LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7303 13.11.2014 Datum des Originals: 12.11.2014/Ausgegeben: 18.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2766 vom 8. Oktober 2014 der Abgeordneten Kai Abruszat und Dr. Joachim Stamp FDP Drucksache 16/6989 Unhaltbare Zustände in NRW-Flüchtlingseinrichtungen – Was wusste die Landesregierung von den Problemen der Kommunen vor Ort genau? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2766 mit Schreiben vom 12. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, ist es in nordrhein-westfälischen Flüchtlingseinrichtungen zu menschenverachtenden Misshandlungen von Asylbewerbern durch Wachpersonal gekommen. Wehrlose Hilfesuchende wurden im Verantwortungs- und Aufsichtsbereich der rot-grünen Landesregierung geschlagen und gequält. Während zunächst von Einzelfällen die Rede war, finden seit einigen Tagen immer weitere Skandale Eingang in die öffentliche Berichterstattung . Mittlerweile steht fest, dass bei der Unterbringung von und beim Umgang mit Asylbewerbern in NRW Unterfinanzierung, Bettenknappheit, Versorgungsengpässe, Hygienemängel und personelle Unterbesetzung an der Tagesordnung sind. Offensichtlich ist es der rot-grünen Landesregierung gegenwärtig nicht möglich, einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen zu gewährleisten. Zwar hat Innenminister Jäger infolge der vergangenen Ereignisse zügiges Handeln angekündigt . Inwieweit seinen Worten jedoch auch Taten folgen werden und ob die nun angekündigte „Flüchtlings-Taskforce“ mehr als eine politische Worthülse ist, wird sich erst in Zukunft zeigen. Die bisherige, stiefmütterliche Behandlung der Asylbewerberunterbringung durch die rot-grüne Landesregierung lässt zumindest Zweifel aufkommen. Immerhin waren der Landesregierung die teils unhaltbaren Zustände in Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften bereits weit im Vorfeld bekannt. Presseöffentlich ist, dass aus Kommunen wie Dortmund aufgrund der Überlastungssituation schon seit geraumer Zeit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7303 2 immer wieder Hilferufe in Richtung des NRW-Innenministeriums bzw. der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg gesendet wurden. Gleichwohl hat die rot-grüne Landesregierung über Monate hinweg keinerlei Anlass gesehen, in dieser Sache tätig zu werden. Wie nachfolgendes Beispiel zeigt, echauffierte sich Innenminister Jäger noch vor wenigen Wochen geradezu, wenn es um kritische Hinweise aus dem kommunalen Raum hinsichtlich der Flüchtlingsunterbringung ging: Im Streit um stark steigende Flüchtlingszahlen in NRW hat Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) Dortmunds Ordnungsdezernentin Diane Jägers (CDU) attackiert. Es sei "unsäglich", dass eine politische Beamtin den Eindruck vermittle, das System der FlüchtlingsErstaufnahme in NRW kollabiere, schimpfte Jäger gestern im Innenausschuss des Landtags. […] Die Dortmunder Dezernentin Jägers hatte beschrieben, dass die FlüchtlingsErstaufnahme in Dortmund-Hacheney dem neuen Ansturm an Asylsuchenden nicht mehr gewachsen sei. Jäger widersprach: "Das System kollabiert nicht." (Neue Rhein-Zeitung, 19.09.2014). Heute, wenige Wochen nach dieser Äußerung, wissen wir, dass Minister Jäger Unrecht hatte – das System ist kollabiert. Warnungen und Hilferufe wurden über Monate hinweg ignoriert und offensichtliche Zeichen, wie der Aufbau eines Flüchtlings-Zeltlagers in Duisburg, nicht hinreichend gedeutet. Ein klarer Fall eklatanten Organisationsversagens im Zuständigkeitsbereich der rot-grünen Landesregierung. 1. Welche Kommunen haben sich in den vergangenen zwei Jahren aufgrund von Kapazitätsengpässen oder anderweitiger Problemstellungen bei der Flüchtlingsunterbringung hilfesuchend an die Landesregierung gewendet (bitte chronologische Aufstellung der Zuschriften unter Angabe von Datum und Betreff)? Die Beantwortung der Frage ergibt sich aus der als Anlage beigefügten Tabelle. Sie beinhaltet die Korrespondenz, die in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit im Ministerium für Inneres und Kommunales zu ermitteln war. 2. Welchen Inhalt hatte der unter 1. abgefragte Schriftverkehr (bitte Kopien der Zu- schriften sowie Antworten der Landesregierung als Anhang beifügen)? Der verfassungsrechtliche Anspruch des Abgeordneten umfasst keinen Anspruch auf Aktenvorlage . Hinsichtlich der Inhalte wird auf die Tabelle zu Frage 1 verwiesen. Des Weiteren hat die Landesregierung als Reaktion verschiedene Maßnahmen ergriffen, insbesondere zur Unterstützung der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Dortmund. So hat das MIK im Herbst 2012 für die ZAB Dortmund die bis heute andauernde und mehrfach im Umfang verstärkte Unterstützung durch die ZAB Köln bei der Registrierung erwirkt. Weiterhin wurde das Personal der Zentralen Ausländerbehörden deutlich erhöht. Ein durch das MIK im Dezember 2012 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) herangetragener Wunsch, die Außenstelle des BAMF zur Verbesserung der Verfahrensabläufe auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung anzusiedeln, konnte nicht realisiert werden. Die Landesregierung strebt weiterhin an, neue Einrichtungen zu schaffen, die insbesondere auch zur dauerhaften Entlastung des Standortes Dortmund dienen sollen. Die Planungen für das Jahr 2015 sehen derzeit die Schaffung entsprechender Einrichtungen in Mönchengladbach -Rheindahlen und in Essen vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7303 3 3. Wann und wie hat sich die Landesregierung hinsichtlich der Flüchtlingsunter- bringung in den vergangenen zwei Jahren mit den kommunalen Spitzenverbänden ins Benehmen gesetzt? Hinsichtlich der Flüchtlingsunterbringung haben in den vergangenen zwei Jahren mit den kommunalen Spitzenverbänden folgende Gespräche stattgefunden, bzw. wurde die folgende Korrespondenz geführt: Datum Inhalt 06.06.2013 Übersendung des Gesetzentwurfs zur Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) an die kommunalen Spitzenverbände (KSpV) zur Stellungnahme 02.07.2013 Stellungnahme der KSpV zum Gesetzentwurf FlüAG 15.07.2013 Anhörung der KSpV zur Novellierung FlüAG im MIK 02.10.2013 Information an KSpV über Gesetzentwurf 22.10.2013 Schreiben der KSpV zur Aufnahmeanordnung des Landes für syrische Flüchtlinge und zu Krankheitskosten bei Flüchtlingen 18.02.2014 Gespräch mit KSpV im MIK zur Aufnahmeanordnung des Landes für syrische Flüchtlinge und zu Krankheitskosten bei Flüchtlingen 18.03.2014 Schreiben an KSpV zu Lösungsansätzen für eine Entlas- tung der Kommunen bei außergewöhnlich hohen Leistun- gen in Krankheitsfällen bei Flüchtlingen 14.07.2014 Übersendung des Gesetzentwurfs zur Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) an die kommunalen Spitzenverbände (KSpV) zur Stellungnahme 15.07.2014 Stellungnahme der KSpV zum Projektbericht „Unterbrin- gung von Asylbewerbern in Nordrhein-Westfälischen Auf- nahmeeinrichtungen“ 07.08.2014 Stellungnahme der KSpV zum Gesetz-entwurf FlüAG 25.09.2014 Anhörung der KSpV zur Novellierung FlüAG und Bespre- chung zum 5-Punkte-Programm des Städte- und Gemein- debundes LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7303 4 4. Welche konkreten Beiträge wird die Landesregierung zur Sicherstellung einer auskömmlichen und menschenwürdigen Flüchtlingsunterbringung zukünftig leisten? Unterbringung in Landeseinrichtungen: Für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen in Schöppingen und Hemer gelten seit vielen Jahren bewährte und von allen Betreuungsorganisationen akzeptierte Standards. Alle in NRW tätigen Betreuungsverbände sind sich einig, dass diese vertraglich festgelegten Leistungsstandards geeignet sind, eine sichere und menschenwürdige Unter-bringung der Flüchtlinge in NRW zu gewährleisten. Die o.g. Standards umfassen z.B. Vorgaben bezüglich der  generellen Anforderungen an den Betreuungsverband, z.B. Erfahrung in der Arbeit mit Flüchtlingen und Fähigkeit vor Ort Akzeptanz für die Einrichtung herzustellen,  Ausstattung und Reinigung der Räumlichkeiten, auch unter Hygieneaspekten,  Einrichtung von Kinderspielstuben, Frauencafés und anderen Beschäftigungsmöglichkeiten ,  speziellen Qualifikation von Mitarbeitern je nach ihrem Einsatz, z.B. Erzieher in der Kinderspielstube, examiniertes Personal in der Sanitätsstation,  Festlegung eines gestaffelten Personalschlüssels für die jeweiligen Aufgaben,  Sicherheit in den ZUE. Die bewährten hohen Qualitätsstandards für den Betrieb einer Einrichtung, wie sie schon in den ZUE Hemer und Schöppingen gelten, werden als klare, verbindliche Standards für alle Unterbringungseinrichtungen im Regelbetrieb in NRW zugrunde gelegt. Von einem Regelbetrieb ist bei allen Einrichtungen auszugehen, die länger als drei Monate betrieben werden. Allerdings mussten in den vergangenen zwei Jahren unter großem Zeitdruck und mit hohem Kostenaufwand immer neue Unterbringungsstandorte eingerichtet werden. Der hohe Zeitdruck ließ die übliche Ausschreibung und Vergabe nicht zu. In diesen Fällen wurden mit bekannten Partnern – basierend auf dem gemeinsamen Verständnis des bekannten hohen Standards, der möglichst einzuhalten ist – kurz gefasste Verträge über den Betrieb einer Einrichtung geschlossen. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in Burbach haben sich alle in NRW tätigen Betreuungsorganisationen gemeinsam mit der Bezirksregierung Arnsberg am 11. Oktober 2014 auf eine verbindliche künftige Linie geeinigt. Es wurde eine Leistungsbeschreibung entwickelt, die auf den bestehen-den Standards aufbaut und für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen im Regelbetrieb (länger als drei Monate) landesweit gelten soll. Zusätzlich erforderlich sind Qualitätsvorgaben für die Ein-richtung von Notunterkünften des Landes, die maximal 3 Monate betrieben werden und zur Vermeidung von Obdachlosigkeit der Asylsuchenden dienen. Sie sollten sich grundsätzlich an Standards orientieren, die für Eirichtungen des Regelbetriebs gelten. Dennoch konnten und können hier bestimmte Vorgaben oftmals infolge personeller oder räumlicher Restriktionen nicht oder nur annähernd eingehalten werden. Dies ist der besonderen Notsituation und der Anlaufphase einer Notunterkunft geschuldet. Wünschenswert ist dabei, dass zukünftig derartige Notunterkünfte als Nebenstellen einer bereits bestehenden Zentralen Unterbringungseinrichtung betrieben werden. Dadurch soll eine Angleichung der Unterbringungsmodalitäten an-gestrebt werden. Bei einer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7303 5 geplanten Notunterkunft oder der Überbelegung einer Bestandsunterkunft sind die Rahmenbedingungen im Einzelfall und unter Berücksichtigung der räumlichen und kapazitären Gegebenheiten vor Ort zwischen Betreuungsorganisation und Bezirksregierung festzulegen. Zur Sicherung von Qualitätsstandards der eingesetzten Sicherheitsunternehmen wurde der „Acht-Punkte-Plan“ vorgestellt. Hier werden Mindeststandards definiert, die für alle Flüchtlingsunterkünfte in Nordrhein Westfalen gelten. So ist eine umfassende Sicherheitsüberprüfung aller Sicherheitskräfte, die in Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden, vorgeschrieben . Auch werden keine Subunternehmen mehr zugelassen. Im Rahmen des Gesprächs zur Unterbringung von Flüchtlingen in Essen am 20.10.2014 wurden weitere Maßnahmen zur Flüchtlingsunterbringung vereinbart:  Verdoppelung der Mittel für die soziale Beratung auf 7 Mio.,  Erarbeitung eines neuen Konzeptes für die Unter-bringung von Flüchtlingen,  Besseren Zugang zu schulischer Bildung und zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge anstreben ,  Flächendeckende Kontrollen von Standards und Sicherheit bei der Unterbringung,  Standardisiertes Impfangebot in den Aufnahmeeinrichtungen,  Erhöhung der Landespauschale im FlüAG für die Kommunen um 40 Mio. Euro auf 183 Mio. Euro,  Einrichtung eines Härtefallfonds im FlüAG in Höhe von 3 Mio. Euro,  Einsatz auf Bundesebene für die vollständige Integration der Asylbewerber in die sozialen Leistungssysteme des SGB II, XII und V entsprechend des Bundesratsbeschlusses vom 10.10.2014. Anlage Eingangsdatum Kommune Empfänger Betreff/Inhalt Eingabe mündlich/schriftlich Beantwortung 04.10.2012 Dortmund MIK Übermittlung einer Resolution des Rates der Stadt Dortmund: Aufnahme in Dortmund-Derne soll nur Übergangslösung sein schriftlich Keine Antwort, da Appell - veranlasste Maßnahmen siehe nächste Zeile 09.10.2012 Dortmund MIK Flüchtlingsaufnahme in der ZAB Dortmund zur Zeit nicht möglich wegen Krankheitsfällen schriftlich Am 29.10.2012 mündlich anlässlich Besprechung; getroffene Maßnahmen: Ausweichunterkünfte, Amtshilfe durch ZAB Köln 15.02.2013 Dortmund MIK Überlegungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Flüchtlingsunterbringung in NRW schriftlich Teilnahme der ZAB Dortmund an Projektarbeit beim MIK 30.08.2013 Dortmund MIK Überlastung/Überbelegung schriftlich Am 06.09.2013: Personalerhöhung ZAB Dortmund und Bielefeld 13.09.2013 Schöppingen MIK Überbelegung ZUE Schöppingen schriftlich mündlich (Telefonat) 02.09.2013 28.11.2013 Dortmund MIK Situation der EAE Dortmund; u.a. weitere EAEn in NRW erforderlich schriftlich Am 20.12.2013 durch Ministerschreiben; u.a. weitere EAEn geplant 12.03.2014 Hemer MIK Asylbewerberunterkunft Hemer, hier: Polizeipräsenz schriftlich Am 30.05.2014 durch Ministerschreiben; Maßnahmen durch KPB 26.03.2014 Essen Ministerpräsidentin Landesinterne Verteilung; Vorschläge zur Entlastung der Kommunen schriftlich Am 31.07.2014 durch Schreiben MIK; Vorschlag Landeseinrichtung Essen 30.06.2014 Burbach MIK Situation in der UE Burbach schriftlich Gesprächstermin mit Bürgermeistern Burbach und Bad Berleburg am 05.08.2014 im MIK 26.08.2014 Dortmund MIK Situation der EAE Dortmund; u.a. weitere EAEn in NRW erforderlich schriftlich Am 22.09.2014 durch Ministerschreiben; Darlegung der Planungen 15.09.2014 Schöppingen MIK Übersendung einer Resolution des Rates: kein Ausbau der ZUE schriftlich mündlich (durch Telefonat Minister mit Bürgermeister)