LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7026 14.10.2014 Datum des Originals: 14.10.2014/Ausgegeben: 17.10.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2675 vom 12. September 2014 der Abgeordneten Ina Scharrenbach CDU Drucksache 16/6776 Lebenssituation von hörgeschädigten und taubblinden Menschen in NordrheinWestfalen Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 2675 mit Schreiben vom 14. Oktober 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und der Ministerin für Schule und Weiterbildung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Innerhalb der Information der Landesregierung zum Stand der Umsetzung des Aktionsplanes (Mai 2014) „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ (LT-Drs.-Nr. 16/1936) werden im Kapital IV.2.1 die Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben in Köln und in Dortmund aufgeführt , die derzeit jährlich mit 110.000 Euro durch das Land Nordrhein-Westfalen gefördert werden. Die Kompetenzzentren sollen auch Beratung für Menschen mit Hörschädigungen, Gehörlose und Taubblinde bieten. Diese Beratung, so die Landesregierung in ihrem Zwischenbericht, soll verbessert werden. Konzeptionelle und finanzielle Fragen würden derzeit (Mai 2014) geklärt. Im Zuge der Erstellung einer Studie über die „Lebenssituation von hörgeschädigten und taubblinden Menschen“ wird innerhalb des Berichtes der Landesregierung ausgeführt, dass die Studie eine Vielzahl von Empfehlungen für unterschiedliche Ressorts enthält. Insbesondere wird innerhalb des Zwischenberichtes der Landesregierung auf die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Sinnesbehinderte sowie bedarfsgerechte Ausbildungskapazitäten für Gebärdensprachendolmetscher, Schriftdolmetscher und Kommunikationsassistenten im Zuständigkeitsbereich des MAIS abgehoben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7026 2 Vorbemerkung der Landesregierung Der Zwischenbericht zum Aktionsplan der Landesregierung „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ wurde dem Landtag als Vorlage 16/1936 vom 27. Mai 2014 zur Verfügung gestellt. Die Studie der Universität zu Köln „Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Hörschädigung in unterschiedlichen Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen“ (Vorlage 16/1085 vom 13. August 2013) stellt umfassend die Lebenslagen von Menschen mit Hörschädigung dar und gibt fundierte Empfehlungen an die Landespolitik zur Verbesserung ihrer Lebenslagen. Fachlich sind von den Empfehlungen in erster Linie das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS), das Ministerium für Schule und Weiterbildung (MSW), das Ministerium für Gesundheit , Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) und das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend , Kultur und Sport (MFKJKS) angesprochen. Es gibt aber auch Empfehlungen, die als „Querschnittsaufgaben“ umzusetzen sind, die also alle Ressorts gleichermaßen betreffen. Im Folgenden kann angesichts des Umfangs der Studie nur auf die wichtigsten Empfehlungen eingegangen werden. 1. Welche Empfehlungen enthält die Studie für die Ressorts außerhalb des MAIS? Die Studie empfiehlt u.a., die Begleitung hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in Bildungskontexten zu sichern und zu verbessern. Dazu gehört auch die Deutsche Gebärdensprache als Unterrichtssprache und als Unterrichtsfach. Sie empfiehlt weiterhin ein standardisiertes Beratungs- und Unterstützungsangebot an allen Hochschulen in NRW. Für sämtliche Beratungs-, Förder- und Bildungsangebote hält die Studie es für notwendig, dass das jeweilige Personal über die notwendige Kommunikationskompetenz für die Zielgruppe hörgeschädigter Menschen verfügt. Die Gutachter empfehlen Strukturen, die es hörgeschädigten Menschen ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die Schaffung von universitären und nicht universitären Ausbildungskapazitäten für Gebärdensprachdolmetscher , Schriftdolmetscher und Taubblindenassistenz wird ebenso angeregt wie die (weitere) Professionalisierung dieser Berufsfelder. Die Kommunikation von gehörlosen Eltern mit den Bereichen Schule und Kindergarten ist nur mit Gebärdensprachdolmetschung möglich. Die Gutachter regen an, hierfür unbürokratische Lösungen zu ermöglichen. Schließlich wird empfohlen, die unbefriedigende Datenlage und Statistik durch eine in den unterschiedlichen Systemen vergleichbare Datenerhebung und Sozialberichterstattung zu verbessern. Für den Bereich des MSW enthält die Studie im Wesentlichen folgende Empfehlungen:  Die bestehenden flächendeckenden Strukturen an fachlicher Kompetenz und Kooperationsstrukturen in den Bereichen Frühförderung, Schule und berufliche Bildung dürfen im Zusammenhang mit der Umgestaltung zu einem inklusiven Schulsystem nicht ersatzlos aufgelöst, sondern müssen als Teil eines inklusiven Bildungssystems umgestaltet und fortgeführt werden (Seite 199). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7026 3  Gebärdensprache muss als Unterrichtssprache und Unterrichtsfach strukturell in die Bildungsangebote für gehörlose Kinder und Jugendliche aufgenommen werden (Seite 200).  Auch im Bildungsbereich tätige Personen benötigen insbesondere ein Wissen um die kommunikativen Bedürfnisse sowie eine hohe Kommunikationskompetenz; hierzu zählen unter anderem Entwicklung eines Gebärdensprachangebotes insbesondere auch als Nachqualifizierung für Lehrkräfte sowie hörende Eltern gehörloser Kinder (Seite 201).  Gehörlose Eltern müssen in die Lage versetzt werden, den bildungsbiographischen Werdegang ihres (hörenden oder gehörlosen) Kindes angemessen begleiten zu können; hierzu müssen die Kosten für Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher übernommen werden (Seite 201). Für das Gesundheitswesen (auf Bundesebene zu regeln) empfiehlt die Studie u.a. die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetschern durch die Gesetzliche und Private Krankenversicherung (GKV bzw. PKV). Während die Kostenübernahme in der Gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend gesichert sei, gebe es im Bereich der Privaten Krankenversicherung Probleme. PKV-Mitgliedern würden entsprechende Leistungen häufig nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt. Das Land unterstützt diesen Vorschlag. In der Gesetzlichen Krankenversicherung ist ausdrücklich „den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen“ (§ 2a SGB V). Der Leistungsumfang der Privaten Krankenversicherung ist dagegen weitgehend vertraglich festgelegt. Das Land hat darauf keinen Einfluss. 2. Wie ist der zwischenzeitliche Umsetzungsstand der Empfehlungen aus der Stu- die, insbesondere für die Ressorts MSW und MFKJKS? Alle Handlungsfelder der Empfehlungen der Studie zeichnen sich da-durch aus, dass es sich um komplexe Sachverhalte handelt, die koordiniertes Vorgehen nicht nur der Ressorts der Landesregierung erfordern. Deshalb hat das MAIS die Ressorts bei der Auswertung der Studie eingebunden und um Beachtung der Ergebnisse bei der jeweiligen Fachpolitik gebeten. Der „Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen “, den die Bundesregierung im Sommer 2013 vorgelegt hat, arbeitet mit den vorhandenen Daten (BT-Drucksache 17/14476). Bei seiner Fortschreibung soll auch überprüft werden, ob die bisher erhobenen/vorhandenen Daten ausreichen oder ob mehr/andere Daten erforderlich sind. Das MAIS wird diese Fortschreibung verfolgen und ggf. erneut ansprechen . Zur Studienförderung von Menschen mit Behinderung hat das MAIS an Gesprächen zwischen Landschaftsverbänden und der Selbsthilfe NRW mitgewirkt; es konnte in Teilbereichen Einvernehmen mit der Selbsthilfe NRW erreicht werden. So ist die Förderung eines Masterstudienganges bei entsprechender Qualifikation grundsätzlich möglich und hat Eingang in die Hochschulempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) gefunden. Hochschulhilfe nach Ausbildungsabschluss und Erwerb der Fachhochschulreife wird nur dann gewährt, wenn ein „angemessener Beruf“ bislang nicht erlernt wurde. Gefördert werden können nicht Personen, die sich für eine mehrstufige Ausbildung entschieden haben, die in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7026 4 einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss einer Berufsausbildung und der Aufnahme eines Studiums steht. Zur Umsetzung der unter Frage 1 genannten Empfehlungen kann für den Bereich MSW Folgendes gesagt werden:  Die Verordnung über die Mindestgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke (Mindestgrößen-VO vom 16. Oktober 2013) bestimmt, dass – im Gegensatz zu allen anderen Förderschulen – die Förderschulen im Bereich der Sinnesschädigungen die Schülerinnen und Schüler, die von ihnen unterstützt an allgemeinen Schulen lernen, gleichzeitig auch als Schülerinnen und Schüler ihrer Förderschulen zählen. Auf diese Weise wird sichergestellt , dass auch bei einer noch stärkeren Nachfrage im Gemeinsamen Lernen die Fachlichkeit erhalten bleibt und die Schulstandorte voraussichtlich bestehen bleiben.  Der § 23 Absatz 3 AO-SF in der Fassung der Achten Verordnung zur Änderung der Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung, die in Kürze im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden wird, sieht in Bezug auf Gebärdensprache Folgendes vor: „Förderschulen und Schwerpunktschulen (…..) mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation sollen bei einem entsprechenden Bedarf im Rahmen der Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden die Deutsche Gebärdensprache (DGS) als eigenständiges weiteres Fach der Stundentafel anbieten, sofern die personellen und organisatorischen Voraussetzungen erfüllt sind.“ Nach bisherigem Recht (vgl. § 21 Absatz 3 AO-SF alt) war Unterricht in DGS ein fakultatives Angebot. Aus dieser Kann-Vorschrift ist nunmehr eine Soll-Vorschrift geworden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Hörschädigungen bei den Schülerinnen und Schüler unterschiedlich ausgeprägt sind und nur ein Teil dieser Kinder und Jugendlichen gehörlos ist.  Seit dem Jahr 2003 ist Gebärdensprache ein verpflichtender Inhalt in der Ausbildung der Lehrkräfte im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation an der Universität zu Köln. An vier entsprechenden Förderschulen wird das Unterrichtsfach DGS angeboten; in vier weiteren Förderschulen werden Arbeitsgemeinschaften angeboten bzw. es erfolgt dort die Einbindung der Inhalte in andere Unterrichtsfächer. Für den Bereich des MFKJKS gilt:  Im Zuge des jüngsten Revisionsschrittes zum Kinderbildungsgesetz (KiBiz), Inkrafttreten zum 1. August 2014, wurde über die bisherigen Regelungen zu Kindern mit Behinderungen hinaus, zur Förderung von Kooperationen im Zusammenhang mit Inklusion, ein neuer § 14a KiBiz aufgenommen, der die Zusammenarbeit der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen mit Frühförderung und Komplexleistung unter regelmäßiger Einbeziehung der Eltern regelt. Um ein behindertes oder von einer Behinderung bedrohtes Kind optimal zu fördern, ist es notwendig, dass die verschiedenen Regelkreise, soweit der rechtliche Rahmen und damit insbesondere auch der Datenschutz dies zulassen, zusammenwirken können.  Entsprechend dem Rechtsanspruch auf Betreuung ab Vollendung des ersten Lebensjahres seit August 2013 wird durch § 22 Abs. 2 AO-SF in der Fassung der Achten Verordnung zur Änderung der Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung, die in Kürze im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden wird auch für Kinder mit einer Höroder Sehschädigung ab dem zweiten Lebensjahr ein grundsätzliches Wahlrecht eingeräumt . Dieses Wahlrecht ermöglicht die Aufnahme in einen Förderschulkindergarten oder LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7026 5 eine Kindertageseinrichtung, in der das Kind pädagogische Unterstützung durch die Förderschule erhält. 3. Wie weit ist die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Sinnesbehinderte in- zwischen gediehen? Das MAIS hat im engen Dialog mit den Verbänden der Betroffenen die notwendigen Vorarbeiten für ein Interessenbekundungsverfahren für das geplante Kompetenzzentrum für Sinnesbehinderte geleistet. Dieses Verfahren ist am 8. Oktober 2014 offiziell gestartet worden. Das MAIS geht von einem Projektstart zum Anfang des Jahres 2015 aus. 4. Sind der Landesregierung Schwierigkeiten Anspruchsberechtigter bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Kostenübernahme für Schrift- oder Gebärdensprach -Dolmetscher oder anderer geeigneter Kommunikationshilfen durch die Gesetzliche Krankenversicherung bekannt? Der Landesregierung sind – etwa im Rahmen der Aufsicht über die landesunmittelbaren Krankenkassen – keine grundsätzlichen Probleme bei der Durchsetzung der Ansprüche gesetzlich Krankenversicherter bekannt. 5. Sind der Landesregierung Zugangsprobleme von Betroffenen bei der Durchset- zung von Ansprüchen auf eine uni- bzw. bilaterale Versorgung mit CochlearImplantaten gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung bekannt? Auch hierzu sind keine grundsätzlichen Probleme im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bekannt. Es gab in den letzten Jahren lediglich einige wenige Einzelfälle aus dem Bereich Festbetragsüberschreitung durch die Hörgeräteakustiker und -akustikerinnen bei Erst- und Anschlussversorgung. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich Anspruch auf die Versorgung mit Hörhilfen, die eine nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet. Der GKV-Spitzenverband hat für Hörhilfen Festbeträge festgesetzt, die die Leistungspflicht der GKV und damit den Versorgungsanspruch der Versicherten begrenzen. Bestehen die Versicherten auf Versorgungen, die den Festbetrag überschreiten, müssen sie den Mehrbetrag grundsätzlich selbst tragen. Nach einem Urteil des hessischen Landessozialgerichts vom 1. September 2014 müssen Krankenkassen grundsätzlich die Kosten dann in Gänze übernehmen, wenn nachweislich nur ein höherwertiges, teureres Hörgerät eine Schwerhörigkeit des bzw. der Versicherten weitgehend ausgleichen könnte. Die Krankenkassen dürfen die Versicherten dann nicht auf den geringeren Festbetrag verweisen, den sie üblicherweise für Hörgeräte gewähren.