Auge gefasst. Am 23. und 24.02.2002 wurden die fünf Mitglieder der Zelle festgenommen und die Gruppe zerschlagen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7023 3 Durch das Oberlandesgericht Düsseldorf wurden alle Mitglieder der Zelle zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Versuchter Anschlag mutmaßlicher Mitglieder der Islamischen Jihad Union (IJU) in Deutschland, sog. Sauerland-Gruppe Die aus vier Personen bestehende sog. Sauerland-Gruppe hatte geplant, zeitgleich mehrere Sprengstoffanschläge gegen amerikanische bzw. von amerikanischen Bürgern frequentierte Einrichtungen in Deutschland zu begehen. Die Tatvorbereitungen hierzu waren bereits weit fortgeschritten. Den Auftrag zur Verübung der Anschläge hatte die IJU Mitte 2006 erteilt. Die Täter hielten sich dabei zur terroristischen Ausbildung in Pakistan auf und wurden durch die IJU unterwiesen . Die Festnahme der Täter erfolgte am 04.09.2007 vor der endgültigen Fertigstellung des Sprengstoffes in einem Ferienhaus im Sauerland. Durch das Oberlandesgericht Düsseldorf wurden die vier Mitglieder der Zelle zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Versuchter Anschlag mutmaßlicher Al Qaida-Mitglieder in Deutschland, sog. Düsseldorfer Zelle Drei mutmaßlichen Mitgliedern der Al Qaida wird vorgeworfen, Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant zu haben. Hierzu hatten sie bereits mit konkreten Anschlagsvorbereitungen begonnen, indem sie die zur Herstellung von Sprengsätzen nötigen Materialien zu beschaffen und chemische Gemische als Zünder herzustellen versuchten. Die Anschlagsziele waren jedoch noch nicht festgelegt. Dem Haupttäter wird vorgeworfen, seinen Auftrag im Frühjahr 2010 anlässlich eines Aufenthaltes in Pakistan von einem hochrangigen Al Qaida-Mitglied erhalten zu haben und zudem auch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult worden zu sein. Am 29.04.2011 erfolgte die Festnahme dreier Tatverdächtiger in Düsseldorf und in Bochum und damit die Zerschlagung der Gruppierung. Die Hauptverhandlung gegen die Mitglieder der sog. Düsseldorfer Zelle findet seit dem 25.07.2012 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf statt. Versuchter Anschlag eines weiteren mutmaßlichen Mitglieds der Düsseldorfer Al Qaida -Zelle Die fortgeführten Ermittlungen zur Düsseldorfer Al Qaida-Zelle führten am 08.12.2011 zur Festnahme eines weiteren mutmaßlichen Mitglieds in Bochum. Ihm wird vorgeworfen, die Anschlagspläne trotz der Festnahme der übrigen Mitglieder der sog. Düsseldorfer Zelle weiterverfolgt und in diesem Zusammenhang auch verschiedene sog. Logistikstraftaten, z. B. Urkundenfälschungen und gewerbsmäßige Betrugstaten, begangen zu haben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7023 4 Die Hauptverhandlung gegen die Mitglieder der sog. Düsseldorfer Zelle findet seit dem 25.07.2012 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf statt. Versuchter Anschlag auf den Vorsitzenden der Partei Pro NRW Am 13.03.2013 wurden vier Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, sich zu einer militant-islamistischen Gruppierung mit dem Ziel zusammengeschlossen zu haben, gemeinsam Sprengstoffanschläge oder Schusswaffenattentate in Deutschland zu verüben. Ziel war zunächst, führende Mitglieder der Partei Pro NRW zu töten. Ab Februar 2013 konkretisierten sich die Anschlagspläne auf den Vorsitzenden der Partei Pro NRW, die Umsetzung des Anschlags stand nach dem Ergebnis der Ermittlungen unmittelbar bevor. Die Hauptverhandlung findet seit dem 08.09.2014 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf statt. b. Fehlgeschlagene Anschläge Versuchte Anschläge in Regionalzügen in Dortmund und Koblenz Am 31.07.2006 wurden in Dortmund und Koblenz in Regionalzügen zwei herrenlose Rollkoffer entdeckt, die nahezu baugleiche unkonventionelle Bombenvorrichtungen enthielten. Beide funktionsfähigen Vorrichtungen sollten mittels eines ferngesteuerten Zündmechanismus zu einer festgelegten Uhrzeit zeitgleich zur Detonation gebracht werden. Trotz Zündauslösung gelang dies aufgrund konstruktionsbedingter Fehler nicht. Die beiden Täter, die die Rollkoffer im Kölner Hauptbahnhof in den Zügen abgestellt hatten, wurden in Kiel und im Libanon festgenommen. Der Haupttäter wurde durch das Oberlandesgericht Düsseldorf zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der zweite im Libanon festgenommene Täter wurde vor einem libanesischen Gericht zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Versuchter Anschlag am Hauptbahnhof Bonn Am 10.12.2012 wurde auf einem Bahnsteig des Bonner Hauptbahnhofs eine Sporttasche mit zündfähigem Explosivstoff abgestellt. Als Tatverdächtiger konnte einer der wegen des versuchten Anschlags auf den Vorsitzenden von Pro NRW am 13.03.2013 Festgenommenen ermittelt werden. Der versuchte Sprengstoffanschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof und das vereitelte Attentat auf den Vorsitzenden der Partei Pro NRW sind Gegenstand der seit dem 08.09.2014 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf stattfindenden Hauptverhandlung.