LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7326 17.11.2014 Datum des Originals: 14.11.2014/Ausgegeben: 20.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2835 vom 23. Oktober 2014 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/7113 Rechtssicherheiten beim elektronischen Versand von Sitzungsunterlagen kommunaler Gremien – Was sagt die Landesregierung? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2835 mit Schreiben vom 14. November 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die flächendeckende Verbreitung von Informationstechnologie hat in der Arbeitswelt zu grundlegenden Veränderungen geführt. E-Mails, elektronische Textverarbeitung oder Tabellenkalkulation sind zu unverzichtbaren Elementen des modernen Büroalltags geworden. Auch in staatlichen und kommunalen Behörden sind Begriffe wie „E-Government“ oder „EAdministration “ längst keine Fremdworte mehr. Das „papierlose Büro“ mit dem Ziel der Ressourceneinsparung ist ein weit verbreitetes Konzept. Auch die Arbeitsweise kommunaler Gremien bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt. So ist man in vielen Stadträten und Kreistagen dazu übergegangen, die Sitzungsunterlagen der kommunalen Mandatsträger auf elektronischem Wege zu versenden und auf den teuren, ressourcenintensiven Postversand zu verzichten. Was vielerorts als Pilotprojekt begann, hat sich mittlerweile etabliert und ist zur geübten Praxis geworden. Gleichwohl gibt es nach wie vor viele Kommunen, die von den neuen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen. Hierbei scheinen auch rechtliche Unsicherheiten eine Rolle zu spielen. In einer Sitzungsunterlage der Stadt Remscheid vom 10. September 2014 (Drs. 15/0275) heißt es zum Beispiel, dass es die Aufgabe des örtlichen Sitzungsdienstes sei, rechtssichere Beschlüsse herbeizuführen. Dies setze voraus, dass allen Ratsmitgliedern sämtliche Entscheidungsunterlagen zur Abwägung eines Sachverhalts rechtzeitig zur Verfügung gestellt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7326 2 werden müssen. Der obligatorische Postversand von Sitzungsunterlagen sei in diesem Zusammenhang ein rechtlich abgesichertes Verfahren. Hinsichtlich der elektronischen Zustellung von Sitzungsunterlagen gebe es hingegen weder eine gesetzliche Regelung noch passende Rechtsprechung. Zwar könne der Rat im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie entsprechende Regelungen treffen. Den Verzicht auf gedruckte Unterlagen müsse dann aber jedes Ratsmitglied einzeln erklären. Zudem sei nicht sicher, wie der vollständige oder teilweise Wegfall von gedruckten Sitzungsunterlagen bei gerichtlichen Überprüfungen, beispielsweise zu Bauleitplanbeschlüssen, gewertet werde. Gerade bei der formellen Prüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens von Bauleitplänen stellten die Gerichte regelmäßig hohe Anforderungen an die Sicherstellung der Möglichkeit jedes einzelnen Ratsmitglieds, eine ordnungsgemäße Abwägung vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund rate man von einer Umstellung der rechtssicheren Postzustellung gedruckter Sitzungsunterlagen zugunsten des elektronischen Versands ab. 1. Wie bewertet die Landesregierung den oben beschriebenen Sachverhalt? Gemäß § 47 Absatz 2 Satz 1 der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) sind die Ladungsfrist, die Form der Einberufung und die Geschäftsführung des Rates durch die Geschäftsordnung zu regeln, soweit die GO NRW selbst keine Vorschriften trifft. § 47 GO NRW enthält keine Vorgaben darüber, auf welche Weise die Einberufung, insbesondere die Einladung und die Aushändigung der entsprechenden Sitzungsunterlagen zu erfolgen hat. Der Rat wird also ermächtigt, innerhalb des durch Wesen und Aufgabenstellung der demokratisch gebildeten Vertretungskörperschaft begrenzten Bereichs seine inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln. Es liegen aufgrund des geschilderten Sachverhaltes keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Stadt Remscheid gegen diese Grundsätze verstoßen hat. 2. In welchen Gemeinden und Gemeindeverbänden wird die elektronische Zustel- lung von Sitzungsunterlagen bereits praktiziert? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 3. Inwieweit besteht die Gefahr, dass Beschlüsse kommunaler Gremien, die bereits auf den elektronischen Versand von Sitzungsunterlagen umgestellt haben, bei gerichtlichen Überprüfungen aus formalen Gründen für unzulässig erklärt werden ? 4. Hält die Landesregierung die postalische Zustellung von Sitzungsunterlagen kommunaler Gremien als einzig rechtssicheren Weg noch für zeitgemäß? Die Frage, auf welche Weise die Einladung zu einer Ratssitzung und die Aushändigung der entsprechenden Unterlagen zu erfolgen hat, muss gemäß § 47 Absatz 2 Satz 1 GO NRW in der Geschäftsordnung geregelt sein. Die Gemeindeordnung setzt hierbei in § 47 Absatz 2 GO NRW keine förmliche Zustellung von Schriftstücken voraus. Der tatsächliche Empfang der Unterlagen beurteilt sich daher entsprechend den allgemeinen Bestimmungen über den Zugang von rechtserheblichen Willenserklärungen gemäß § 130 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Willenserklärung muss dem Empfänger also zugehen, das heißt persönlich überbracht werden oder in eine allgemein oder für den Einzelfall bestimmte Empfangsvorrichtung gelangen. Diese Voraussetzung ist regelmäßig erfüllt bei einer postalischen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7326 3 Versendung oder, soweit das Ratsmitglied nicht widerspricht, bei Hinterlegung in einem persönlichen Postschließfach im Rathaus. Darüber hinaus ist es grundsätzlich rechtlich zulässig, in der Geschäftsordnung eine Regelung zu treffen, die die Einberufung der Sitzung eines Rates unter Bereitstellung der Tagesordnung und der notwendigen Sitzungsunterlagen in elektronischer Form ermöglicht (Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Band 1, Dezember 2013, § 47, Anmerkung 1.2; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung NRW, April 2014, § 47, Anmerkung II.3; Kleerbaum/Palmen, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage , § 47, Anmerkung II.3. a). Zu weit gehen dürfte dagegen eine Regelung in der Geschäftsordnung , die zwingend die elektronische Form für die Ladung vorgeben würde (Held/Winkel/Wansleben, Rehn/Cronauge und Kleerbaum/Palmen a.a.O.). Trotz weiter Verbreitung des Internets und der Kommunikation per E-Mail kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Ratsmitglieder über diese technischen Zugangsmöglichkeiten verfügen. Auch bei der gegebenenfalls kostenlosen Bereitstellung der notwendigen Geräte kann sich die Frage nach der Wartung und den Folgekosten stellen sowie, ob alle Ratsmitglieder mit den entsprechenden Medien hinreichend vertraut sind. Es ist daher bis auf weiteres zu empfehlen , dass für Ratsmitglieder auf deren Verlangen noch die Möglichkeit eröffnet bleibt, schriftlich per Post oder durch Hinterlegung in eine geeignete Empfangsvorrichtung geladen zu werden, um eine Verletzung des Rechtes auf freie Mandatsausübung und des Rechtes auf gleichen Informationszugang auszuschließen. Gerichtsentscheidungen zu dieser Fragestellung sind der Landesregierung nicht bekannt. 5. Was wird die Landesregierung tun, um die oben beschriebenen Rechtsunsicher- heiten zu beseitigen? Die Gemeinden haben die Möglichkeit im Rahmen der unter den Fragen 1, 3 und 4 aufgezeigten rechtlichen Rahmenbedingungen, in ihren Geschäftsordnungen Form und Frist der Einberufung des Rates zu regeln. Die Landesregierung beabsichtigt nicht, dem Landtag zu empfehlen, in der Gemeindeordnung Sonderregelungen für Ratsmitglieder zum Umgang mit elektronisch versendeten Willenserklärungen zu schaffen.