LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7295 12.11.2014 Datum des Originals: 11.11.2014/Ausgegeben: 17.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2786 vom 13. Oktober 2014 der Abgeordneten Holger Ellerbrock, Henning Höne, Karlheinz Busen und Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7030 (Neudruck) Gebührensteigerungen bei kommunalem Abfall und Abwasser – Was unternimmt die Landesregierung, um die berechtigten Interessen der nordrheinwestfälischen Gebührenzahler zu schützen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2786 mit Schreiben vom 11. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit Jahren entwickeln sich die Nebenkosten des Wohnens insbesondere für öffentliche Dienstleistungen zu einer massiven Belastung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wesentlichen Anteil hieran haben die vielerorts stetig ansteigenden Gebühren für Abfallbeseitigung und Abwasser. Nach Erhebungen des Bundes der Steuerzahler für Nordrhein-Westfalen musste ein Durchschnittshaushalt mit 200 Kubikmetern Frischwasserverbrauch und 130 Quadratmetern vollversiegelter Fläche im Jahr 2014 bis zu 1.256,42 Euro (Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid) im Jahr an Abwassergebühren zahlen. Der Landesdurchschnitt für den Musterhaushalt beträgt aber nur 692,24 Euro, und in der Gemeinde Reken im Kreis Borken sind für diesen sogar nur 246,50 Euro zu entrichten. Mit Faktoren wie der Anschlussdichte oder mit schwierigen topographischen Verhältnissen in einigen Teilregionen Nordrhein-Westfalens lassen sich die hohen Abwasserkosten in den Kommunen nur teilweise erklären. Als wesentliche Ursache für die hohen Abwassergebühren kommt vielmehr die vielerorts praktizierte Ausnutzung von Ermessensspielräumen bei der Gebührenberechnung in Betracht . So legen viele Abwasserbetriebe den sogenannten „Wiederbeschaffungszeitwert“ als Abschreibungsgrundlage für ihre Infrastruktur an, obwohl der Anlagenbetrieb hierdurch LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7295 2 künstlich verteuert wird. Für die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler wäre es viel günstiger, den ebenfalls zulässigen und praktizierten „Anschaffungswert“ zugrunde zu legen. Wenn es um die Abfallgebühren geht, werden die Bürger äußerst ungleich behandelt. Während landesweit mehr als die Hälfte der Kommunen, die eine 14-tägige Leerung der Restmülltonnen anbieten, die Abfallgebühren im Jahre 2014 stabil gehalten oder sogar gesenkt haben, gibt es auch hier wieder enorme Unterschiede bei der Gebührenerhebung: In den teuersten Kommunen müssen die Einwohner teilweise mehr als das Doppelte im Vergleich zu den günstigsten Städten und Gemeinden zahlen. Die Jahresgebühr im Bereich der privaten Abfallentsorgung für einen Vier-PersonenHaushalt mit einem 120l Restmüllgefäß, einem 120l Bioabfallgefäß (jeweils zweiwöchentliche Leerung) und 120l Papierabfall beträgt bis zu 486,70 Euro (Bochum) gegenüber 142,80 Euro in der preiswertesten Kommune Wesseling (Rhein-Erft-Kreis). Die Behauptung, dass die Preise je nach Müllverbrennungsanlage stark variieren können und sich dadurch allein die unterschiedlich hohen Gebühren erklären, ist nur minder befriedigend , da die meisten Kommunen die Angaben, wie viel sie tatsächlich für die Entsorgung einer Gewichtstonne Hausmüll bezahlen, zurückhalten. Dass viele Kommunen Ermessensspielräume bei der Kalkulation von Gebühren maximal ausnutzen, ist offenbar keine rein lokale Entscheidung. Insbesondere aus dem Kreise der Haushaltssicherungs- und Nothaushaltskommunen häufen sich die Berichte, seitens der Kommunalaufsichtsbehörden und der Gemeindeprüfungsanstalt zur Erhebung überhöhter Gebühren angehalten zu werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Landesregierung kommunale Gebietskörperschaften in finanziellen Problemlagen dazu nötigt, den Bürgerinnen und Bürgern mittels überhöhter Gebühren indirekt einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung abzuverlangen. Ein solches Vorgehen wäre absolut intransparent und nicht mit der Maßgabe von kommunaler Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zu vereinbaren. Gebühren dürfen nur kostendeckend für die Erbringung einer Gegenleistung sein und dürfen nicht der (versteckten) Erzielung von Überschüssen dienen. Quersubventionierungen zwischen verschiedenen Beteiligungsgesellschaften einer Kommune kommen erschwerend hinzu. Nicht selten dienen Gewinne öffentlicher Entsorgungsunternehmen beispielsweise faktisch dem Defizitausgleich für den Nahverkehr, was gebührenrechtlich problematisch ist. Entsprechende Absichten und Verflechtungen einer Kommune sind für alle Bürger transparent darzulegen. Das unzweifelhaft richtige Anliegen der Haushaltskonsolidierung darf nicht in Gestalt überzogener Gebühren auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger verfolgt werden. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben ein Recht auf marktkonforme, transparente und unter realitätsnahen Annahmen berechnete Abwasser- und Müllentsorgungsgebühren. 1. Wie hoch lagen bzw. liegen die durchschnittlichen Gebühren für die Abwasserent- sorgung in Euro pro Einwohner und Jahr in den einzelnen Kommunen NordrheinWestfalens ? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 bis 2014 mit Erläuterung der Berechnungsmethode) 2. Wie hoch lagen bzw. liegen die durchschnittlichen Gebühren für die Abfallentsor- gung in Euro pro Einwohner und Jahr in den einzelnen Kommunen NordrheinWestfalens ? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 bis 2014 mit Erläuterung der Berechnungsmethode) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7295 3 3. Welche Konzepte für die Abschreibungsberechnung (Wiederbeschaffungszeitwert versus Anschaffungszeitwert) wurden bzw. werden in den einzelnen Kommunen Nordrhein-Westfalens bei der Kalkulation von Abwassergebühren jeweils zugrunde gelegt? (bitte tabellarische Auflistung für die Jahre 2005 - 2014) Die Fragen 1 bis 3 werden zusammen beantwortet. Weder das Ministerium für Inneres und Kommunales noch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) erheben zu den mit den Fragen 1, 2 und 3 erbetenen Angaben Daten bei den 396 NRW-Kommunen. Eine Erhebung dieser Daten ist im Rahmen der der Landesregierung für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Das MKULNV veröffentlicht regelmäßig die vom Bund der Steuerzahler erhobenen Abwassergebühren. Danach hat sich im Mittel der 396 Gemeinden die Schmutzwassergebühr von 2,79 €/m3 (2010), auf 2,85 €/m3 (2011) und 2,88 €/m3 (2012) erhöht. Die Niederschlagswassergebühr betrug im Mittel 0,77/m2 € (2010), 0,78 €/m2 (2011) sowie 0,79 €/m2 (2012). Ein Gebührenvergleich mit früheren Jahren ist wegen der Einführung des gesplitteten Gebührenmaßstabs nicht möglich. Zur Frage 1 wird auf die Statistiken des Landesbetriebes IT NRW verwiesen, die einmal für die Jahre 2005 bis 2007, zum anderen für die Jahre 2008 bis 2010 sowie zuletzt für die Jahre 2011 bis 2013 die durchschnittliche Abwassergebühr in Euro pro Kubikmeter für alle NRW-Kommunen enthalten. Diese Statistiken beruhen auf § 11 Abs. 2 Umweltstatistikgesetz . Mit Blick auf den Umfang dieser Statistiken wird von einer Beifügung abgesehen; die Statistiken sind auf der Internetseite des Landesbetriebes IT NRW abrufbar unter http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2010/pres_201_10.html und http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2007/pres_222_07.html und http://www.it.nrw.de/presse/pressemitteilungen/2013/pres_308_13.html Es ist darauf hinzuweisen, dass in den Statistiken eine ggf. erhobene Grundgebühr und die Niederschlagswassergebühr, die aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2007 - 9 A 3648/04 - Juris - gesondert zu erheben ist, nicht erfasst sind. Inzwischen dürften alle NRW-Kommunen die getrennte Niederschlagswassergebühr eingeführt haben. Im Übrigen sind die Fragen 1 und 3 in gleich bzw. ähnlich gelagerter Form bereits Gegenstand der Kleinen Anfrage 47 des Abgeordneten Kai Abruszat der Fraktion der FDP (damalige Fragen 3 und 5), so dass auch die vorstehende Antwort weitgehend identisch ist mit der damaligen Beantwortung der Kleinen Anfrage (LT-Drs. 16/224). Im Hinblick auf Frage 2 ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass vom Landesbetrieb IT NRW keine Zahlen zu den „durchschnittlichen Gebühren für die Abfallentsorgung pro Einwohner und Jahr in den einzelnen Kommunen“ erhoben werden. 4. Inwieweit trifft es zu, dass Kommunalaufsichtsbehörden und die Gemeindeprü- fungsanstalt kommunale Gebietskörperschaften in finanziellen Problemlagen dazu anhalten, Ermessensspielräume bei der Kalkulation von Gebühren maximal auzunutzen? Eine identische Fragestellung war bereits Gegenstand der vorgenannten Kleinen Anfrage 47 (damalige Frage 1). Ich verweise hierzu auf die Beantwortung dieser Kleinen Anfrage (LTDrs . 16/224). Am damaligen Sachstand hat sich nichts geändert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7295 4 5. Welche Handlungen nimmt die Landesregierung bislang und zukünftig vor, um politisch motivierte Gebührenerhöhungen, die nicht reinen Marktgegebenheiten folgen, zukünftig zu unterbinden? Die Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Gebührenerhebung ergeben sich aus dem Kommunalabgabengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) bzw. einschlägigen spezialgesetzlichen Normen. Soweit sich die kommunale Ebene innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Gebührenerhebung bewegt, sich also rechtmäßig verhält, kann nicht von einer politisch motivierten Gebührenerhöhung gesprochen werden.