LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7292 12.11.2014 Datum des Originals: 11.11.2014/Ausgegeben: 17.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2779 vom 7. Oktober 2014 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/7010 Schande mit System: Gab es vor Entdeckung des Misshandlungs-Skandals von Burbach , Essen und Co. keine Standards in den Einrichtungen für Flüchtlinge? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2779 mit Schreiben vom 11. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch die Presse wurde am 26. September 2014 aufgedeckt, dass es in verschiedenen Landesaufnahmeeinrichtungen in NRW zu Misshandlungen und Vernachlässigungen von Flüchtlingen gekommen ist. Das LKA hat in der Zwischenzeit Ermittlungen aufgenommen. Auf einer Pressekonferenz am 30. September kündigte Innenminister Jäger zudem an, dass zukünftig eine zehnköpfige „Task-Force“ dafür sorgen wird, dass in allen Landesunterkünften die Standards eingehalten werden. Es soll nur noch Sicherheitspersonal beschäftigt werden, das einer Sicherheitsüberprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz zustimmt. Für den Einsatz von Sicherheitskräften in Asylbewerbereinrichtungen des Landes NordrheinWestfalen sollen fortan acht Standards gelten.1 1 1. Es wird ausschließlich Personal des auftragsnehmenden Sicherheitsunternehmens beschäftigt. Der Einsatz von Subunternehmen ist ausgeschlossen. 2. Alle im Sicherheitsdienst Beschäftigten erklären ihr Einverständnis, dass betreffend ihrer Person eine Sicherheitsüberprüfung analog den Vorgaben des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes durch die Sicherheitsorgane (Polizei und Verfassungsschutz) durchgeführt wird. 3. Für alle im Sicherheitsdienst Beschäftigten ist eine Zuverlässigkeitsbescheinigung des örtlichen Ordnungsamtes vorzulegen. 4. Es wird ausschließlich Personal mit der Sachkundeprüfung nach § 34 a Gewerbeordnung (GewO) eingesetzt. 5. Es wird der tarifliche Mindestlohn gezahlt. 6. Für alle im Sicherheitsdienst Beschäftigten ist ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7292 2 Andere Bundesländer wenden die in NRW erst jetzt eingeführten Standards schon lange an, kommen zum Teil ganz ohne private Wachleute aus, schließen Verträge mit Sicherheitsdiensten nur direkt und nicht über European Homecare ab und legen darauf Wert, dass Sicherheitsleute Deeskalation trainieren und „interkulturelle Kompetenzen“ nachweisen. Der stellvertretende Behördenleiter der Bezirksregierung Arnsberg, V. M. wurde in der Presse wie folgt zitiert: "Wir sind im Moment sehr froh, dass uns alle Hilfsorganisationen und auch der private Betreiber European Homecare nach ihren besten Kräften unterstützen und es ermöglichen, dass die Menschen nicht in die Obdachlosigkeit geraten. Vor diesem Hintergrund bin ich nicht der Meinung, dass wir im Moment die Standards diskutieren sollten." Vorbemerkung der Landesregierung Die Bezirksregierung Arnsberg hat zur Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wie folgt Stellung genommen: Es ist zutreffend, dass sich Regierungsvizepräsident Volker Milk zu einem bestimmten Zeitpunkt entsprechend geäußert hat. Wichtig ist hier zur Erklärung allerdings der zeitliche und inhaltliche Kontext: So ist die besagte Äußerung im Rahmen eines Interviews gegenüber einer WDR-Journalistin getätigt worden, das am 26.09.2014 gegen Mittag erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Herr Milk noch keinerlei Kenntnis von den inakzeptablen, menschenverachtenden Übergriffen des in Burbach eingesetzten Sicherheitspersonals. Kenntnis darüber erhielt der Regierungsvizepräsident erst am Nachmittag desselben Tages, gegen 16.00 Uhr. Die konkrete Äußerung von Herrn Milk bezog sich auch nicht auf die Arbeit der Sicherheitsdienste in den Landeseinrichtungen. Vielmehr bezog sich die Äußerung auf eine Frage zur Arbeit des Betreuungsverbandes. So hatte die WDR-Journalistin in ihrer Frage u.a. ausgeführt , dass das Betreuungspersonal in einer bestimmten – maximal belegten – Flüchtlingsunterkunft nicht in jedem Fall über die erforderliche fachliche Qualifikation verfüge. Beispielsweise sei in der Einrichtung in der örtlichen Kinderspielstube anstelle einer Erzieherin an dem betreffenden Tag eine Kinderpflegerin eingesetzt worden. Zum Zeitpunkt des Interviews war für die Behördenleitung der Bezirksregierung jedoch unvorstellbar , dass es in einer Flüchtlingsunterkunft des Landes zu kriminellen Handlungen dieser Art gekommen sein könnte. 7. Für alle im Sicherheitsdienst Beschäftigten ist eine Eigenerklärung vorzulegen, dass keine für die Tätigkeit relevanten Vorstrafen (Körperverletzungs-, Betäubungs- und Arzneimittelmissbrauchs-, Sexual- und Staatsschutzdelikte) vorliegen und aktuell kein Verfahren anhängig ist. 8. Alle beauftragten Sicherheitsunternehmen weisen die Mitgliedschaft im BDSW oder einem vergleichbaren Arbeitgeberverband nach. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7292 3 1. Trifft es zu, dass die in der Vorbemerkung erwähnten 8 Standards vor dem 30.09.2014 bei der Beschäftigung von Sicherheitspersonal in Asylbewerbereinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen keine Berücksichtigung fanden? (bitte mit Begründung) Vor dem Bekanntwerden der Vorfälle in Burbach galten für Beschäftige von Sicherheitsdiensten in Asylbewerbereinrichtungen die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des § 34a Gewerbeordnung in Verbindung mit § 9 Bewachungsverordnung (BewachV). Die Anforderungen des Acht-Punkte-Programms, wie zum Beispiel die Überprüfung analog den Vorgaben des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes durch die Sicherheitsorgane (Polizei und Verfassungsschutz) sowie die Eigenerklärung, gehen weit darüber hinaus. So sehen die gewerberechtlichen Vorschriften bislang nicht die Einbindung des Verfassungsschutzes vor. Die gesetzlich vorgesehene unbeschränkte Auskunft beim Bundeszentralregister umfasst lediglich rechtskräftige Verurteilungen. Über die gesetzlichen Regelungen hinaus sind die Bescheinigungen nunmehr auch der Bezirksregierung Arnsberg zu Kontrollzwecken vorzulegen . Im Übrigen wird auf die folgenden Antworten verwiesen. 2. Wurden für die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste zur Vorbereitung ihres Einsatzes ein Deeskalationstraining und Antirassismus-Schulungen durchgeführt? Nach den bei Frage 1 genannten Vorschriften ist die Vorlage eines Unterrichtungsnachweises für Mitarbeiter eines Bewachungsgewerbes obligatorisch. Die Unterrichtung geht unter anderem auch auf Inhalte zu fachspezifischen Pflichten und Befugnisse im „Umgang mit Menschen, insbesondere Verhalten in Gefahrensituationen und Deeskalationstechniken in Konfliktsituationen“ ein (§ 4 S.1 Nr. 5 BewachV). 3. Welche Gründe gaben die Betreiber von Einrichtungen für die Beschäftigung von Subunternehmen an? Die Sicherheitsdienste werden von den Betreuungsorganisationen der einzelnen Einrichtungen beauftragt. Der Bezirksregierung Arnsberg war vor dem 26.09.2014 die Beauftragung von Subunternehmern nicht bekannt. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in Burbach hat die Bezirksregierung unverzüglich im Zuge des genannten 8-Punkte-Katalogs sichergestellt, dass eine Beauftragung von Subunternehmen durch den ursprünglich beauftragten Sicherheitsdienst mit sofortiger Wirkung nicht mehr möglich ist. Im Zuge der Aufarbeitung der Vorfälle in Burbach hat das Betreuungsunternehmen European Homecare (EHC) den Einsatz von Subunternehmen wie folgt begründet: So sei angesichts der Tatsache, dass – infolge steigender Flüchtlingszahlen – kurzfristig neue Unterbringungseinrichtungen hätten ertüchtigt werden müssen, ein entsprechend kurzfristiger Bedarf an zusätzlichem Wachpersonal entstanden. Weil die beauftragten Sicherheitsunternehmen hierzu seinerzeit personell nicht in der Lage gewesen seien, seien von diesen wiederum Subunternehmer beauftragt worden, um den Betrieb in den Einrichtungen in der nötigen Personalstärke aufrechterhalten zu können. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7292 4 4. Welche Qualitätsstandards für die soziale, psychologische, medizinische und versorgungstechnische Betreuung stellt das MIK bisher an Betreiber von Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge? (bitte mit Nennung evtl. vorhandener rechtlicher Grundlagen) Für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen in Schöppingen und Hemer gelten seit vielen Jahren bewährte und von allen Betreuungsorganisationen akzeptierte Standards. Alle in NRW tätigen Betreuungsverbände sind sich einig, dass diese vertraglich festgelegten Leistungsstandards geeignet sind, eine sichere und menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge in NRW zu gewährleisten. Die o.g. Standards umfassen z.B. Vorgaben bezüglich der  generellen Anforderungen an den Betreuungsverband, z.B. Erfahrung in der Arbeit mit Flüchtlingen und Fähigkeit vor Ort Akzeptanz für die Einrichtung herzustellen,  Ausstattung und Reinigung der Räumlichkeiten, auch unter Hygieneaspekten,  Einrichtung von Kinderspielstuben, Frauencafés und anderen Beschäftigungsmöglichkeiten ,  speziellen Qualifikation von Mitarbeitern je nach ihrem Einsatz, z.B. Erzieher in der Kinderspielstube , examiniertes Personal in der Sanitätsstation,  Festlegung eines gestaffelten Personalschlüssels für die jeweiligen Aufgaben,  Sicherheit in den ZUE. Die bewährten hohen Qualitätsstandards für den Betrieb einer Einrichtung, wie sie schon in den ZUE Hemer und Schöppingen gelten, werden als klare, verbindliche Standards für alle Unterbringungseinrichtungen im Regelbetrieb in NRW zugrunde gelegt. Von einem Regelbetrieb ist bei allen Einrichtungen auszugehen, die länger als drei Monate betrieben werden. Allerdings mussten in den vergangenen zwei Jahren unter großem Zeitdruck und mit hohem Kostenaufwand immer neue Unterbringungsstandorte eingerichtet werden. Der hohe Zeitdruck ließ die übliche Ausschreibung und Vergabe nicht zu. In diesen Fällen wurden mit bekannten Partnern – basierend auf dem gemeinsamen Verständnis des bekannten hohen Standards, der möglichst einzuhalten ist – kurz gefasste Verträge über den Betrieb einer Einrichtung geschlossen. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in Burbach haben sich alle in NRW tätigen Betreuungsorganisationen gemeinsam mit der Bezirksregierung Arnsberg am 11. Oktober 2014 auf eine verbindliche künftige Linie geeinigt. Es wurde eine Leistungsbeschreibung entwickelt, die auf den bestehenden Standards aufbaut und für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen im Regelbetrieb (länger als drei Monate) landesweit gelten soll. Die Standards werden mit Bericht an den Innenausschuss am 20.11.2014 ausführlich erläutert . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7292 5 5. Sind die Vorgaben des Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgGNRW ) bei Ausschreibung und Vergabe des Betriebs von Landesaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber und Flüchtlinge von Auftraggeber und Auftragnehmer anzuwenden? (bitte mit Begründung) Ja. Das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG – NRW) trifft Vorgaben für öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 2 Absatz 4 TVgG – NRW i.V.m. § 98 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie für Auftragnehmer. Diese sind bei Vergaben von öffentlichen Aufträgen i.S.d. § 2 Absatz 1 TVgG – NRW i.V.m. § 99 GWB einzuhalten. Die Vergabe des Betriebs von Landesaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber und Flüchtlinge unterfällt regelmäßig dem TVgG – NRW.