LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/717 23.08.2012 Datum des Originals: 23.08.2012/Ausgegeben: 28.08.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 285 vom 22. Juli 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/421 Bisheriger Haushaltsvollzug 2012 in Zeiten der vorläufigen Haushaltsführung – Wie konsequent nutzt der Finanzminister die günstigen Rahmenbedingungen zur Konsolidierung des Landeshaushalts? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 285 mit Schreiben vom 23. August 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin und allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist als Exekutive bereits seit über einem halben Jahr zur vorläufigen Haushaltsführung ermächtigt, da das neue Haushaltsjahr 2012 längst begonnen hat, das entsprechende Haushaltsgesetz aber noch nicht in Kraft getreten ist. Bis zum heutigen Tage liegt dem Landtag Nordrhein-Westfalen noch nicht einmal der Entwurf eines neuen Haushaltsgesetzes für das Jahr 2012 vor; dieser Gesetzentwurf ist dem Landtag erst als Vorlage für Anfang September 2012 avisiert. Die Landesverwaltung ist damit im Rahmen der weiter andauernden vorläufigen Haushaltsführung gemäß Nothaushaltsrecht jedoch nur ermächtigt, diejenigen Ausgaben zu tätigen, die aus rechtlichen, vertraglichen oder anderen gewichtigen Gründen unabweisbar sind und nicht bis zum Beschluss des Gesetzgebers über den neuen Landeshaushalt 2012 aufgeschoben werden können. Die einschlägigen rechtlichen Vorschriften nach Artikel 82 der Landesverfassung NordrheinWestfalen sowie den §§ 18 Abs. 3 und 45 Abs. 1 der Landeshaushaltsordnung besagen, dass die Landesregierung bis zur Verkündung des Haushaltsgesetzes alle Ausgaben leisten darf, die objektiv erforderlich sind, um den Verwaltungsbetrieb aufrechtzuerhalten und die notwendigen Aufgaben, insbesondere die rechtlichen Verpflichtungen, zu erfüllen. Von die- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/717 2 ser Ermächtigung darf die Landesregierung aus rechtlichen wie politischen Gründen nur restriktiv Gebrauch machen, da durch vorgenommene Auszahlungen zugleich Tatsachen geschaffen werden, die dem Parlament bei seiner späteren Beschlussfassung über das Haushaltsgesetz 2012 faktisch seine Entscheidungsspielräume erheblich einschränken, die haushaltspolitisch vom Gesetzgeber mehrheitlich gewollten Entscheidungen zu treffen. Hierdurch wird das Königsrecht des Parlaments im Jahr 2012 in der Praxis massiv limitiert. Derzeit ist davon auszugehen, dass selbst bei einer gestrafften Haushaltsberatung mit einer Verabschiedung durch das Parlament Ende November 2012 eine Verkündung desselben im Amtsblatt der Landesregierung nicht vor Anfang Dezember 2012 erfolgen kann. Für diesen Zeitraum bis zur Beendigung der vorläufigen Haushaltsführung, der kalendarisch also mindestens 11/12 des Jahres 2012 beträgt, steht fest, dass grundsätzlich keine neuen Ausgaben getätigt werden können, die im alten Haushalt 2011 nicht vorgesehen sind und in jedem Monat des Jahres 2012 maximal ein Zwölftel des Jahresbudgets 2011 insbesondere an Empfänger von Landeszuwendungen im Bereich freiwilliger Leistungen ausgezahlt werden darf, für deren Auszahlung keine gesonderte gesetzliche Verpflichtung besteht. Neue und zusätzliche Programme des Landes wie das Imageprojekt „Kein Kind zurücklassen“, zusätzliche Stellen oder geplante Beförderungen für vorhandene Stelleninhaber sind ferner bis auf weiteres vorläufig gesperrt. Diese haushaltsrechtliche Sachlage löst bei Zuwendungsempfängern verständlicherweise wenig Begeisterung aus, da hierdurch Liquiditätsengpässe entstehen können und wenig Planungssicherheit herrscht. Dies ist in einigen Bereichen für die Sache und die betroffenen Träger, Einrichtungen und Vereine sowie die Beschäftigten sicher unerfreulich. Für den Finanzminister jedoch ist dieser Umstand aus haushalterischen Gründen eine riesige Chance, ein gewichtiges Konsolidierungspotential zu erwirtschaften, da bis Anfang Dezember 2012 die dargestellten strengen Restriktionen für öffentliches Ausgabegebaren bestehen. Parallel ist dem soeben erschienenen Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums zu entnehmen , dass sich die für Bund und Länder historisch gute Steuereinnahmesituation im ersten Halbjahr 2012 weiter fortgesetzt hat. Den publizierten Zahlen zufolge haben die Gebietskörperschaften rund 4,4 Prozent mehr an Steuern eingenommen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres 2011. Allein im Juni ist das Steueraufkommen gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,5 Prozent angewachsen. Auffällig ist vor allem der Anstieg bei den Lohnsteuereinnahmen , die im ersten Halbjahr 2012 um 5,5 Prozent zugenommen haben. Mit einer Fortsetzung der positiven Grundtendenz auf der Steueraufkommensseite ist nach Expertenmeinungen auch noch im weiteren Jahresverlauf 2012 zu rechnen. Die Rahmenbedingungen zur Haushaltskonsolidierung sind also für die Landesregierung derzeit aus mehrerlei Gründen besonders günstig. Da das Zusammenwirken dieser Faktoren nicht dauerhaft als automatisch fortbestehend angenommen werden kann, sind gerade in dieser Zeit die gegebenen Potentiale zum Ausstieg aus der Verschuldungsspirale zu nutzen. Die Dringlichkeit einer grundlegenden Haushaltskorrektur hat auch der zurückliegende Landtagswahlkampf gezeigt, der unter dem Motto „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ stand. Vorbemerkung der Landesregierung: Der Haushaltsplan 2012 wird erst nach Beginn des Haushaltsjahres 2012 (nach dem derzeitigen Zeitplan im Dezember 2012) festgestellt werden. Bis dahin ist die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes vorläufig im Sinne von Art. 82 der Landesverfassung (LV). In Art. 82 trifft die Landesverfassung für den Fall Vorsorge, dass der Haushalt nicht rechtzeitig ver- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/717 3 abschiedet werden kann. Er ermächtigt die Landesregierung, bis zur Verabschiedung des Haushalts die notwendigen Ausgaben zu leisten. Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Budgetbewilligungsrechts des Gesetzgebers sind der vorläufigen Haushaltsführung der Landesregierung im etatlosen Zustand enge Grenzen gezogen. Art. 82 LV soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern lediglich für den etatlosen Zustand eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen. Mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung des Finanzministers gemäß § 5 Absatz 1 Landeshaushaltsordnung (LHO) wird die Ermächtigung des Artikel 82 der Landesverfassung umgesetzt. Bei der Bestimmung von Umfang und Grenzen der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung sind als Maßstab für die Höhe der unter den Voraussetzungen des Art. 82 LV zu leistenden Ausgaben die Ansätze des abgelaufenen Haushaltsplans 2011, gegebenenfalls korrigiert um die niedrigeren Ansätze des noch nicht verabschiedeten Haushaltsplanentwurfs 2012, herangezogen worden. Wesentlicher Anhaltspunkt für die Ausgabeermächtigungen sind demnach im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung die Ansätze des Haushaltsjahres 2011 sowie – falls vorhanden - derjenigen im Regierungsentwurf zum Haushaltsplan 2012. Die so ermittelte Obergrenze für die Ausgaben wird anteilig auf die voraussichtlich zu erwartende haushaltslose Zeit übertragen. Die Ausgabeermächtigung orientiert sich also an der Dauer der haushaltslosen Zeit, nicht hingegen an einzelnen rechnerisch auf das Jahr verteilten Monatsbudgets. Die Ermächtigung zur Leistung von Ausgaben im Rahmen der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung ist also entgegen den Annahmen in den Vorbemerkungen zu der Kleinen Anfrage nicht auf einzelne rechnerisch auf das Jahr zu verteilende Monatsbudgets beschränkt. Ebenso wenig kann von einer generellen Beförderungssperre im Rahmen der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung ausgegangen werden. Dies vorausgeschickt wird die Kleine Anfrage 285 wie folgt beantwortet: 1. In welchem voraussichtlichen Umfang ergeben sich aus Sicht des Finanzminis- ters jeweils aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Einzelplänen des Landeshaushalts für das Haushaltsjahr 2012 infolge der vorläufigen Haushaltsführung effektive Minderausgaben im Vergleich zu den Ansätzen des Vorjahres 2011? Die Erwirtschaftung von Minderausgaben erfolgt über den gesamten Jahresverlauf. Das weitere Ausgabeverhalten der Ressorts bis zum Jahresende kann nicht auf Basis der bisher angefallenen Ausgaben prognostiziert werden, da sich die Abflüsse nicht gleichmäßig über den Jahresverlauf verteilen. Auf die Problematik der gegenseitigen Deckungsfähigkeit von Ausgaben wird hier nur der Vollständigkeit halber hingewiesen. Soweit zugelassen, können einzelne Ausgabenansätze z. B. im Rahmen der Ausgabenbudgetierung auch für Mehrausgaben in anderen Bereichen verwendet werden. Dies führt kassenmäßig zu Minderausgaben z. B. bei Personalausgaben, kann aber an anderer Stelle Mehrausgaben z. B. bei Zuweisungen auslösen. Das alles aufzuschlüsseln, ist im Laufe eines Haushaltsjahres leider nicht möglich. Genau das ist Aufgabe der Haushaltsrechnung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/717 4 2. Durch jeweils welche einzelnen konkreten Maßnahmen wendet der Finanzminister seit Jahresbeginn 2012 die ihm zur Verfügung stehenden haushalterischen Instrumente in der Phase der vorläufigen Haushaltsführung gezielt an, um die gegenwärtige rechtliche Situation zur Erwirtschaftung unerwarteter Einsparpotentiale zu nutzen? Nach Art. 82 LV in Verbindung mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung gemäß § 5 Absatz 1 LHO dürfen Ausgaben nur geleistet werden, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen und rechtlich begründete Verpflichtungen zu erfüllen sowie Bauten , Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind. Sinn und Zweck von Artikel 82 der Landesverfassung ist, dass die Ausgaben geleistet werden können, die zur Weiterführung wichtiger und dringlicher Landesaufgaben unerlässlich sind. Ziel der Vorschrift ist es hingegen nicht, den Finanzminister in die Lage zu versetzen, während des Übergangszeitraums konkrete Maßnahmen zur Erwirtschaftung von Einsparpotentialen zu nutzen. Damit unterscheidet sich die Übergangsermächtigung des Artikel 82 LV beispielsweise von dem Instrument der Haushaltssperre nach § 41 LHO auf der Grundlage eines vom Parlament verabschiedeten Haushalts. 3. Mit jeweils welchen Erlaubnisnormen und konkreten Begründungen im Einzelfall sind in vorhandenen Haushaltstiteln des Jahres 2011 im vorläufigen Haushaltsvollzug des Jahres 2012 im ersten Halbjahr die monatlichen Ausgaben um ein Zwölftel des Vorjahreswertes überschritten worden? Wie bereits in der Vorbemerkung dargestellt, ist die Ermächtigung zur Leistung von Ausgaben im Rahmen der vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung nicht auf einzelne rechnerisch auf das Jahr zu verteilende Monatsbudgets beschränkt. Im Hinblick darauf bedarf es keiner konkreten Begründung im Einzelfall, sofern im ersten Halbjahr 2012 mehr als 6/12 der maßgeblichen Obergrenze verausgabt wurden. Auf eine entsprechende Darstellung aller im Haushaltsplan 2011 vorhandenen Haushaltstitel, bei denen im vorläufigen Haushaltsvollzug des Jahres 2012 bis 30.06.2012 mehr als 6/12 der maßgeblichen Obergrenze verausgabt wurden, wird daher vor dem rechtlichen Hintergrund der Frage verzichtet. 4. Welche einzelnen Mehr- und Minderausgaben im Volumen von jeweils ab 10.000 Euro bezogen auf eine halbe Jahresausgabe des Landeshaushalts 2011 haben sich im ersten Halbjahr differenziert nach den jeweiligen Einzelplänen nach heutigem Stand der Erkenntnisse bislang ergeben? Bei einer rein rechnerischen Gegenüberstellung der bis zum 30.06.2011 mit den bis zum 30.06.2012 getätigten Ausgaben ergeben sich bei einer Abweichung von 10.000 Euro und höher fast 2.500 Haushaltsstellen. Wie schon zu Frage 1. erläutert, bleibt die Ermittlung der Mehr – und Minderausgaben dem Haushaltsabschluss und der Haushaltsrechnung vorbehalten . Belastbare Aussagen zu den sich ergebenden Beträgen können erst nach der Berücksichtigung von Deckungskreisen etc. getroffen werden. Auf eine Darstellung aller 2.500 Haushaltsstellen wird daher verzichtet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/717 5 5. Welche einzelnen politisch von der Landesregierung im Jahr 2012 neu beabsichtigten , erwogenen oder bereits angekündigten Maßnahmen, Projekte und Programme etc., die es im Haushaltsjahr 2011 noch nicht (in dieser Form und Höhe) gegeben hat, werden aufgrund der bestehenden Haushaltssituation gemäß der neuen Haushaltsaufstellung 2012 des Finanzministers im laufenden Haushaltsjahr nicht mehr realisiert, sofern der Haushaltsgesetzgeber diesbezüglich der Haushaltsvorlage der Landesregierung an den Landtag folgt? In welchem Umfang die in der Fragestellung angesprochenen Haushaltsmittel für von der Landesregierung im Jahr 2012 neu beabsichtigte, erwogene oder bereits angekündigte Maßnahmen, Projekte und Programme etc. bis zum Ende des Jahres 2012 in Anspruch genommen werden, kann erst auf der Basis des noch zu verabschiedenden Haushaltsplans 2012 und des sich daran anschließenden Haushaltsvollzuges beurteilt werden. Im Übrigen können Haushaltsmittel auch übertragbar sein, mit der Folge, dass die Ausgaben zur Finanzierung in Rede stehender Maßnahmen, Projekte und Programme etc. auch überjährig zur Verfügung stehen.