LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7324 17.11.2014 Datum des Originals: 14.11.2014/Ausgegeben: 20.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2802 vom 16. Oktober 2014 der Abgeordneten Christof Rasche und Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7064 Steuerlich nachteilige Auswirkungen einer Arbeitsaufnahme nach Arbeitslosigkeit – Welche Handlungsspielräume der Finanzverwaltung und bei Betroffenen bestehen zur Vermeidung von ungewollten Fehlanreizen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2802 mit Schreiben vom 14. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Zeitung „Der Patriot“ berichtet in der Ausgabe vom 11. Oktober 2014 in dem Artikel „Für Fleiß und Stolz vom Staat bestraft“ von dem Fall eines Beschäftigten, der sich nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes durch eine rasche Wiederaufnahme einer neuen Beschäftigung steuerlich massiv verschlechtert. In dem dort dargestellten Praxisbeispiel hat der Arbeitnehmer nach einer betriebsbedingten Entlassung eine Abfindung von 95.000 Euro bekommen. Durch seine unverzügliche neue Arbeitsaufnahme soll er davon nun 22.000 Euro mehr Steuern zahlen als dies im Falle einer weiter andauernden Arbeitslosigkeit ansonsten seine Verpflichtung gewesen wäre. Zusammen mit dem parallel entgangenen Arbeitslosengeld von rund 17.000 Euro ergibt sich im Ergebnis eine Schlechterstellung von knapp 40.000 Euro. Da Lohnersatzleistungen als umlagefinanzierte Versicherungsleistung richtigerweise nur subsidiär gewährt werden, liegt es in der Natur der Sache, dass Zahlungsansprüche entfallen, wenn Arbeitslosigkeit als der Grund der Leistungsgewährung nicht länger vorliegt. Es stellt aber zugleich einen aus Sicht des Betroffenen nachvollziehbarerweise unerfreulichen Fehlanreiz dar, wenn es zugleich zu einer deutlich höheren Versteuerung der Abfindung dadurch kommt, dass das gewünschte Verhalten der umgehenden Wiederaufnahme einer Beschäftigung auch steuerlich zu einer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7324 2 sichtbaren Schlechterstellung führt. Eine Anreizwirkung für eine größtmögliche Entfaltung eigener Anstrengungen zur neuen Jobsuche dürfte jedenfalls von der heutigen Rechtslage für viele in ähnlicher Weise von dem Problem Betroffenen kaum ausgehen. Der örtlich zuständige Finanzamtsleiter bestätigt den vorliegenden Sachverhalt gegenüber den Medien und kann das daraus resultierende Unverständnis laut Bericht „voll und ganz nachvollziehen“. Der Gesetzgeber habe mit dem Vorliegen einer solchen Konstellation wohl nicht gerechnet, lautet seine Erklärung. Es sollte stets das politische Ziel sein, wünschenswerte Verhaltensweisen zu fördern und Fehlanreize zu vermeiden, die öffentliche Leistungen unnötig in Anspruch nehmen. Im Zusammenwirken der Festsetzungen der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung und der Bundesgesetzgebung sollten bestehende Regelungen stets auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Im Ergebnis sollte sich individuelle Leistung in einer Beschäftigung immer mehr lohnen als eine lange Verweildauer in öffentlich alimentierter Erwerbslosigkeit. Aufgrund des Steuergeheimnisses darf der Finanzminister nicht zu Einzelfragen individueller Steuerveranlagung öffentlich Stellung nehmen, wohl aber die grundsätzlich hinter einem Steuersachverhalt liegende Rechtslage und Verwaltungspraxis bewerten. 1. Wie stellt sich, losgelöst vom erwähnten Einzelfall, die Problematik einer stark steigenden Steuerbelastung auf Abfindungen bei umgehender Wiederaufnahme einer Beschäftigung aus Sicht des Finanzministers politisch und rechtlich dar? Nach der geltenden Rechtslage gehört eine Abfindung in voller Höhe zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Besonderheit einer Abfindungszahlung als zusammengeballte Einmalzahlung wird dadurch Rechnung getragen, dass sie im Regelfall tarifermäßigt nach der sog. Fünftelregelung (§ 34 des Einkommensteuergesetzes – EStG) besteuert wird. Diese Regelung bewirkt, dass insbesondere bei hohen Abfindungszahlungen die sich ansonsten aus der Tarifprogression ergebende Belastung abgemildert wird. Die früher geltenden, weitergehenden Steuervergünstigungen (Freibetrag, halber Steuersatz) hat der Gesetzgeber abgeschafft. Hauptgrund für die Abschaffung des halben Steuersatzes war seinerzeit die öffentliche Kritik, dass die Tarifermäßigung in der alten Form für diejenigen Steuerpflichtigen nicht sachgerecht war, deren ordentliche Einkünfte ohnehin dem Spitzensteuersatz unterliegen. Es entspricht somit den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen, dass aufgrund der progressiven Gestaltung des Einkommensteuertarifs die Steuerbelastung einer Abfindung auch bei Anwendung der Fünftelregelung steigt, wenn durch die Wiederaufnahme der Beschäftigung im selben Kalenderjahr weitere steuerpflichtige Einkünfte bezogen werden. Bei dem Vergleich mit dem Bezug von Arbeitslosengeld ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch das Arbeitslosengeld nach der Intention des Gesetzgebers im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu einer höheren Besteuerung führen kann (vgl. dazu die Antwort zu Frage 2). 2. Wie bewertet die Landesregierung daher die sich aus dieser Konstellation erge- benden Fehlanreize für Arbeitslose zur unverzüglichen Neuaufnahme einer Folgebeschäftigung? Der Gesetzgeber hat bereits vor mehr als dreißig Jahren erkannt, dass der Bezug von steuerfreiem Arbeitslosengeld im Vergleich zur Aufnahme einer steuerpflichtigen Tätigkeit zu einer wesentlichen steuerlichen Entlastung der im selben Kalenderjahr zeitweise erzielten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7324 3 Lohneinkünfte führen kann und dass dadurch möglicherweise Fehlanreize zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung entstehen (vgl. Bundestags-Drucksache 9/842, S. 67). Der Gesetzgeber hat diese Problematik typisierend dadurch gelöst, dass der Bezug von Arbeitslosengeld im Rahmen des sog. Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG zu einer Erhöhung des Steuersatzes für das steuerpflichtige Einkommen führen kann. Eine jede Fallkonstellation berücksichtigende sachgerechte Einzelfalllösung war und ist dem Gesetzgeber in einem Massenverfahren jedoch nicht möglich. Darüber hinaus ist die Landesregierung der Auffassung, dass steuerliche Aspekte nicht allein ausschlaggebend für die Frage der Wiederaufnahme einer Beschäftigung sind. Ein Bürger, der eine auf Dauer angelegte neue Berufstätigkeit ausüben kann, wird bei vernünftiger Abwägung darauf nicht wegen eines einmaligen steuerlichen Effekts im Jahr der Abfindungszahlung verzichten. 3. Welche Ermessens- und Gestaltungsspielräume stehen einerseits für die Be- troffenen und andererseits für die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung zur Verfügung, damit sich derlei ungewollte Fehlanreizwirkungen reduzieren lassen? Die Rechtslage ist eindeutig. Ermessens- und Gestaltungsspielräume bestehen danach nicht. 4. Wie lautet die Summe der zum letzten verfügbaren Erhebungstermin im Land Nordrhein-Westfalen in einem Jahr gezahlten Abfindungen aller Beschäftigten und die näherungsweise darauf entfallenden jährlichen Steuereinnahmen für das Land? Abfindungen ebenso wie die darauf entfallenden Lohnsteuerbeträge sind nicht Gegenstand von statistischen Erhebungen. Deshalb ist eine Beantwortung der Frage nicht möglich. 5. Beabsichtigt die Landesregierung eine Initiative auf Bundesebene, um die auf dieser Ebene begründeten Rechtsgrundlagen so anzupassen, dass zukünftig Fehlanreize bei Arbeitsaufnahme reduziert werden? Vergleichsperson des Steuerpflichtigen in der angesprochenen Fallkonstellation ist nicht derjenige , bei dem außerordentliche Einkünfte mit Progressionseinkünften (Arbeitslosengeld) zusammentreffen, sondern vielmehr ein Steuerpflichtiger, dessen zu versteuerndes Einkommen gleich hoch ist, das sich aber ausschließlich aus nicht tarifbegünstigten Einkünften zusammensetzt. Für dieses Vergleichspaar ergibt sich, dass der Steuerpflichtige mit den außerordentlichen Einkünften durch die sogenannte „Fünftelregelung“ allenfalls gleich, aber niemals schlechter gestellt wird als der Steuerpflichtige, der nur nicht begünstigte Einkünfte erzielt. Im Ergebnis entspricht die Besteuerung von Abfindungen damit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit. Die Landesregierung sieht daher keine Veranlassung für eine Gesetzesänderung.