LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7251 06.11.2014 Datum des Originals: 06.11.2014/Ausgegeben: 11.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2780 vom 8. Oktober 2014 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/7011 Gerechtigkeit für ehemalige Abschiebegefangene in der JVA Büren Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2780 mit Schreiben vom 6. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 17.7.2014 stellte der Europäische Gerichtshof EuGH in der Rechtssache C-473/13, C- 514/13 und C-474/13 fest, dass in der Bundesrepublik das sogenannte Trennungsgebot nicht eingehalten wird. Demnach müssen Abschiebegefangenen und Strafgefangenen in getrennten Einrichtungen untergebracht werden. Obwohl in der JVA Büren Strafgefangene und Abschiebegefangene zusammen eingesperrt waren, ignorierte das Ministerium für Inneres und Kommunales diese Rechtsprechung. Somit musste der BGH am 25.7.2014 (V ZB 137/14) erneut und dieses Mal explizit über die JVA Büren entscheiden. Anstatt dann dieses Urteil sofort umzusetzen, verbrachten die Abschiebegefangenen dann noch eine weitere Nacht, unrechtmäßig, in der JVA Büren. Erst am nächsten Tag wurden sie nach Berlin verlegt . Zwischenzeitlich entscheiden immer mehr Gerichte, dass die Unterbringung in der JVA Büren unrechtmäßig war (z.B. LG Münster 14.8.14, 5 T 472/14; LG Düsseldorf v.12.9.14, 25 T 464/14; LG Münster v. 5.8.2014, 5 T 424/14; AG Düsseldorf v. 29.8.2014, 152 XIV41/13) und stellen fest, dass deswegen der Haftbeschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7251 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Ausgestaltung der Abschiebehaft in der JVA Büren war nicht Gegenstand des Urteils des EuGH vom 17.07.2014 in den verbundenen Rechtssachen C-473/13 und C-514/13 und in der Rechtssache C-474/13 vom 17.07.2014. Das Urteil stellte insbesondere klar, dass ein Mitgliedstaat auch dann verpflichtet ist, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige grundsätzlich in einer speziellen Hafteinrichtung dieses Staates in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er föderal strukturiert ist und die nach nationalem Recht für die Anordnung und Vollziehung einer solchen Haft zuständige föderale Untergliederung über keine solche Hafteinrichtung verfügt. Welche Anforderungen an eine spezielle Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs.1 Satz 1 der Rückführungsrichtlinie zu stellen sind, ist dem Urteil nur sehr eingeschränkt zu entnehmen. Die in NRW bis dahin vorgenommene Trennung in unterschiedlichen Gebäuden auf dem Gelände einer JVA wurde erst durch die Entscheidung des BGH am 25. Juli 2014 - V ZB 137/14 - im Gegensatz zu obergerichtlicher Rechtsprechung in NRW (zuletzt Beschlüsse des LG Köln vom 08. Juli 2014 und des LG Düsseldorf vom 15. Juli 2014) für nicht ausreichend erachtet. Im Übrigen waren in der JVA Büren zu keinem Zeitpunkt Strafgefangene und Abschiebehäftlinge „zusammen eingesperrt“. Auf die für die Sitzung des Innenausschusses am 28.08.2014 erstellte Vorlage 16/2108 wird in diesem Zusammenhang verwiesen. Jedem Einzelfall einer Inhaftierung lag eine richterliche Anordnung gemäß § 62 Aufenthaltsgesetz zugrunde. Die Rechtskraft dieser Anordnungen wurde durch den Beschluss des BGH vom 25. Juli 2014 nicht in Frage gestellt, der ausschließlich den dort geregelten Einzelfall betrifft. Die in der Anfrage in Bezug genommene neuere obergerichtliche Rechtsprechung ist auch nicht durchgängig einheitlich. So hat das Landgericht Bonn in seinem Beschluss vom 14.08.2014 (4 T 225/14) festgestellt, dass die BGH-Entscheidung vom 25.07.2014 den Vollzug der Abschiebungshaft in Büren nicht rückwirkend rechtswidrig macht und sich dabei u.a. auf folgenden Passus aus dem BGH-Beschluss bezogen: „Daran gemessen ist jedenfalls der weitere Vollzug der Haft rechtswidrig, weil der Betroffene derzeit unter Verstoß gegen die Vorgaben des Unionsrechts untergebracht ist und die Behörde eine Änderung der Unterbringung abgelehnt hat.“ Das MIK hat unverzüglich nach Bekanntwerden der BGH-Entscheidung die Verlegung der in Büren Inhaftierten in die spezielle Abschiebungshafteinrichtung in Berlin veranlasst. 1. Wie viele Abschiebegefangene waren vom 24.12.2010 bis 26.7.2014 in der JVA Büren untergebracht? (Bitte nach Gesamtanzahl der Tage je Abschiebegefangenen aufschlüsseln) Statistische Daten zu der taggenauen Zahl der in dem Zeitraum vom 24.12.2010 bis 26.07.2014 in der JVA Büren untergebrachten Abschiebungsgefangenen sowie zu der Gesamtanzahl der Tage je Abschiebungsgefangenen liegen nicht vor. Die aus der EDV-Anwendung BASIS erhobenen Daten zu den Zahlen der Abschiebungsgefangenen liegen nur noch ab Mitte 2012 vor, ältere Daten sind bereits gelöscht (s. Anlage, Abschnitt I.). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7251 3 Daneben werden Daten zu der monatlichen Durchschnittsbelegung sowie zu der Gesamtanzahl der monatlichen Hafttage erhoben (s. Anlage, Abschnitt II.). 2. Plant die Landesregierung, sich für die unrechtmäßige Inhaftierung bei den Be- troffenen zu entschuldigen? Bis zu dem Urteil des EuGH vom 17.07.2014 - C-473/13 u. C-514/13- sowie dem auf diesem aufbauenden Beschluss des BGH vom 25.07.2014 - V ZB 137/14 - war - gestützt auf den überwiegenden Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung in NRW - von der Richtlinienkonformität der Abschiebungshaft in Büren auszugehen. Im Übrigen beruhte der Vollzug von Abschiebungshaft in den jeweiligen Einzelfällen auch auf in richterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidungen. Die im Nachgang zu dieser Rechtsprechungsänderung notwendigen Maßnahmen zur Unterbringung der Abschiebungsgefangenen in einer richtlinienkonformen Einrichtung wurden unmittelbar veranlasst. Ein Verhalten der zuständigen Stellen, das Veranlassung zu einer Entschuldigung bei den Betroffenen geben könnte, ist vor diesem Hintergrund nicht festzustellen . 3. Ist es richtig, dass die unrechtmäßig Gefangenen mit Kosten für die Abschie- bungshaft nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht belastet werden? Nur die Kosten einer rechtmäßigen Abschiebungshaft können mit Leistungsbescheid gegenüber dem Kostenschuldner geltend gemacht werden. 4. Den Betroffenen steht eine Entschädigung nach Art. 5 EMRK zu. Plant die Lan- desregierung, ein Angebot für die Entschädigung zu machen? Nach dem Urteil des BGH vom 04.07.2013 - III ZR 342/12 - bezieht sich der in Art. 5 EMRK allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommende Absatz 5 („Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.“) grundsätzlich nur auf die Anordnung der Freiheitsentziehung als solcher , nicht aber auf die Art und Weise des Vollzugs der Haft. Die Anordnung war in jedem Einzelfall Gegenstand rechtskräftig gewordener gerichtlicher Entscheidungen. Die Differenzierung zwischen der Anordnung der Freiheitsentziehung als solcher und den Modalitäten des Haftvollzugs entspricht auch der Regelungstechnik in den §§ 62 und 62a AufenthG. Ein Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK scheidet daher nach Auffassung der Landesregierung bereits aus Rechtsgründen aus. 5. Wenn die Fragen 3 oder 4 mit Nein beantwortet werden: Plant die Landesregie- rung, die Betroffenen darüber zu informieren, dass sie ihr Recht jeweils einzeln durchsetzen müssen? Siehe Antwort zu Frage 4. 4421 - IV. 1. Sdb. Büren Abschiebungshaft in der JVA Büren von Dezember 2010 bis Juli 2014 Anzahl, Durchschnittsbelegung und Hafttage I. Zahl der Abschiebungsgefangenen 2010 Die aus der EDV-Anwendung BASIS erhobenen Daten liegen 2011 nur noch ab Mitte 2012 vor, ältere Daten sind bereits gelöscht. 2012 (nur 2. Jahreshälfte) 680 2013 1.201 2014 (bis 26.07.2014) 447 II. Durchschnittsbelegung und Hafttage Jahr und Monat Jahr und Monat Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen 2010 Dez 131,53 15,0 4.630 564 2011 2013 Jan 129,41 15,00 5.472 402 Jan 103,00 5,59 3.970 211 Feb 125,93 16,00 4.017 525 Feb 107,34 6,38 2.927 152 Mrz 120,44 11,00 4.163 672 Mrz 100,19 6,62 2.922 117 Apr 133,00 15,00 3.701 334 Apr 108,65 5,39 3.543 346 Mai 129,25 12,00 4.224 515 Mai 90,12 3,47 3.252 100 Jun 132,58 8,00 4.325 188 Jun 91,13 9,48 3.095 212 Jul 118,56 10,00 4.228 317 Jul 95,72 5,22 3.603 280 Aug 112,78 15,00 5.159 225 Aug 81,75 6,50 2.980 57 Sep 105,26 14,00 3.387 539 Sep 71,16 7,90 2.196 217 Okt 117,38 8,00 3.381 386 Okt 64,16 5,50 2.005 325 Nov 134,29 10,26 3.819 327 Nov 71,55 5,90 1.852 81 Dez 119,38 12,91 3.844 686 Dez 67,72 5,66 1.720 282 2012 2014 Jan 129,62 12,03 3.881 365 Jan 56,69 3,56 2.330 96 Feb 125,00 13,83 4.349 287 Feb 71,00 5,59 1.771 129 Mrz 122,03 9,41 3.964 620 Mrz 50,69 4,19 2.413 285 Apr 125,00 11,77 3.709 348 Apr 44,26 3,16 1.577 74 Mai 103,19 7,66 3.667 317 Mai 44,66 2,44 1.115 45 Jun 102,26 4,23 3.475 140 Jun 40,77 2,19 1.481 31 Jul 120,25 3,66 3.806 43 Jul 23,31 1,22 1.224 44 Aug 95,53 4,03 3.606 135 Sep 124,10 6,65 3.155 180 Okt 137,31 9,41 4.613 342 Nov 116,68 11,71 3.640 146 Dez 98,94 7,00 3.643 414 Anmerkung zu 2010 und 2011: Weibliche Abschiebungsgefangene waren bis Anfang November 2011 in der JVA Neuss untergebracht, dort wurde nur Abschiebungshaft vollzogen (Daten 2010 und 2011 kursiv ). Ab dem 08.11.2011 erfolgte deren Unterbringung in der JVA Büren. Die Werte für November 2011 beziehen sich auf die Unterbringung in der JVA Büren. Durchschnitts- belegung Durchschnitts- belegung Hafttage der Entlassenen Hafttage der Entlassenen